BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ludwig Uhland

1787 - 1862

 

Gedichte

 

Auswahl

 

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Gedichte 1811 bis 1820

 

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Legende

(1811)

 

Es ist 'ne Kirche wohlbekannt,

Sankt Michael vom Berg genannt;

Am Ende vom Normannenlande

Auf eines hohen Felsen Rande,

5

Umschlossen überall vom Meer,

Nur daß von  e i n e r  Seite her,

Sowie die Flut zurücketrat,

Sich öffnet ein gebahnter Pfad.

Es kommt die Flut zweimal im Tage

10

Mit schnell- und starkem Wellenschlage,

Daß mancher zu derselben Frist

Mit großer Not entronnen ist.

Viel Waller zu der Kirche kommen,

Zu ihres ew'gen Erbes Frommen.

15

Einmal, an einem hohen Feste,

Beeilten sich die frommen Gäste,

Zur heil'gen Messe hinzuwallen;

Doch hat die Flut sie überfallen.

Sie flohen auf des Pfades Enge

20

Mit Hast und mächtigem Gedränge.

Nur einer armen Schwangern war

Die Kraft geschwunden ganz und gar,

Gehemmt ihr Lauf von herben Schmerzen,

Die sich ihr regten unterm Herzen.

25

Sie ward gestoßen von der Menge

Und fiel zu Boden im Gedränge.

So blieb sie liegen, unbeachtet,

Weil jeder sich zu retten trachtet.

Die andern waren all entronnen

30

Und hatten schon den Berg gewonnen,

Doch wie sie nach der Frau hinsahen,

So tät sich schon die Flut ihr nahen;

Wohl jede Hülfe war zu spät,

Drum wandten sie sich zum Gebet.

35

Auch jene, die, dem Tode nah,

Nicht Menschenhülfe möglich sah,

Sie hat zu Jesus und Marien

Und zum Erzengel laut geschrieen.

Die Pilger haben's nicht vernommen,

40

Zum Himmel ist der Ruf gekommen.

Die süße Gottesmutter oben

Hat sich von ihrem Thron erhoben.

Die heil'ge Herrin voll Erbarmen

Wirft einen Schleier hin der Armen,

45

Die unter solcher Decke Schutz

Bewahrt ist vor der Wellen Trutz;

Denn mitten in der Wasser Braus

Ist ihr gebaut ein trocknes Haus.

Die Ebbezeit nicht ferne war,

50

Nun stund am Strand die ganze Schar.

Die Frau man längst verloren gab;

Da wich die Flut vom Land hinab,

Und trat aus all der Wellen Grund

Die Frau, ganz freudig und gesund,

55

Und in den Armen hielt sie lind

Ein lieblich neugeboren Kind.

Da täten Geistliche und Laien

Des schönen Wunders hoch sich freuen,

Mit Staunen auf die Frau sie wiesen,

60

Den Herrn und seine Mutter priesen.

 

 

Harald

(1811)

 

Vertont von:

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), op. 45 no. 1 (1835)

 

Vor seinem Heergefolge ritt

Der kühne Held Harald.

Sie zogen in des Mondes Schein

Durch einen wilden Wald.

 

5

Sie tragen manch' erkämpfte Fahn',

Die hoch im Winde wallt,

Sie singen manches Siegeslied,

Das durch die Berge hallt.

 

Was rauschet, lauschet im Gebüsch?

10

Was wiegt sich auf dem Baum?

Was senket aus den Wolken sich?

Was taucht aus Stromes Schaum?

 

Was wirft mit Blumen um und um?

Was singt so wonniglich?

15

Was tanzet durch der Krieger Reihn?

Schwingt auf die Rosse sich?

 

Was kost so sanft und küßt so süß,

Und hält so lind umfaßt?

Und nimmt das Schwert, und zieht vom Roß,

20

Und läßt nicht Ruh' noch Rast?

 

Es ist der Elfen leichte Schar;

Hier hilft kein Widerstand.

Schon sind die Krieger all dahin,

Sind all im Feenland.

 

25

Nur er, der Beste, blieb zurück,

Der kühne Held Harald.

Er ist vom Wirbel bis zur Sohl'

In harten Stahl geschnallt.

 

All seine Krieger sint entrückt,

30

Da liegen Schwert und Schild,

Die Rosse, ledig ihrer Herrn,

Sie gehn im Walde wild.

 

In großer Trauer ritt von dann

Der stolze Held Harald,

35

Er ritt allein im Mondenschein

Wohl durch den weiten Wald.

 

Vom Felsen rauscht es frisch und klar,

Er springt vom Rosse schnell,

Er schnallt vom Haupte sich den Helm

40

Und trinkt vom kühlen Quell.

 

Doch wie er kaum den Durst gestillt,

Versagt ihm Arm und Bein;

Er muß sich setzen auf den Fels

Er nickt und schlummert ein.

 

45

Er schlummert auf demselben Stein

Schon manche hundert Jahr',

Das Haupt gesenket auf die Brust,

Mit grauem Bart und Haar.

 

Wann Blitze zucken, Donner rollt,

50

Wann Sturm erbraust im Wald,

Dann greift er träumend nach dem Schwert,

Der alte Held Harald.

 

 

Inschrift

(1811)

 

Ich bin zum Kirchlein auserkorn

Der edeln Herrn vom Blankenhorn.

Hier sind sie all getaufet worden,

Hier traten sie in Ehstands Orden,

5

Hier tät man sie zur Ruhe bringen,

Hier pflegt man ihnen Mess' zu singen,

Wann meine Herren auferstehn,

Dann werd ich Kirchlein untergehn.

 

 

Lob des Frühlings

(1811)

Aus dem Zyklus Frühlingslieder

 

Saatengrün, Veilchenduft,

Lerchenwirbel, Amselschlag,

Sonnenregen, linde Luft!

Wenn ich solche Worte singe,

5

Braucht es dann noch große Dinge,

Dich zu preisen, Frühlingstag?

 

 

Das Tal

(1811)

 

Wie willst du dich mir offenbaren,

Wie ungewohnt, geliebtes Tal?

Nur in den frühsten Jugendjahren

Erschienst du so mir manches Mal.

 

5

Die Sonne schon hinabgegangen,

Doch aus den Bächen klarer Schein;

Kein Lüftchen spielt mir um die Wangen,

Doch sanftes Rauschen in dem Hain.

 

Es duftet wieder alte Liebe,

10

Es grünet wieder alte Lust;

Ja, selbst die alten Liedertriebe

Beleben diese kalte Brust.

 

Natur, wohl braucht es solcher Stunden,

So innig, so liebevoll,

15

Wenn dieses arme Herz gesunden,

Das welkende genesen soll.

 

Bedrängt mich einst die Welt noch bänger,

So such' ich wieder dich mein Tal,

Empfange dann den kranken Sänger

20

Mit solcher Milde noch einmal.

 

Und sink' ich dann ermattet nieder,

So öffne leise deinen Grund

Und nimm mich auf und schließ' ihn wieder

Und grüne fröhlich und gesund.

 

――――

 

Wanderlieder

 

1.

Lebewohl

(1807)

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 19 no. 1 (Oktober 1858).

Conradin Kreutzer (1780-1849), op. 34 no. 1 (1811), Neun Wanderlieder von Uhland

 

Lebe wohl, lebe wohl mein Lieb!

Muß noch heute scheiden.

Einen Kuß, einen Kuß mir gib!

Muß dich ewig meiden.

 

5

Eine Blüt', eine Blüht' mir brich

Von dem Baum im Garten!

Keine Frucht, keine Frucht für mich!

Darf sie nicht erwarten.

 

 

2.

Scheiden und Meiden

(1811)

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 19 no. 2 (Oktober 1858)

Peter Cornelius (1824-1874), 1847/48

Conradin Kreutzer (1780-1849), op. 34 no. 2 (1811), Neun Wanderlieder von Uhland

Othmar Schoeck (1886-1957), op. 3 no. 5 (1908)

 

So soll ich nun dich meiden,

Du meines Lebens Lust!

Du küssest mich zum Scheiden,

Ich drücke dich an die Brust.

 

5

Ach Liebchen! heißt das meiden,

Wenn man sich herzt und küßt?

Ach Liebchen! heißt das scheiden,

Wenn man sich fest umschließt?

 

 

3.

In der Ferne

(1806)

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 19 no. 3 (Oktober 1858).

Leopold Damrosch (1832-1885), op. 10 no. 1.

Conradin Kreutzer (1780-1849), op. 34 no. 3 (1806), Neun Wanderlieder von Uhland.

 

Will ruhen unter den Bäumen hier,

Die Vögelein hör' ich so gerne,

Wie singet ihr so zum Herzen mir?

Von unsrer Liebe was wisset ihr

5

In dieser weiten Ferne?

 

Will ruhen hier an des Baches Rand,

Wo duftige Blümlein sprießen.

Wer hat euch Blümlein hierher gesandt?

Seid ihr ein herzliches Liebespfand

10

Aus der Ferne von meiner Süßen?

 

 

4.

Morgenlied

(1811)

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 19 no. 4 (Oktober 1858)

Conradin Kreutzer (1780-1849), op. 34 no. 4 (1811), Neun Wanderlieder von Uhland

 

Noch ahnt man kaum der Sonne Licht,

Noch sind die Morgenglocken nicht

Im finstern Tal erklungen.

 

Wie still des Waldes weiter Raum!

5

Die Vöglein zwitschern nur im Traum,

Kein Sang hat sich erschwungen.

 

Ich hab' mich längst ins Feld gemacht,

Und habe schon dies Lied erdacht,

Und hab' es laut gesungen.

 

 

5.

Nachtreise

(1811)

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 19 no. 5 (Oktober 1858)

Conradin Kreutzer (1780-1849), op. 34 no. 5 (1811), Neun Wanderlieder von Uhland

 

Ich reit' ins finstre Land hinein,

Nicht Mond noch Sterne geben Schein,

Die kalten Winde tosen.

Oft hab' ich diesen Weg gemacht,

5

Wann goldner Sonnenschein gelacht,

Bei lauer Lüfte Kosen.

 

Ich reit' am finstern Garten hin,

Die dürren Bäume sausen drin,

Die welken Blätter fallen.

10

Hier pflegt' ich in der Rosenzeit,

Wann alles sich der Liebe weiht,

Mit meinem Lieb zu wallen.

 

Erloschen ist der Sonne Strahl,

Verwelkt die Rosen allzumal,

15

Mein Lieb zu Grab' getragen.

Ich reit' ins finstre Land hinein

Im Wintersturm, ohn' allen Schein,

Den Mantel umgeschlagen.

 

 

6.

Winterreise

(1811)

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 19 no. 6 (Oktober 1858)

Conradin Kreutzer (1780-1849), op. 34 no. 6 (1811), Neun Wanderlieder von Uhland

 

Bei diesem kalten Wehen

Sind alle Straßen leer,

Die Wasser stille stehen,

Ich aber schweif' umher.

 

5

Die Sonne scheint so trübe,

Muß früh hinuntergehn,

Erloschen ist die Liebe,

Die Lust kann nicht bestehn.

 

Nun geht der Wald zu Ende,

10

Im Dorfe mach' ich halt,

Da wärm' ich mir die Hände,

Bleibt auch das Herze kalt.

 

 

7.

Abreise

(1811)

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 19 no. 7 (Oktober 1858)

Conradin Kreutzer (1780-1849), op. 34 no. 7 (1811), Neun Wanderlieder von Uhland

 

So hab ich nun die Stadt verlassen,

Wo ich gelebet lange Zeit;

Ich ziehe rüstig meiner Straßen,

Es gibt mir niemand das Geleit.

 

5

Man hat mir nicht den Rock zerrissen,

Es wär' auch schade für das Kleid!

Noch in die Wange mich gebissen

Vor übergroßem Herzeleid.

 

Auch keinem hat's den Schlaf vertrieben,

10

Daß ich am Morgen weiter geh;

Sie konnten's halten nach Belieben,

Von einer aber tut mir's weh.

 

 

8.

Einkehr

(1811)

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 19 no. 8 (Oktober 1858)

Conradin Kreutzer (1780-1849), op. 34 no. 8 (1811), Neun Wanderlieder von Uhland

 

Bei einem Wirte, wundermild,

Da war ich jüngst zu Gaste;

Ein goldner Apfel war sein Schild

An einem langen Aste.

 

5

Es war der gute Apfelbaum,

Bei dem ich eingekehret;

Mit süßer Kost und frischem Schaum

Hat er mich wohl genähret.

 

Es kamen in sein grünes Haus

10

Viel leichtbeschwingte Gäste;

Sie sprangen frei und hielten Schmaus

Und sangen auf das beste.

 

Ich fand ein Bett zu süßer Ruh'

Auf weichen, grünen Matten;

15

Der Wirt, er deckte selbst mich zu

Mit seinem kühlen Schatten.

 

Nun fragt' ich nach der Schuldigkeit,

Da schüttelt' er den Wipfel.

Gesegnet sei er allezeit

20

Von der Wurzel bis zum Gipfel!

 

 

9.

Heimkehr

(1811)

 

Vertont von:

Johannes Brahms (1833-1897), op. 19 no. 9 (Oktober 1858)

Karl Friedrich Curschmann (1805-1841), op. 4 no. 2 (1832)

Friedrich Gernsheim (1839-1916), op. 3 no. 6

Conradin Kreutzer (1780-1849), op. 34 no. 9 (1811), Neun Wanderlieder von Uhland

 

O brich nicht, Steg, du zitterst sehr!

O stürz nicht, Fels, du dräuest schwer!

Welt, geh nicht unter, Himmel, fall nicht ein

Eh' ich mag bei der Liebsten sein!

 

――――

 

Hirsau

(1811)

 

In den Zellen und Gemachen

Sitzen fünfzig Klosterbrüder,

Schreiben Bücher mannigfalt,

Geistlich, weltlich, vieler Sprachen,

5

Predigten, Geschichten, Lieder,

Alles farbig ausgemalt.

 

In der letzten gegen Norden

Sitzt ein Greis mit weißen Haaren,

Stützt die Stirn auf seine Hand,

10

Schreibt sodann: «Des Feindes Horden

Brechen ein nach sieben Jahren,

Und das Kloster steht in Brand.»

 

 

Der weiße Hirsch

(1811)

 

Es gingen drei Jäger wohl auf die Pirsch,

Sie wollten erjagen den weißen Hirsch.

 

Sie legten sich unter den Tannenbaum,

Da hatten die drei einen seltsamen Traum.

 

Der erste.

5

Mir hat geträumt, ich klopf' auf den Busch,

Da rauschte der Hirsch heraus, husch husch!

 

Der zweite.

Und als er sprang mit der Hunde Geklaff,

Da brannt’ ich ihn auf das Fell, piff paff!

 

Der dritte.

Und als ich den Hirsch an der Erde sah,

10

Da stieß ich lustig ins Horn, trara!

 

So lagen sie da und sprachen, die drei,

Da rannte der weiße Hirsch vorbei.

 

Und eh’ die drei Jäger ihn recht gesehn,

So war er davon über Tiefen und Höhn.

 

15

Husch husch! piff paff! trara!

 

 

Nächtliche Stimme

(1811)

 

Als ich nächtlich ging einmal,

Todesstille weit um mich,

Rief ich aus vor bittrer Qual:

Wer ist trauriger als ich?

 

5

Aus der tiefsten Finsternis

Kam mir eine Stimme zu,

Die sich kaum vernehmen ließ:

«Ich bin trauriger denn du.»

 

 

Der Königssohn

(1812)

 

1.

Der alte, graue König sitzt

Auf seiner Väter Throne;

Sein Mantel glänzt wie Abendrot,

Wie sinkende Sonn die Krone.

 

5

«Mein erster und mein zweiter Sohn!

Euch teil ich meine Lande.

Mein dritter Sohn, mein liebstes Kind!

Was laß ich dir zum Pfande?»

 

«Gib mir von allen Schätzen nur

10

Die alte, rostige Krone!

Gib mir drei Schiffe! so fahr ich hin

Und suche nach einem Throne.»

 

2.

Der Jüngling steht auf dem Verdeck,

Sieht seine Schiffe fahren,

15

Die Sonne strahlt, es spielt die Luft

Mit seinen goldnen Haaren.

 

Das Ruder schallt, das Segel schwillt,

Die bunten Wimpel fliegen,

Meerfrauen mit Gesang und Spiel

20

Sich um die Kiele wiegen.

 

Er spricht: «Das ist mein Königreich,

Das frei und lustig streifet,

Das um die träge Erde her

Auf blauen Fluten schweifet.»

 

25

Da ziehen finstre Wolken auf

Mit Sturm und mit Gewitter.

Die Blitze zucken aus der Nacht,

Die Maste springen in Splitter.

 

Und Wogen stürzen auf das Schiff,

30

So wilde, Bergen gleiche;

Verschlungen ist der Königssohn

Samt seinem lust'gen Reiche.

 

3.

Fischer:

Versunken, wehe, Mast und Kiel!

Der Schiffer Ruf verschollen!

35

Doch sieh! wer schwimmet dort herbei,

Um den die Wogen rollen?

 

Er schlägt mit starkem Arm die Flut

Und fürchtet die Wellen wenig,

Trägt hoch das Haupt mit goldner Kron,

40

Er dünkt mir wohl ein König.

 

Jüngling:

Ein Königssohn, mir aber ist

Die Heimat längst verloren.

Erst hat die schwache Mutter mich,

Die irdische, geboren:

 

45

Doch nun gebar die zweite Mutter,

Das starke Meer, mich wieder.

In Riesenarmen wiegte sie

Mich selbst und meine Brüder.

 

Die andern all ertrugen's nicht,

50

Mich brachte sie hier zum Strande.

Zum Reiche wohl erkor sie mir

All diese weiten Lande.

 

4.

Fischer:

Was spähest du nach der Angel

Von Morgen bis zur Nacht,

55

Und hast mit aller Mühe doch

Kein Fischlein aufgebracht?

 

Jüngling:

Ich angle nicht nach Fischen,

Ich sah in Meeresschacht,

Wohl jeder Angel allzu tief,

60

Viel königliche Pracht.

 

5.

Wie schreitet königlich der Leu!

Schüttelt die Mähn in die Lüfte.

Er ruft sein Machtgebot

Durch Wälder und Klüfte.

 

65

Doch werd ich ihn stürzen

Mit dem Speer in starker Hand,

Um die Schultern mir schürzen

Sein Goldgewand.

 

Der Aar, ein König, schwebet auf,

70

Er rauschet in Wonne,

Will langen sich zur Kron herab

Die goldne Sonne.

 

Doch in den Wolken hoch

Soll ihn fahen und spießen

75

Mein geflügelter Pfeil,

Daß er mir sinke zu Füßen.

 

6.

Im Walde läuft ein wildes Pferd,

Hat nie den Zaum gelitten,

Goldfalb, mit langer, dichter Mähn,

80

Schlägt Funken bei allen Tritten.

 

Der Königssohn, er fängt es ein,

Hat sich darauf geschwungen,

Es bläht die Brust und schwingt den Schweif,

Kommt wiehernd hergesprungen.

 

85

Und alle horchen staunend auf,

Die in den Tälern hausen.

Sie hören's vom Gebirge her

Wie Sturm und Donner brausen.

 

Da sprengt herab der Königssohn,

90

Umwallt vom Fell des Leuen,

Des wilden Rosses Mähne fleugt,

Die Hufe Feuer streuen.

 

Da drängt sich alles Volk herzu

Mit Jubel und Gesange:

95

«Heil uns! er ist's, der König ist's,

Den wir erharrt so lange!»

 

7.

Es steht ein hoher, schroffer Fels,

Darum die Adler fliegen,

Doch wagt sich keiner drauf herab,

100

Den Drachen sehen sie liegen.

 

In alten Mauern liegt er dort,

Mit seinem goldnen Kamme,

Er rasselt mit der Schuppenhaut,

Er hauchet Dampf und Flamme.

 

105

Der Jüngling, ohne Schwert und Schild,

Ist keck hinaufgedrungen,

Die Arme wirft er um die Schlang

Und hält sie fest umrungen.

 

Er küßt sie dreimal in den Schlund,

110

Da muß der Zauber weichen,

Er hält im Arm ein holdes Weib,

Das schönst' in allen Reichen.

 

Die herrliche, gekrönte Braut

Hat er am Herzen liegen,

115

Und aus den alten Trümmern ist

Ein Königsschloß gestiegen.

 

8.

Der König und die Königin,

Sie stehen auf dem Throne,

Da glüht der Thron wie Morgenrot,

120

Wie steigende Sonn die Krone.

 

Viel stolze Ritter stehn umher,

Die Schwerter in den Händen,

Sie können ihre Augen nicht

Vom lichten Throne wenden.

 

125

Ein alter, blinder Sänger steht,

An seiner Harf gelehnet,

Er fühlet, daß die Zeit erschien,

Die er so lang ersehnet.

 

Und plötzlich springt vom hohen Glanz

130

Der Augen finstre Hülle.

Er schaut hinauf und wird nicht satt

Der Herrlichkeit und Fülle.

 

Er greifet in sein Saitenspiel,

Das ist gar hell erklungen,

135

Er hat in Licht und Seligkeit

Sein Schwanenlied gesungen.

 

 

Der Königssohn

Frühere Fassung

 

Ulfar saß, der greise König,

Auf der Väter altem Throne.

Gleich der halbversunknen Sonne

Glänzte seine goldne Krone;

5

Über seine Schultern wallte

Lang der rote Königsmantel,

Wie ein dunkles Abendrot.

 

Und an seines Thrones Stufen

Stunden seine edeln Söhne,

10

Blühend in der Jugend Schöne;

Stunden seine treuen Helden,

Blanke Schwerter in den Händen,

sahen auf mit stillem Staunen

Zu des Königs ernsten Augen,

15

Lauschten, was sein Mund gebot.

 

Leis ist meiner Stimme Ton.

Nimmer in der Weisen Sitze,

Nimmer vor des Heeres Spitze

Kann ich mächtig sie erheben,

20

Nur dies letzte Wort vom Thron

Kann sie euch noch bebend geben.

 

Sollt ich von des Thrones Stufen

Steigen in die Gruft hinab,

Eh ich treu das Reich besorget,

25

Das der Götter Huld mir gab?

 

Offen vor der Völker Augen

Hab ich meine Söhn erzogen.

Denn es ist das Los der Herrscher,

Daß sie frei vor allen wandeln,

30

Wie die Sonn am Himmelsbogen.

Und sie sollen wohl bedenken,

Daß der Kön'ge Wort' und Taten

Nimmer in die Gruft sich senken;

Vor den späten Enkelwelten

35

Stehen sie wie stumme Bilder

Über jedes Leichenstein.

 

Meine Söhne sind das Erbe,

Das ich meinen Völkern lasse

Und ich darf nun ruhig fahren;

40

Die so fromme Kinder waren,

Werden treue Väter sein.

 

Alf, mein erstgeborner Sohn,

Dein ist diese goldne Kron;

Alle Völker gegen Morgen

45

Übergeb ich deinen Sorgen.

 

Hilderich, mein zweiter Sohn,

Dein ist diese andre Kron;

Alles L.and dem Abend zu

Schirme und beglücke du.

 

50

Kinder, meine teuern Kinder!

Wie ich hier in eurer Mitte

Beider Hände liebend fasse:

Also wenn ich längst gestorben,

Soll mein Geist in eurer Mitte

55

Treu und liebend ewig walten

Und in einem engen Bunde

Euch und eure Völker halten.

 

Lebt nun wohl ihr Treuen alle!

Lebe wohl, mein gutes Reich!

60

Segnend breitet euer Vater

Seine Hände über euch.

 

Tiefes Schweigen in den Hallen,

Große Wehmut über allen.

Aber sieh! noch immer steiget

65

Ulfar nicht vom hohen Throne,

Schauet liebevoll und neiget

Sich zu seinem dritten.Sohne:

 

Olo, sprichst du nichts, mein Kind?

Sprechen meine Augen nicht?

70

Sanfte Wehmut sprechen sie.

Sanfte Wehmut fühl ich nur,

Wehmut wie sie alle fühlen,

Welche hier versammelt sind.

 

 

Schwere Träume

(1812)

 

Das war mir eine schwere Nacht,

Das war ein Traum von langer Dauer;

Welch weiten Weg hab ich gemacht

Durch alle Schrecken, alle Schauer!

 

5

Der Traum, er führt' mich an der Hand,

Wie den Äneas die Sibylle,

Durch ein avernisch dunkles Land,

Durch aller Schreckgestalten Fülle.

 

Was hilft es, daß die Glocke rief

10

Und mich geweckt zum goldnen Tage,

Wenn ich im Innern heimlich tief

Solch eine Hölle in mir trage?

 

 

Romanze vom kleinen Däumling

(1812)

 

Kleiner Däumling! kleiner Däumling!

Allwärts ist dein Ruhm posaunet.

Schon die Kindlein in der Wiege

Sieht man der Geschichte staunen.

5

Welches Auge muß nicht weinen,

Wie du liefst durch Waldes Grausen,

Als die Wölfe hungrig heulten

Und die Nachtorkane sausten!

Welches Herz muß nicht erzittern,

10

Wie du lagst im Riesenhause

Und den Oger hörtest nahen,

Der nach deinem Fleisch geschnaubet!

Dich und deine sechs Gebrüder

Hast vom Tode du erkaufet,

15

Listiglich die sieben Kappen

Mit den sieben Kronen tauschend.

Als der Riese lag am Felsen,

Schnarchend, daß die Wälder rauschten,

Hast du keck die Meilenstiefel

20

Von den Füßen ihm gemauset.

Einem vielbedrängten König

Bist als Bote du gelaufen;

Köstlich war dein Botenbrot:

Eine Braut vom Königshause.

25

Kleiner Däumling! kleiner Däumling!

Mächtig ist dein Ruhm erbrauset.

Mit den Siebenmeilenstiefeln

Schritt er schon durch manch Jahrtausend.

 

 

Taillefer

(1812)

 

Normannenherzog Wilhelm sprach einmal:

«Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal?

Wer singet vom Morgen bis in die späte Nacht,

So lieblich, daß mir das Herz im Leibe lacht?»

 

5

«Das ist der Taillefer, der so gerne singt

Im Hofe, wann er das Rad am Bronnen schwingt,

Im Saale, wann er das Feuer schüret und facht,

Wann er abends sich legt und wann er morgens erwacht.»

 

Der Herzog sprach: «Ich hab' einen guten Knecht,

10

Den Taillefer, der dienet mir fromm und recht,

Er treibt mein Rad und schüret mein Feuer gut,

Und singet so hell, das höhet mir den Mut.»

 

Da sprach der Taillefer: «Und wär' ich frei,

Viel besser wollt' ich dienen und singen dabei.

15

Wie wollt' ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd!

Wie wollt' ich singen und klingen mit Schild und mit Schwert!»

 

Nicht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild'

Auf einem hohen Pferde, mit Schwert und mit Schild.

Des Herzogs Schwester schaute vom Turm ins Feld,

20

Sie sprach: «Dort reitet, bei Gott! ein stattlicher Held.»

 

Und als er ritt vorüber an Fräuleins Turm,

Da sang er bald wie ein Lüftlein, bald wie ein Sturm.

Sie sprach: «Der singet, das ist eine herrliche Lust!

Es zittert der Turm und es zittert mein Herz in der Brust.»

 

25

Der Herzog Wilhelm fuhr wohl über das Meer,

Er fuhr nach Engelland mit gewaltigem Heer.

Er sprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand:

«Hei!» - rief er - «ich faß' und ergreife dich, Engelland!»

 

Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt,

30

Der edle Taillefer vor den Herzog ritt:

«Manch Jährlein hab' ich gesungen und Feuer geschürt,

Manch Jährlein gesungen und Schwert und Lanze gerührt.

 

Und hab' ich Euch gedient und gesungen zu Dank,

Zuerst als ein Knecht und dann als ein Ritter frank:

35

So laßt mich das entgelten am heutigen Tag,

Vergönnet mir auf die Feinde den ersten Schlag!»

 

Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer,

Auf einem hohen Pferde, mit Schwert und mit Speer,

Er sang so herrlich, das klang über Hastingsfeld,

40

Vom Roland sang er und manchem frommen Held.

 

Und als das Rolandslied wie ein Sturm erscholl,

Da wallete manch Panier, manch Herze schwoll,

Da brannten Ritter und Mannen von hohem Mut,

Der Taillefer sang und schürte das Feuer gut.

 

45

Dann sprengt' er hinein und führte den ersten Stoß,

Davon ein englischer Ritter zur Erde schoß,

Dann schwang er das Schwert und führte den ersten Schlag,

Davon ein englischer Ritter am Boden lag.

 

Normannen sahen's, die harrten nicht allzu lang,

50

Sie brachen herein mit Geschrei und mit Schilderklang.

Hei! sausende Pfeile, klirrender Schwerterschlag!

Bis Harald fiel und sein trotziges Heer erlag.

 

Herr Wilhelm steckte sein Banner aufs blutige Feld,

Inmitten der Toten spannt' er sein Gezelt,

55

Da saß er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand,

Auf dem Haupte die Königskrone von Engelland.

 

«Mein tapfrer Taillefer! komm, trink mir Bescheid!

Du hast mir viel gesungen in Lieb und in Leid,

Doch heut im Hastingsfelde dein Sang und dein Klang

60

Der tönet mir in den Ohren mein Leben lang.»

 

――――

 

Frühlingslieder

 

 

1.

Frühlingsahnung

(1812)

 

O sanfter, süßer Hauch!

Schon weckest du wieder

Mir Frühlingslieder,

Bald blühen die Veilchen auch.

 

 

2.

Frühlingsglaube

(1812)

 

Die linden Lüfte sind erwacht,

Sie säuseln und weben Tag und Nacht,

Sie schaffen an allen Enden.

O frischer Duft, o neuer Klang!

5

Nun, armes Herze, sei nicht bang!

Nun muß sich alles, alles wenden.

 

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,

Man weiß nicht, was noch werden mag,

Das Blühen will nicht enden.

10

Es blüht das fernste, tiefste Tal:

Nun, armes Herz, vergiß der Qual!

Nun muß sich alles, alles wenden.

 

 

3.

Frühlingsruhe

(1812)

 

O legt mich nicht ins dunkle Grab,

Nicht unter die grüne Erd' hinab!

Soll ich begraben sein,

Lieg' ich ins tiefe Gras hinein.

 

5

In Gras und Blumen lieg' ich gern,

Wenn eine Flöte tönt von fern,

Und wenn hoch oben hin

Die hellen Frühlingswolken ziehn.

 

 

4.

Frühlingsfeier

(1812)

 

Süßer, goldner Frühlingstag!

Inniges Entzücken!

Wenn mir je ein Lied gelang,

Sollt' es heut nicht glücken?

 

5

Doch warum in dieser Zeit

An die Arbeit treten?

Frühling ist ein hohes Fest:

Laßt mich ruhn und beten!
 

 

 

5.

Lob des Frühlings

(1811)

 

Saatengrün, Veilchenduft,

Lerchenwirbel, Amselschlag,

Sonnenregen, linde Luft!

Wenn ich solche Worte singe,

5

Braucht es dann noch große Dinge,

Dich zu preisen, Frühlingstag?

 

 

6.

Frühlingslied

des Rezensenten

(1812)

 

Frühling ist's, ich lass' es gelten,

Und mich freut's, ich muß gestehen,

Daß man kann spazierengehen,

Ohne just sich zu erkälten.

 

5

Störche kommen an und Schwalben,

Nicht zu frühe, nicht zu frühe!

Blühe nur, mein Bäumchen blühe!

Meinethalben, meinethalben!

 

Ja! ich fühl' ein wenig Wonne,

10

Denn die Lerche singt erträglich,

Philomele nicht alltäglich,

Nicht so übel scheint die Sonne.

 

Daß es keinen überrasche,

Mich im grünen Feld zu sehen!

15

Nicht verschmäh' ich auszugehen,

Kleistens Frühling in der Tasche.

 

――――

 

Geisterleben

(1813)

 

Vertont von:

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), op. 9, H. I no. 4 (1819)

 

Von dir getrennet, lieg ich wie begraben,

Mich grüßt kein Säuseln linder Frühlingslüfte;

Kein Lerchensang, kein Balsam süßer Düfte,

Kein Strahl der Morgensonne kann mich laben.

 

5

Wenn sich die Lebenden dem Schlummer gaben,

Wenn Tote steigen aus dem Schoß der Grüfte,

Dann schweb ich träumend über Höhn und Klüfte,

Die mich so fern von dir getrennet haben.

 

Durch den verbotnen Garten darf ich gehen,

10

Durch Türen wandl ich, die mir sonst verriegelt,

Bis zu der Schönheit stillem Heiligtume.

 

Erschreckt dich Geisterhauch, du zarte Blume?

Es ist der Liebe Wehn, das dich umflügelt.

Leb wohl! ich muß ins Grab, die Hähne krähen.

 

 

Graf Eberstein

(1814)

 

Vertont von:

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), vol. VI no. 5

 

Zu Speyer im Saale, da hebt sich ein Klingen,

Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen.

Graf Eberstein

Führet den Reihn

5

Mit des Kaisers holdseligem Töchterlein.

 

Und als er sie schwingt nun im luftigen Reigen,

Da flüstert sie leise, sie kann's nicht verschweigen:

«Graf Eberstein,

Hüte dich fein!

10

Heut' nacht wird dein Schlößlein gefährdet sein.»

 

«Ei!» denket der Graf, «Euer kaiserlich Gnaden,

So habt Ihr mich darum zum Tanze geladen!»

Er sucht sein Roß,

Läßt seinen Troß

15

Und jagt nach seinem gefährdeten Schloß.

 

Um Ebersteins Feste, da wimmelt's von Streitern,

Sie schleichen im Nebel mit Haken und Leitern.

Graf Eberstein

Grüßet sie fein,

20

Er wirft sie vom Wall in die Gräben hinein.

 

Als nun der Herr Kaiser am Morgen gekommen,

Da meint er, es seie die Burg schon genommen.

Doch auf dem Wall

Tanzen mit Schall

25

Der Graf und seine Gewappneten all.

 

«Herr Kaiser, beschleicht Ihr ein andermal Schlößer,

Tut's not, Ihr verstehet aufs Tanzen Euch besser.

Euer Töchterlein

Tanzet so fein,

30

Dem soll meine Feste geöffnet sein.»

 

Im Schlosse des Grafen, da hebt sich ein Klingen,

Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen.

Graf Eberstein

Führet den Reihn

35

Mit des Kaisers holdseligem Töchterlein.

 

Und als er sie schwingt nun im bräutlichen Reigen,

Da flüstert er leise, nicht kann er's verschweigen:

«Schön Jungfräulein,

Hüte dich fein!

40

Heut nacht wird ein Schlößlein gefährdet sein.»

 

――――

 

Liebesklagen

 

 

1.

Der Student

(1814)

 

Als ich einst bei Salamanca

Früh in einem Garten saß

Und beim Schlag der Nachtigallen

Emsig im Homerus las:

5

Wie in glänzenden Gewanden

Helena zur Zinne trat

Und so herrlich sich erzeigte

Dem trojanischen Senat,

Daß vernehmlich der und jener

10

Brummt' in seinen grauen Bart:

«Solch ein Weib ward nie gesehen,

Traun, sie ist von Götterart!»

Als ich so mich ganz vertiefet,

Wußt' ich nicht, wie mir geschah:

15

In die Blätter fuhr ein Wehen,

Daß ich staunend um mich sah.

Auf benachbartem Balkone,

Welch ein Wunder schaut' ich da!

Dort, in glänzenden Gewanden,

20

Stand ein Weib wie Helena,

Und ein Graubart ihr zur Seite,

Der so seltsam freundlich tat,

Daß ich schwören mocht', er wäre

Von der Troer Hohem Rat.

25

Doch ich selbst ward ein Achäer,

Der ich nun seit jenem Tag

Vor dem festen Gartenhause,

Einer neuen Troja, lag.

Um es unverblümt zu sagen:

30

Manche Sommerwoch' entlang

Kam ich dorthin jeden Abend

Mit der Laut' und mit Gesang,

Klagt' in mannigfachen Weisen

Meiner Liebe Qual und Drang,

35

Bis zuletzt vom hohen Gitter

Süße Antwort niederklang.

Solches Spiel mit Wort und Tönen

Trieben wir ein halbes Jahr,

Und auch dies war nur vergönnet,

40

Weil halb taub der Vormund war.

Hub er gleich sich oft vom Lager,

Schlaflos, eifersüchtig bang,

Blieben doch ihm unsre Stimmen

Ungehört, wie Sphärenklang.

45

Aber einst, die Nacht war schaurig,

Sternlos, finster wie das Grab,

Klang auf das gewohnte Zeichen

Keine Antwort mir herab.

Nur ein alt zahnloses Fräulein

50

Ward von meiner Stimme wach,

Nur das alte Fräulein Echo

Stöhnte meine Klagen nach.

Meine Schöne war verschwunden,

Leer die Zimmer, leer der Saal,

55

Leer der blumenreiche Garten,

Rings verödet Berg und Tal.

Ach! und nie hatt' ich erfahren

Ihre Heimat, ihren Stand,

Weil sie, beides zu verschweigen,

60

Angelobt mit Mund und Hand.

Da beschloß ich, sie zu suchen

Nah und fern, auf irrer Fahrt.

Den Homerus ließ ich liegen,

Nun ich selbst Ulysses ward;

65

Nahm die Laute zur Gefährtin,

Und vor jeglichem Altan,

Unter jedem Gitterfenster

Frag' ich leis mit Tönen an,

Sing' in Stadt und Feld das Liedchen,

70

Das im Salamancer Tal

Jeden Abend ich gesungen

Meiner Liebsten zum Signal;

Doch die Antwort, die ersehnte,

Tönet nimmermehr, und ach!

75

Nur das alte Fräulein Echo

Reist zur Qual mir ewig nach.

 

 

2.

Der Jäger

(1814)

 

Als ich einsmals in den Wäldern

Hinter einer Eiche stand,

Lauernd, oft mich vorwärtslegend,

Auch die Büchse schon zur Hand,

5

Da vernahm ich leichtes Rauschen,

Und mein Hühnerhund schlug an,

Fertig hielt ich gleich die Büchse,

Paßte mit gespanntem Hahn:

Sieh! da kam nicht Reh noch Hase,

10

Kam ein Wild von schönrer Art,

Trat ein Mägdlein aus den Büschen,

Jung und frisch und lind und zart.

So von seltsamen Gewalten

Ward ich plötzlich übermannt,

15

Daß ich fast vor eitel Liebe

Auf die Schönste losgebrannt.

Immer geh ich nun den Fährten

Dieses edeln Wildes nach,

Und vor seinem Lager steh ich

20

Jeden Abend auf der Wach.

Um es unverblümt zu sagen:

Vor der Lieblichsten Altan

Steh ich pflichtlich jeden Abend,

Blicke traurig still hinan.

25

Doch von solcher stummen Klage

Wird ihr gleich die Zeit zu lang,

Lieder will sie, süße Weisen,

Flötentöne, Lautenklang.

Ach! das ist ein künstlich Locken,

30

Drin ich Weidmann nichts vermag,

Nur den Kuckucksruf verstehend

Und den schlichten Wachtelschlag.

 

――――

 

 

Hans und Grete

(1814)

 

Vertont von:

Johann Karl Gottfried Loewe (1796-1869), op. 9, v, 2 (1824)

Max Reger (1873-1916), op. 76 no. 19 (1904), Schlichte Weisen

 

Sie:

Guckst du mir denn immer nach,

Wo du nur mich findest?

Nimm die Äuglein doch in acht!

Daß du nicht erblindest.

 

Er:

5

Gucktest du nicht stets herum,

Würdest mich nicht sehen;

Nimm dein Hälschen doch in acht!

Wirst es noch verdrehen.

 

 

Des Sängers Fluch

(1814)

 

Es stand in alten Zeiten ein Schloß, so hoch und hehr,

Weit glänzt es über die Lande bis an das blaue Meer,

Und rings von duft'gen Gärten ein blütenreicher Kranz,

Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.

 

5

Dort saß ein stolzer König, an Land und Siegen reich,

Er saß auf seinem Throne so finster und so bleich;

Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,

Und was er spricht, ist Geißel, und was er schreibt, ist Blut.

 

Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,

10

Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar;

Der Alte mit der Harfe, der saß auf schmuckem Roß,

Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoß.

 

Der Alte sprach zum Jungen: "Nun sei bereit, mein Sohn!

Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton!

15

Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!

Es gilt uns heut, zu rühren des Königs steinern Herz."

 

Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,

Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl,

Der König furchtbar prächtig wie blut'ger Nordlichtschein,

20

Die Königin süß und milde, als blickte Vollmond drein.

 

Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,

Daß reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll;

Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,

Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.

 

25

Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit

Von Freiheit, Männerwürde, von Treu' und Heiligkeit,

Sie singen von allem Süßen, was Menschenbrust durchbebt,

Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.

 

Die Höflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott,

30

Des Königs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott;

Die Königin, zerflossen in Wehmut und in Lust,

Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.

 

«Ihr habt mein Volk verführet; verlockt ihr nun mein Weib?»

Der König schreit es wütend, er bebt am ganzen Leib;

35

Er wirft sein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt.

Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt.

 

Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm.

Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm;

Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Roß,

40

Er bind't ihn aufrecht feste, verläßt mit ihm das Schloß.

 

Doch vor dem hohen Thore, da hält der Sängergreis,

Da faßt er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis,

An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt;

Dann ruft er, daß es schaurig durch Schloß und Gärten gellt:

 

45

«Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie töne süßer Klang

Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,

Nein, Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklavenschritt,

Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!

 

Weh euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht!

50

Euch zeig' ich dieses Toten entstelltes Angesicht,

Daß ihr darob verdorret, daß jeder Quell versiegt,

Daß ihr in künft'gen Tagen versteint, verödet liegt.

 

Weh dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängertums!

Umsonst sei all dein Ringen nach Kränzen blut'gen Ruhms!

55

Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht,

Sei wie ein letztes Röcheln in leere Luft verhaucht!»

 

Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehört,

Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört;

Noch eine hohe Säule zeugt von verschwundner Pracht;

60

Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.

 

Und rings statt duft'ger Gärten ein ödes Heideland,

Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,

Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;

Versunken und vergessen! das ist des Sängers Fluch!

 

 

Schwäbische Kunde

(1814)

 

Als Kaiser Rotbart lobesam

Zum heil'gen Land gezogen kam,

Da mußt er mit dem frommen Heer

Durch ein Gebirge, wüst und leer.

5

Daselbst erhub sich große Not,

Viel Steine gab's und wenig Brot,

Und mancher deutsche Reitersmann

Hat dort den Trunk sich abgetan.

Den Pferden war's so schwach im Magen,

10

Fast mußte der Reiter die Mähre tragen.

Nun war ein Herr aus Schwabenland,

Von hohem Wuchs und starker Hand,

Des Rößlein war so krank und schwach,

Er zog es nur am Zaume nach,

15

Er hätt es nimmer aufgegeben

Und kostet's ihn das eigne Leben.

So blieb er bald ein gutes Stück

Hinter dem Heereszug zurück;

Da sprengten plötzlich in die Quer

20

Fünfzig türkische Reiter daher,

Die huben an, auf ihn zu schießen,

Nach ihm zu werfen mit den Spießen.

Der wackre Schwabe forcht sich nit,

Ging seines Weges Schritt vor Schritt,

25

Ließ sich den Schild mit Pfeilen spicken

Und tät nur spöttlisch um sich blicken,

Bis einer, dem die Zeit zu lang,

Auf ihn den krummen Säbel schwang.

Da wallt dem Deutschen auch sein Blut,

30

Er trifft des Türken Pferd so gut,

Er haut ihm ab mit  e i n e m  Streich

Die beiden Vorderfüß zugleich.

Als er das Tier zu Fall gebracht,

Da faßt er erst sein Schwert mit Macht,

35

Er schwingt es auf des Reiters Kopf,

Haut durch bis auf den Sattelknopf,

Haut auch den Sattel noch zu Stücken

Und tief noch in des Pferdes Rücken;

Zur Rechten sieht man wie zur Linken

40

Einen halben Türken heruntersinken.

Da packt die andern kalter Graus,

Sie fliehen in alle Welt hinaus,

Und jedem ist's, als würd ihm mitten

Durch Kopf und Leib hindurchgeschnitten.

45

Drauf kam des Wegs 'ne Christenschar,

Die auch zurückgeblieben war,

Die sahen nun mit gutem Bedacht,

Was Arbeit unser Held gemacht.

Von denen hat's der Kaiser vernommen,

50

Der ließ den Schwaben vor sich kommen,

Er sprach: «Sag an, mein Ritter wert!

Wer hat dich solche Streich gelehrt?»

Der Held bedacht sich nicht zu lang:

«Die Streiche sind bei uns im Schwang,

55

Sie sind bekannt im ganzen Reiche,

Man nennt sie halt nur Schwabenstreiche.»

 

 

Graf Eberhard der Rauschebart

(1815)

 

Ist denn im Schwabenlande verschollen aller Sang,

Wo einst so hell vom Staufen die Ritterharfe klang?

Und wenn er nicht verschollen, warum vergißt er ganz

Der tapfern Väter Taten, der alten Waffen Glanz?

 

5

Man lispelt leichte Liedchen, man spitzt manch Sinngedicht,

Man höhnt die holden Frauen, des alten Liedes Licht;

Wo rüstig Heldenleben längst auf Beschwörung lauscht,

Da trippelt man vorüber und schauert, wenn es rauscht.

 

Brich denn aus deinem Sarge, steig aus dem düstern Chor

10

Mit deinem Heldensohne, du Rauschebart, hervor! *)

Du schlugst dich unverwüstlich noch greise Jahr entlang,

Brich auch durch unsre Zeiten mit hellem Schwertesklang!

 

 

1.

Der Überfall im Wildbad

 

In schönen Sommertagen, wann lau die Lüfte wehn,

Die Wälder lustig grünen, die Gärten blühend stehn,

15

Da ritt aus Stuttgarts Toren ein Held von stolzer Art,

Graf Eberhard der Greiner, der alte Rauschebart.

 

Mit wenig Edelknechten zieht er ins Land hinaus,

Er trägt nicht Helm noch Panzer, nicht geht's auf blut'gen Strauß,

Ins Wildbad will er reiten, wo heiß ein Quell entspringt,

20

Der Sieche heilt und kräftigt, der Greise wieder jüngt.

 

Zu Hirsau bei dem Abte, da kehrt der Ritter ein

Und trinkt bei Orgelschalle den kühlen Klosterwein.

Dann geht's durch Tannenwälder ins grüne Tal gesprengt,

Wo durch ihr Felsenbette die Enz sich rauschend drängt.

 

25

Zu Wildbad an dem Markte, da steht ein stattlich Haus,

Es hängt daran zum Zeichen ein blanker Spieß heraus,

Dort steigt der Graf vom Rosse, dort hält er gute Rast,

Den Quell besucht er täglich, der ritterliche Gast.

 

Wann er sich dann entkleidet und wenig ausgeruht

30

Und sein Gebet gesprochen, so steigt er in die Flut;

Er setzt sich stets zur Stelle, wo aus dem Felsenspalt

Am heißesten und vollsten der edle Sprudel wallt.

 

Ein angeschoßner Eber, der sich die Wunde wusch,

Verriet voreinst den Jägern den Quell in Kluft und Busch,

35

Nun ist's dem alten Recken ein lieber Zeitvertreib,

Zu waschen und zu strecken den narbenvollen Leib.

 

Da kommt einsmals gesprungen sein jüngster Edelknab:

«Herr Graf! es zieht ein Haufe das obre Tal herab.

Sie tragen schwere Kolben, der Hauptmann führt im Schild

40

Ein Röslein rot von Golde und einen Eber wild.»

 

«Mein Sohn! das sind die Schlegler, die schlagen kräftig drein -

Gib mir den Leibrock, Junge! - das ist der Eberstein,

Ich kenne wohl den Eber, er hat so grimmen Zorn,

Ich kenne wohl die Rose, sie führt so scharfen Dorn.»

 

45

Da kommt ein armer Hirte in atemlosem Lauf:

«Herr Graf! es zieht 'ne Rotte das untre Tal herauf.

Der Hauptmann führt drei Beile, sein Rüstzeug glänzt und gleißt,

Daß mir's wie Wetterleuchten noch in den Augen beißt.»

 

«Das ist der Wunnensteiner,  d e r  g l e i ß e n d '  W o l f  genannt -

50

Gib mir den Mantel, Knabe! -, der Glanz ist mir bekannt,

Er bringt mir wenig Wonne, die Beile hauen gut -

Bind mir das Schwert zur Seite! -, der Wolf, der lechzt nach Blut.

 

Ein Mägdlein mag man schrecken, das sich im Bade schmiegt,

Das ist ein lustig Necken, das niemand Schaden fügt,

55

Wird aber überfallen ein alter Kriegesheld,

Dann gilt's, wenn nicht sein Leben, doch schweres Lösegeld.»

 

Da spricht der arme Hirte: «Des mag noch werden Rat,

Ich weiß geheime Wege, die noch kein Mensch betrat,

Kein Roß mag sie ersteigen, nur Geißen klettern dort,

60

Wollt Ihr sogleich mir folgen, ich bring Euch sicher fort.»

 

Sie klimmen durch das Dickicht den steilsten Berg hinan,

Mit seinem guten Schwerte haut oft der Graf sich Bahn,

Wie herb das Fliehen schmecke, noch hatt er's nie vermerkt,

Viel lieber möcht er fechten, das Bad hat ihn gestärkt.

 

65

In heißer Mittagsstunde bergunter und bergauf!

Schon muß der Graf sich lehnen auf seines Schwertes Knauf.

Darob erbarmt's den Hirten des alten, hohen Herrn,

Er nimmt ihn auf den Rücken: «Ich tu's von Herzen gern.»

 

Da denkt der alte Greiner: «Es tut doch wahrlich gut,

70

So sänftlich sein getragen von einem treuen Blut;

In Fährden und in Nöten zeigt erst das Volk sich echt,

Drum soll man nie zertreten sein altes, gutes Recht.»

 

Als drauf der Graf gerettet zu Stuttgart sitzt im Saal,

Heißt er 'ne Münze prägen als ein Gedächtnismal,

75

Er gibt dem treuen Hirten manch blankes Stück davon,

Auch manchem Herrn vom Schlegel verehrt er eins zum Hohn.

 

Dann schickt er tücht'ge Maurer ins Wildbad alsofort,

Die sollen Mauern führen rings um den offnen Ort,

Damit in künft'gen Sommern sich jeder greise Mann,

80

Von Feinden ungefährdet, im Bade jüngen kann.

 

 

2.

Die drei Könige zu Heimsen

 

Drei Könige zu Heimsen, wer hätt es je gedacht,

Mit Rittern und mit Rossen, in Herrlichkeit und Pracht!

Es sind die hohen Häupter der Schlegelbrüderschaft,

Sich Könige zu nennen, das gibt der Sache Kraft.

 

85

Da thronen sie beisammen und halten eifrig Rat,

Bedenken und besprechen gewalt'ge Waffentat:

Wie man den stolzen Greiner mit Kriegsheer überfällt

Und besser als im Bade ihm jeden Schlich verstellt.

 

Wie man ihn dann verwahret und seine Burgen bricht,

90

Bis er von allem Zwange die Edeln ledig spricht.

Dann fahre wohl, Landfriede! dann, Lehndienst, gute Nacht!

Dann ist's der freie Ritter, der alle Welt verlacht.

 

Schon sank die Nacht hernieder, die Kön'ge sind zur Ruh,

Schon krähen jetzt die Hähne dem nahen Morgen zu,

95

Da schallt mit scharfem Stoße das Wächterhorn vom Turm,

Wohlauf, wohlauf, ihr Schläfer! das Horn verkündet Sturm.

 

In Nacht und Nebel draußen, da wogt es wie ein Meer

Und zieht von allen Seiten sich um das Städtlein her;

Verhaltne Männerstimmen, verworrner Gang und Drang,

100

Hufschlag und Rossesschnauben und dumpfer Waffenklang!

 

Und als das Frührot leuchtet und als der Nebel sinkt,

Hei! wie es da von Speeren, von Morgensternen blinkt!

Des ganzen Gaues Bauern stehn um den Ort geschart,

Und mitten hält zu Rosse der alte Rauschebart.

 

105

Die Schlegler möchten schirmen das Städtlein und das Schloß,

Sie werfen von den Türmen mit Steinen und Geschoß.

«Nur sachte!», ruft der Greiner, «euch wird das Bad geheizt,

Aufdampfen soll's und qualmen, daß euch's die Augen beizt!»

 

Rings um die alten Mauern ist Holz und Stroh gehäuft,

110

In dunkler Nacht geschichtet und wohl mit Teer beträuft,

Drein schießt man glühnde Pfeile, wie raschelt's da im Stroh!

Drein wirft man feur'ge Kränze, wie flackert's lichterloh!

 

Und noch von allen Enden wird Vorrat zugeführt,

Von all den rüst'gen Bauern wird emsig nachgeschürt,

115

Bis höher, immer höher die Flamme leckt und schweift

Und schon mit lust'gem Prasseln der Türme Dach ergreift.

 

Ein Tor ist freigelassen, so hat's der Graf beliebt,

Dort hört man, wie der Riegel sich leise loseschiebt.

Dort stürzen wohl verzweifelnd die Schlegler jetzt heraus?

120

Nein, friedlich zieht's herüber als wie ins Gotteshaus.

 

Voran drei Schlegelkön'ge, zu Fuß, demütiglich,

Mit unbedecktem Haupte, die Augen unter sich;

Dann viele Herrn und Knechte, gemachsam Mann für Mann,

Daß man sie alle zählen und wohl betrachten kann.

 

125

«Willkomm!», so ruft der Greiner, «willkomm in meinerHaft!

Ich traf euch gut beisammen, geehrte Brüderschaft!

So konnt ich wieder dienen für den Besuch im Bad;

Nur  e i n e n  miß ich, Freunde! den Wunnenstein, 's ist schad.»

 

Ein Bäuerlein, das treulich am Feuer mitgefacht,

130

Lehnt dort an seinem Spieße, nimmt alles wohl in acht:

«Drei Könige zu Heimsen», so schmollt es, «das ist viel!

Erwischt man noch den vierten, so ist's ein Kartenspiel.»

 

 

3.

Die Schlacht bei Reutlingen

 

Zu Achalm auf dem Felsen, da haust manch kühner Aar,

Graf Ulrich, Sohn des Greiners, mit seiner Ritterschar;

135

Wild rauschen ihre Flüge um Reutlingen, die Stadt;

Bald scheint sie zu erliegen, vom heißen Drange matt.

 

Doch plötzlich einst erheben die Städter sich zu Nacht,

Ins Urachtal hinüber sind sie mit großer Macht,

Bald steigt von Dorf und Mühle die Flamme blutig rot,

140

Die Herden weggetrieben, die Hirten liegen tot.

 

Herr Ulrich hat's vernommen, er ruft im grimmen Zorn:

«In eure Stadt soll kommen kein Huf und auch kein Horn!»

Da sputen sich die Ritter, sie wappnen sich in Stahl,

Sie heischen ihre Rosse, sie reiten stracks zutal.

 

145

Ein Kirchlein stehet drunten, Sankt Leonhard geweiht,

Dabei ein grüner Anger, der scheint bequem zum Streit.

Sie springen von den Pferden, sie ziehen stolze Reihn,

Die langen Spieße starren; wohlauf! wer wagt sich drein?

 

Schon ziehn vom Urachtale die Städter fern herbei,

150

Man hört der Männer Jauchzen, der Herden wild Geschrei,

Man sieht sie fürder schreiten, ein wohlgerüstet Heer;

Wie flattern stolz die Banner! wie blitzen Schwert und Speer!

 

Nun schließ dich fest zusammen, du ritterliche Schar!

Wohl hast du nicht geahnet so dräuende Gefahr.

155

Die übermächt'gen Rotten, sie stürmen an mit Schwall,

Die Ritter stehn und starren wie Fels und Mauerwall.

 

Zu Reutlingen am Zwinger, da ist ein altes Tor,

Längst wob mit dichten Ranken der Efeu sich davor,

Man hatt es schier vergessen, nun kracht's mit einmal auf,

160

Und aus dem Zwinger stürzet gedrängt ein Bürgerhauf.

 

Den Rittern in den Rücken fällt er mit grauser Wut,

Heut will der Städter baden im heißen Ritterblut.

Wie haben da die Gerber so meisterlich gegerbt!

Wie haben da die Färber so purpurrot gefärbt!

 

165

Heut nimmt man nicht gefangen, heut geht es auf den Tod,

Heut spritzt das Blut wie Regen, der Anger blümt sich rot.

Stets drängender umschlossen und wütender bestürmt,

Ist rings von Bruderleichen die Ritterschar umtürmt.

 

Das Fähnlein ist verloren, Herr Ulrich blutet stark,

170

Die noch am Leben blieben, sind müde bis ins Mark.

Da haschen sie nach Rossen und schwingen sich darauf,

Sie hauen durch, sie kommen zur festen Burg hinauf.

 

«Ach Allm-» stöhnt' einst ein Ritter, ihn traf des Mörders Stoß;

Allmächt'ger! wollt er rufen, man hieß davon das Schloß.

175

Herr Ulrich sinkt vom Sattel, halbtot, voll Blut und Qualm,

Hätt nicht das Schloß den Namen, man hieß es jetzt  A c h a l m .

 

Wohl kommt am andern Morgen zu Reutlingen ans Tor

Manch trauervoller Knappe, der seinen Herrn verlor.

Dort auf dem Rathaus liegen die Toten all gereiht,

180

Man führt dahin die Knechte mit sicherem Geleit.

 

Dort liegen mehr denn sechzig, so blutig und so bleich,

Nicht jeder Knapp erkennet den toten Herrn sogleich.

Dann wird ein jeder Leichnam von treuen Dieners Hand

Gewaschen und gekleidet in weißes Grabgewand.

 

185

Auf Bahren und auf Wagen, getragen und geführt,

Mit Eichenlaub bekränzet, wie's Helden wohl gebührt,

So geht es nach dem Tore, die alte Stadt entlang,

Dumpf tönet von den Türmen der Totenglocken Klang.

 

Götz Weißenheim eröffnet den langen Leichenzug,

190

Er war es, der im Streite des Grafen Banner trug,

Er hatt es nicht gelassen, bis er erschlagen war,

Drum mag er würdig führen auch noch die tote Schar.

 

Drei edle Grafen folgen, bewährt in Schildesamt,

Von Tübingen, von Zollern, von Schwarzenberg entstammt.

195

O Zollern! deine Leiche umschwebt ein lichter Kranz:

Sahst du vielleicht noch sterbend dein Haus im künft'gen Glanz?

 

Von Sachsenheim zween Ritter, der Vater und der Sohn,

Die liegen still beisammen in Lilien und in Mohn,

Auf ihrer Stammburg wandelt von altersher ein Geist,

200

Der längst mit Klaggebärden auf schweres Unheil weist.

 

Einst war ein Herr von Lustnau vom Scheintod auferwacht,

Er kehrt' im Leichentuche zu seiner Frau bei Nacht,

Davon man sein Geschlechte  d i e  T o t e n  hieß zum Scherz,

Hier bringt man ihrer einen, den traf der Tod ins Herz.

 

205

Das Lied, es folgt nicht weiter, des Jammers ist genug,

Will jemand alle wissen, die man von dannen trug:

Dort auf den Rathausfenstern, in Farben bunt und klar,

Stellt jeden Ritters Name und Wappenschild sich dar.

 

Als nun von seinen Wunden Graf Ulrich ausgeheilt,

210

Da reitet er nach Stuttgart, er hat nicht sehr geeilt;

Er trifft den alten Vater allein am Mittagsmahl,

Ein frostiger Willkommen! kein Wort ertönt im Saal.

 

Dem Vater gegenüber sitzt Ulrich an den Tisch,

Er schlägt die Augen nieder, man bringt ihm Wein und Fisch;

215

Da faßt der Greis ein Messer und spricht kein Wort dabei,

Und schneidet zwischen beiden das Tafeltuch entzwei.

 

 

4.

Die Döffinger Schlacht

 

Am Ruheplatz der Toten, da pflegt es still zu sein,

Man hört nur leises Beten bei Kreuz und Leichenstein,

Zu Döffingen war's anders; dort scholl den ganzen Tag

220

Der feste Kirchhof wider von Kampfruf, Stoß und Schlag.

 

Die Städter sind gekommen, der Bauer hat sein Gut

Zum festen Ort geflüchtet und hält's in tapfrer Hut;

Mit Spieß und Karst und Sense treibt er den Angriff ab,

Wer tot zu Boden sinket, hat hier nicht weit ins Grab.

 

225

Graf Eberhard der Greiner vernahm der Seinen Not,

Schon kommt er angezogen mit starkem Aufgebot,

Schon ist um ihn versammelt der besten Ritter Kern,

Vom edlen Löwenbunde die Grafen und die Herrn.

 

Da kommt ein reis'ger Bote vom Wolf von Wunnenstein:

230

«Mein Herr mit seinem Banner will euch zu Dienste sein.»

Der stolze Graf entgegnet: «Ich hab sein nicht begehrt,

Er hat umsonst die Münze, die ich ihm einst verehrt.»

 

Bald sieht Herr Ulrich drüben der Städte Scharen stehn,

Von Reutlingen, von Augsburg, von Ulm die Banner wehn,

235

Da brennt ihn seine Narbe, da gärt der alte Groll:

«Ich weiß, ihr Übermüt'gen, wovon der Kamm euch schwoll.

 

Er sprengt zu seinem Vater: «Heut' zahl ich alte Schuld;

Will's Gott, erwerb ich wieder die väterliche Huld!

Nicht darf ich mit dir speisen auf  e i n e m  Tuch, du Held!

240

Doch darf ich mit dir schlagen, auf  e i n e m  blut'gen Feld.»

 

Sie steigen von den Gaulen, die Herren vom Löwenbund,

Sie stürzen auf die Feinde, tun sich als Löwen kund.

Hei! wie der Löwe Ulrich so grimmig tobt und würgt!

Er will die Schuld bezahlen, er hat sein Wort verbürgt.

 

245

Wen trägt man aus dem Kampfe dort auf den Eichenstumpf?

«Gott sei mir Sünder gnädig!» - er stöhnt's, er röchelt's dumpf.

O königliche Eiche, dich hat der Blitz zerspellt!

O Ulrich, tapfrer Ritter, dich hat das Schwert gefällt!

 

Da ruft der alte Recke, den nichts erschrecken kann:

250

«Erschreckt nicht! der gefallen, ist wie ein andrer Mann.

Schlagt drein! Die Feinde fliehen.» - er ruft's mit Donnerlaut;

Wie rauscht sein Bart im Winde! hei, wie der Eber haut.

 

Die Städter han vernommen das seltsam list'ge Wort.

«Wer flieht?» so fragen alle; schon wankt es hier und dort.

255

Das Wort hat sie ergriffen gleich einem Zauberlied,

Der Graf und seine Ritter durchbrechen Glied auf Glied.

 

Was gleißt und glänzt da droben und zuckt wie Wetterschein?

Das ist mit seinen Reitern der Wolf von Wunnenstein.

Er wirft sich auf die Städter, er sprengt sich weite Bucht,

260

Da ist der Sieg entschieden, der Feind in wilder Flucht.

 

Im Erntemond geschah es, bei Gott, ein heißer Tag!

Was da der edlen Gaben auf allen Feldern lag!

Wie auch so mancher Schnitter die Arme sinken läßt!

Wohl halten diese Ritter ein blutig Sichelfest.

 

265

Noch lange traf der Bauer, der hinterm Pfluge ging,

Auf rost'ge Degenklinge, Speereisen, Panzerring,

Und als man eine Linde zersägt und niederstreckt,

Zeigt sich darin ein Harnisch und ein Geripp versteckt.

 

Als nun die Schlacht geschlagen und Sieg geblasen war,

270

Da reicht der alte Greiner dem Wolf die Rechte dar:

«Hab Dank, du tapfrer Degen, und reit mit mir nach Haus!

Daß wir uns gütlich pflegen nach diesem harten Strauß!»

 

«Hei!» spricht der Wolf mit Lachen, «gefiel euch dieser Schwank?

Ich stritt aus Haß der Städte und nicht um Euren Dank.

275

Gut Nacht und Glück zur Reise! Es steht im alten Recht.»

Er spricht's und jagt von dannen mit Ritter und mit Knecht.

 

Zu Döffingen im Dorfe, da hat der Graf die Nacht

Bei seines Ulrichs Leiche, des einz'gen Sohns, verbracht.

Er kniet zur Bahre nieder, verhüllet sein Gesicht;

280

Ob er vielleicht im stillen geweint, man weiß es nicht.

 

Des Morgens mit dem Frühsten steigt Eberhard zu Roß,

Gen Stuttgart fährt er wieder mit seinem reis'gen Troß,

Da kommt des Wegs gelaufen der Zuffenhauser Hirt;

«Dem Mann ist's trüb zumute, was der uns bringen wird?»

 

285

«Ich bring Euch böse Kunde, nächt ist in unsern Trieb

Der gleißend' Wolf gefallen, er nahm, so viel ihm lieb.»

Da lacht der alte Greiner in seinen grauen Bart:

«Das Wölflein holt sich Kochfleisch, das ist des Wölfleins Art.»

 

Sie reiten rüstig fürder, sie sehn aus grünem Tal

290

Das Schloß von Stuttgart ragen, es glänzt im Morgenstrahl,

Da kommt des Wegs geritten, ein schmucker Edelknecht;

«Der Knab' will mich bedünken, als ob er Gutes brächt.»

 

«Ich bring Euch frohe Märe: Glück zum Urenkelein!

Antonia hat geboren ein Knäblein, hold und fein.»

295

Da hebt er hoch die Hände, der ritterliche Greis:

«Der Fink hat wieder Samen, dem Herrn sein Dank und Preis!»

 

 

Mailied

(1816)

 

Wenig hab' ich noch empfunden

Von der werten Frühlingszeit;

All die Lust und Lieblichkeit

Hat zu mir nicht Bahn gefunden.

5

Ach! was soll ein Herz dabei,

Das sich so zerrissen fühlet?

Jetzt empfind' ich erst den Mai,

Seit der Sturm in Blüten wühlet.

 

 

Die neue Muse

(1816)

 

Als ich mich des Rechts beflissen

Gegen meines Herzens Drang

Und mich halb nur losgerissen

Von dem lockenden Gesang:

5

Wohl dem Gotte mit der Binde

Ward noch manches Lied geweiht,

Keines jemals dir, o blinde

Göttin der Gerechtigkeit!

 

Andre Zeiten, andre Musen!

10

Und in dieser ernsten Zeit

Schüttert nichts mir so den Busen,

Weckt mich so zum Liederstreit:

Als wenn du mit Schwert und Waage,

Themis, thronst in deiner Kraft

15

Und die Völker rufst zur Klage,

Könige zur Rechenschaft!

 

 

Der Ungenannten

(1819)

 

Auf eines Berges Gipfel

Da möcht' ich mit dir stehn,

Auf Täler, Waldeswipfel

Mit dir herniedersehn;

5

Da möcht' ich rings dir zeigen

Die Welt im Frühlingsschein,

Und sprechen: Wär's mein eigen,

So wär' es mein und dein.

 

In meiner Seelen Tiefen,

10

O sähst du da hinab,

Wo alle Lieder schliefen,

Die je ein Gott mir gab!

Da würdest du erkennen:

Wenn Echtes ich erstrebt,

15

Und mag's auch dich nicht nennen,

Doch ist's von dir belebt.

 

――――

 

*) Graf Eberhard von Württemberg, genannt der «Greiner», auch der

«Rauschebart» (gest. 1392), und dessen Sohn Ulrich (gest. 1388) sind

im Chor der Stiftskirche zu Stuttgart beigesetzt.