BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hans Beimler

1895 - 1936

 

Im Mörderlager Dachau

 

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Der „12. Geburtstag“.

 

Die Situation war also für mich keine gute. Ich mußte erkennen, daß die Mörderbande daran festhielt mich entweder doch noch so weit zu bringen, daß ich selbst Hand an mich legte, oder aber mich in kürzester Zeit ermorden werde. Da ich nun unter allen Umständen Zeit gewinnen wollte und mußte, um in der Nacht den Fluchtversuch zu wagen, hielt ich es nicht für zweckmäßig, aufs neue zu erklären, daß ich nicht zum Mörder am eigenen Leibe werden will. So erklärte ich dem Mörder Steinbrenner, als er mich nochmal fragte, nachdem er mir die Schlinge über die Schulter gelegt hatte, „ob's nun gemacht wird“: „Heute möchte ich das nicht machen!“

„Warum nicht?“ fauchte er mich an. Ich erwiderte: „Heute hat mein Sohn seinen 12. Geburtstag und wird vielleicht zu Hause bei seinen Großeltern eine kleine Freude haben; sie wird nicht so groß sein, da Vater und Mutter im Gefängnis sitzen. Ich möchte nicht haben, daß mein Junge jedesmal an seinem Geburtstag daran erinnert werden soll, daß sein Vater an diesem Tag Selbstmord begangen hat.“

„Das ist eigentlich ein plausibler Grund!“ erwiderte darauf mein Peiniger. „Ich will das dem Kommandanten sagen, damit er dir bis morgen Gnadenfrist gibt, aber du mußt mir dein Ehrenwort geben, daß du es dann bis morgen früh um sieben Uhr erledigt hast.“ Als er mir bei diesen Worten seine Henkershand reichte, damit ich ihm sozusagen mein Ehrenwort in die Hand gäbe, konnte ich mich trotz gebotener Vorsicht, um mein Ziel zu erreichen, nicht zurückhalten, ihm darauf zu antworten: „Herr Verwalter! Ich bin jetzt vier Wochen verhaftet und vom ersten Tage an war ich in Ihren Augen ein Lump, ein Landesverräter, ein Arbeiterverräter – einfach ein Verräter. Ich würde von einem Menschen, von dem ich die Überzeugung habe, daß er ein Verräter ist, kein Ehrenwort verlangen.“

Da ließ er seine Hand sinken, und verwirrt suchte er nach Worten, ganz erregt stotterte er: „Ja, ja, dann – dann gibst mir halt dein Wort!“

Ich war in einer Lage, in die sich jeder, der das alles liest, was ich erlebt und ertragen habe, hineindenken kann. Trotzdem hatte ich eine innerliche Freude, als ich sah: Ich habe den Mörder richtig getroffen! Gar nicht mehr mein Wort abwartend, verließ er die Zelle, um ungefähr nach zehn Minuten wiederzukommen.

„Also“, sagte er, „ich habe das dem Kommandanten gesagt, und er gibt dir, deinem Sohn zuliebe, weil er Geburtstag hat, bis morgen früh Zeit. Aber ich sage dir gleich: Melde dich morgen früh, wenn ich aufsperre, nicht mehr zur Stelle.“