BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Ernst Ising

1900 - 1998

 

Beitrag zur Theorie des

Ferro- und Paramagnetismus

 

1924

 

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Einleitung

Uebersicht und Kritik der bisherigen Theorien.

 

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Die magnetischen Eigenschaften der festen Körper und insbeson­dere der Ferromagnetismus stellen Erscheinungsgebiete dar, die heute noch keineswegs durch die theoretische Physik vollständig aufgeklärt sind. Im Laufe der Zeit haben sich bestimmte Vorstellungen über den Aufbau der Materie aus kleinsten Magneten gebildet. Diese Elementarmagnete werden in den Atomen durch das Umlaufen von Elektronen (Ampèresche Elementarströme) erzeugt. Bei einer Reihe von Atomen wird erst durch [ein] äusseres Magnetfeld ein Moment induziert; man spricht dann von Diamagnetismus. Andere Atome besitzen dagegen ein dauernd von Null verschiedenes Moment, und die Wirkung eines äusseren Feldes besteht in einer Gleichrichtung dieser Momente. Hier haben wir para- bzw. ferromagnetisches Verhalten. Weniger befriedigend sind die Vorstellungen und Hypothesen, die man über die Anordnungs- und Bewegungsmöglichkeiten der Elementarmagnete und ihrer Wechselwirkung gemacht hat. Nach Kirwan (Gilberts Ann. 6. 391. 1800.) und W. Weber liegen in para- und ferromagnetischen Körpern im unmagnetischen Zustand die Elementarmagnete ungeordnet durcheinander, sodass ihre Achsen alle möglichen Richtungen einnehmen und nach aussen keine Magnetisierung in Erscheinung tritt. Durch ein äusseres Magnetfeld können dann alle Elementarmagnete in die Feldrichtung gedreht werden. Diese Theorie gestattet eine einfache Erklärung der Sättigungserscheinungen und der Tatsache, dass beim Zerbrechen eines Magneten in kleinere Teile wieder Magnete und zwar von der ursprünglichen Polstärke entstehen. Um jedoch die Tatsache zu erklären, dass nicht schon bei kleinsten Feldern Sättigung eintritt, wie dies bei freier Drehbarkeit der Elementarmagnete der Fall wäre, nimmt W. Weber (Pogg. Ann. 87. 167. 1852.) eine konstante Richtkraft an, die jeden Elementarmagneten in seine ursprüngliche Richtung zurückzudrehen sucht. Diese Theorie liefert nicht die richtige Abhängigkeit der Susceptibilität vom äusseren Feld und sie vermag auch die Hysteresiserscheinungen nicht zu erklären. Um letzterem Mangel abzuhelfen, machte Maxwell die Annahme, dass die Gleichgewichtslagen der Elementarmagnete dauernd geändert werden können, falls nur das angelegte Feld eine bestimmte Grenze übersteigt. G. Wiedeman hat versucht, die Richtkraft durch die Hypothese eines Reibungswiderstandes zu ersetzen.

Von all diesen willkürlichen Annahmen über Richtkräfte, Reibungswiderstand u.s.w. kann man absehen, da man, wie dies zuerst E. A. Ewing (Proc. Roy. Soc. 48. 342. 1890.) experimentell und theoretisch gezeigt hat, die ferromagnetischen Erscheinungen durch eine gegenseitige Wirkung der Elementarmagnete aufeinander zu erklären vermag. Diese Theorie findet eine gute Bestätigung in den Untersuchungen von P. Weiss (Journ. de Phys. 4(IV). 469. 829. 1905; Phys. Zeitschrift 6. 779. 1905.) an Magnetit und Pyrrhotin. Diese ferromagnetischen Kristalle sind bei tiefen Temperaturen spontan gesättigt magnetisiert. Diese Magnetisierung lässt sich durch äussere Felder in ihrer Stärke nur wenig beeinflussen, dagegen lässt sich ihre Richtung der Kristallsymmetrie entsprechend bei Pyrrhotin um je 60°, bei Magnetit um je 90° plötzlich umklappen. Ferner hat P. Weiss die Abhängigkeit der Magnetisierung von der Temperatur untersucht. Nachdem M. P. Langevin (Ann. Chim. Phys. (8) 5. 70. 1905.) gezeigt hatte, dass sich das experimentell gefundene Curiesche Gesetz für paramagnetische Gase ableiten lässt unter der Annahme freier Drehbarkeit der Elementarmagnete und eines thermischen Gleichgewichtszustandes mit Maxwell-Boltzmannscher Verteilung hat P. Weiss diese Annahmen auch für die paramagnetischen Salze als gültig angenommen, da dieselben ebenfalls das Curiesche Gesetz befolgen. (Journ. de Phys. 4(IV). 661. 1907; Phys. Zeitschr. 9. 358. 1908.) Um diese Theorie auch auf die ferromagnetischen Körper auszudehnen, hat P. Weiss angenommen, dass auf jeden Elementarmagneten ein sogenanntes molekulares Feld wirkt, das proportional der Magnetisierungsintensität ist; danach wirken auf einen bestimmten Elementarmagneten so viele der übrigen, wie zur Bildung des mittleren Momentes in seiner Umgebung beitragen, also auch verhältnismässig recht entfernte, während in Wirklichkeit nur die Nachbarn einen Einfluss ausüben werden. Trotzdem geben die Folgerungen aus dieser Theorie die Erfahrungstatsachen gut wieder. Später hat Weiss (C. R. 156. 1674. 1913.) geglaubt, auf die Hypothese der freien Drehbarkeit der Elementarmagnete, die mit unseren heutigen Kenntnissen über den Kristallbau unverträglich ist, verzichten zu können, indem er annahm, dass die Elementarmagnete um Gleichgewichtslagen schwingen, die gleichmässig über alle Richtungen verteilt sind; doch lässt sich dann nicht mehr das Curiesche Gesetz ableiten, wie O. Stern (Zeitschr. f. Phys. 1. 147. 1920.) gezeigt hat. Auf eine Möglichkeit aus einfachen plausiblen Annahmen, das Curiesche Gesetz und die spontane Magnetisierung der Kristalle abzuleiten, hat W. Lenz (Phys. Zeitschr. 21. 614. 1920.) aufmerksam gemacht, dem ich für die Anregung zu den folgenden Untersuchungen zu grossem Dank verpflichtet bin. Auf diese Vorschläge werde ich im nächsten Abschnitt ausführlich eingehen, um anschliessend die sich daraus ergebenden Folgerungen zu entwickeln.