BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Heinrich Lautensack

1881 - 1919

 

Ruth (Ein Fragment)

 

1925

 

Erstausgabe:

Heinrich Lautensack: Ruth (Ein Fragment)

Berlin: Alfred Richard Meyer Verlag, 1925

Textgrundlage:

Heinrich Lautensack, Das verstörte Fest,

Gesammelte Werke.

Herausgegeben von Wilhelm Lukas Kristl.

München: Carl-Hanser-Verlag 1966

 

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Titelblatt der Erstausgabe

 

 

Die Schwangere (eine Dirne des Boas) wird von einer

anderen Dirne des Boas herbeigeführt.

 

Schwangere: Das sind die Wehen.

Dirne: Du solltest hier liegen; am Brunnen.

Schwangere stöhnt laut.

Dirne: Du sollst hier liegen; am Brunnen; denn hier ist Schatten und Wasser; und die andern kommen vom Acker herüber zum Frühstück hierher. Sie legt sie hin.

Schwangere: Das sind die Wehen; aber sie sind sieben Tage zu früh. Ich dacht, ich macht es noch bis nach der Ernte; denn so war die Rechnung. Gerade auf den Tag nach der Ernte; dachte ich. Und ich wollte noch essen und trinken mit euch; und erst wenn ihr euch zum Reigen gerichtet hättet, hätte ich mich hingelegt. Und ich hätte euch gesungen zum Tanz. Zu jedem Tanzschritt von euch ein Wehlaut von mir. Und nun sing ich sieben Tag zu früh.

Dirne: Wie liegst du so?

Schwangere stöhnt laut; singt.

 

Noch eine andere Dirne des Boas kommt herbei.

 

Zweite Dirne: Wie steht es nun mit ihr?

Schwangere: Ich möchte beneidet sein von euch um meiner Schmerzen willen, so sehr möcht ich sie nicht missen. Dies gemahnt mich alles an die Nacht, da er mich erkannte. Es ist als wenn es damals wäre und alles ganz dasselbe.

Zweite Dirne: Seltsam.

Schwangere: Bemitleide ich euch nicht? Seht ihr nicht, wie ich euch bemitleide?

Zweite Dirne: Es ist wie ein Lied.

Schwangere: Es ist eine Gottessache.

 

Die Dirnen des Boas kommen herbei, gefolgt vom Knaben,

der über die Schnitter gestellt ist.

 

Knabe: Wie steht es nun mit ihr?

Dirne: Das sind die Wehen, sagt sie; und wie wohl's mit der Rechnung nicht stimmt.

Dritte Dirne: Ich habe eine Freundin; die war wie die.

Vierte Dirne: Ihr kennt meine Schwester; sie hat einen Mann; und sie hat vier Kinder.

Fünfte Dirne: Sie schreit? so müssen's Schmerzen sein.

Sechste Dirne: Als ich mir voriges Jahr den Fuß brach –

Vierte Dirne: Ja, es ist schrecklich.

Zweite Dirne: Sie sagt, sie möchte beneidet sein von uns um ihrer Schmerzen willen, so sehr möchte sie sie nicht missen. Und sie sagt, alles gemahne sie an die Nacht, da sie erkannt ward; es sei, wie wenn es damals war und alles ganz dasselbe. Und sie bemitleide uns. Und es sei eine Gottessache.

Knabe: Ja. Eine Gottessache.

Schwangere: Gerade auf den Tag nach der Ernte, dachte ich; denn so war die Rechnung. Und ich wollte noch essen und trinken mit euch; und erst, wenn ihr euch zum Reigen gerichtet hättet, hätte ich mich hingelegt. Und ich hätte euch gesungen zum Tanz. Zu jedem Tanzschritt von euch ein Wehlaut von mir. Und nun sing ich sieben Tage zu früh. Sie stöhnt laut; sie singt.

Knabe: Laß uns wen holen. Zur sechsten. Du geh.

Sechste Dirne: Sulamith soll gehen.

Vierte Dirne: Nein. Ich geh nicht.

Knabe zur Sechsten: Du bist es, die geht.

Sechste Dirne: Soll ich ihren Mann aus dem Grabe holen?

Knabe: Fort!

Sechste Dirne vorm Abgehen: Da kommt Jesebeab. Er taumelt. Er ist voll Weines.

Knabe zu den Dirnen: Eßt und trinkt, ihr andern! Knabenhaft zur Schwangeren. Ich habe fortgeschickt. Man holt dir wen. Ist es recht so? Willst du Wasser?

Zweite Dirne: Hier ist Wasser. Sie glüht. Ich bleib auch hier bei ihr, bis man kommt.

 

Jesebeab: Das ist eine Dirne von diesen hier, die eben weglief?

Knabe: Ja, Herr.

Jesebeab: Und ist eine hübsche Dirne?

Knabe: Gewiß, Herr.

Jesebeab: Wer ist das Weib hier?

Knabe: Sie liegt in Wehen, Herr. Ihr Mann starb. Sie dachte, sie macht's bis nach der Ernte.

Jesebeab: Aber das war auch eine Dirne von diesen hier, die eben weglief?

Knabe: Ja, Herr.

Jesebeab: Und ist eine hübsche Dirne?

Knabe: Ei gewiß, Herr.

Jesebeab: Man erntet sieben Tage lang Weizen und Gerste. Und am achten Tage setzt man sich hin und trinkt.

Knabe: So habt ihr bereits eingeerntet, Herr?

Jesebeab: Nein, ich habe getrunken.

Knabe: Nachdem ihr eingeerntet habt?

Jesebeab: Nein, bevor. Es ist umgekehrt, aber es ist. Du bist ein Hüter des Boas. Boas ist ein Vetter von mir.

Knabe: Ihr seid Herr Esra.

Jesebeab: Ich bin betrunken. Ich trank, ehe denn ich erntete. Ich hab ein Weib gesehen. Ich trank nicht mehr, nachdem ich es gesehen. Ich ging ihm nach. Ist es hier?

Knabe: Dies sind die Dirnen des Boas.

Jesebeab: Ja.

Schwangere schreit.

Jesebeab sieht sie an: Sie ist auch schön, die in Wochen liegt. Ich seh immer auf das Schöne. Ich . . . kann nicht anders, denn ich muß.

Knabe: Ihr sollt euch hinlegen, Herr.

Jesebeab: Ich?

Knabe: Hier ist Schatten.

Jesebeab: Hier?

Knabe: Und –

Jesebeab: Du weißt nicht, was ich weiß. Das ist alles. Die Mägde, die wissen's. Und ich noch mehr. Aber du nicht. Und Boas auch nicht. Ihr beiden, du und Boas, beschäftigt euch nicht damit.

Knabe: Redet ihr von etwas?

Jesebeab: – – – – – – – – – – – – –

Jesebeab: Er singt bisweilen. Singt er nicht bisweilen? Wie einer, der sich sehr gern singen hört?

Knabe: Er hat eine sehr hohe Stimme.

Jesebeab: Ja. Ein helles Geräusch. Ich mag's nicht leiden. Mag's nicht. Nein, nein, Knabe. Mein Geruch ist der Geruch des Feldes, das der Herr gesegnet hat. Des Boas Stimme aber ist wie Jakobs Stimme. Und er ist glatt an seinen Händen und glatt an seinem Hals, wie Jakob war. Und Gott gab Boas von dem Tau des Himmels und gab ihm von der Fettigkeit der Erde und Korns und Weins die Fülle- Weißt du: wie? als wie durch zweier guter Böcklein Fell. . . . Aber ich habe eine Wohnung ohne Fettigkeit der Erde und ohne Tau des Himmels von oben her.

Knabe: Du sagtest, er singt bisweilen. Aber sangst du nun nicht auch? Es war ein altes Lied, das du sangst.

Jesebeab: Ihr tut die Dinge. Schön eins nach dem andern. Ich aber trank, ehe ich erntete. Ihr tut die Dinge. Schön eins nach dem andern. – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Jesebeab: Dir Böses tun, dazu müßte ich dich hassen, mein Boas. Ich hasse dich nicht. Wohl an dir tun, dazu müßte ich dich lieben, mein Boas. Ich liebe dich nicht . . . . Dies ist ein Ding, das mir gebricht: daß ich euren Menschen weder hassen, weder lieben kann . . . . Drum begehre von mir nichts und weigere mir nichts. So du aber etwas hast, das du begehrst und willst, daß ich's nicht weigere – tu nach deinem Willen und kümmere dich nicht um mich. Tu nach deinem Willen, fleh ich dich ein ander Mal – – denn schon ist mir's, als hätt' ich zuviel gute Zeit an dich verloren.

Boas: Du sollst mir vor Zeugen –

Jesebeab: Schäm dich, Boas, daß ich dir vor Zeugen künden soll. Laß meine schlimmsten Feinde wider mich auftreten – – nimm ihre Bosheit zu Eidhelfern. Nimm ihren Haß. Es ist das einzige Mal, daß – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –