BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hans Beimler

1895 - 1936

 

Im Mörderlager Dachau

 

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„Der Kerl lebt noch!“

 

Was wird wohl jetzt kommen? war der einzige Gedanke, der mir aber auch zugleich die Kraft gab, auf neue Quälereien, ja auf alles gefaßt zu sein, denn sie hatten sich so richtig in Wut geschlagen, und die Lust zu Bestialitäten schien größer zu werden. Dieses Loch, dachte ich, wirst du wohl nicht mehr lebendig verlassen. Als man dann sagte: „Nimm den Hut und Mantel“ stieg die Hoffnung wieder etwas. Nun faßte mich der SS-Mann, welcher mich vorher mit dem „Achter“ in die Kammer geführt hatte, unter den linken Arm und schob mich neben sich her, die beiden steinernen Treppen zum „Weißen Saal“ hinauf. Die ganze SA-Horde war oben im Saal noch an der Treppe versammelt und hatte sich wahrscheinlich während der ersten Schlägerei ein Vergnügen daraus gemacht, zuzuhören, wie die Gummiknüppel auf einen Menschenleib klatschten. Als sie meiner ansichtig wurden, ging das Heulen aufs neue los und entfachte eine Pogromstimmung. „Ja, der Kerl lebt noch?!!“ brüllte einer, ein anderer schrie dazwischen: „Schlagt'n doch tot!“ Außerdem eine Unzahl Schimpfworte, die nur solchen Bestien eigen sind. Sie hatten sich spaliermäßig aufgestellt, und ich mußte so eine Art Spießrutenlaufen machen. Als ich, beziehungsweise wir, so ziemlich in der Mitte des Saales waren und sich das Geschrei immer mehr steigerte, hatte ich nur noch einen Gedanken: „Jetzt werden sie dir wohl von hinten noch eine 'reinjagen!“ Ich war darauf gefaßt; bei jedem Schritt, den ich machte, glaubte ich, es sei mein letzter. Sie taten es doch nicht. Aber einer hatte den „Mut“, mir mit aller Wucht mit der Spitze seiner Henkerstiefel einen Tritt gegen das Steißbein zu versetzen. Hätte mich mein „Führer“ nicht am linken Arm gefaßt und neben sich hergeschoben, ich wäre am Boden gelegen. Ich kann sagen: die Schmerzen von der Schlägerei und durch den Stoß waren unausstehlich, und doch habe ich erleichtert aufgeatmet, als ich die Tür zum „Weißen Saal“ hinter mir zuschlagen hörte. In der Abteilung 6/A wurde ich in ein Zimmer geführt, auf dessen Tür ein Schild mit der Aufschrift: „Vorstand (oder Abteilung?) für Schutzhaftfragen“ angebracht war.

Kaum hatten wir das Zimmer betreten, und der anwesende „Beamte“ mit Hakenkreuz wurde meiner ansichtig, kam er sofort auf mich zu und sagte: „Ja, Herr Beimler, was fehlt Ihnen denn? Ist Ihnen nicht gut oder was haben Sie denn? Setzen Sie sich nieder“, sagte er, wohl wissend, daß ich gar nicht sitzen konnte. Gleichzeitig stellte die anwesende Stenotypistin einen Stuhl vor mich hin. Da mir nach wie vor der Schweiß von der Stirne triefte und wieder alles schwarz vor den Augen wurde, kauerte ich mich trotz heftiger Schmerzen an die äußerste linke Kante des Stuhles und stützte mich mit dem Unterarm auf den neben mir stehenden Schreibtisch. Nach ungefähr fünf Minuten bedeutete man dem „Führer“, mich abzuführen, ohne noch irgend etwas zu sagen. Ich bin der Ansicht, daß man mich nur deshalb in dieses Zimmer gebracht hat, damit der „Herr Vorstand“ sich selbst überzeugen konnte, daß ich die „richtige Lektion“ erhalten hatte. Dieses Mal waren wir sehr rasch im Aufnahmezimmer des Gefängnisses. Ich mußte dort wieder meine Taschen leeren, und ein Gefängniswachtmeister kontrollierte meine Taschen, ob ich auch alles auf den Tisch gelegt hätte. Währenddessen schimpfte und räsonierte ein anderer; ziemlich beleibter Aufseher über die Kommunisten, in denen er Menschenfresser und die bestialische verbrecherische Veranlagung witterte, die von den braunen Mordsoldaten an denselben Kommunisten praktisch ausgeübt wurde. Es war einer jener Beamten, die in der Zeit der bayrischen Räterepublik ebenso wütend auf die Weißgardisten des Generals Epp geschimpft hatten, das heißt sich, je nachdem die Macht in der einen oder der anderen Hand liegt, sofort mit dem neuen Machthaber „gleichschalteten“. Ausgerechnet dieser Dickwanst brachte mich in die im 4. Stockwerk gelegene Zelle 44. Es war eine sogenannte Sammel- oder Gemeinschaftszelle, in der bereits vier andere Parteigenossen – von denen ich nur den Genossen Erich Olschewski erkannte, dessen alter Vater schon wochenlang im Gefängnis Landsberg in Schutzhaft gehalten wurde – festgesetzt waren. Da ich, auf der Holzpritsche liegend, mich vor Schmerzen krümmte und nicht in der Lage war, viel zu sprechen, standen die Zellengenossen um mich 'rum und redeten auf mich ein, ich solle ihnen doch sagen, was mit mir geschehen ist. Ich bat sie, mir beim Ausziehen der Jacke und Weste behilflich zu sein. Nachdem die Hosenträger gelockert und die Hose von einem Genossen heruntergestreift worden war, machten alle einen Aufschrei des Entsetzens, als sie sahen, wie mein Körper zerschunden war.