B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Peter Altenberg
1859 - 1919
     
   


W i e   i c h   e s   s e h e

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F r a u   F a b r i k d i r e k t o r   v o n   H .
(Studien-Reihe)

 
Ein poetischer Abend

     Vor jedem Teller stand ein Kelchglas mit glänzend rothen Zwerg-Georginen. Auf dem Tische lag ein Tischläufer, der mit rother Seide reich bestickt war. In zwei tiefen rothen Glasschüsseln lagen ganz rothe Blutorangen und die kleinen Bäckereien auf den silbernen Aufsätzen waren Alle mit rother Himbeer-Glasur überzogen.
     Der Leutnant hatte rothe Aufschläge, das Fräulein neben ihm hatte rothe Wangen, die Braut erröthete, so oft der Bräutigam sie küsste und der rothseidene Lampenschirm überfluthete den Raum mit rothem feurigem Dunste. Nur die junge Hausfrau war bleich. Sie hatte diese ganze «Symphonie in Roth» componirt zu Ehren des Brautpaares und war wie alle Dichternaturen nervös und bleich.
     Nach dem Souper kam Maitrank in schönen grünen Gläsern und die junge Hausfrau gruppirte Alle um sich und las mit einer wunderbar zarten Betonung ein liebliches Gedicht vor, das sie auf das Brautpaar verfasst hatte.
     Sie musste es noch einmal vortragen und wieder las sie es mit dieser wunderbar zarten Betonung.
     Das Ganze klang wie eine Stelle aus dem Septett Beethoven's. Das Cello singt da in ganz reiner Freude vor sich hin, es tanzt fast, ja es tanzt wie die kleinen Mädchen, die sich die Schürzen halten, auf den Wiesen tanzen. Dann aber breitet das Cello plötzlich ein Paar Flügel aus und schwingt sich in die Sterne - - -.
     Ganz so machte es das Gedicht. Es tanzte - -. Dann breitete es ein Paar Flügel aus und flog in den Himmel!
     Später sagte die Hausfrau: «Macht Musik - -!»
     Der rothe Leutnant und das rosige Fräulein spielten à quatre mains den Clavier-Auszug aus «Bajazzo.»
     Weil Alle es bei den «Italienern» gehört hatten, machte es einen riesigen Eindruck.
     Einer sagte: «Die sind auf einander eingespielt - - -.»
     Besonders das Lied «povre Bajazzo» zündete. Die Herren sangen es im Chore mit, obzwar es ein Solo ist. Sogar der junge Englishman sagte: «allright - -». Und das war das Höchste!
     Dieses Lied klingt wirklich wie «gemordete Liebe.»
     Die blühende Liebe aber, die wachsende, lehnte Hand in Hand am offenen Fenster und starrte in die milde Nacht hinaus und athmete die Luft, die vom Kahlengebirge herzog und Düfte brachte von Gras, auf dem der Schnee zerrinnt - - -.
     Das war ein poetischer Abend.
     Als Alle fort waren, sagte der Hausherr: «Anita, Alles regt dich so auf, Gesellschaften sind Nichts für dich, du gehst in den Sachen auf- - -. Wozu?!»
     Die Dame nahm die rothen Zwerggeorginen aus den Kelchgläsern, schnitt ein Stückchen Stengel bei jeder unten ab, damit sie besser Wasser saugen könnten, legte Alle in eine flache Wasserschüssel, stellte dieselbe vor das Fenster.
     «Komm' - -», sagte der Hausherr, «es ist spät und Du bist
müde - - -.»
     «Nächstens mache ich Alles in Blau» sagte sie, «einen blauseidenen Lampenschirm, blaue Hyazinthen, oh, giebt es eine blaue Zuckerglasur?! Vielleicht Heidelbeersaft - - -?!»
     «Kindskopf - -», sagte der Hausherr und küsste sie.
 

Die Dienstboten

Das Kindermädchen.

     Das Kindermädchen mit den hellblonden seidenen Haaren öffnete die Hausthüre. «Oh - -» sagte sie, «Niemand ist zu Hause, die gnädige Frau und der gnädige Herr sind mit dem Bubi ausgefahren.»
     «Ich werde sie erwarten» sagte der junge Mann.
     Er setzte sich in die Küche auf einen Holzsessel.
     Alles schimmerte, die blaugrauen Kacheln, der dicke Messinghahn der Wasserleitung, der rothbraune Mosaikboden mit den matten weissen und blauen Fleckchen - - - - und die seidenen Haare des Mädchens.
     An dem offenen Fenster hingen am Bast gelbgrüne Muskatellertrauben.
     Das junge Mädchen stand an die Thüre gelehnt.
     «Wie war es am Land, Emilie - -?!»
     Er wusste, dass sie das Landleben liebte und sich hinaussehnte - - -.
     Dann sagte er: «Es ist heute ein schöner Herbstabend - - -!»
     «Oh, in der Stadt - - -?!» sagte sie.
     Es wurde ganz still.
     Nur die Wassertropfen an dem glänzenden Messinghahne schlugen auf die Marmorschale auf - - - pláp, pláp, pláp.
     «Haben Sie nie Ausgang?!» sagte er.
     «Wozu?! Zu Wem sollte ich geh'n?! Ich habe Niemanden - - -.»
     «Sie haben es hier sehr gut», sagte er, «Sie haben das Buberl sehr gern und Ihre Herrschaft ist edel und gut, besonders die Frau Fabrikdirektor.»
     «Ja», sagte sie.
     Sie war achtzehn Jahre alt, hatte einen rosigen Teint, eine ideale Gestalt. Alle um sie herum hatten sie lieb, besonders das Buberl, oh, der - - -! Deshalb, wenn man zu ihr sagte «Sie haben es sehr gut», sagte sie «o ja».
     Der junge Mann dachte: «Zehn tausend ungeborene Wünsche kreisen in so einem jungen Organismus - - -!»
     Er sagte: «Was machen Sie Abends, wenn der Kleine schläft?!»
     «Nichts - - -» sagte sie.
     «Der Kleine schläft doch schon um acht Uhr ein - - -?!» sagte er.
     Sie schwieg.
     Dann sagte sie und senkte die Augen: «Wenn ich die Zeitungen der Herrschaft hätte vom vorigen Tage - - -! Aber es kostet auch Licht - - -.»
     Am nächsten Tage sagte ihre junge Herrin zu ihr: «Emilie, Sie können immer Abends die Zeitung in Ihr Zimmer nehmen - - -. Ich habe einen hohen japanischen Wandschirm gekauft, damit das Buberl nicht vom Lichte Ihrer Lampe gestört werde.»
     «Meiner Lampe - - -?!»
     «Ja; ich habe Ihnen eine Leselampe gekauft.»
     «Oh, gnädige Frau - - -» sagte das junge Mädchen und erbleichte.
     Aber der junge Mann von gestern dachte: «Zehntausend ungeborene Wünsche kreisen in so einem jungen Organismus. Bringe Einen zur Geburt, zur Erfüllung - - - und es bleiben nur mehr Neun Tausend Neun Hundert Neun und Neunzig!»

Das Stubenmädchen.

     Die junge Frau mit den goldbraunen Haaren hatte sie von der Mama übernommen. Unter den wunderschönen Hochzeitsgeschenken war jedesfalls das Werthvollste «Marianne, Stubenmädchen.»
     «Sie hat schon ihre kleinen Fehler - - -» sagte die Mama.
     Aber sie wusste selbst nicht welche.
     Es war mehr so eine Ahnung von der Unvollkommenheit alles Irdischen - - -. Jedesfalls war es ein Mädchen mit «tiefem Takt», wie der Bruder der jungen Frau sich ausdrückte.
     «Sie sieht Einem Alles an den Augen ab - -» sagte einst eine Dame, welche zu Besuch war.
     «Sie hat schon ihre kleinen Fehler - -» sagte die Mama.
     «Nein, sie hat keine - -» sagte die goldbraune Tochter und machte ein ganz gerührtes Gesicht.
     Dieses Mädchen bekam sie als Hochzeitsgeschenk mit.
     «Da ist Dein Zimmer, Marianne - - -» sagte sie und öffnete ein kleines Paradies und lächelte. Sogar Blumen waren darin.
     «Oh gnädige Frau - - -» sagte das arme Mädchen.
     Die Verwandten sagten: «Die ist wie das Kind im Haus - -. Aber sie verdient es.»
     Marianne war gut, edel, still und fleissig - -.
     Sie kochte sogar. Aber nur als «Fleiss-Aufgabe».
     Hie und da las sie, pflegte ihre Blumen, nähte - -.
     Oder sie sah in den grossen Hof hinab, wo Equipagen gewaschen wurden und hinauf, über die Dächer, wo ein feiner weisser Thurm war und der blaue Himmel - - -.
     Im zweiten Jahre dachte die junge goldbraune Frau: «Marianne verändert sich. Sie beginnt zu denken. Kann man davon leben «Ich bin wie das Kind im Hause»?! Sie hat ein liebes kleines Zimmer, guten Lohn, Kleider - -. Was ist es?! Wozu ist man geboren?! Wir nützen sie aus! Vielleicht liebt sie meinen Bruder oder einen anderen Feinen, Edelgeborenen - -?! Vielleicht weint sie in den Nächten in ihrem kleinen Paradiese. Vielleicht zieht sich ihr Herz zusammen, wenn sie mein Glück sieht, meinen Frieden?!»
     Jedesfalls begann Marianne zu denken - - -.Sie beneidete einen Menschen - - die Friseurin!
     «Friseurin sein, frei, selbständig - - -!»
     Sie betrachtete dieses Wesen wie die Göttin der Freiheit - - -.
     Von wo kam sie?! Wohin eilte sie - -?!
     Sie läutete, stürzte herein, frisirte, erzählte, plauderte ganz familiär, nahm Geld und stürzte ab - - -.
     «Die hat keine Zeit zum Denken - -» dachte Marianne.
     Wenigstens lag darin das Reizende für sie - -.
     Es war ein Schwung in diesem Leben, ein Kampf mit der galoppirenden Zeit, mit den mysteriösen Damenhaaren, mit dem Leben - - -!
     Marianne sah in den Hof hinab, wo die Equipagen gewaschen wurden und hinauf, über die Dächer, wo der feine weisse Thurm war und der blaue Himmel- -.
     Eines Tages blieb die Friseurin aus - - -.
     Sie hatte sich aufgerieben, einfach aufgerieben. Niemand sprach ein Wort darüber - - -. Nur die goldbraune Frau sagte noch sanfter als sonst: «Du, Marianne - -.»
     Am nächsten Tag kam eine andere Friseurin.
     Sie läutete, stürzte herein, frisirte, erzählte, plauderte ganz familiär, nahm Geld und stürzte ab - -.
     Marianne sah in den grossen Hof hinab, wo die Equipagen gewaschen wurden und hinauf, über die Dächer, wo der feine weisse Thurm war und der blaue Himmel - - -.
     Jetzt beneidete sie Niemand mehr - - -.
     «Vielleicht ist das das Glück - - -» dachte sie.
     Eines Tages sagte die goldbraune Frau: «Marianne, mein Bruder hat gesagt, dass Niemand die Sachertorte so machen könne wie Du. Die Glaçe sei wie ein Teig - -.»
     Das Glück - - - das war das Glück!
 

Der Trommler Belin

     Er sass mit seinem jungen Weibe bei «Ronacher», Vergnügungs-Etablissement. Er sagte Leuten, welche darüber Bemerkungen machen: «Warum nicht?! Mich interessiren die Zwischenglieder der Kunst. Und dann, giebt es nicht auch Prater-Buden?! Nun also!?»
     Um acht Uhr beginnt die Vorstellung. Tausend Glühlampen werden aufgedreht.
     «The Pickwick's.» Fette Männer in hellblauen Tricot's springen übereinander, schwitzen.
     Man hört gleichsam diese Lungen schreien: «Oh, genug, lass'
mich - - -.»
     Alles applaudirt. Die junge Frau denkt: «Mühselige - - - Müh - unseelige!»
     Ein kleines Mädchen wie ein rosa Zwirn arbeitet auf dem weissen Telephon-Draht.
     Ein Dünnes im Kampfe mit einem Dünneren!
     «Müh - unselige!» sagt die junge Frau.
     Drei Bären aus dunklen Wäldern produciren sich. Einer singt Etwas in seinen Heimathstönen. Niemand versteht es. Es heisst: «Ich war wild, wild, houuuuu ich war wild - - -!»
     Alles applaudirt.
     «Wie müh - unseelig!» denkt die junge Frau.
     Eine Pantomime «La Puce.» Es ist die «stummer Geist gewordene Gemeinheit.»
     «Eine junge Dame in einem hellgrünen Seidenkleide entkleidet sich, um «la puce» zu suchen, versäumt die Zeit zum «Rendez-vous.» La puce als Ehrenretter. La puce bekommt die Medaille. Hó, la puce - - -!»
     Alles applaudirt.
     Die junge Frau fühlt: «Mühselige - - -!»
     Der Trommel-Virtuose Belin.
     «Ein passendes Stück, ein Trommler - -» sagt Jemand, «ist es amüsant?! Was kann er?! Trommeln?!»
     Das Publikum ruft ihm gleichsam entgegen: «Ah, bonjour Herr Trommler - - -!»
     Auf einem kleinen Gestelle liegt schief eine kleine Trommel.
     Er kommt herein, in Frack und weisser Kravatte. Er hat ergrauende Locken.
     «Die Schlacht!»:
     Rataplán ra ra ra ra - - - von ferne ziehen unabsehbare Schaaren in Eilschritt heran, Millionen, immer noch, immer noch, noch, noch, noch. Noch -! Sie schleichen, gleiten, huschen, fliegen - - -. Pause.
     Geschütz-Salve - ratá! Pause. Salve, Salve, Salve - - - ratatatá!
     Die Schlacht singt ihr Lied, jauchzt, kreischt, brüllt, stöhnt, athmet aus - - - - -. Pause. Plötzlich beginnt ein furchtbarer Wirbel - - - - Rrrrátaplan rrrráta rrrráta rrrráta rrratatatá tá tá tá tá - - - trrrrrrrrrá! Der Todeskampf dieses Lebens «Schlacht»!
     Orkan-Wirbel!
     Er nothzüchtigt das Ohr, spannt es, treibt es auseinander, schüttelt es, bricht es, dringt in die Seele ein und macht erschauern - - -! Ein fürchterlicher Wirbel, ein entsetzlicher, nachsichtsloser, grausamer, blutohriger Wirbel! Wird er nicht aufhören?! Er hört nicht auf, rrrratá, prasselt herum, zerfetzt die Nerven, rrrrátatatá! Wirbel! Wirbel - -!! Rrrratá! Alles wird über den Boden geblasen, gemäht, vertilgt!
     Schuss - - Schuss - - - - - - Schuss!
     Rrrrrrrrrát - - - - -. Die Schlacht ist gestorben.
     Stille.
     Der Mann im schwarzen Frack steht da, verbeugt sich, geht - - -.
     Niemand applaudirt.
     «Ein schrecklicher Trommler - -» denkt man, «er zerreisst das Trommelfell.»
     «Ein Genie des Handgelenkes ganz einfach - -» sagt ein Aristokrat in einer Loge.
     Die junge Frau sitzt da, bleich - - -.
     «Du bist ganz geschreckt - -» sagt der Gatte, legt seine Hand sanft auf ihre Hand.
     «Napoleon - - -!» sagt sie.
     «Wie?!» sagt der Gatte.
     «Er hat wenig Applaus gehabt - - -», sagt sie, «er wird vielleicht entlassen werden - - -.»
     «Nein - - -», sagt der Gatte, «sie sind fix engagirt - - -. Wie bleich Du bist - -».
     Die junge Frau fühlt: «Napoleon - - -!»
 

Venedig in Wien

     In dem kleinen dunstigen Bildhauer-Atelier sitzt ein junger Italiener auf dem Tischbrett, gähnt. Der Marmor glitzert wie Kandiszucker.
     In dem kleinen dunstigen Glasmosaik-Atelier sitzt eine junge Italienerin auf dem Tischbrett, gähnt. Das Glasmosaik leuchtet wie Sommer-Wiesen.
     In dem kleinen dunstigen Kupfer-Atelier hängen tausend leuchtende Kupfer-Gefässchen mit schwarzen schmiedeeisernen Henkelchen. Dieselben in grosser Ausführung. Dieselben in riesiger. Eines ist fast schon ein Weihkessel - - -.
     Die Gondolieri im Kanal «weichen geschickt aus», wie es in den Zeitungsberichten heisst. «Wie Kavaliere benehmen sie sich - - -», sagte eine junge Dame, «wie sie mit den Augen grüssen - - -!»
     Dreissig tausend Menschen steigen die Holzbrücken hinauf, hinab, fliessen auseinander auf den Plätzen, stauen auf den Brücken.
     «Echt venetianisches Volksleben entwickelt sich -», denken die Reporter. Die gelbe Gondel mit dem rothen Lichte legt an. Die junge Serenaden-Sängerin singt in der gelben Gondel.
     Bei den Strassensängern steht ein Pferdehändler, eingehängt in Eine mit goldenen Haaren. Ein schwarzes Seidenkleid mit bordeaux-rothen Glasperlen fliesst an ihrem süssen Leib herab und schimmert - - -.
     Die Guitarren klimpern. Der Abendwind verdünnt sie, haucht sie weg - - -.
     Echt venetianisches Volksleben entwickelt sich -.
     Der Pferdehändler steht da mit seinem gewölbten Rücken und seinem schmalen Brustkasten.
     An der Dame mit den goldenen Haaren fliesst die Seide herab mit bordeauxrothem Geait - - -. Sie fühlt: «Hierher gehöre ich - - -!»
     Bei der Sängerkapelle singt ein Tenor solo aus einem Notenblatte.
     Die Anderen machen nur: «brum, brum, brum -.»
     An einen Platanenbaum gelehnt, steht Frau Fabrikdirektor von H.
     Sie ist blass, hat ein edles Antlitz - - -.
     Ein junger Dichter grüsst sie höflich. Sie dankt kaum.
     Dann fühlt sie: «Komme her, unter die Platane und höre mit mir dem italienischen Sänger zu - -.»
     «Das Notenblatt ist störend» sagt der Gatte, «man sollte frei singen.»
     «Jawohl» sagt sie.
     Venetianisches Leben!
     Müde Gesänge, stehendes Wasser, alte verödete Paläste - - -.
     An der Platane steht Frau Fabrikdirektor von H. Sie hat ein blasses Gesicht. Sie fühlt: «Venetianisches Leben - - -!»
     Der Gatte sagt: «Komm', Anna, es ist feucht, Du wirst Dich verkühlen - - -.»
     Sie denkt:» Guter, Braver - - -», hängt sich in ihn ein.
     «Was ist es für ein Styl?!» sagt sie über die Paläste.
     «Gothisch-Byzantinisch» sagt der Bankdirektor, «es war die höchste Blüthe - - -.»
     Sie kamen auf den grossen Platz, wo die hohen Birken sind. Der Platz war einsam. Le monde joyeux war den Strassensängern nachgezogen.
     Zwischen den Birken hingen die Bogenlampen, wiegten sich ein wenig.
     Der Nordwind wehte.
     Die Serenaden-Sängerin ging langsam über den Platz und die dunkle Holzbrücke hinauf - - -.
     Sie hatte ein Hemd an aus scharlachrothem Sammt, schwarze Haare, teint ambré.
     Der Bankdirektor und die Dame blieben stehen, sahen ihr nach - - -.
     Langsam stieg sie die Holzbrücke hinauf.
     Der weite Platz war leer. Es duftete nach Prater- Auen. Zwischen den Birken leuchteten die Bogenlampen. Der Nachtwind wehte - - -.
     Die Serenaden-Sängerin blieb oben stehen, verschwand auf der anderen Seite - - -. Dann hörte man singen: «Santa Lucia - - -.»
     Der Bankdirektor ging mit seiner Frau langsam über den grossen Platz.
     Später stiegen sie in eine schwarze Gondel, fuhren durch die Canäle.
     «Ca d'oro - -» sagte der Gondoliere mittheilsam.
     «Gracia» sagte der Bankdirektor und gab eine Krone.
     Eine schwarze Gondel kam ihnen entgegengeflossen.
     Ein junges Mädchen sass darin, allein. Sie hatte ein Hemd an aus scharlachrothem Sammt, schwarze Haare, teint ambré. Sie stützte die Elbogen auf die Kniee, das Kinn in die feinen Oliven-Hände.
     «La regina di Venetia - - -» sagte die Bankdirektors-Gattin, blickte der einsamen Gondel nach.
     «Schwärmerin - - -» sagte der Gatte milde.
     Sie: «Gefällt sie Dir nicht?! Oh gewiss- - -. Wie aus einer anderen Welt ist sie - - -.»
     Der Gatte sagte: «Nimm' meinen Überrock über deine Kniee, Anna, es ist kühl am Wasser und Du bist blass. Geh' Anna, folge - - -.»
     Der Gondoliere sagte: «Palazzo Vendramin, dove e morto Richard Wagner - - - - -. Palazzo di Desdemona - - -.»
     «Gracia - -» sagte der Bankdirektor.
     Die Dame blickte sich um nach der Serenadensängerin im Scharlachkleide. Aber man sah nichts als farbige Lichter und weisse Säulengänge - - -.
     «Soll ich deine kleine venetianische Königin singen lassen?!» sagte der Gatte, «ich schicke ihr fünf Dukaten».
     «Und ich werde sie auf die Stirne küssen, la regina - - -!»
 

Café-Chantant

     Nach dem Souper. Der junge Gatte sitzt in einem niedrigen Fauteuil, raucht Caravopoulo, Cigarettes des Princesses. Die junge Dame hockt neben ihm, hat ein schwarzes seidenes Kleid an, der Hals ist entblösst, umrandet von einer Tüllkrause, die mit weissen Perlen bestickt ist. Sie stützt die Elbogen auf die Kniee, den Kopf auf die Handrücken, schaut zum Gatten auf. Plötzlich legt sie die Hand wie schmeichelnd, bittend, auf die seine - - -.
     «Was hast Du - - -?!» sagt er sanft, «bist Du müde, hast Du Dich nicht amüsirt?! Du hast ja so gelacht - - -!? Pupperl, Gutes, Braves - - -!»
     «Was ist denn mit Dir - - -?!» sagt er, «Anita - - -?!»
     «Nichts - - -. Wir sind schwerfällige Wesen, ja, das sind wir. Können wir stehen, gehen, uns verneigen - - -?! Die Aristokraten können es, die sind elastisch. Nichts von sich spüren, wie schön wäre das - - -!»
     Er lächelt, sagt: «Woran denkst Du?! Womit beschäftigst Du Dich?! Die Katzen waren reizend, besonders die hellgraue. Diese
Dressur - - -!»
     «Katzen sind graciös, leichtfüssig, beweglich,» sagt sie, «man erzählt, dass viele Dichter Katzen liebten, ich verstehe das, sie sind beweglich wie die Künstlerseelen, Nichts hält sie auf, sie gleiten - - -. Wir aber sind schwerfällige Wesen, gut für den Hausgebrauch, so «Wäschezettel-Controlleusen»! Sage «ja» -! Denkst Du an die hellgrauen Katzen?! Ich denke nicht an diese - - -.»
     Er: «Du bist wie Einer, der vom hellen Lande zurückkehrt, von einer Heimath, von Musik - - -. Was ist es?! Ich nehme Dich nie mehr mit - -. Nein, ich mache nur Spass. Wenn Du Dich amüsirt hast!? Hast Du Kopfweh, Anita?!»
     «Nein - - -. Wo ist die Bewegung hingekommen, die überall ist wo etwas Schönes wird?! Die Schwalben zum Beispiel, die Leoparden, die Dichter -! Die Griechen liefen und die Erde rennt wie rasend um die Sonne und um sich. Darum ist das Alles schön. Auch das Wasser rennt, fliegt. Und wenn es nicht fliegt, wird es ein Sumpf. Wir aber sind schwerfällige Wesen - -. Ah, Chanteuse drolatique, Danseuse - -!»
     Er: «Mademoiselle Paquerette?! Die «Excentrique» - - -?!»
     Sie: «Was ist die Duse? Bewegung! Mitterwurzer? Bewegung! Rubinstein?! Bewegung! Bewegung - -! Wie wunderbar war diese «übermüthige Laune der Gelenke»!»
     Er: «Anita - - -!»
     Sie: «Ja, mademoiselle Paquerette ist die Bewegung, die Bewegung, die ihre eigene Orgie feiert, die vor überschüssiger Kraft excedirt, sich ironisirt, sich überschlägt, sich schüttelt und vor Lachen über sich selbst zerplatzen möchte. Ein Gamin ist sie, ein Mäderl, ein Püppchen, ein Genie, ein Kreisel, ein Lebendiges! Kann die altern?! Das ist so schön - - -! Wie die Natur sein! Ich glaube, Katzen merkt man das Alter nicht an. Und Dichtern - - -?! Paquerette wird nie alt werden! Wie stürzendes Wasser ist sie -. Wir aber sind schwerfällige Wesen. Sage «ja» - -!»
     Er: «Paquerette ist die «Gracie im Rausche», die Gracie, die übermüthig geworden ist und schwankt -.»
     Sie: «Nein, sie ist das Leben einfach, wie es sein sollte, überall - - -. Alles wirklich, tief vom Innersten heraus Lebendige, hat seine Räusche, seine Exaltationen, seine Excentricitäten, seine Thorheiten, seine Kindlichkeiten! Paquerette repräsentirt eine Fülle, einen Ueberschuss. Das ist so wunderbar überall wo wir es antreffen, dieses reizende Ueberschüssige im Leben, an Geist, an Seele, an physischer Bewegung! Wir aber haben das «Nothwendige» dieses kriechende «Nothwendige», in Allem! Oh sage «ja» -.»
     Er: «Liebes, Herziges, Du bist ja ganz aus dem Häuschen. Du liebst Paquerette!»
     Sie: «Jawohl ich liebe sie. Bist Du eifersüchtig?!»
     Er: «Beinahe - - -.»
     Sie: «Ich liebe mich in ihr, sie ist gleichsam eine Seite unseres Wesens, die im Leben verkümmert, nicht zur Entwickelung kommen kann im schweren Dasein. Ich möchte manchesmal so etwas laut Lachendes sein zum Küssen, Etwas wie ein gewordenes Räuschchen, ein kleine Puppe, die mit den Beinen strampelt - -.»
     Sie stützt den Kopf in die Hand.
     Er: «Was hast Du - - -?!»
     «Nichts - - - - -. Liebst Du mich noch?
     O sage «ja» - - -. Ich habe aber gar keine Bewegung - - -.»
     Er: «Ist Schwärmerei nicht Bewegung der Seele, Liebste?! Und Du kannst so schön schwärmen für diese danseuse drolatique - - -!?»
     Sie: «Guter - - -! Bester!»
     Er küsst sie sanft auf die Haare - - -.
 

Quartett-Soirée

     Der Saal ist viereckig, schneeweis, überhaupt wie eine riesige Pappendeckelschachtel. Die durchscheinenden Kugeln aus dickem welligem Glase machen aus dem Bogenlicht im Inneren goldgrüne und weissgrüne Flecken, die wie glänzendes Wasser schimmern oder Öl, wie Milch im Mondschein.
     Rechts neben ihm sass sein goldblondes Schwesterchen, in Sammt maron pürée und einer Blouse aus gleichfarbiger Seide. Sie hatte zu Hause gebadet, sich getummelt, häusliche Unannehmlichkeiten gehabt, suchte nun Etwas, das entlastete, entfernte, blickte in die riesige Pappendeckelschachtel mit den goldgrünen glänzenden Flecken - - -.
     «Man bleibt also der, der man ist, überall - -?!» fühlte sie.
     Die Instrumente sagten: «husch aus dem Bade-!» «Marie, bitte, oh Marie.» «Aber Fräulein, machen die Brause zu - -. Wie schön Fräulein sind - -.» «Wo ist mein Seidentuch?! Bitte um Geld für die
Garderobe - -.» «So geh' schon - -.» «Giebt es einen Frühling - -?! Was ist eigentlich Musik - -?!»
     Links neben ihm sassen zwei Schwestern, junge Frauen, Bekannte. Die Eine hatte eine Pongis-Blouse mit Rubinschmuck und schwarze Augen, Augen wie Mitternacht. Diese Augen sagten: «Ich will brennen! Macht ein Feuer an! Ich will brennen - - -!»
     Die Andere dachte: «Das Leben hat schöne Einzelheiten wie das Quartett. Aber was ist es?! Man zählt und zählt - - -. Anita ist müde, Zählen macht müde, nicht?! Und wenn ich Zehntausend habe?! Dann lege ich es in ein goldenes Kästchen und werfe das Schlüsselchen in's Meer - - -.»
     Die Violinen sangen.
     Sie träumte: «Helgoland - - oh meine Sommertage - - in's Meer - -.»
     Das Fräulein in maron pürée dachte: «Die vier Herren da oben sind schwarz und zusammengeduckt, sie müssen sehr unbequem sitzen und die Fräcke verdrücken sich. Es ist Kammermusik, der edelste Kunstgenuss, ja wirklich. Die Oper hat mehr Farben - -.»
     «Die Oper hat mehr Farben - - -» dachte sie jetzt endgiltig und ihre gebadete Haut begann zu dunsten in der Concert-Luft.
     «Habe ich das Eau de Cologne zugestöpselt, habe ich das frische Nachthemd hergerichtet, habe ich Reis herausgegeben---?!» dachte sie.
     Die Dame sagte zu dem Herren: «Sie müssen Helgoland sehen - -. Ich habe den Tanz getanzt mit den Matrosen - -.»
     Es hiess: «Jawol, ob Du es glaubst oder nicht, so Eine bin ich - - manchesmal.»
     «Pst - - -» sagte man.
     Süsse Töne füllten die weisse Pappendeckelschachtel wie mit Bonbons.
     Da stieg das Cello in ihr Herz - - -.
     «Was siehst Du mich an, Herr?! Höre lieber zu - - -.»
     Pause.
     «Helgoland - - - ich tanzte mit den Matrosen!»
     «Zartes feines Geschöpf - -» denkt der Herr, «haben sie Dich nicht zerdrückt?!»
     «Woher bin ich - -?!», fühlt sie plötzlich, «wo hin gehe ich?! Ich wohne Ebendorferstrasse 17, I. Stock, Thür 5. Im Vorzimmer ist ein rother Teppich und Spiegelglas. Wie ein kleiner Kerker ist es - -.
     Helgoland, ich tanzte mit Matrosen - - -!»
     Das Fräulein in maron pürée denkt; «Ich habe Niemand - - -.»
     Andante.
     «Wie Schatten - - -» sagt die junge Frau.
     «Du bist affektirt - -» denkt das Fräulein; «wie Schatten - - -?!»
     Die junge Frau wird roth, weil man es gehört hat. Sie senkt den Kopf, horcht auf die «huschenden Schatten» - - -.
     Die Violinen machten «ti-ti-tiiiii - - -», worauf das Cello noch ein bischen das alte Thema in Erinnerung brachte, aber nur so, husch - - -.
     Wie Schatten - - -.
     Alle sagten «bravo». Wie wenn man sagt: «bravo, ein Kind ist gestorben.»
     Eigentlich hätte man schluchzen hören sollen.
     Die junge Frau zieht an ihrem Opernguckersäckchen aus Seide, zu, auf, zu, auf, zu - - -.
     DasFräulein denkt: «War es fad oder blos traurig?!»
     In der ersten Reihe sitzt Frau P. Sie bekommt Alles im Leben aus erster Hand. Sogar die Jacke ist Modellstück, hellgrüne Seide mit opalisirenden Glasperlen. Sie denkt: «Wie angenehm ist das Leben und so einfach und wie schön diese Herren spielen! Wird Herr Max zum Souper mitkommen?!»
     Die ganze erste Reihe hält sich für König Ludwig, dem man extra vorspielt. Wirklich, die Töne fahren sonst in der Pappendeckelschachtel herum wie feine Schmetterlinge, zerstossen sich an den goldgrünen Flecken der Lampen - - -. Aber in der ersten Reihe schweben sie über den Cercle-Sitzen wie über Blumen.
     Der Musikkritiker sitzt ganz rückwärts. Er hat das Ohr mit seinen Labyrinthen. Ein Ariadnefaden führt zum Welt-Geist!
     Alle sagen: «bravo - - -.»
     Er fühlt: «Ein Kind ist gestorben - - -.»
     «Sie müssen Helgoland sehen - - -» sagt die junge Frau zu dem Herren, «das wünsche ich Ihnen - -.»
     «Sie sind wie eine Meermuschel», sagt er, «in der das Meer noch singt, wenn längst - - -.»
     Da begann ein neues Musikstück.
     Das Clavier sagte: «wenn längst, wenn längst- -» und tanzte einen Matrosentanz. Das Cello griff in's Herz hinein, eigentlich drückte es das Herz zusammen und liess es wieder los. Da wurde es weit oder es schien nur so - - -.
     «Es ist ein Meerbad - -» fühlt die Dame, «kurz wie Helgoland und wie der Sommer und wie eine Heerde gelber Schaafe, die durch ein sonniges Dorf getrieben wird und wie der Duft von Kartoffelfeldern am Abend, wie Hühner-Bouillon, wenn man krank war, wie «bittersüss» und wie «da bist Du endlich» - - -.»
     Das Fräulein träumte: «Habe ich Jemand - -?!»
     Der Herr blickt die Helgoländerin an: «bitte, nummerire diesen Blick nicht - -.»
     «Nein - -» antwortet sie sanft mit ihren Augen, «ich lege ein eigenes Conto an - - -.»
     «Und wirf das Schlüsselchen nicht in's Meer - -!»
     «Und werfe das Schlüsselchen nicht ins Meer- -.»
     Clavier, Violino primo, Violino secondo, Cello, Viola, sangen: «Wirf es in's Meer, in's Meer, in's Meer - - -.»
     Aber es war nur das Clavierquintett von G., zweiter Satz, Andante.
     Das Fräulein in maron pürée dachte: «Diese Stelle klingt wirklich wie «Ich habe Niemand, Niemand, Niemand» - - -!»
 

«Der Cid» - Herr Winkelmann

     «Gnädige Frau, was werden Sie essen?!»
     Die junge Dame war noch ein bischen abgespannt vom Theater. Sie wäre am liebsten in einem weiten runden Fauteuil gelegen, um auszuruh'n. Wenn Ihr dann Jemand langsam die Schuhe aufknöpfeln würde und sanft das Mieder aufhafteln und die sechs dicken gelben Schildkrotnadeln aus den Haaren nehmen und die braungoldene Fülle zwischen den ausgespreizten zehn Fingern leise herabgleiten lassen würde und - - -!?
     Aber sie musste im Hôtel B. die Speisekarte studieren und dabei gerade sitzen, auf einem Sesselchen aus gespanntem Leder. Das ist nicht sehr amüsant.
     «Ich bin nicht hungrig» sagte sie und sah die langen Colonnen von Speisen gleichgiltig an.
     «Essen Sie eine Briesrose, sauce hollandaise - -» sagte Er.
     «Ja» sagte sie.
     Sie legte den Schildkrotfächer neben sich hin, den Operngucker und das Spitzentaschentuch. Dann zog sie die Handschuhe langsam aus. Ganz langsam.
     Sie rückte ihren Sessel: «Warum hast Du keine weite gebogene Lehne, Du?!»
     Es trat jenes Stillschweigen ein, in welchem jeder denkt: «Ich sollte jetzt laut sagen «Massenet», oder «dieses Wiener Opern-Orchester - -», oder «die Musik - - -».»
     Aber er sagte: «Briesrose ist eine Krankenkost, leicht verdaulich, nahrhaft, reizlos - - -. Aber wenn Sie nicht hungrig sind - - -.»
     «Nein, gar nicht» sagte sie.
     «Sie gehören zu jenen Instrumenten», sagte Er, «in welchen die angeschlagenen Töne lange nachklingen. Ihre Seele nimmt immer Pedale.»
     «Ich bin müde» sagte sie.
     «Sie denken an Winkelmann» sagte Er.
     «Ja; so stelle ich mir die kindlichen naiven Helden vor, Die, die nichts überlegen, Die, die «sind»!»
     Er sagte: «Das ist sehr richtig. Und doch ist das naturgemäss; zuerst das «Sein» ohne das «Überlegen» und dann das «Überlegen» ohne das «Sein».»
     «Siegfried und Hamlet», dachte sie. Aber sie war zu bescheiden, um das auszusprechen. Er war ja der Mann, der grosse Musiker, der Philosoph, der Denker-. Sie war das Weib - -. Sie durfte nur träumen- -.
     Er sagte: «Das gefällt mir, dass Sie nicht schwärmen. Sie sind wie erdrückt - - -!»
     «Mann», dachte sie.
     «Hätten Sie vielleicht lieber die Briesrose gebacken gehabt und Spinat?!»
     «O nein», sagte sie und lehnte sich in den harten geraden Sessel.
     Sie dachte: «Was Er da gesagt hat vom «Überlegen» - - -! Der Mann ist doch etwas Anderes. Er hat tausend Gedanken und comprimirt sie in zwei, in einen - - -; oder er verstreut sie so. Dann denkt Er an Bries und Spinat. Er ist so kühn, so gedankenfrech. Aber wir glauben immer, dass Er Uns missachtet und dass Er Uns Unrecht thut - -.
     Er sagt: «So und so - - -»; und da denken Wir: «Siegfried und Hamlet - - -»; und Wir sind doch nur seine Knechte! Und dann sind Wir wieder fertig - - - fertig! Ein Gedanke ist wie eine Offenbarung für Uns. Wie Wir so über Uns selbst hinauswachsen können - - -! Ah, denken Wir, jetzt sind Wir Ihm gleich- - -! Bettler sind Wir! Er giebt Uns zwei Kreuzer und Wir laufen hin und kaufen Uns dafür eine Semmel - - -. Für Ihn giebt es keine Erniederung: Bries gebacken oder mit «Sauce hollandaise», das occupirt Ihn. Er ist reich, Er hat zehntausend Gedanken -. Wir aber müssen ewig auf der Hut sein. Wir können nicht denken: «Winkelmann ist ein Gott und Briesrose ist ein gesundes Essen - - -. Wir müssen empfinden: «Winkelmann, Winkelmann, Winkelmann, Winkelmann - - -.»
     Und dann dürfen Wir denken im «realen Leben»: «Lege deine Hand leise auf mein Knie - - -. Ich werde nicht zucken - - denn Du bist der Mann, der Grosse, der Zwingende - - und ich bin das Weib.» Ah- -Winkelmann! Fernstehender! Wie nah bist Du!»
     Der grosse Musiker, Philosoph und Denker stützte die Elbogen auf den Tisch und sah dem jungen Weibe in's Gesicht.
     Sie fühlte seinen Blick - -.
     Da kam die Briesrose im holländischen Safte- -.
     Er nahm den grossen Löffel und übergoss die weissen Stückchen auf ihrem Teller mit der gelben duftenden Crême.
     «Gut?!» fragte Er, wie eine Mutter ihr Baby.
     Er hätte sie gern auf seinen Schoos genommen und ihr mit einem Löffelchen die kleinen saftumhüllten Briesstücke in's Mäulchen gesteckt- - -.
     «Danke» sagte sie.
     «Das Weib», dachte Er, «das Weib - - -! Musik und Heldenthum - -. Wir bleiben doch Wir. Aber so einem jungen Geschöpfe zuzuschauen essen und sie unter seiner Obhut zu wissen - - - da verliert man sich! Es ist wie ein innerer Rausch. Alle Gedanken sind weg. Da wird man ein kindlicher naiver Held und möchte sie auf starken Armen durch die Welt tragen - - -. Bettler sind Wir - - -!»
     Sie aber wusste Nichts von alledem.
     Sie sass da und ass - - -.
     Dann lehnte sie sich zurück und dachte an ihren Helden - - -.
     Der Cid - - Herr Winkelmann!
 

Ecce Domina!

     In diesem kleinen Café-Zimmer, refuge de la vie, erscheint sie Abends, wie eine sanfte milde Prinzessin.
     Wie ein Land-Kirchlein wird es!
     Die Gespräche verstummen - - -.
     Lächelnd fühlt sie: «Meine Herren, oh meine Herren, ich kenne Euch nicht, warum verneigt Ihr Euch tief vor mir?!»
     «Albert, die Herren verneigen sich - - -!?» Albert: «Ich sehe Nichts, Liebe, Niemand verneigt sich - - - -.»
     Wie ein Land-Kirchlein wird es!
     Die Gespräche verstummen - - -.
 

Am Lande

     Anita und Albert sitzen Nachmittags in der Veranda in ihrer See-Villa.
     Die Veranda funkelt in rubinrothem Weinlaub. Albert raucht «Henry Clay, Perfectos», liest «Zola, Germinal».
     Die Dame blickt in den See-Garten.
     An den Büschen hingen rothe durchschimmernde Beeren und schwarze undurchsichtige. Kleine Vögel, Schwarzblattl'n verliessen lautlos einen Zweig, verschwanden lautlos. Die Wiesen waren lila getupft mit Herbstzeitlosen. Die Buchenzweige waren wie feine braune Netze, ausgespannt auf hellblauem Untergrunde. Braune Blätter baumelten daran wie müde eingeschrumpfte Schmetterlinge. Von den Nussbäumen regneten Blätter langsam herab - - -. Die Dame fühlt: «Das Adieu-sagen der Natur - - -!»
     Die Dame blickt auf den See hinaus.
     Der See:
     5 Uhr: blinkend wie scharfgeschliffene Toledaner- Klingen im Gefecht. Das Höllengebirge ist wie leuchtende Durchsichtigkeit.
     6 Uhr: hellblaue Teiche und Streifen in bronzefarbigem Wasser. Das Höllengebirge wird wie rosa Glas.
     ½ 7: Citronen-gelber See vom Sonnen-Scheiden, ein Hauch von Lila, wie Heliotrope-Dunst. Das Höllengebirge wird wie Amethyst.
     7: kupferrothe und flaschengrüne Streifen und Teiche in grauem Wasser. Das Höllengebirge erbleicht - - -.
     Der Bankdirektor schliesst sein Buch, macht ein kleines Eck als Merkzeichen. Er denkt: «Germinal-! Das ist die erste Stufe, der Keller der Menschheit, Arbeit unter der Erde und wenig Seele - - -. Wir sind die zweite, Arbeit ober der Erde und etwas Seele - - -. Anita ist die dritte Stufe, keine Arbeit, über der Erde und überschüssige Seele - - -.»
     Er berührt sanft die Hand seiner Frau, sagt lächelnd: «Komm' zurück - - -.»
     Dann geht er hinein, schliesst leise die Glasthür der Veranda.
     ½ 8: Der See ist wie Blei, wie eingedickt. Das Höllengebirge ist weissgrau, wie eine ohnmächtige Jungfrau.
     8: ein kleiner runder Teich fern am See flimmert wie Silber: «Bonsoir» des Mondes - - -.
     «Tragen Sie das Souper noch nicht auf, Marianne - -» sagt der Gatte drinnen zu dem Stubenmädchen, «wir warten - - -.»