BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Das Gelübde

 

Ausgabe des

Fritz-Gurlitt-Verlags

Berlin 1919

 

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[23]

Zweiter Aufzug

 

Das Amtszimmer des Pater Guardian.

 

Regale voll Akten und Büchern.

Betstuhl. Heiligenbilder. Schreibmaschine und Telephon.

Vormittagssonne, von welcher der diesem Maria=Hilf gegenüberliegende

St. Georgsberg mit der Straffeste Oberhaus erglänzt.

 

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Erster Auftritt

PP. Burkhardus, Guardian, und Edmundus.

Gegen Ende: Frater Max.

 

P. Guardian (der soeben zum vierten Male eine telephonische Verbindung mit dem Hotel Batauer Wolf anstrengte, mit dem Amt sprechend): Wie? (Aber dann nicht im mindesten wütend. Vielmehr mit einer wahren Engelsgeduld): So? Besetzt!

P. Edmundus (sitzt in einer Ecke und liest sein Brevier).

P. Guardian (sein Auf= und Abgehen fortsetzend und dabei weitererzählend . . . So recht von einer Reise zurück. Voll noch von seinen Erlebnissen): Dieses Innerarabien ist bis auf den heutigen Tag noch völlig unerforscht. So war unserm lieben Bruder Felix seine Frau Gemahlin also der erste Europäer, der den Fuß aus diesem dunkelsten aller Erdteile . . . glücklich . . . glücklich wieder herausgesetzt hat. Denn auf ähnliche Art und Weise gewaltsam hineinverschleppt worden zu sein: dieses Schicksal mögen bereits vor ihr welche erlitten haben. – Bei dem letzten arabischen Stamm, bei dem sie an die dreieinhalb Jahr' aufgehalten war, hat sie übrigens etwas wie die Würde eines weiblichen Scheiks bekleidet. Bloß, daß sie außerdem eben auch nur wieder «die weiße Trophäe» war, wie sie sie nannten, und welchen Namen ein Stamm vom andern mit ihr übernommen hatte.

P. Edmundus (aber weiterlesend): «Die weiße Trophäe»?

P. Guardian: «Die weiße Trophäe». Ja, Dabei . . . dabei ist sie nach unsern abendländischen Begriffen heute noch so braun wie Bronze! Alles, was ihr gestern abend in der Zeitung über sie gelesen habt, ist auf das parteipolitischste entstellt, Sie hat sich gestern, wie wir zusammen von Alt=Oetting hieherfuhren, noch maßlos darüber geärgert. Als ob sie nur ein – wenn auch recht widerhaariger – aber eben doch nur ein . . . ein . . . ein . . . ein Betthase gewesen wäre –! Sie: die Generalmajorstochter – geborene von Ruchti – [24] verehelichte Gräfin von Hilgartsberg –! Natürlich hatte sie auch – milde ausgedrückt – Haremspflichten, Haremspflichten.

P. Edmundus (aber weiterlesend): Haremspflichten!

P. Guardian: Haremspflichten. – Das hinderte aber nicht, daß die braunen Burschen sie gleichzeitig als einen weiblichen Bismarck oder Cecil Rhodes verehrten! Und gerade deshalb, weil sie unter jenen ewig kriegerischen Leuten von moderner Strategie sowohl etwas verstand, als auch in Friedenszeiten ein wenig staatsreformatorisch zu wirken versuchte: eben deshalb hat der letztere Häuptling dann auch ein so rasendes Lösegeld verlangt. Und siehst du: weil diese Tatsache auch unsern deutschen, bislang ja noch gemäßigten Frauenrechtlerinnen einiges Wasser auf ihre Mühle sein könnte, darum haben die Zeitungen das alles völlig totgeschwiegen und verbreiten lieber diese einzig und allein nach einem arabischen Haremszelt duftende Geschichte! (Wütend): Dieses . . . dieses Märchen aus . . . aus – grob gerechnet – dreitausendundeiner Nacht! – Das Regierungs=Organ, die Bayerische Staatszeitung, hat diese Legende am allerersten aufgetischt . . . und so drucken's natürlich selbst auch unsere Zentrumsblattl'n nach! (Stehenbleibend): Aber i' glaub gar, du liest in dein'm Brevier, während i' dir das all's erzähl' –?

P. Edmundus (ohne aufzusehen): Ich lese den für heute bestimmten Abschnitt aus unserer Kirchengeschichte, – Das . . . das . . . das verleiht mir immerhin ein wenig Gegengewicht!

P. Guardian (stark akzentuierend): Sie hat es mir selber erzählt: «Als der Scheik einsah, daß nichts mich mehr bei ihnen halten könnte . . . als es mir nach unsäglichen Anstrengungen gelungen war, über den deutschen Konsul in Aden die türkische Regierung zu benachrichtigen und endlich, endlich die Unterhandlungen eingeleitet wurden –: da forderten sie das Lösegeld in einer solchen nicht auszudenkenden Höhe, um mir auf ihre Art zu beweisen, wie unendlich wert ich ihnen geworden war!» Eine echt morgenländische Auffassung von Kavaliertum! Aber das war dann wieder nicht unsympathisch von den Herren Muselmännern: als endlich der eine von den fünf Brüdern der Gräfin mit nur einem einzigen Regierungsvertreter in seiner aus eigenen Mitteln zusammengeworbenen, ziemlich militärischen Karawane ankam, um seine Schwester abzuholen, da wollten die Wüsten=[25]söhne nicht einmal eine Summe in einer Höhe von ihm annehmen, wie man sie für eine dreieinhalbjährige Pension hier bei uns im Okzident selbst in jeder kleineren Stadt überall hätte bezahlen müssen! Im Gegenteil: man überhäufte die Scheidende mit Abschiedsgeschenken, und sie schleppte wohl zwanzigmal mehr Gepäck mit in ihre Heimat, als sie einst auf ihre ausgedehnte Hochzeitsreise um die ganze Welt mitgenommen hatte! Wenn man ihren eigenen Angaben glauben will – und sie will ja auch das meiste Mitgebrachte bayerischen Museen überweisen, – so muß ihr Zug dann zurück durch die Wüste annähernd dem der Königin von Saba geglichen haben! (Und da aber geht er ans Telephon und läutet, und es meldet sich auch sofort das Amt): Bitte schön . . . Vielleicht gelingt's uns jetzt endlich, zum fünften Male. . . Ich möchte die Nummer vom Hotel Batauer Wolf . . . Numero sieb'nzehn, ganz recht . . . Es wird nämlich nach gerade äußerst dringend . . .

(Stille. Dann):

P. Guardian: Wie? – Also . . . is' dort der Batauer Wolf? – Hier Pater Guardian vom Kloster Maria=Hilf. Ich möchte die gnädigste Frau Gräfin von Hilgartsberg sprechen. Ja – ja – eben die Dame, die ich gestern abend zu Ihnen ins Hotel 'bracht hab'. Ist sie schon auf? Nun, das will ich meinen! Ich danke schön – ja, ja – ich warte hier solange am Apparat –

(Wieder Stille.)

P. Guardian: Weißt du net, ob dieser alte Herr Bezirksgeometer Pfaffinger bereits aufg'stand'n is'?

P. Edmundus (immer weiterlesend): Nein . . .

P. Guardian (behält den Hörer am Ohr, aber bedeckt die Sprechmuschel mit der Hand. Und unwillkürlich leiser als zuvor): Ihr erster Gang, kaum daß sie mit ihrem Bruder in München bei ihren Eltern angekommen war . . . ihr allererster Gang war . . . zum Zahnarzt –! Das glitzt nur so von lauter Goldplomben in ihrem Mund! – Ich weiß das von ihrem Bruder, der gestern mit in Alt=Oetting g'wes'n is', daß sie nicht eher unter die Leute – ja, nicht einmal zu ihren nächsten Verwandten zu bringen war, als bis daß ihr Gebiß wieder tadellos in Ordnung – (Er horcht.)

P. Edmundus (unterm Lesen): Schönheitspflege . . . [26]

P. Guardian (eifrig): Sie ist schön! Wie ich sie zum erstenmal sah, da dacht' ich: den Mund voller lauter Goldklümpchen hätte ihr wohl einer ihrer arabischen Häuptlinge – und sei's unter Anwendung von Gewalt! – anfertigen lassen, – Na ja – mir war doch so, als hätt' ich einmal gelesen, daß sich schon die alten Ägypter auf die Kunst des Zahnplombierens verstanden hätten – (Er horcht wieder.)

P. Edmundus (lächelt): Hm. (Aber liest weiter.)

P. Guardian: In unserm Kloster in München, in das unser lieber Bruder Felix seinerzeit eingetreten ist, da ist die Gräfin vergangenen Samstag in Begleitung eines Gerichtsvollziehers erschienen – (Aber da muß er rasch die vorhaltende Hand von der Sprechmuschel nehmen): Ja, hier Pater Guardian, – Gnädigste Frau Gräfin selbst? – Guten Morgen, gnädigste Frau Gräfin! Wie steht Ihr wertes Befinden? (Mitfühlend): Das kann ich sehr wohl verstehen! Wie? (Nickend): Ja, ich lasse Ihren Herrn Gemahl zu mir kommen, sowie er fertig mit Messelesen ist. (Geläut draußen): Soeben läutet's bereits heilige Wandlung. (Er bekreuzigt sich und schlägt dreimal an die Brust, P. Edmundus übrigens desgleichen. – Sodann): Können gnädigste Frau Gräfin das Glockenzeichen nicht durch den Draht hindurch hören? (Bedauernd): Ach ja, hier sind ja die Fenster zu. (Schüttelnd): Nein, nein, Ihr Herr Gemahl weiß noch von nichts. Nein. (Freudig billigend): Das will ich meinen! Also – bitte – bitte sehr – ich bitte recht sehr – – auf Wiedersehen (Er horcht noch etwas und sagt dann, eh' er den Hörer abnimmt und anhängt) Schluß. . .

(Wieder kurzes Geläute. Die beiden schlagen wieder dreimal an die Brust und bekreuzigen sich.)

P. Edmundus (zutiefst von innen heraus und aufstehend dabei): Ich bin seinerzeit beim Bruder Felix seinem ersten heiligen Meßopfer dabeig'wes'n . . . ich wär' zu gern auch bei diesem seinem – seinem letzten zugegeng'wes'n –!

P. Guardian (mit Bestimmtheit): Ich habe dich dazu ausersehen, Bruder Edmundus, die Gräfin zu empfangen. Sie hat mir übrigens grad g'sagt, es wäre nicht eins von den beiden Mietsautos, die's drunten in der Stadt gibt, aufzutreiben. Sie will mit einem Zweispänner heraufkommen.

P. Edmundus (in der Nähe eines Fensters): Aber . . . was hast du [27] g'sagt? Sie wär' in unserm Münchener Kloster in Begleitung eines Gerichtsvollziehers –?

P. Guardian: Ja. – (Lustig): Aber – wohlgemerkt – erst, nachdem sie sich die Zähne vollständig plombieren hatte lassen! (Wieder ernster): Nun – als das überhaupt erste Lebenszeichen von da drunten irgendwie durch den deutschen Konsul oder was weiß ich zu ihren Eltern nach München gelangte, da erfuhren wir vom Kloster noch kein Sterbenswörterl von allem. Und der Bruder der Gräfin befand sich längst schon in Konstantinopel oder wo, als der Herr Generalmajor es endlich für notwendig erachtete, ein paar wenige Zeilen an seinen Schwiegersohn zu richten, die man aber unsererseits für eine pure Mystifikation gehalten hat. Eine sehr . . . sehr geraume Zeit darauf kamen Telegramme von der Gräfin selbst von da drunten irgendwo an ihren Mann per Adresse Kapuzinerkloster München – und diese Depeschen beförderte der Herr Pater Guardian in München sogleich an den Pater Provinzial in Alt=Oetting. Kurz und gut: nachdem all die Depeschiererei nichts gefruchtet hatte und selbst dann noch nicht die mindeste Antwort vorlag, als die Gräfin bereits in München eingetroffen war – da ging sie von ihrer letzten Sitzung beim Zahnarzt stante pede zu Gericht. Sie beantragte eine Feststellungsklage gegen unsern Orden, eine Klage auf Wiederherstellung der Ehe gegen ihren Gemahl, und drängte auf – zumindest – eine einstweilige Verfügung. Und da sie ja erstens einmal eine nicht einmal so weit entfernte Nichte des bayerischen Justizministers ist und zweitens niemand von unserm Orden auf eine noch so eilige Ladung reagiert hatte, so führte man irgendeinen gänzlich überflüssigen Gerichtsbeschluß herbei und gab ihr obendrein noch einen Gerichtsvollzieher mit auf den Weg. Sie dachte übrigens, noch als sie in Neu=Oetting ankam, ihr Mann würde von unsern Oberen irgendwie mittelalterlich festgehalten . . . umso größer war ihre Verwunderung, wie ich ihr sogleich aufm Bahnhof g'sagt hab: ‹Er weiß überhaupt no' vo' nix!

P. Edmundus: Seit wann . . . weißt du davon?

P. Guardian (lächelnd): Seit . . . dreizehn Monaten!

P. Edmundus (soviel wie möglich an sich haltend): Das is' wahrhaftig ein Stück Mittelalter von euch g'wes'n, die Klausur in bezug auf [28] solche Briefe oder Depeschen so peinlich streng gehandhabt zu wissen –

P. Guardian: Der Pater Provinzial wollte – und das war sein gutes Recht! – den Lebend=Beweis angetreten sehen . . . das heißt: die Gräfin sollte mit leicht zu beschaffenden Papieren selbst kommen, und dann hätte sie ihren Mann in derselbigen Viertelstunde in aller Güte ausgeliefert erhalten! Und außerdem hab'n wir unsern lieben Bruder Felix auf die Art vor einem langen, bangen Herwarten verschont – bis er eben vor der vollendeten Tatsache zu stehen vermag!

P. Edmundus: Ich glaub' aber eher, daß sich Bruder Felix lieber langsam darauf vorbereitet hätte –

P. Guardian: Nein! Sondern der wär' auf die erste unverbürgt feste Nachricht hin mit dem nächsten Blitzzug nach der Türkei 'nunterg'saust – wie du auch in seinem Fall – und so wie ich – und wie ein jeder! – So lebte er in seinem Gottesfrieden weiter . . . bis sie nun kommt und sich'n holt . . . Ich dachte übrigens, sie wäre unbeschreiblich glücklich darüber, daß sich alles derart gefügt hat, daß sie ihren Mann die ganzen neun Jahre über als in einem Kloster aufg'hob'n g'wes'n vorfindet. Wo sie ihn doch überhaupt's tot glauben mußte, bis ihr Bruder mit der Freudenbotschaft kam: er lebt! Aber mir scheint im Gegenteil, wie wenn's ihr lieber g'wes'n wär', er hätt' sich . . . ein zweit's Mal verheiratet. Na ja – unberechenbar wie so Frauen eben sind . . .

P. Edmundus (denkt erst über das Gehörte nach. Dann): Ich glaub', ich kann's versteh'n –

P. Guardian (überrascht): Was?

P. Edmundus: Nun, eben dieses Wunschgefühl ihrerseits, daß ihr Mann annähernd so etwas erlebt haben möchte, als wie sie selber zur Genüge und über Genüge durchgemacht hat, Sie tnöchte lieber, daß ihr Mann wenigstens einmal mit einer andern verheiratet g'wes'n wär – wo sie, wenn auch gezwungenermaßen, mit so viel andern Männern –. (Er befreit sich von dem Gedanken): Jede zweite Ehe ihres Mannes, denkt sie, wär' ja in dem Augenblick doch ungültig, in welchem sie als erste Frau wieder auf der Bildfläche erscheint.

P. Guardian: Aber . . . aber . . . und wenn sie mit ganz Arabien [29] in dieser Zwischenzeit – gezwungenermaßen! – etwas g'habt hätt', so wäre das immer doch nur purste force majeure g'wes'n, und ihre Ehe würde vor jedem deutschen Richter nichtsdestoweniger als immer noch zu Recht bestehend anerkannt werden – über diesen Punkt hat sie sich wohlweislich ebenfalls zuvor genau erkundigt!

P. Edmundus: Immerhin ergibt sich für mich daraus, daß sie ein lebendigeres Gefühl für diesen Zwiespalt hat, als wie der Richter, der nach dem toten Buchstaben des Gesetzes urteilt: sie fühlt sich schuldiger, als wie sie die Meinung aller andern hält!

Frater Max (tritt ein. Unter Glockengeläute): Die Messe ist aus.

P. Guardian: Hast du's ihm schon ausg'richt't?

Frater Max: Herr Pater Felix geht soeben in die Sakristei.

P. Guardian: Dann aber lauf, Max!

Frater Max (ab).

P. Guardian: Ja also – – lieber Bruder Edmundus, du begibst dich am g'scheit'sten sogleich auf dein'n Beobachtungsposten. Kannst ruhig auch dort dein Brevier weiterles'n. Und – sowie du den ersten Zweispänner die Straß'n herauf erblickst . . . ein Auto, hat sie g'sagt, war ja nicht aufzutreib'n . . . (Er geht mit P. Edmundus zum andern – bisher noch nicht benutzten – Ausgang.) Wie g'sagt: der erste Einspänner – oder Zweispänner . . . (Sie sind an der Tür.) Bruder Edmundus, tut's dir denn gar so sehr weh, deinen Freund Felix verlieren zu müssen?

P. Edmundus (steht im Rahmen der Tür – in der Richtung zum Ausgang – also mit dem Rücken zum Zuschauer. Er antwortet nicht. Aber da zucken seine Schultern ein paarmal, und man hört ein leises Schluchzen – nur ein einziges – und er faßt nach der Hand des P. Guardian und drückt sie fest, ohne sich noch einmal umzukehren, und geht hinaus).

 

 

Zweiter Auftritt

P. Guardian. Bald darauf: P. Felix. Zwischenein: Frater Max.

 

P. Guardian (ist zu einem Betstuhl gegangen, der auch hierherinnen nicht fehlen mag, und hat sich hingekniet und wirkt nun, wie er ein stilles Gebet mit hochgefalteten Händen betet, wie die Abbildung eines Klosterheiligen. Doch da hört er etwen kommen und steht auf).

Frater Max (erscheint mit Kaffee in schönem Porzellan, mit Brötchen, Butter, Honig und Marmelade. Stellt's auf einen Nebentisch und sagt): Ich hab Frater Michael nach der Sakristei geschickt, (Und geht wieder.) [30]

P. Guardian (dem es jetzt erst einfällt, nach noch etwas zu fragen, ruft nach): Max! (Aber er resigniert eigentlich unterm Rufen schon. Und in der Tat: er bleibt ungehört.)

(Stille.)

P. Felix (tritt ein).

P. Guardian (schneidet ihm jede Anrede ab): Hast du nix g'hört – ist der Bezirksgeometer Pfaffinger schon aufg'stand'n? (Und geht ihm nun entgegen und gibt ihm die Hand): Ja also – du sollst dein'n Kaffee hier bei mir trink'n. (Und beinah' führt er ihn wie einen Knaben zum Nebentisch): So . . .

P. Felix (setzt sich aber nicht, sondern gießt sich stehend Kaffee aus der Kanne in die Tasse und tut auch weder Milch noch Zucker dazu, sondern trinkt das so heiß wie es ist in einem einzigen Zuge aus. – Sodann): Du hast . . . diese Nachricht da in'n Zeitungen . . . natürlich ebenfalls bereits g'les'n?

P. Guardian: Schon vorgestern. In Alt=Oetting. Aber genau die gleiche Notiz. Sie geht durch alle möglichen Blätter.

P. Felix: Und . . . amüsiert . . .! Was? Anders, als wie nur eine bloße Anekdote. Sie geht einen irgendwie an, meint man, nicht? Man wird wider Willen irgendwie mit hineingezogen, ja? Eben sehr g'schickt g'macht, net wahr? Oder . . . oder hast du dem Zeugs etwa auch nur einen Aug'nblick weitere . . . na ja, auf mich bezügliche Bedeutung beig'legt?

P. Guardian: I' hab's selbst net g'fund'n. I' bi' eig'ns drauf hi'g'wies'n wor'n. Durch Pater Willibald – Auwärter, glaub' i', schreibt er si'. Du kennst'n. Ihr zwei seid's mitsamm' eingekleidet wor'n. Und der nun hat sogleich an dich denken müssen, wie er's g'les'n hat. Und es hat ihm einfach kei' Ruh' mehr g'lass'n.

P. Felix: Genau so hat sich bei mir nun einmal – seit dem gestrig'n Ab'nd – dergleichen in'n Kopf g'setzt. (Er gießt sich wieder ein und trinkt.) Daß es vielleicht doch möglich sein könnte –! Mit ein'm Mal hat da etwas ang'fangen, sich rein wie auszukristallisier'n . . . ich kann's net anders nennen . . . (Er setzt die Tasse klirrend hin.) Denn . . . das mußt du doch selber sag'n . . .: Kann die Klausur nicht ausnahmsweise einmal so streng gehandhabt wer'n, daß es wirklich möglich sein könnte, daß mir zum Beispiel nun einfach alle diesbezüglich'n Briefe oder Telegramme seit Monaten vorenthalten wurden? [31]

P. Guardian: Ausnahmsweise? – Das heißt: in einem besonderen Fall? – Na natürlich!

P. Felix: . . . Oder aber: mein Schwiegervater hätte es bis jetzt noch nicht für nötig befunden, mich auch nur das geringste davon wiss'n zu lass'n!

P. Guardian: Hm.

P. Felix: . . . Oder diese dritte Möglichkeit: meine Frau selber wüßte längst, daß ich gleichfalls damals mit dem Leben davon'kommen bin. Nur . . . sie würde sich einfach nicht im mindesten mehr um mich kümmern.

P. Guardian: Oh! Da könntest du aber fein auf Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft klag'n!

P. Felix (schweigt eine Weile. Dann): Ja also . . . das ist's, was ich von dir erfahren wollte. Meine Vorbereitung auf den Priesterstand ist damals – nicht zuletzt auf meine eigene Bitte – ziemlich eilig betrieben wor'n. Ich war – ich hab' auch danach gebüffelt! – in noch nicht zwei Jahr'n ausgeweiht. Dürfte mich unser Orden nun auf keinen Fall länger einbehalten, falls – nur bloß angenommen! – meine Frau plötzlich wieder z'rückkäme und mich ausdrücklich fordern würde?

P. Guardian: Nein, Da dürfte dich unser Orden auf gar keinen Fall auch nur eine Minute länger einbehalten.

P. Felix (läßt sich nichts anmerken, sondern schweigt nur einen Augenblick. Sodann): Nämlich . . . Bruder Edmundus und ich hab'n gestern abend noch über diesen Punkt g'sproch'n und . . . ich war zu wenig unterrichtet . . .

P. Guardian: Hat Bruder Edmundus gestern abend nicht auch fast in einem fort noch in dich hineingeredet, du sollst gleich heut' in aller Früh' ein Telegramm nach München aufgeb'n oder besser noch deinen Schwiegervater direkt antelephonier'n?

P. Felix: Ja. . . aber wie würde das aussehn! (Fest): Nein!

P. Guardian: Nämlich. . . eben war Bruder Edmundus noch einmal hier bei mir: – wenn du nicht wolltest, sollte ich es aus eig'ner Initiative tun!

P. Felix: Und. . . du hast's getan?

P. Guardian: Sowas würd' ich mir ohne deine Einwilligung niemals erlaubt hab'n! [32]

P. Felix: Ich. . . danke dir. . .

(Bisher sprach und dachte er nicht ohne einigen Rückhalt: daß ihm der Pater superior vielleicht doch irgendeine Eröffnung machen würde. Nun aber vergeht ihm diese Erwartung, die soviel Hoffnung als Befürchtung in sich barg, und er wird offener und gibt mehr von seinen Gedanken her): Ein wenig Unruhe (er gießt sich noch einmal ein und trinkt's während des Folgenden) hat mir diese gestrige Zeitungsnotiz aber doch verursacht: Das geb' ich zu.

P. Guardian (etwas scharf): Das gibst du also zu?

P. Felix: Aber nicht wie du etwa denkst. . . nicht daß ich dachte, daß diese Frau da gerade meine Frau sein müßte. Nur bloß: wenn das dieser irgendwelchen Frau da, von der gestern in der Zeitung zu les'n war, widerfahren sein könnte: ja warum denn dann der meinig'n net ebensogut –?!

P. Guardian: Ah so. Und . . . daß die deinige vielleicht heut' no' da drunten schmachtet –?! (Steht auf): Und so hast du dich g'fragt, ob du nicht vielleicht heut' noch hinunterreis'n sollst in d' Türkei und nach ihr forsch'n?

P. Felix (schüttelt – mehrere Male – ganz langsam mit dem Kopf): Nach ihr forsch'n? Das käm' heut . . . bei meiner Frau . . . viel z'spät. Es ist eine Frau anders wie die andere. Es ist nicht jede Frau so als wie diese da. Es wäre nicht jede so kurzsichtig, in ihrer bloßen endlichen Befreiung eine ausreichende Genugtuung für so viele Jahre Schmachten in Sklaverei zu sehen! Es gibt solche und solche Frauen. Diese Frau da (er zieht die Zeitung aus seinem Ärmel hervor, schlägt die bewußte Stelle auf und klatscht das Ganze verächtlich auf den Tisch) ist vielleicht geneigt zu glauben, das Phantom einer endlichen Befreiung könnt' die Tatsache einer achtjährigen Sklaverei völlig ungeschehen machen! Wie wenn überhaupt's gar nix g'wes'n wär –! (Er hält für eine kleine Weile inne und spricht dann erst weiter): Die meinige . . . die hätt' sich aufm Weg vom ersten Scheik bereits zum zweiten . . . an ihren eig'nen Haaren . . . an einer Kamelleine . . . oder an einer Zeltschnur . . . erwürgt!!

P. Guardian (starrt ihn ratlos an).

P. Felix: . . . erdrosselt!!

P. Guardian: So glaubst . . . du?!

P. Felix (unerschütterlich): Ja. – Und siehst du, Bruder Burkhardus [33] . . . daß es mit dem alleinigen Tode des Ertrinkens, den sie doch unbedingt vor Augen gehabt hatte, für sie vielleicht nicht genug gewesen sein sollte – daß das Meer sie noch einmal lebend auswarf, um daß sie dann, kaum erst gerettet, in noch viel unbarmherzigerer Weise gar Hand an sich selber legen mußte: Siehst du, Bruder Burkhardus, darüber hab' ich fast kein Auge zutun können diese ganze Nacht.

(Er zittert – wie ein Pferd – aber schon beim bloßen Ermessen der Strecke, die er so oft und oft durchlief und nun nicht mehr erkennt, ein solch' grausiges Ziel hat sich ihm über eine Nacht aufgebaut): Daß ich sie zwei Tode hintereinander sterben ließ(Aber nicht herausgeschrien, sondern wie von unerträglichen Lasten über ihm und in ihm erpreßt.)

P. Guardian (entsetzt): Du –?! (Faßt sich wieder): Was hast du getan –? (Im Ton ermutigenden und hochrichtenden Zuspruchs): Was red'st du da –? Felix –!

P. Felix (hart, bekennerisch): Daß ich auf die Art doppelt schuld an ihrem Tode bin.

P. Guardian (es treibt ihn hoch. Er geht zu ihm): Bruder Felix –

P. Felix (voll ebensolcher Anteilnahme, versichernd): Es weiß es niemand. Keiner weiß es. Gar keiner . . . gar niemand . . . Außer dem Pater Guardian in München, dem ich's einst gebeichtet hab . . . (Mit schmerzlicher Selbstironie): Aber beruhige dich doch . . . Ich hab' meine Frau nicht etwa vom Leben zum Tode befördert – so – mit der geballten Faust . . . Es war viel heimlicher – und unheimlicher . . . es is' viel hinterlistiger g'wes'n – viel feiger . . . Es war vielmehr auf eine Art, wie sie in keinem Strafgesetzbuch vorg'seh'n is' . . . Kein weltlicher Richter hätt' mi' lang ang'hört, wenn ich mit meiner Selbstanklag' zu ihm 'kommen wär' . . . Nur uns're geistlichen Ober'n hab'n mi' verstand'n . . . Es war nämlich – – Mordso – in Gedanken – (Weh): Ja, da schaugst', was?

P. Guardian: Lieber Bruder Felix –

P. Felix (mit wie nach innen gerichteten Augen): . . . I' weiß net, wo i' war, wie unser Schiff den Stoß . . . den Todesstoß empfangen hat, den wir alle längst unabwendbar vor uns g'seh'n hab'n. Wir war'n allemiteinander längst alarmiert g'wes'n, es war'n lauter kleine verzweifelte Gruppen von Zusammengehörigen, und am allerverzwei=[34]feltsten hat sich meine Frau an mich 'klammert g'habt. I' weiß, wie g'sagt, net, wo ich in dem Augenblick der Gewißheit des Untergangs g'wes'n bin, i' weiß bloß, daß i' da nimmer bei meiner Frau g'wes'n bin . . . daß i' ihr davo'g'lauf'n war. Und ich hab' mich auch später nur erinnern können, daß ich da grad ein Gelübde getan hab' . . . aber welcher Art freilich, das kann ich nicht sag'n. Vielleicht ein Gelübde, ein ganz bestimmtes, vielleicht aber auch fünfzig in einem einzigen Atem, vielleicht sogar hundert. – Jedenfalls läßt sich über die Notwendigkeit eines Gelübdes in einem solchen Augenblick streiten, und es war einfach schon feige von mir, daß ich in meiner Todesangst ein Gelübde getan hab' . . . oder hundert . . . oder tausend, statt in dem Augenblick bei meiner Frau zu sein . . . Dann hörte ich mit einem Mal: «Die Frauen und Kinder in die Rettungsboote . . !» Ich lief und lief. Ich lief, getrieben von dem plötzlichen Schuldbewußtsein, daß meine Frau ohne mich niemals in ein solches Boot gehen würde. Ich lief – hörst du? –, um meine Frau in ein solches Boot hineinzuzwingen eventuell. Aber bei diesem Gedanken angekommen, teilte sich's in mir schon wieder. Ich sah zwei deutlich verschiedene Möglichkeiten, wenn ich meine Frau in das Rettungsboot zu anderen Frauen hineinzwang. Ich sah die eine Möglichkeit, daß sie auf die Art mit dem Leben davonkäme. Aber mir täuschte sich auch – vielleicht gleichzeitig – die andere Möglichkeit vor, daß ich meine Frau dadurch loswürde und mich dann allein . . . selber . . . besser zu retten vermöchte. – (Er ist mit seinem Urteil über sich fertig): Na, und wer als Mann solche Gedanken gegenüber einer Frau aufzubringen vermag –

P. Guardian: Aber Bruder Felix, du zerstörst dich ja mit diesem unvernünftigen Klügeln –! Eine solche Zwiegeteiltheit hat jeder von uns, wofern er nur einmal in einer solch' lebensgefährlichen Situation war, schon verspürt. Das ist ja gar keine Gedankensünde, sondern das sind bloße . . . blöde . . . äußerste . . . bis zum Äußersten irritierte Spiele des Selbsterhaltungstriebs. Das ist doch kein «Gedankenmord».

P. Felix: Ah – du! – Jeder ungebildete Matrose tut in diesem Augenblick rein – ganz unverfälscht – das, was einzig eines Mannes würdig ist. Und aber ich – ein königlich bayerischer Offizier – unterlag derlei unwürdigsten Versuchungen. – Ein jeder Schiffsjunge [35] kriegt's wohl schon eingelernt, was er im Augenblick einer solchen Gefahr . . . ganz mechanisch . . . zu tun hat: nämlich die Frauen und Kinder zuerst in die rettenden Boote zu lassen. Aber ich – ich muß es heute wenigstens nachträglich annehmen – ich hab' von Anfang an unbewußt mit dem verbrecherischen Gedanken gespielt, welche Vorteile sich für mich daraus ergäben, – Ja, ich werd' es dir beweisen, Bruder Burkhardus, daß ich längst zuvor eine ganze Reihe von Verbrechen, von Gedankenverbrechen, von Gefühlsverbrechen, wenigstens unbewußt, schon begangen haben mußte.

P. Guardian (der immer mehr erleichtert aussieht von seiner anfänglich gehegten Furcht): Ich bin wirklich begierig – auf den «Beweis».

P. Felix: . . . Wie ich hörte, das Boot mit den Frauen und Kindern – es konnte nur ein einzig's abgelassen werden – sei soeben fort, da siegte das bessere Gefühl in mir und ich wünschte ihnen von Herzen glückliche Fahrt. Aber das war vielleicht auch nur wieder aus reiner Heuchelei, aus purem Vor=mir=selber=schön=dastehen=wollen, weil ich nämlich noch mitten in der Todesgefahr schwebte, ja weil sie für mich nun erst eigentlich richtig anging. – In diesen voraussichtlich allerletzten Augenblicken meines Lebens – ja! – da war ich «gut»! war ich keines bösen Gedankens mehr fähig! wünschte ich der bereits Davongekommenen keinen Tod mehr nach! war keine Spur von Neid mehr in mir darüber, daß die vielleicht gerettet wurden – – Ich sprang dann selbst ins Wasser . . . und rang und rang . . . ich wurde müde . . . wurde müder und müder und. . . ich darf wohl sagen: ich schlief auf den Wellen ein, so ohne Arges einem jeden andern zu wünschen, wie ein kleines Kind –. Aber wie ich dann, aufs Land ausgeworfen, aufgewacht bin – wie ich mich besann – mich dem Tode entronnen fand – neu das Leben in mir spürte –: da hab' ich nicht bloß so im allgemeinen über alle andern triumphiert, die sicherlich ertrunken waren, sondern im besondern auch über meine Frau, nämlich, daß ich diese so bald wieder nach unserer Hochzeit los und ledig sein sollte –. Nicht so ausgesprochen zwar. Nicht so ganz mit diesen Worten. Aber dem Sinn nach war's jedenfalls genau dasselbe. – Und wie ich dann in Aden erfahr'n hab', ich wär', abg'sehn von zwei Matrosen, tatsächlich der einzig' gerettete Passagier: wieder ein [36] paar aussetzende Herzschläge lang dieser Jubel in mir – dieser Wunsch;, daß es so sei – diese . . . ich kann's net anders sag'n als wie . . . schlimmer noch als wie mörderische Sensation: Ich bin der Einzige, der davon'kommen ist – Magst du mir auch deine Freundschaft aufkündig'n: ich hab's dir sagen müss'n, Bruder Burkhardus.

P. Guardian: Ich seh darin immer den Mord noch nicht, dessen du dich bezichtigst.

P. Felix (schier grimmig): Dann werd' ich eben noch deutlicher werden müssen: wie damals in meiner Beicht' zum Münchner Pater Guardian. – Ich hab' mir später, wie sich endlich das Gewissen in mir meldete, alles rekonstruiert, was bereits während unserer dreizehn Tage Flitterwochen in mir g'wes'n war und gestürmt hatte, eh' dann das Schiff unterging. – Ich bin zutiefst – im Allerinnersten – nie glücklich g'wes'n über meine Heirat. Nie selig, wie's so die Flitterwochen verlangen. Ich bin in meinem Unterbewußtsein sicher schon am Morgen nach der Hochzeitsnacht zu dieser schauderhaften Einsicht gekommen, daß sich in mir alles empörte gegen diese Institution der Ehe, – Im Unterbewußtsein, wohlverstanden . . . Na, und wie besonders erst gegen diese ganz entsetzliche Einrichtung einer sogenannten Hochzeitsreise! Na, und unsere Hochzeitsreise sollte ja noch dazu gleich eine Reise um die ganze Welt sein.

P. Guardian: Das ist auch ein bisserl eine lange Hochzeitsreise – so gleich um die ganze Welt . . . (Mißbilligend.)

P. Felix: Ich hatte erstens einmal einen so langen Urlaub bekommen, weil ich im Dienst mit dem Motorrad Unglück gehabt hatte. Und zweitens sollte es – auf militärischen Befehl – zugleich eine Studienreise sein, das heißt, ich sollte bei meiner Rückkehr einen ausführlichen dienstlichen Bericht mitbringen.

P. Guardian: So so. Na ja. Aber. . . (dozierend schier): eine Reise um die ganze Welt ist genau auf Tag, genauer: auf Stunde, ja genauestens: auf Minute ausgerechnet von der unternehmenden Schiffahrtsgesellschaft . . . nicht? Und da man ein Gleiches niemals mit einer Hochzeitsreise tun soll, so soll man sich eben als Hochzeitsreise niemals eine Reise um die ganze Welt vornehmen!

P. Felix (grübelnd zugebend): Dazu der unerhörte Luxus . . . in allen Hotels . . . und wie erst auf'm Schiff . . . (Leise): Und alles das auch [37] noch vom angeheirateten Geld meiner Frau . . . Ja also, ich glaub', ich hab' sie gehaßt – ich wünschte ihr schon damals den Tod unbewußt – – Und erst nach der Schiffskatastrophe, und nachdem sich endlich mein Gewissen regte, kam's mir zum Bewußtsein.

P. Guardian: Und diese Beicht' da hat der Pater Guardian in München von dir ang'nommen?

P. Felix: Und hat mich absolviert, indem er mich noch dazu gesegnet hat, daß ich infolge von allen meinen Gewissensbissen den für mich einzig möglichen Weg gesucht und gefunden habe: nämlich den ins Kloster.

P. Guardian (immer erregter – zurückgehalten empörter); Du bist also ins Kloster 'gangen, weil dich dein inneres Benehmen zu deiner Frau so sehr bedrückt hat, als wie wenn du sie gradaus ermordet hättest?!

P. Felix: Ja. Und nicht etwa, weil ich damals auf dem Schiff in höchster Todesgefahr irgendwie ein Gelübde getan hab'. – Denn das haben unsere Oberen nur so unter unsere Brüder ausgestreut, daß ich ins Kloster gegangen wär', weil ich damals auf dem Schiff zu Gott gebetet hätte: «Laß mich mit dem Leben davonkommen und ich will künftig ganz und gar dein Diener sein.»

P. Guardian (nach einigen Sekunden Nachdenkens): Du weißt, Bruder Felix, daß ich mich einigermaßen mit Psychologie beschäftige.

P. Felix: Ja.

P. Guardian: Wenn ich dir's nun schwarz auf weiß zeigen könnte, daß man in der Psychologie solch seltsame «Todeswünsche», wie sie genannt werden, längst kennt und ihnen aber bei weitem nicht die Bedeutung zumißt, die du ihnen untergelegt hast –?! Wenn ich dich nun erst, lieber Bruder Felix, ganz und gar freisprechen könnte von dieser deiner vermeintlichen verbrecherischen Tat –?! Nichts weiter als ein Assoziationszwang  ist  das  auf der Hochzeitsreise von dir g'wes'n –!! Weiter nix –!!

P. Felix (schüttelt stumm den Kopf).

P. Guardian: «Wenn der Bergsteiger mit einem Begleiter auf steiler Höhe steht und in die jäh abstürzende Tiefe hinabschaut, so kann er häufig den Gedanken nicht bannen, mit einer Berührung, [38] der man die Absicht kaum anzumerken brauchte, den Genossen in den Abgrund zu stoßen . . .» (Das zitiert er – mit sehr viel bayerischer Klangfarbe – von einem Amtsgerichtsrat Dr. Erich Wulfen. Und weiter): «Es handelt sich hierbei um eine meist blitzartig aufleuchtende Vorstellung, die sich zum unbewußten oder bewußten Wunsch nicht immer verdichtet . . .» (Mit erhobener Stimme): «Aber so zwingend kann diese Gedankenverbindung auftreten, daß der Freund neben dem Freund . . . . der Gatte neben der Gattin . . . . der Sohn neben dem Vater die Vorstellung nicht auszuschalten vermag. Ja, es werden Fälle berichtet, daß Ehegatten auf der Hochzeitsreise diesem Assoziationszwange beiderseitig – beiderseitig! – unterlagen.» – Und das nennst du Sünde, Bruder Felix? Und deswegen bist du hier??

P. Felix: Leg's noch einmal so wissenschaftlich aus: es bleibt Sünde. Bleibt Todsünde. Es ist Mord. Und deswegen bin ich hier und büße.

P. Guardian: Frei fühlen sollst du dich von dieser vermeintlichen Schuld! Laut ausschrei'n möcht' ich diese deine völlige Unschuld! – Auf der Hochzeitsreise einen einmal gehegten seltsamen Todeswunsch, den schreibt er – er nachträglich in das schwärzeste Buch und will dafür ein Leben lang büßen –! – Ja, weißt du denn, wie oft vielleicht deine Frau neben dir g'leg'n is' in den dreizehn Tagen – denselbigen Gedanken unbewußt hegend und ihn dann mit einem gesunden Verlangen nach einer neuerlichen Umarmung einfach abtötend? – (Er empfindet gar nicht, daß er damit schier verrät, daß er die Frau kennt!) – Aber ich geh' sogar noch einen Schritt weiter. – Dieser einfache seltsame «Todeswunsch», den du da hegtest, entstand aus weiter nix als aus deinem Selbsterhaltungstrieb! Durch die Hochzeit sahst du dich als Individuum gefährdet. Die Flitterwochen kamen dir schwindelnder vor noch als wie der höchste Berg und der gähnendste Abgrund. So glaub' mir doch ein wenig, der ich ein bisserl was davon versteh'! – Und daher der Assoziationszwang –! – (Klagend): Ja, warum hast du mich denn net früher in dieses dein vermeintliches Verbrechen eingeweiht –?! (Er sieht sich um. Als ob er erwachte. Er schaut auf die Uhr. Er kehrt wie zurück zu der Tatsache, daß der Zweispänner mit der Gräfin längst auf dem Weg sein [39] kann – längst auf dem Weg sein muß!): Und heute nacht – nach dieser gestrigen Zeitungsnotiz – hast du dich neu gefoltert – hast dir dieses Bild gemalt, daß deine Frau, wenn ihr Ähnliches begegnet wäre als wie der da in der Zeitung, . . . daß die sich dann an ihren eigenen Haaren erwürgt hätte.

P. Felix (starr, unbeugsam): Erdross'lt. – – Auf dem Weg vom ersten Scheik bereits zum zweit'n. – An ihren eig'nen Haar'n – an einer Kamelleine – oder an einer Zeltschnur.

P. Guardian: Und selbst dieses hast du heut' die ganze Nacht nur wieder auf Konto deines einstmalig'n seltsamen Todeswunsches setzen zu müssen geglaubt.

P. Felix: Ja. Daß, wenn's so war, wie's da steht, . . . daß ich sie dann gar zwei Tode hintereinander erleiden g'macht hab.

P. Guardian: Mit andern Worten: Du hast dieses unser Kloster und dein Darinnensein für nichts als ein freiwilliges Gefängnis angesehn –?!

P. Felix: Man soll doch das Kloster nicht mit übeln Monistenträumen verwechseln. Sondern ein jeder von uns begab sich irgendwie hinter diese Mauern, um Irdisches zu sühnen und sich dadurch einst Himmlisches zu verdienen.

(Da: Ein Auto hupt. Ganz nah. Fast unmittelbar unter den geschlossenen Fenstern. Es muß also drunten im Klosterhof sein, muß durch das stets offene Tor dieser großen Wallfahrtsstätte hereingekommen sein, und die beiden Patres haben es nur nicht hereinfahren hören, dieweil, wie gesagt, die Fenster geschlossen waren. – Aber nun hupt es geradezu aufdringlich.)

P. Guardian (noch immer ahnungslos): Das müssen Fremde sein. – Aber denen wer' ich's zeigen! (Er geht an das eine Fenster. Öffnet. Stutzt aber während des Öffnens schon. Und tritt dann schnell zurück. Stammelnd): Allmächtiger Gott –!

(Man hört drunten eine Frauenstimme rufen. Es ist die der Gräfin Helmtrudis): «Horst

P. Felix: Wer rief da?

P. Guardian (zu Felix, auf dessen Stelle weisend, fast wie zu einem Hund): Du bleibst dort!

P. Felix: Laß mi' ans Fenster!

(Wieder Frauenstimme): «Horst[40]

P. Felix: I' hör' aber . . . mein'n Namen! (Er schreit in plötzlicher traumhafter Erkenntnis auf. Wie ein Tier.)

(Frauenstimme antwortet): «Horst! – Horst

P. Felix (zu einem viehischen Sprung ansetzend): Lieber Bruder Burkhardus –

(Frauenstimme): «Horst

P. Guardian (die Fenster deckend): Du bleibst, sag' i' dir!

(Frauenstimme): «Horst!»

P. Felix (eilt auf den andern zu, rasend): Meine Frau is's – die mit'm Auto kommen is' –!!

P. Guardian (den Ansprung abprallen machend): Na also – ja – aber sie wollt' mit einem Zweispänner herauf fahr'n.

(Sie lassen voneinander ab. So geknickt gesteht das erstens einmal der Pater superior, und so verzweifelt erklingt zweitens von neuem die Frauenstimme): «Horst! – Horst!»

P. Felix (irr, mit den Armen fuchtelnd, wie ein Ertrinkender, wie nur bei jenem Schiffsuntergang im Golf von Aden): Frau Gräfin von Hilgartsberg –!!! (Und er hat die Arme weit ausgeworfen, wie zum feierlichen Empfang, und einen Augenblick über seinem Kopf zusammengehalten – gotisch – so wie ein Spitzbogenfenster. Nun schlägt er die Hände vor die Stirn und bedeckt dann damit sein Gesicht, und es durchschüttelt ihn, und er weint, und er fängt in ganz schweren Atemstößen zu weinen an. Schluchzt.)

P. Guardian (ihm stürzen ebenfalls die Tränen aus den Augen): Gott ist mein Zeuge, daß ich dachte, es wäre noch Zeit, um es dir allmählich . . . schonend beizubringen . . . Ich mußte ja annehmen, daß sie wirklich mit einem Zweispänner kommt . . . Sie hat's mir ja vorhin noch telephoniert . . .

P. Felix (geht ans geöffnete Fenster, Man hört – aber nun bereits im Innern des Hauses: «HorstUnd zwar das erste Mal wie herauf aus dem Keller. Das zweite und dritte Mal auf der gewunden emporführenden Stiege gedacht. Das dritte Mal – schon nah – den hallenden Korridor her.)

P. Guardian (derweil zu P. Felix am Fenster): Richtig die Hälfte der Andächtigen durch den Lärm vom Auterl und so weiter aus der Kirch'n herausgelockt –! Ich bin doch dafür verantwortlich –!! (Er schiebt P. Felix sachte zurück und schließt das Fenster): So . . .

(Man hört Rauschen von einem mondänen Frauenrock. Man hört Trappsen auch von zwei Mönchssandalen auf den Fliesen. Die Tür – vom allgemeinen Auf=[41]tritt – öffnet sich. Man unterscheidet vielleicht noch ein ehrerbietiges): «Gnädigste Frau Gräfin . . .» (welches P. Edmundus sagt. Sodann steht im Rahmen der Tür Gräfin Helmtrudis von Hilgartsberg.)

 

 

Dritter Auftritt

Die Vorigen. Gräfin Helmtrudis von Hilgartsberg. P. Edmundus.

 

Gräfin Helmtrudis von Hilgartsberg (schreit noch einmal): Horst –! (Aber das schrie sie noch, ohne ihren Mann gesehen zu haben. Dann aber gewahrt sie zwei bärtige Mönche in braunen Kutten und erkennt vorerst nur den P. Guardian und orientiert sich gewissermaßen an ihm wie an einem Wegweiser. Also soll der andere wohl ihr Mann sein –? Und da erst empfindet sie das ganze tragische Gewicht dieses Wiedersehens. Sie steht wie gebannt und spricht): Auf einen solch' großen Vollbart an dir war ich nicht vorbereitet. – Wie ein fremder Mann – –. Ich hab' dich nur immer vor Augen g'seh'n, wie du als Bräutigam warst. Jetzt kann ich mich auch daran nimmer erinnern – (Gläubig, vertrauend): Und doch – – bist du's.

P. Felix (starrt): Ja – ich, – (Die Starrheit löst sich. Mit ungeheurer Wildheit): Aber jetzt gleich sieben auf einmal von diesen semitischen Schweinehunden vor meiner Klinge haben –!! (Das war im Kasernenton. Und er steht da wie ein Säbelfechter. Und die Kutte flattert.)

Helmtrudis (aufschreiend): Du bist's!! (Daran hat sie ihn wiedererkannt. Das schmeichelt ihr. Das tut ihr wohl. Das öffnet alle ihre Schleusen in ihrem Innern. Und sie fliegt in seine Arme und küßt seinen Mund. Hängt an seinen Schultern und küßt, wo sie nur hintrifft. Faßt ihn am Kopf und küßt. Biegt ihn hintenüber und küßt. Liegt auf ihm und über ihm – sozusagen – und küßt. Und küßt allemal, wohin sie grad mit ihren Lippen trifft.)

(P. Guardian und P. Edmundus haben beim ersten Kuß schon gemacht, daß sie fortkamen.)

 

 

Vierter Auftritt

Helmtrudis. P. Felix. Ohne P. Guardian und P. Edmundus.

 

Helmtrudis (sieht sich um, zieht ihren Geliebten bis zu einem Stuhl und drängt ihn, Platz zu nehmen, setzt sich dann auf seinen Schoß und küßt, noch einmal von vorne anfangend. Holt sich dann einen zweiten Stuhl herbei, setzt sich auf diesen ganz nah zu ihrem Mann, biegt seinen Oberkörper herüber=herunter und küßt. – Aber alles stumm, ohne etwa zu keuchen. Stumm vielmehr so wie eine Arbeit oder ein Geschäft, und mit eben demselben Ernst . . . Schließlich befreit sich P. Felix sachte und steht auf und geht ziemlich weit von ihr weg.) [42]

Helmtrudis (aber nicht girrend): Du hast mich noch kein einzig's Mal wiedergeküßt! (Sie konstatiert's höchstens ein wenig verwundert, – sie: die ausgetrocknet ist wie Sand in der Wüste und hier zu ihrem Quell zurückfand –; aber auch nicht etwa gleich die Gestrenge hervorkehrend.)

P. Felix (ruhig): Bedenke das Kleid, das ich trage.

Helmtrudis (und auch hier wieder nur Frau. Aber ohne Pantoffel): Den Bart läßt du dir heut' noch abnehmen.

P. Felix (zuckt zusammen).

Helmtrudis (so wie eben eine Dame ihresgleichen): Und wir bleiben heut', morg'n und übermorg'n noch hier in Batau im Hotel Wolf. – Denn das wirst du mir wohl zugeb'n, daß du erst wieder einigermaßen repräsentierfähig g'macht wer'n mußt . . .

P. Felix (starrt).

Helmtrudis (ihn immer noch ansehend): Was ich alles Kapuziner in den letzten Tagen g'sehen hab' –! (Sie geht wieder zu ihm hin, wie um sich zu vergewissern, ob er's auch sei. Heiß verlangend): Küss' mich! Du! So küss' mich doch! Oder . . . oder hab' ich mir das nicht einigermaßen . . . verdient –?! (Das letztere war immerhin wie ein Schrei.)

P. Felix: Denk' doch an mein Gewand, das ich immer noch trag'.

Helmtrudis (ihn ansehend. Tief): Entschuldige, bitte. – Aber . . . selbst nicht ein einziges Wort des Bedauerns hast du bis jetzt für mich gefunden.

P. Felix (wider Willen ein wenig strenger): Es sind noch keine zehn Minuten her, daß ich erfahren habe, daß du mir überhaupt noch lebst. – Also sei kein kleines Kind, das bedauert sein will, – (Ebenso widerwillig nun ein wenig weicher, fast zärtlich): Ich freu' mich nur – – ich freu' mich, Helmtrud – – für dich – – wie für einen jeden Menschen – – und aber natürlich noch viel mehr für dich, – (Es ist da eine schier unendliche Scheu, die er erst bezwingen muß. Wie zu einem Kind): Na, und – ja – natürlich – – natürlich bedauer' ich dich auch – Soweit man sich als Mensch sowohl freuen als in diesem Falle auch bedauern darf – – Gleichwohl mußt du bedenken, daß Gott dir die Prüfung schickte – das müssen wir alle bedenken. – (Und jetzt erst reicht er ihr die Hand): Nun also – – liebe Helmtrud – – wie geht's dir –?

Helmtrudis: Ich . . . danke dir, (Sie drückt seine Hand. Kämpft ganz [43] sichtlich dagegen an, mehr zu tun oder zu verlangen, das ihr getan werde, kämpft an dagegen, sich ihm an den Hals zu werfen oder umgefaßt zu werden. Und fängt nun doch zu weinen an. Plötzlich. Wie ein Frühlingsregen.)

P. Felix: Seit wann . . . bist du zurück . . . von da drunten?

Helmtrudis (weint noch mehr. Verbirgt weinend ihr Gesicht).

P. Felix: Bist du heute morgen erst hierher nach Batau gekommen? – Ich . . . ich . . . ich . . . ich weiß doch noch von gar nix –!

Helmtrudis (sieht ihn unter hellem Weinen an): Gestern abend . . . Von Alt=Oetting . . . Mit deinem Freund, dem Pater Guardian . . . (Schluchzend.)

P. Felix: So so. Gestern abend scbon. Und von Alt=Oetting. – Vom Pater Provinzial?

Helmtrudis (weint nicht länger, sondern sucht vielmehr die Tränenspuren zu tilgen, indem sie ins geknüllte Taschentüchlein haucht und es dann vor ihre Augen preßt): Du hast nie . . . nicht eins der Telegramme von mir bekommen?!

(Da klopft's.)

 

 

Fünfter Auftritt

Helmtrudis. P. Felix. Frater Max. Bald darauf P. Guardian.

 

P. Felix: Salve.

Frater Max (tritt ein): Herr Pater Guardian – –

P. Felix (weich): Sag' ihm, Maxl, wir erwarten den Herrn Pater Guardian.

Frater Max (als ob er jetzt erst erführe, daß das ein Graf ist – mit solchen Augen ab. Stille. Eine Glocke schlägt).

P. Guardian (kommt zurück): Verehrteste gnädigste Frau Gräfin – – Sie hab'n ja also doch noch ein Auterl bekommen. – (Zu P. Felix): Lieber Bruder Felix . . . Ich hab', daß deine Frau Gemahlin lebte, vor soviel Monaten schon erfahr'n . . . Aber ich durfte nicht sprechen . . . Mir war nicht weniger Gehorsam auferlegt, als wie sie von dir verlangt haben, ohne daß du überhaupt's was g'wußt hast.

P. Felix (forscht in des Andern Gesicht): Ich versteh', lieber Bruder Burkhardus. – (Er betont diese drei Worte der Anrede. Er zürnt nicht.)

P. Guardian: Und nun, Bruder Felix, es ist alles bereit für dich . . . zum Umzieh'n . . . Bruder Edmundus erwartet dich in deiner Zelle [44] . . . Deine Frau Gemahlin und ich haben's so miteinander besproch'n, daß dein eigener Anzug von vor neun Jahren dir doch nicht mehr passen dürfte . . . Aber er ist da, er ist vom Kloster in München g'schickt wor'n . . . Nun haben deine Frau Gemahlin und ich zusammen einen nach meinem Maß gestern noch in Alt=Oetting gekauft . . .

P. Felix: . . . in meiner Zelle, sagst du – – wär' alles –?

(P. Felix ist bereits im Gehen. P. Guardian geht ein paar Schritte mit.)

P. Guardian: Ja, Bruder Felix – – (Er bleibt stehen, wie wenn er nicht weiterkönnte. Und schier ausbrechend): Bruder –!!

(Sie reichen sich die Hände.)

P. Felix (geht, ohne einen Blich auf seine Frau).

 

 

Sechster Auftritt

Helmtrudis. P. Guardian. Ohne P. Felix.

 

P. Guardian (zu Helmtrudis): Ich will nämlich, daß er sich erst umzieht, eh' er Abschied von den Brüdern nimmt . . . Es ist da, wie ich Ihnen, gnädigste Frau Gräfin, schon einmal im Vertrauen sagte, eine kleine Parteienspaltung . . . Einige von den Brüdern – Gott mög' es ihnen vergeben! – wollten ihm in ihren Herzen nie so recht wohl . . . Vielleicht weg'n seiner hohen Abstammung . . . Umso glücklicher schätzte ich mich . . . schätzten Pater Edmundus und ich uns, ihm Freund sein zu dürfen . . .

Helmtrudis (ihm die Hand reichend): Ich danke Ihnen, hochwürdiger Herr Pater Guardian.

 

 

Siebenter Auftritt

Die Vorigen. Nacheinander: P. Konradus. P. Bruno. P. Oswaldus.

P. Evaristus. Ein wenig später: P. Edmundus.

 

P. Konradus (tritt ein. Sonor): Gelobt sei Jesus Christus.

Helmtrudis: In alle Ewigkeit, Amen.

P. Bruno (tritt ein): Gelobt sei Jesus Christus.

P. Oswaldus (tritt ein): Gelobt sei Jesus Christus.

P. Evaristus (tritt ein): Gelobt sei Jesus Christus.

(Alle drei ein wenig gleichzeitig. Mit ihren Stimmen untereinanderläutend.)

Helmtrudis; In alle Ewigkeit, Amen . . .

P. Guardian: Gestatten Sie, gnädigste Frau Gräfin . . . (Er stellt [45] vor): Herr Pater Konradus – Herr Pater Bruno – Herr Pater Oswaldus – Herr Pater Evaristus – – Frau Gräfin von Hilgartsberg, die Gemahlin unseres lieben – bisherigen – Bruders Felix.

Helmtrudis (neigt das Köpfchen).

P. Oswaldus (räuspert sich erregt unterm Verbeugen).

P. Edmundus (kommt herein).

P. Guardian (lieber – zur Vorsicht – noch einmal miteinander bekannt machend): Herr Pater Edmundus.

Helmtrudis (geht auf ihn zu, reicht ihm die Hand herzlich und schier ein wenig ostentativ): Aber wir kennen uns ja bereits. – (Sie sieht ihm in die Augen): Haben Sie noch einmal Dank, hochwürdiger Herr Pater, für die treue Freundschaft, die Sie – – (Sie vollendet den Satz nicht.)

(PP. Konradus, Bruno, Oswaldus und Evaristus: die sehen angestrengt weg.)

P. Guardian (man hat den glänzenden Prediger zu merken, nur daß er hier schier ein bißchen militärisch spricht): Lieben Brüder, Von einem der Unserigen heißt's Abschied nehmen. Unerwartet für Sie. Unsere Oberen haben es so gewollt, daß Sie von nichts erfuhren, was seit langem spielte. Ja, nicht einmal derjenige, den's am meisten anging! Aber gerade er hat Gehorsam gehalten, wie er gelobt. Und uns kommt es zu, ein Vorbild zur Nacheiferung in ihm zu sehen. Und ich darf wohl behaupten, er war uns überhaupt immer ein Vorbild gewesen. Schon allein durch die Art, wie ihn Gott zu uns hereinschickte und ihn all die Jahre über – in Demut – hier mit uns leben hieß. Der Herr hat ihn uns gegeben! Der Herr hat ihn uns nun wieder genommen! Der Name des Herrn sei gelobt!

P. Edmundus (als Einziger, stark): Amen.

P. Guardian (sich umsehend): Wo ist Pater Rochus?

P. Felix (tritt ein).

 

 

Achter Auftritt

Die Vorigen, P. Felix. Bald darauf: P. Rochus.

 

P. Felix (wohl noch im Bart. Aber im Zivilanzug, und zwar scheint er doch seinen eigenen von vor neun Jahren angezogen zu haben, der ihm aber nun nicht etwa grotesk zu klein sein darf. Sondern er muß nur einen etwas aus der Mode geratenen Zuschnitt – von 1904 – aufweisen, dafür aber typisch für einen Offizier sein, der sich – im Begriff, eine reiche Ehe einzugehen – für eine ausgedehnte Hochzeitsreise equipiert . . . Dazu trägt er den 1913 grad aufgekommenen «Schillerkragen», der Hals und schier auch Brust freiläßt . . .) [46]

Helmtrudis (schreit auf): Ich kenn' doch den Anzug –! Von damals –! Vom Schiffsuntergang –! Das Einzige, was du gerettet hast –! Den hast du ang'habt –!

P. Felix (geniert fast. Zu seiner Frau und zu P. Guardian): Den ihr zwei gestern in Alt=Oetting für mich gekauft habt – – (Er lächelt. Zu P. Guardian): Verzeih, Lieber Bruder Burkhardus – – (Und wieder zu seiner Frau): Und er paßt mir ja auch noch.

P. Guardian: Den Schillerkragen, den neumodischen, den hab' aber ich nicht gewählt, – (Er sagte das: leicht humoristisch protestierend.) – Das war Sache deiner Frau. – Ja, den hat sie schon aus München mitgebracht. – (Heiter): Zumal – – einen solch heidnischen, ja beinah' sündigen Kragen, den hätten wir ja auch in dem ganzen frommen Wallfahrtsort Alt=Oetting auf gar keinen Fall für dich bekommen.

P. Felix (sinnend): Er scheint mir ja selber auch ein bisserl zu «frei».

Helmtrudis (verschämt. Erglühend. Braut): Ja, aber . . . wie sollt' ich denn . . . jemals . . . deine Kragennummer . . . deine Halsweite so genau g'wußt hab'n – –

P. Guardian (lacht, so recht gutmütig).

P. Felix (um es kurz zu machen): Also. Lieben Brüder, Allen euch ohne Ausnahme meinen Dank. Der ich doch, recht betrachtet, hier nur ein Eindringling war in euerer Gemeinschaft. Meinen Dank dafür, daß ihr mich geduldet habt. Obwohl, wie sich's jetzt erst herausstellt – obwohl ich niemals gültig zu euch hergehörte, Ihr müßt eben bedenken, Brüder, daß Gott es in seinem unerforschlichen Ratschluß so gewollt hat. Und darum: zürnt mir nicht nach, wofern ich euch, gewiß unschuldigerweise, ein Ärgernis gegeben haben sollte.

P. Rochus (ist bei den allerersten obigen Worten von P. Felix eingetreten).

P. Edmundus: Vielmehr ein Beispiel, lieber Bruder Felix, warst du uns von je. Und solltest es uns auch von Gott gegeben gewesen sein.

P. Rochus (drängt sich vor): Eine Frage, die mit dem ferner'n Seelenheil unsers ehemaligen Bruders – Felix – zusammenhängt.

P. Felix (vorstellend): Herr Pater Rochus – meine Frau.

P. Rochus: Angenehm.

P. Guardian: Was für eine Frage, Pater Rochus? [47]

P. Rochus (ewig dabei an seiner großen Hornbrille rückend): Ich möchte gern ohne weiteres annehmen, daß unser ehemaliger Bruder Felix von selber weiß, unter welchen Sonderbedingungen er sein wiederaufzunehmendes eheliches Zusammenleben mit seiner Frau fortzusetzen hat.

(Alle wissen's. Und man merkt's, daß sie's wissen. Mit Ausnahme vom Betroffenen:)

P. Felix: Ich weiß von nichts.

(PP. Konradus, Bruno, Oswaldus und Evaristus stecken die Köpfe zusammen.)

P. Rochus: Ich kam soeben ein wenig zu spät. Ich dachte, daß die so nötige Aufklärung bereits stattgehabt hätte. Erlaube mir aber vorsichtigerweise doch noch einmal zu fragen. Wir können unsern ehemaligen Bruder Felix so nicht ziehen lassen. Sie, Herr Graf, waren nicht nur so ein bloßer Eindringling. Sondern Sie waren nun einmal Priester und Mönch. Und so bleibt infolge Ihres einmal getanen Gelübdes ein Rest von Bindendem, (Denn doch einen Augenblick unsicher): Aber ich dachte, der Herr Graf als ehemaliger Pater Felix wüßt' es.

P. Edmundus: Bruder Felix hat seine geistlichen Studien damals in zwei Jahren voll fiebernder Arbeit und Überarbeit vollendet. Mir ist jener Passus aus dem . . . Kirchenrecht wohl gegenwärtig. Aber ich glaube, es genügt ein bloßer Hinweis, daß Bruder Felix die betreffende Stelle nachschlagen soll! – Er wird fortan von ganz alleinig wissen, was er zu tun und zu lassen hat.

P. Felix: Ich weiß . . . von nix! Ich . . . erinner' mich auch garnet.

P. Rochus: Es geht ums Seelenheil unseres ehemaligen Bruders Felix, Unkenntnis schützt auch in diesem Falle nicht vor Strafe. Wir machen uns zu Mitschuldigen, wenn wir den günstigen Augenblick ungenützt vorübergehen lassen. Denn zum großen Glück ist auch seine Ehefrau soeben gegenwärtig. (Beschwörend): Ja, Herr Pater Edmundus, wie können Sie es zulassen wollen, daß der ehemalige Herr Pater Felix – Ihr bester Freund! – schon in der nächsten halben Stunde vielleicht strauchelt und in Todsünde fällt –?! – Ich habe mich vorhin verspätet, weil ich das Buch suchte. Ich fand's aber in der ganzen Bibliothek nirgends. Dabei hab' ich's vor einigen Tagen noch zum Nachschlagen g'habt, (Er hat fortwährend am Bücherregal gesucht): Hier ist es! – (Er blättert. Er findet gar bald die [48] Stelle. Er spricht's auswendig): Diese beiden Eheleute dürfen sonst zwar leben miteinander wie zwei andere Eheleute auch. Hier steht's: Nur darf der Mann als ehemaliger Priester und  Mönch  den  ehelichen  Verkehr wohl leistennicht aber fordern – –

P. Felix (steht da, sich gerade noch beherrschend. Ansonst wär' er diesem P. Rochus wohl an die Kehle gesprungen).

Helmtrudis (sieht wie in einem Traum um sich).

P. Felix (der Zorn legt sich. Er kommt wieder zur Vernunft. Er begreift den vorgelesenen Passus, an den er sich nun doch aus der Studienzeit erinnert, – Wie mechanisch): Nun . . . (wie zu lauter Schwerhörigen): lebt wohl, Brüder –!! (Er gibt erst P. Rochus die Hand. Dann P. Konradus, P. Bruno, P. Oswaldus und P. Evaristus. Hierauf P. Burkhardus, der ihn an sich zieht und erst auf beide Wangen und dann auf den Mund küßt. Zuletzt P. Edmundus, der laut aufweint.)

Helmtrudis (verneigt sich vor allen mit einem einzigen Neigen).

P. Felix (führt Helmtrudis hinaus).

P. Edmundus (schreit laut).

 

 

Neunter Auftritt

Die Vorigen. Ohne P. Felix und Helmtrudis.

 

P. Guardian (befehlend): Betet, ihr Brüder, für Bruder Felix betet, der uns verläßt, Bruder Edmundus, hebe dein Herz auf zu Gott, Betet, ihr Brüder. Für unsern Bruder Felix.

(Alle die PP. nacheinander ab. Zuletzt P. Edmundus. Nur P. Guardian bleibt.)

P. Guardian (geht erst ans Telephon. Nimmt bereits den Hörer ab. Aber dann legt er ihn doch wieder hin. Es zieht ihn zum Fenster. Auto fährt hupend ab).

P. Guardian (geht schwer – wie ein Kranker – wieder zum Telephon, Nimmt den Hörer ab. Endlich meldet sich das Amt): Ein Ferngespräch, Fräulein. Hier Kloster Maria=Hilf. Ich möchte eine Verbindung – sehr richtig – wieder einmal mit Alt=Oetting . . .

(Man hört sonor das Gebet der Mönche, – In der offenen Tür erscheint Frater Max.)

P. Guardian (mit dem Amt sprechend): Wie? (Er gewahrt Frater Max.)

Frater Max: Der Herr Bezirksgeometer Pfaffinger.

P. Guardian (während er ihm mit der Hand abwinkt, sprechend): Ja?

(Sonor das Gebet der Mönche.)

 

(Vorhang.)