BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Max Herrmann-Neiße

1886 - 1941

 

Empörung, Andacht, Ewigkeit

 

1918

 

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Mein Gethsemane

 

Dies ist mein schwerstes Kreuz und schwerer noch als Armut, Krankheit, Dunkelsein zu tragen:

wenn plötzlich, eben als mein Herz noch voller Übermut und Zärtlichkeiten sang,

aus meinem Munde oder meinen Augen Geißeln gehn, die unser Innigstes zerschlagen,

und lassen unsern Abend leerer noch als trunkner Jähzorn oder ungelenker Zank.

 

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Aber ich weiß doch nicht und werde es mein Leben lang nicht wissen,

woher die Tränen kamen und worin ich schuldig war,

und ist auch meine Ruhe zur Nacht von Tränen verschwommen, von Reue zerrissen,

und mein Gehirn wie unfruchtbare Erde und verdorrtes Laub mein Haar,

in dem Stürme, vor denen ich hilflos bin, Stürme ohne Sinn und Ursprung wühlen,

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und bleibt nur Hoffen, daß du mir verzeihst, wie Sonne im April

über Entsagung als der heilige Geist, der alle Fieber kühlen

und alle Wunden heilen und sich an jede Lende legen will –

 

Spür' ich doch stets, und bis zum Tod nach Jahren noch,

wie jetzt in dieser Schuld, die ich nicht weiß, ganze Saaten von Glücklichsein versanken,

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wie ich mit einemmal verlassen und belastet mit unsichtbarem Joch

nichts hab', als die Geduld mehr, es zu leiden ohne feig aufsässige Gedanken,

es hinzunehmen wie alles, was aus deiner Nähe sich zu mir herniederneigt,

als mir zu Recht bestimmt, und selbst wenn Unrecht mir geschähe, so zu schweigen und ohne Wanken

mich zu erfüllen, daß ich auf die eigne Zagheit zeigen kann, wie Jesus in Gethsemane auf seine ohne Schuld zitternden Hände zeigt.