B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Wilhelm Waiblinger
1804 -1830
     
   


D i e   B r i t e n   i n   R o m

N o v e l l e
1 8 2 8

Text:
Wilhelm Waiblinger,
Mein flüchtiges Glück. Eine Auswahl
Hrsg.: W. Hartwig, Berlin/DDR 1974


______________________________________________


     Frühmorgens finden wir unsere reizende Mognaschi allein auf der Straße, die nach der Kirche Trinità dei Monti führt: Zur Messe, nun doch, so sagte sie zu Hause, und man sieht es gerne, wenn die Kinder fromm sind. Aber wer traut einer sechzehnjährigen Römerin?
     Genug, sie trat in die schöne Kirche, deren weiße Türmchen auf dem sonnigen Hügel des Pincio über die ganze Stadt wegschauen, und kniete in der Dämmerung des Hauses nieder. Aber sie schielte doch ein wenig auf die Seite; vielleicht weil sie Volterras berühmtes Fresko oder irgendeine andere Malerei suchte? Doch nein! sie sieht einen Jüngling von schönem Wuchs und echt italienischem Kopf, schwarzen Augen und schwarzen Haaren, der in einer Seitenkapelle steht und nur auf sie zu warten scheint.
     Er verwendet keinen Blick von ihr, solange die Messe währt. Camilla erhebt sich jetzt und tritt aus der Kirche, der schöne Jüngling folgt ihr und erreicht sie auf der Treppe, von der herab ganz Rom zu übersehen ist; sie hebt einen Finger in die Höhe, indem sie ihn anblickt. Er versteht: ein Uhr. Sie hält die flache Hand an die Schläfe; ein Uhr in der Nacht oder eine Stunde nach Sonnenuntergang. Sie geht die Spanische Treppe hinunter, und das Rendezvous ist gegeben. Glück zu, Sir Henry!
     Begeben wir uns jetzt denn ins Haus des Lord M., wo man gegen Mittag große Vorbereitungen macht, um die Peterskuppel heute noch zu ersteigen. Die ganze Familie des Lords, bis auf die kleinen Kinderchen, sollten hinauf geschafft werden, ja, er selbst mußte der Lady gehorchen und die merkwürdige Tour zu unternehmen versprechen. Ironius ging voraus, um, wie er sagte, die Custodi und Ciceroni zu rufen, damit alles schnell vor sich gehe. Der Onkel Kapitän sagte zwar: „Dieser St. Peter, was ist er? schlechte, effektlose Architektur, die Stümperei ganzer Jahrhunderte; die Pyramiden Ägyptens gewähren andere Höhen und Größen!“ Aber weder diese Geringschätzung noch die steifen Knie konnten ihn retten, auch er mußte zusagen. Der Irländer tat's, um dem Schutzheiligen Roms einen Devotionsbeweis zu geben, und die rotbehaarte Britin von gestern sowie einige andere, worunter sich eine mit himmelblauen Äuglein, scharlachroter Nase und blauer Brille befand, gingen hinauf, damit sie ungelogen sagen könnten, sie seien oben gewesen. Freilich wäre jene Lüge vielleicht keine so große Sünde gewesen als eine solche Luftreise, denn es ist ja doch gar zu arg für unsereinen! Höre man nur, was ihnen einfiel!
     Alles hatte sich im Hause des Lords versammelt, wohl an die zwanzig Personen. Da kam der Lady in den Sinn, ob es nicht etwa ein ganz erhabener, origineller Gedanke, ein wahrhaft überschwenglicher Genuß wäre, wenn man in dem Knopf der Peterskuppel, der bekanntlich sechzehn Menschen faßt, einen Tee tränke. Diese Idee fand ungemessenen Beifall in der Versammlung, besonders bei den Damen, vorzüglich bei unserer Miß Rebekka. „Das muß ein Vergnügen sein!“ rief's hier. „Daran hat gewiß noch keine Menschenseele gedacht!“ ertönt' es dort. Henry schrie: „Vergessen Sie nicht, über ganz Rom, in den Lüften, in einem Knopf, an einem Plätzchen, das man Tagereisen weit sieht, das nach den ägyptischen Pyramiden das Höchste ist, was Menschenhände gebaut, wo von allen Nationen des Erdballs nur wenige Glückliche hinkommen, einen Tee zu schlürfen!“ Und Sir Thomas fand den Gedanken hübsch, sehr hübsch, außerordentlich hübsch.
     Man nahm also das Teegeräte zusammen, setzte sich zu Wagen und rollte die Via Condotti hinab. Natürlich stak im Sacke jedes Engländers Feas oder Vasis oder Nibbys römischer Wegweiser, und Miß Rebekka, die rotnasichte, sowie die rothaarige Landsmännin hatten ebenfalls ein Buch in der Hand und studierten unterwegs. Der Lord wollte bei der großen Hitze einschlafen, der Onkel schmähte über die engen Gassen, und der Irländer nahm den Hut vor jedem Madonnenbilde, jedem Kreuze ab und schielte nach jeder Tafel, wo ein trefflicher Orvieto- oder Gravatinowein angezeigt war.
     So erreichte man den Petersplatz und stieg an der Treppe aus. „Dieser Peter!“ brummte der Kapitän vor sich hin, und dennoch war die ganze britannische Gesellschaft zusamt den Karossen und trotz der oft gerühmten Länge des mißlaunigen Onkels nur ein schwarzer Punkt auf dem ungeheuern Raum des Platzes, vor den Säulen dieses Tempels der Christenheit! Als sie in das Innere der Kirche eintraten, wurden sie von Herrn Ironius mit der Nachricht empfangen, daß alles für ihre Reise bereit sei, und man machte sich unverzüglich auf den Weg, nachdem Sir Thomas voll Demut dem Bilde des heiligen Petrus den Fuß geküßt.
     An der Türe wurden sie sogleich von dem Pförtner angesprochen, welcher — Ironius konnte sich kaum ernsthaft erhalten — einen Skudo verlangte. Der Onkel war entrüstet; man gab jedoch bloß die Hälfte oder zehnmal soviel als andere geben. Sofort stand der erste Custode vor ihnen. Ironius blieb hinter allen zurück. So ging's denn allmählich empor. Henry führte Mutter und Schwester, ein anderer den Lord, Ironius den armen Sir Thomas, der jeden Augenblick stille stand, um sich den Schweiß von der Rubinstirne abzutrocknen. Ironius fand aber kein Ende, den St. Peter zu loben, und der Irländer keuchte: „Schön, ja, sehr schön — außer — ordentlich — schön!“
     Endlich, nach vielen Stoßseufzern des Lords, des Onkels und des frommen Thomas und unter manchem geheimen Gebet der Lady gelangte man auf die Plattform, wo sich unter den kleinen Kuppeln und Häusern umher, auf dem Platze die furchtbare große Kuppel des Michelangelo erhebt. Wenig hätte gefehlt, daß auch der Kapitän diese erschreckliche Höhe bewundert hätte, wenn er an die grenzenlose Mühseligkeit der weitern Luftreise dachte, aber er überwand, trotz alles Widerstrebens der steifen Knie. Der Lord und Thomas, seine materiellen Gegensätze, schwammen im Schweiß, die Lady keuchte, sich auf die Schulter Henrys lehnend, von der roten Nase der Blauäugigen träuft' es ebenfalls, und Ironius sorgte für Sessel und Sonnenschirme. Als man nach und nach wieder zu Atem gekommen war, setzte freilich der erste hervortretende Custode die Gesellschaft abermals außer Atem, indem er zwei Skudi fürs Heraufführen verlangte. Dem System getreu, gab man ihm abermals nach langem Streitreden nur die Hälfte, und der Kapitän, an den unglücklicherweise das Zahlen kam, zog sogar von dem Skudo noch einige Bajocchi ab. Hierauf erklärte Ironius die architektonischen Merkwürdigkeiten dieses erhabenen Ortes und bemerkte, daß man hier unter diesen Kuppeln, Häusern und Riesenstatuen gleichsam in einer Stadt sei. Die Gesellschaft las in den Büchern nach, ohne das geringste anzusehen, ohne nur auf den tiefen Platz hinabzublicken, und man machte sich abermals auf den Weg, nachdem man für jeden Sessel einen Paul gezahlt. Nun erschien ein zweiter Custode und führte weiter. Der Lord protestierte mitzugehen und bat, man solle ihn doch unten lassen, aber ein grimmiger Blick, einige „what, what, what!“ (wie Camilla sagte), und die gefährlichsten, hölzernsten Runzeln im Gesicht der Lady brachten ihn bald auf andere Gedanken. Zwei junge Briten hatten übrigens an ihm zu schleppen. Dürften wir uns die kräftige Sprache Ariosts erlauben, so sagten wir: Ströme von irischem, britannischem, schottischem, weiblichem, männlichem Schweiß flossen gleich Waldströmen die Treppen St. Peters hinab, und die haushohen Fontänen auf dem Platze schienen ihre prasselnden Wasser nur von ihm zu beziehen, aber es könnte übertrieben aussehen, und wir sprechen nur von den Seufzern des armen Lords, der dem Irländer oft zurief: „How do you do, Sir Thomas?“, worauf dieser schnaufend und sich abtrocknend antwortete: „Very well, thank God!“
     So erreichte man die erste Galerie, wo der Custode Abschied nahm, einen Skudo forderte, die Hälfte erhielt und ein dritter die Türe aufschloß, welche auf den Kreis in der Kuppel hinausführt und den Blick über das riesenhafte Gewölbe und die Tiefe der Kirche erlaubt. Man schritt auf der Galerie umher, man lief einmal herum, und keiner wurde auf den Onkel Kapitän aufmerksam, der ihnen hier zum besten Maßstab der Größe hätte dienen können. Denn wiewohl er seinesgleichen unter zwei- und vierfüßigen Geschöpfen nicht hatte, wir meinen, rücksichtlich der Länge, so sah er doch nur wie ein ganz kleiner Zahnstocher aus, wenn er jenseits der Kuppelwölbung, also in einer Entfernung von hundertunddreißig Fuß stand, und die Evangelisten und Apostel, deren gewaltige Mosaikbilder in dieser schwindelerregenden Höhe schweben, hätten ihn in den Mund schieben können, wenigstens in den Fastenzeiten, wo ein katholischer Apostel doch magro speisen müßte. Diesen trefflichen Maßstab hätten sie um so mehr benutzen sollen, als man nur durch Vergleichung der Verhältnisse die Größe dieses Gebäudes herausbringen kann, das eben so klein scheint, weil alles groß darin, ja unter den Buchstaben der Inschrift an der Kuppel das J so groß ist als der Onkel Kapitän zusamt dem Hütchen. Aber es stand nichts vom Onkel in Vasis Wegweiser, und so bemerkten sie's auch nicht, nur Ironius lachte darüber in die Faust, besonders da sie an der Türe abermals einen halben Skudo entrichten mußten.
     Jetzt weiter empor, ein vierter Custode führte zur zweiten und letzten Galerie, forderte seine Bezahlung und trat sie an einen fünften ab, welcher die Türe aufschloß. Wen ergriffe nicht ein heiliger Schauder, wenn er hier gegen vierhundert Fuß in die duftige Tiefe dieser Kirche wie in eine Welt hinunterschaut, wenn er von den glänzenden, heitern Kreisen dieser Kuppel, die als ein Pantheon von vierhundertundvierzehn Schuh Durchmesser in den Lüften schwebt, zu dem Baldachin des Hauptaltares hinabblickt, dessen Kreuz die Höhe des größten römischen Palastes, des farnesianischen, hat, und dessen Säulen doch nur so groß wie der Onkel Kapitän scheinen, wenn man die Menschen in der Tiefe betrachtet, welche so klein sind, daß sie die Rotnasichte und Rothaarichte, ja sogar das Engelskind Miß Rebekka nicht ohne Brille sehen konnte, wo aller Unterschied zwischen der Körpermasse des Irländers und der Magerkeit des Onkels aufgehört hätten und die menschlichen Wesen in der Tat so unbedeutend erschienen, als dieser stolze Beobachter der Welt sie nur ansehen konnte. Aber von all diesen Vergleichungen stand ebenfalls nichts in den Büchern, und so ging man denn fort, zahlte dem fünften Custode, nahm den sechsten, während Ironius vor Lachen zerplatzen wollte und dem Onkel, der über die Geldverschwendung in diesem Gebäude schimpfte, die Bemerkung machte, daß das Geld dahin gesteckt worden sei, welches man den Fremden abgenommen habe. Aber jener wurde nach und nach untröstlich, wenn er die Summe überrechnete, die man schon gespendet, die man noch spenden müsse, wenn er an den Lohn für die Männer dachte, welche die Kinder, welche das Teegeräte herauftrugen, wenn ihm das Knie versagte, wenn er in den engen und niedern Gängen mit dem Kopf an die Decke stieß!
     Endlich, „thank God!“ riefen alle, endlich kam man zum Kranze auf der Kuppel, von wo aus man im Freien den ganzen Umfang des gigantischen Baues, seine Kuppelchen, sein Dach, seine Statuen und den weiten Platz und die ungeheuern Halbkreise des Säulenganges, wo man das nachbarliche Labyrinth des Vatikanes, dieses Wunderbaues von mehr als zwanzig Höfen und dreizehntausend Zimmern und Sälen, wo man ganz Rom, die Campagna, die Berge der Sabiner, Aquer, Volsker und Latiner und einen sonnenbeglänzten Streifen vom Meere zugleich überblickte.
     Diese in der Welt so einzige Aussicht hätte man nicht genießen können, weil sie nicht im römischen Wegweiser beschrieben ist, wenn Ironius nicht den Cicerone gespielt hätte. Er nannte die besonders hervorragenden Hügel, Paläste, Ruinen, Säulen und Obelisken, sogar die Dörfer und Städte im Gebirge der Albaner und Sabiner, und einige fleißige Reisende schrieben's auf, versteht sich, ohne etwas anzusehen. Sessel für die Damen hatte man nachgeschleppt. Der sechste Custode mußte jetzt bezahlt werden, und der siebente kam.
     Schon zog ein Gewitter vom Monte Cavo herüber, aber man achtete wenig darauf, die Hälfte der Gesellschaft hatte auszuruhen, die andere war in Gedanken mit dem Tee beschäftigt. Nur unser sentimentales Geschwisterpaar stand in schwärmerischen Gedanken am Geländer und sah hinab auf das große, schon von Wolken beschattete Rom; die Miß dachte an den fernen, so bald, so sehnsüchtig erwarteten Geliebten, und Henry blickte gegen die weißen Türme von Trinità dei Monti hinüber, in deren Nähe seine spröde, grausame, launige, wilde Angebetete wohnte, und stellte sich die Glückseligkeit vor, die ihm blühe, wenn er den Starrsinn des mutwilligen Kindes besiegt, wenn er es zu seinem Weibe gemacht habe und mit ihm nach England zurückgehen könne! Ein heftiger Gewitterwind blies um ihn, so daß man recht eigentlich sagen konnte, er sprach in den Wind!
     Da schrie die Lady auf: „Um Gottes willen, was — was —“ Alles lief hinzu, in der Besorgnis, daß jemand hinabgestürzt wäre. Aber man erfuhr bald, daß zwar alles Teegeräte, Zucker und Gewürz da sei, aber leider die Teebüchse fehle. Das war ein Donnerschlag für die Gesellschaft, und man sah einander betroffen an.
     Einige rieten, dem Gedanken zu entsagen, besonders da sich die Berge schon umhüllten und das Gewitter allmählich über die Campagna heranzog. Aber die Lady beharrte darauf, die Miß unterstützte, und es wurde der arme Henry kommandiert, Tee anzuschaffen. Wie das anzufangen? Römischen wollte man nicht trinken, einen Bedienten konnte man nicht nach Hause schicken, weil die Teebüchse in einer Kommode unter vielen Kostbarkeiten lag, und so mußte der gute Sohn denn sich aufmachen, sich die Treppen hinab zu Tod ärgern, abermals ein halb Dutzend Custodi bezahlen, sich in den Wagen setzen und den Weg von drei Miglien nach dem Spanischen Platz hinrollen. Als die Kuppel vor seinen Augen über die Fassade hervorstieg, sah er zum Kranz hinauf, bemerkte aber niemand oben; es war zu hoch, zu fern; die Briten schienen samt dem Teegeräte gen Himmel gefahren zu sein. Wir lassen ihn mißmutig, wie er war, forteilen und fliegen auf die Peterskuppel hinauf, ohne daß es uns auch mehr als einige Federzüge kostet, und zwar nicht mit Flügeln, sondern mit Gänsekielen. Das hat auch der ärmste Poet vor dem reichsten reisenden Lord voraus.
     Wir treffen unsere Gesellschaft in nicht geringer Furcht vor dem Donnerwetter, das sich schon mit drohenden Schlägen vernehmbar machte. Obenerwähnter Dichter des „Orlando“ würde vielleicht in ihm nichts als die aufgestiegenen britischen Dünste und Flüssigkeiten entdecken, aber wir begnügen uns, zu erzählen, daß es kam, ja daß es unserer Gesellschaft teuer zu stehen kam.
     Während unsere Engländer so in ihrer Vögelsprache in den Lüften zwitscherten, nahm die schöne Miß ein rotsamtnes Büchelchen heraus, ein Schreibzeug, und schickte sich an, im Angesicht des heranziehenden Gewitters, im Angesicht von ganz Rom zu schreiben. Nun was das wäre, darauf wären wir doch neugierig. Empfindungen des erhabenen Orts oder etwas an den Liebsten oder gar ein Gedanke? Dichter sind kurios, wollen sie ja wissen, was in Himmel und Hölle vorgeht, schildern sie ja Dinge, die in tiefster Stille der Nacht geschehen, warum sollte man denn so etwas Unschuldiges, Artiges, Originelles nicht wissen dürfen, wie's die spirituöse Britin ins Tagebuch schreibt? Genug, wir wissen schon, wie wir's machen, nur Geduld bis auf den Abend!
     Sie war tief in sich versenkt, als einer in der Gesellschaft einen Schreckensruf ausstieß, der alles abermals in Angst versetzte. Denke man sich, Ironius wollte sterben vor Lachen, denn dem Onkel Kapitän hatte der Wind das Hütchen vom Kopf genommen und wehte den federleichten Filz trotz allem Geschrei des Onkels weit hinab und hinüber, und sehe man, wie doch das Geschick so abenteuerlich und romantisch gegen die Engländer ist, es scheint fast unglaublich, aber das Kuppelkreuz der gregorianischen Kapelle fing ihn auf.
     Der Onkel war untröstlich, er fluchte alle Blitze, die im Himmel leuchteten, auf diese vermaledeite Peterstour herab. Aber umsonst. Das Hütlein stak auf der Kreuzspitze, und Ironius sagte: „Beruhigen Sie sich, liebster Herr! Dem Wind, was des Windes ist! Ihr Hut befindet sich auf der ersten Kirche der Christenheit, und bedenken Sie, daß alle Messen, die in der Kapelle unter ihm gelesen, alle Gebete, die in die Kuppel hinaufgerichtet werden, gleichsam nur ihm gelten, der wie das Factotum zu betrachten ist.“
     Aber jetzt konnte man's außen gar nicht mehr aushalten, denn der wütende Wind wehte in den Kleidern der Damen allzu unsittlich, als daß man's ertragen konnte, schon wölkte sich's in grauen Wallungen über die Quirinalischen Paläste her, und in kurzem umhüllte sich Rom von der goldnen Basilike des Konstantin bis übers melancholische Mausoleum des Adrian, bis zu den Säulenkolonnaden St. Peters. Alles drängte sich ins Innere zurück; die Miß schrieb, bis ihr die Tropfen aufs Papier fielen, und jetzt dachte man erst daran, daß man keine Regenschirme, nicht einmal bedeckte Wägen habe. An Henry, an den Tee dachten die Undankbaren nicht mehr.
     Zwei Stunden mußten sie warten, in Güssen strömte der Regen herab. Es war schon spät, und der Custode sagte, daß man ihm wenigstens das Zehnfache zahlen müsse, wenn die Herrschaften bei diesem Hundewetter, wie er sich ausdrückte, oben bleiben wollten. Der Onkel Kapitän stieß auf diesem heiligen Gebäude mehr Flüche aus, als Menschenhände daran gearbeitet hatten. Regen, Wind, der verlorene, auf der gregorianischen Kuppel sitzende Hut, die aufgedeckte Glatze und das gespendete Geld, das reichte zu, um diesen Nachmittag zu dem unseligsten seines Lebens zu machen.
     Endlich erschien der heißersehnte Henry mit dem Tee, und Mutter und Schwester umarmten ihn vor Freude. Aufs schnellste wurde ausgepackt, man verlangte nun Wasser, da schüttelte der Custode den Kopf und sagte, daß das nicht erlaubt sei und daß es ihm den Dienst kosten würde. Man stürmte englisch und italienisch auf ihn ein, aber umsonst; man gab ihm einen Skudo, er weigerte sich, man bot einen zweiten, und er versprach endlich, Wasser kommen zu lassen, wenn man den Buben bezahle, der es von der Plattform heraufbringe.
     Eine andere halbe Stunde verging, bis er kam. Auch dem Buben mußten fünf Paule gespendet werden. Die Teemaschine wurde hervorgebracht, man füllte sie mit Wasser, man zündete den Alkohol an, warf das Gewürz hinein, man nahm die Schalen aus einem Korbe hervor und hatte schon zwei mit Zucker gefüllt, als die Miß, welche den Korb in der Hand hielt, von einem so derben Windstoß gefaßt wurde, daß sie vor Schrecken alles zu Boden fallen ließ. Stelle man sich die Bestürzung der Gesellschaft vor; alles glaubte, daß keine Schale mehr gerettet worden, aber Ironius rief aus: „Sehen Sie, meine Verehrten, der Jammer ist noch nicht so groß! Noch sind zwei übrig, und diese reichen hin, wenn eine Hebe serviert!“
     Die Miß dankte in der Verwirrung nicht für das Kompliment, das Wasser fing an zu sieden, man warf den Tee hinein, und man jubelte dem nahen Genuß entgegen.
     Jetzt aber sollt es die enge, fürchterliche Hühnertreppe in den Knopf hinaufgehen. Henry und einige beherzte Briten stiegen empor, das war die letzte, aber freilich die beschwerlichste Reise! Die Miß, im Begriff emporzuklettern, schrie auf und sprang zurück. Oben aus dem Knopf heraus rief der Bruder und wollt ihr den Arm reichen! Aber sie wollte vor Scham vergehen und schlechterdings nicht vorwärts. Wie konnte das arme, schon vom Wind so unartig zerzauste Wesen auch die senkrechte Leiter emporklimmen, während die Männer nachkletterten?
     Man ließ die Männer voran emporsteigen. „Sechzehn Personen haben Platz“, rief die Lady, „nach Nibby und Vasi; wieviel sind schon oben?“ — „Sechs“, war die Antwort. Also ging's an den Irländer. Dieser, seinen Wanst anblickend, glaubte in die Hölle steigen zu müssen. Er bat, er flehte, er beschwor, aber umsonst; die dicke, römisch-katholische Maschine mußte sich an der Leiter emporwinden. Er rief nach Ironius, dieser schrie: „Voran!“ Sir Thomas stöhnte, rief die Heiligen an und blieb in der Mitte der Leiter in Todesangst angeklammert stehen. Alles ermunterte, alles trieb ihn vorwärts, da unternahm er's. Doch er blieb vor Entsetzen wie erstarrt, als er das enge Loch erblickte, wodurch er in den Knopf emporkriechen sollte. „Nein, es ist unmöglich“, rief er, „ich kann nicht durchkommen; helft mir, um Gottes willen, helft mir hinab.“ Henry ergriff ihn beim Arme und zog, Thomas keuchte, er schlüpfte mit dem Kopf hinein, und siehe, er stak mit dem Leibe halb innen, halb außen, auf der Kirche St. Petri, fünfthalbhundert Fuß über der Tiber, und glaubte weder vorwärts noch rückwärts zu können.
     Es erscholl ein wildes Gelächter unten und oben, aber unser dicker Herr fing an ganz jämmerlich zu schreien, so daß die Sache bald ernster wurde. Freilich konnte man's weder denen, die im Knopfe saßen und Kopf, Arme und den halben irischen Rumpf sahen, noch denen verargen, die an der Leiter unten standen und die Füße betrachteten, wenn sie glaubten, in ihrem Leben noch nichts Komischeres erfahren zu haben. Aber die Bitten, Beschwörungen, endlich die Stoßgebete des frommen Christen zeigten nur zu deutlich, in welcher verzweifelten Lage er sich befand, und so machte man sich denn mit Eifer ans Werk, der Fleischmasse vorwärts oder rückwärts zu helfen. Man zog, man schob, man drückte, aber umsonst. Ironius glaubte, daß eine plötzliche, hastige Bewegung alles tun könne, und kneipte den alten Herrn darum so derb in die Posteriora, daß er schrie. Aber er blieb unbeweglich stecken.
     Man beriet sich, denn der Arme fühlte sich immer übler in diesem Engpaß. „Einen Beichtvater, bringt mir einen Beichtvater, ich bin des Todes!“ erscholl's in die Kupferhöhle hinein.
     „O Maria sanctissima — Atem — Atem!“
     Ironius sagte unten: „Es ist wirklich ein bedenklicher Fall!
     Wenn er wenigstens nur einen Arm herausbrächte. Sir Thomas, versuchen Sie's doch, den rechten Arm heraus!“ rief er hinauf.
     „O Maria sanctissima, es ist ja unmöglich, ich kann mich ja nicht bewegen —“
     „So bleibt uns nichts übrig“, begann Ironius, „als einen Chirurgen zu holen.“
     „Ach Maria, heilige Maria, Muttergottes, lieber einen Beichtvater, ich ersticke —“
     Die Damen jammerten, der Lord sah seinen eigenen Wanst an und seufzte: „Der arme Sir Thomas — ich kann mir's vorstellen, wie's ihm ist!“
     Indem wurde Sir Thomas mit äußerster Gewalt von oben ergriffen, er tat einen Schrei und lag atemlos im Knopfe.
     „Gott sei gedankt!“ ertönte es von allen Seiten, „aber wie bringt man ihn wieder heraus?“
     Der Lord war freilich um keinen Preis der Erde mehr zu dem entsetzlichen Klettern zu bewegen. Ironius stieg hinauf. „Also acht!“ rief die Lady. „Nein“, antwortete Ironius, „Vasi hat nicht auf so beleibte Herren wie Sir Thomas gerechnet, wenn er sagte, daß hier sechzehn Platz haben; in der Tat, wir sind zu neun oder zehn.“ Nun traf die Reihe also die verschämten Damen, und die ganze Rundung des Knopfes war voll, alle saßen oben, bis auf den Lord und die Kinderchen.
     Da wurde denn — „großartigster und sonderbarster Moment meines Lebens!“ rief die Lady aus —, da wurde denn der Tee emporgereicht, und die Schöpferin dieses köstlichen Augenblicks pries man allgemein. Man reichte die Tassen herum, es wechselte von einem zum andern, die Miß nahm das vertrackte Büchelchen heraus, das uns so neugierig macht. — „Gott!“ brach Henry aus, über allen Türmen und Kuppeln, Obelisken und Säulen, über allen Bergen und Hügeln des dritthalbtausendjährigen Roms, und sie — dachte er hinzu —, und sie sieht in dieser Minute nicht mit namenloser Empfindung nach dem Punkte, worin ihr Anbeter, ihr Geliebter verborgen ist! „Das heißt“, sagte Ironius, „Nektar und Ambrosia recht eigentlich im Himmel genießen! Und sind wir nicht gleich Göttern? Sir Thomas gäbe einen Jupiter ab, Mylady eine Juno, Miß Rebekka eine Minerva, der Herr Kapitän einen Mars und so fort. Ist es nicht ein Vergnügen, hier zu sein, Sir Thomas?“ — „O sehr schön“, rief er, „ganz schön, ausnehmend schön.“ Aber innerlich schauderte er noch vor der Qual des höllischen Zustands in dem Loch, dabei hatte er die höchste Angst vor dem niederplatzenden Regen, er glaubte, der Wind könnte, wie dem Herrn Onkel den Hut, so auch der Kuppel ihren Knopf wegführen, und zudem war in diesem vollgedrängten Raume, wo unsere Gesellschaft gleich den Negern im Schiffe zusammengepackt lag, eine so unausstehliche Hitze, daß der Irländer endlich ausrief: „Ich kann nicht mehr! ich kann nicht mehr!“
     Man kann nicht behaupten, daß er in Ohnmacht fiel, denn fallen konnte er nicht, aber er rutschte doch in Ohnmacht, das heißt, mit dem Rücken an der Kupferwölbung des Knopfs hinab! Unsere Britinnen schrien Hülfe, man geriet in Verzweiflung! Wie sollte man den armen dickwanstigen Thomas durchs Knopfloch und wie die Treppe hinabbringen?
     „Hinaus! hinaus!“ rief Ironius, „alles hinaus, er muß wieder zu sich selbst kommen!“ — „Gott sei gelobt“, fiel die Lady ein, „ich habe Rebekkas Tropfen bei mir!“ Sie ließ sie zurück, sie stieg hinab, die andern folgten, und unser Ironius verweilte bei seinem Freunde, indem er ihn aufknöpfte, mit dem über die Leiter heraufgereichten Wasser bestrich und den Spiritus vor seine rote Weinnase hielt!
     Man lamentierte unten, aber Henry meinte, es sei doch nichts Gefährliches und mancher würd ihn darum beneiden, im Knopf der St. Peterskirche zu Rom ohnmächtig zu werden. Wenn er nur erst wieder heraus wäre!
     Unterdessen war die Dämmerung gekommen, und der Custode drängte. Noch hörte der Regen nicht auf, von ganz Rom sah man nichts als die Säulenkreise des Portikus.
     Endlich rief Ironius herab: „Er ist bei sich! es geht besser.“ Der Onkel fluchte und kam auf den Gedanken, daß es eine Narrheit sei, in diesem Knopf zu fünfzehn einen Tee zu trinken; er zählte an den Fingern, er rechnete, stampfte vor Wut auf den Boden und antwortete auf alle Fragen: „Morgen geh ich nach Neapel.“
     Jetzt wurde der unglückliche Sir Thomas herabspediert. Es ging wider Vermuten gut, weil er mit dem Arme sogleich ins Loch kam und die Masse überhaupt etwas zusammengesunken zu sein schien. Er langte glücklich, wiewohl schwer atmend, unten an. Der Tag war zu Ende, und die Glocken Roms läuteten in hundertstimmiger Melodie Ave Maria
     Schnell nahm man das Geräte zusammen und trat die Rückreise an. Es währte wohl eine Viertelstunde, es kostete mehr als einen Piaster, bis die mißvergnügte Karawane hinabkam. „Endlich der letzte Taugenichts, der letzte Bandit“, rief der Onkel, als man sie durch die Türe in die Peterskirche hineinließ. Aber er hatte sich geirrt. Das Tor St. Peters war geschlossen.
     Man starrte sich an, ob es gleich Nacht war. In diesem Augenblick konnte man wirklich glauben, daß sich das finstere Gewölbe über den gigantischen Pilastern, daß sich der furchtbare Kreis der Kuppel, worin die tiefste Nacht hauste, über eine Welt ausbreite; der heitere Eindruck, den der wunderbare Bau bei Tag auf das Gemüt macht, so daß es einem in diesen glänzenden, goldenen Weiten, in diesen gemilderten Nähen und zauberischen Fernen recht im Innern wohl wird, und der Zweck der Künstler, welche die Riesenbasilike auftürmten, wenn er uns die Größe durch Harmonie der Verhältnisse wegtäuschen wollte, völlig in Erfüllung geht, dieser Eindruck hätte sich jetzt in ein wirkliches Grausen verwandeln können. Aber unsere Briten hatten nur Sinn für ihre neue Verlegenheit — die Damen jammerten, der Onkel tobte, man dachte schon daran, hier übernachten zu müssen, als Ironius noch einen Pförtner durch Poltern und Rufen herbeizog und die Karawane gegen ein bedeutendes Trinkgeld hinausgelassen wurde.
     Jetzt aber, wie nach Hause kommen? Die Kutscher hatten sich in den Portikus geflüchtet; die Wagen hatten keine Decke. Man fand keinen Ausweg, als nach einigen Karossen für die Damen zu schicken. Das gab freilich wieder einen Aufschub von einer Stunde, weil hier um diese Zeit und bei solchem Wetter kein Wagen zu treffen ist; das veranlaßte freilich wieder bedeutende Kosten, die Kutscher forderten unverschämt und wollten davonfahren, als man ihnen nicht drei Piaster für den Mann geben wollte. Aber man hatte der Unglücksfälle nun zu viele erlebt, das Warten machte alle ungeduldig, man willigte ein, man fuhr fort und gelangte endlich, die Herren tüchtig durchnäßt, der Onkel Kapitän, wie bekannt, ohne Hut, nach Hause.

*