BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hans Beimler

1895 - 1936

 

Im Mörderlager Dachau

 

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Nicht „zur Stelle“.

 

So wie Fritz Dressel wollte ich nicht sterben! Als die Mörder mich in die Zelle „4“ geworfen hatten und ich vor mir den toten Freund und Revolutionär – nackt und den linken Arm mit den drei Schnitten am Handgelenk, das Brotmesser daneben – auf dem Betonboden liegen sah, stand mir für den Augenblick der Verstand still – eben unfähig, überhaupt darüber im Augenblick zu erkennen, was das zu bedeuten hat. Mit den Händen vor den Augen wollte ich nicht wahrhaben, daß Dressel tot ist; ich faßte mich jedoch sehr schnell. Als dann der Schlüssel zum Öffnen der Totenzelle angesetzt wurde und ich mit meinem endgültigen Schluß in dergleichen Zelle rechnen mußte, da hatte ich auch schon wieder Kraft genug, um allem, was da kommen mag, ins Auge zu sehen. Die Tatsache, daß ich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit das Lager nicht mehr lebendig verlassen werde, ließ mir auch nur die Wahl, wie ich sterben wollte.

Der Genosse Götz hatte nicht ganz unrecht, wenn er mich warnte, als ich am Tage vorher schon sagte, daß ich in der Nacht „abhauen“ will. „Hans, mach das nicht!“ meinte er, „du gehst dabei drauf.“ Für mich stand aber unumstößlich fest, daß ich erstens auf keinen Fall selbst Hand an mich lege, und daß ich mich zweitens nicht grausam in dem finsteren Dreckloch erwürgen und eventuell aufhängen lassen werde, so daß ich mich entschied, auf jeden Fall in der Nacht auszubrechen und – wenn die Bande mich dabei erwischt – lieber unter ihren Kugeln sterben will. Ich wollte den Mördern auf jeden Fall die Möglichkeit nehmen, mich zu erwürgen und aufzuhängen und dazu in ihrer Hurenpresse lakonisch zu sagen „Der bekannte Kommunistenführer Beimler hat sich in seiner Zelle erhängt.“

Da ich wußte, wie eine solche Nachricht auf die Arbeiter wirken würde, so wollte ich, wenn schon kein Entrinnen mehr möglich war, daß die Außenwelt dann durch die Mörder selbst erfahren sollte: „Der Kommunist Beimler wurde auf der Flucht erschossen.“

So bereitete ich mich darauf vor.

Ohne Erregung verließ ich in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai die Zelle, um jeden Augenblick die Kugel zu erwarten. Da ich eine Reihe günstiger Umstände ausnützen konnte, gelang es mir – unter höchster Todesgefahr, auf die ich mehr vorbereitet war als auf die gelungene Flucht –, nicht nur den dreifachen Drahtverhau (der mittlere ist elektrisch geladen) zu durchbrechen, sondern auch die über zwei Meter hohe Mauer zu überwinden.

Als ich mich, für eine Sekunde auf der Mauer stehend, vergewisserte, ob mich nicht einer der drei SS-Posten bemerkt hatte, und ich das Gegenteil feststellen konnte, war mein einziger Gedanke: ob wohl der Mörder Steinbrenner und die ganze Mörderbande von Dachau ihre Genugtuung hatten, als ich am Morgen des 9. Mai weder erhängt, noch auch „Zur Stelle“ war?

So will ich abschließen. Das hier Niedergeschriebene ist nicht nur Wahrheit, sondern nur ein Bruchteil der Wahrheit, ein Bruchteil von dem, was heute in Deutschland die 60000 7) „Schutz“-haftgefangenen ertragen und heldenhaft erdulden.

Doch es geht nicht nur darum zu wissen, wie die Gefangenen all die Leiden, die Folter, die Grausamkeiten, die Bestialitäten und schließlich den Mord der braunen Armee des im Todeskampf liegenden kapitalistischen Ausbeuter-, Hunger- und Mordsystems auf sich nehmen. Es gilt die Werktätigen und Ausgebeuteten der ganzen Welt, es gilt vor allem, das deutsche werktätige Volk selbst gegen dieses Mordsystem aufzurufen, es gilt in erster Linie, die ganze Arbeiterklasse Deutschlands zum entschlossenen und mutigen Kampf gegen den Mordfaschismus und für die Freilassung aller politischen Gefangenen zu mobilisieren.