BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hans Beimler

1895 - 1936

 

Im Mörderlager Dachau

 

____________________________________________________

 

 

 

„Der Strick steht Ihnen zur Verfügung“.

 

Vierzehn Tage strengen Arrest, dachte ich mir, das kann ja „recht“ werden. Während ich so auf der Kante der primitiv zusammengezimmerten und das einzige Inventar bildenden Holzpritsche sitzend über mein weiteres Schicksal nachdachte, wurde die Tür meiner Zelle aufgestoßen und drei SS-Männer mit den Händen auf den Rücken, an der Spitze Steinbrenner, traten ein mit den Worten: „Jetzt haben wir dich, Hetzer, du Landesverräter, du Arbeiterverräter, du Bolschewistensau, du Bonze.“

Steinbrenner schlägt mich dabei einige Male über den Kopf und die Schultern. Nachdem er sich mit dieser Prozedur genügend in Wut geredet hatte, brüllt er mich an: „Zieh deine Jacke aus! Laß die Hose runter!“ Und auf die Holzpritsche zeigend: „Leg dich 'nüber!“

Da ich der Aufforderung nicht gleich nachkam, packte er mich mit der rechten Hand am Nacken und warf mich über die Kante der Pritsche. Währenddessen hatten sich die anderen beiden auf der rechten Seite aufgestellt, und nun schlugen die Hunde wieder solange auf mir herum, bis ich mich nicht mehr rührte. „Wir helfen dir schon für deine Hetzereien, steh auf!“ Kaum war ich aufgestanden, schlug er mich mit seinem Ochsenfiesel, von dem schon ganze Fetzen weghingen, noch ein paarmal über die Schulter. Dann stieß er mich in die Ecke und fragte mich: „Willst du jetzt zugeben, daß du die Arbeiter verraten hast?“

Ich antwortete ihm: „Wenn ich jetzt vielleicht aus Angst vor weiteren Schlägen zugeben würde, daß ich die Arbeiter verraten habe, dann wär' ich nur wert, auf der Stelle erschlagen zu werden.“

Ich glaubte, nun wird eine neue Prügelei losgehen, doch sie ließen von mir ab. In wenigen Minuten hörte ich schon das Schlagen und Schreien in einer anderen Zelle. Es war Hunglinger, auf den sie anscheinend eine besondere Wut hatten. Er war, wie er selbst sagte, seit 1920 Mitglied der NSDAP und spielte auf der Führerschule der Nazis in München eine große Rolle. Er hatte sozusagen das „Vertrauen des Führers“. Als die Nazis am 10. März die Polizeiakten nach der Machtübernahme in Bayern in ihre Hände bekamen, soll sich angeblich herausgestellt haben, daß Hunglinger während seiner Tätigkeit in der Hitlerpartei der politischen Polizei Berichte lieferte. War er doch selber Polizeimajor. Jedenfalls haben sie ihn fürchterlich geschlagen, denn noch lange, nachdem die „Helden“ den Raum verlassen hatten, hörte ich das Stöhnen. Eine halbe Stunde mag vergangen sein, und schon wieder geht die Türe auf. Der Verwalter Vogel, der „Verantwortliche“ für das, was in der Baracke, in der die Zellen sind, vorgeht, steht vor mir.

„Haben Sie eine Bitte, einen Wunsch oder eine Beschwerde?“ war seine an mich gerichtete Frage. Mein Haß und mein Abscheu vor der Mörderbande war zu groß, als daß ich mich dazu erniedrigt hätte, eine Bitte oder einen Wunsch zu äußern. Eine Beschwerde? Ich hatte keine Lust, mich verhöhnen zu lassen. „Keines von den dreien“, war meine Antwort. Nun überreichte er mir einen zwei Meter langen Kälberstrick von der Stärke eines Fingers und forderte mich auf, denselben am kleinen Wasserleitungshahn aufzuhängen. Nach kurzer Überlegung nahm ich den Strick in die Hand und – überlegte wieder. „Ja, ja“, sagte er, „steigen Sie nur auf das Bett und hängen Sie den Strick an den Hahn ...“

Ich stieg auf die Holzpritsche und hängte den Strick mit der am dickeren Ende eingeflochtenen Öse an den Hahn. Nachdem ich wieder heruntergestiegen war, gab er mir folgende Weisung: „Wenn in Zukunft wieder jemand die Zelle betritt, haben Sie eine militärische Haltung einzunehmen und zu sagen: ‚Der Schutzhaftgefangene Beimler meldet sich zur Stelle‘, und“ – auf den Strick zeigend – „sollten Sie irgendwelche Zweifel bekommen, dann steht er Ihnen zur Verfügung.“