BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Schubartgymnasium Aalen

gegründet 1912

 

Aus den Zeiten der Lateinschule

 

Oberstudienrat Herbert Plickert:

Aus der Geschichte unserer Schule

(bis 1914)

 

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Die Realschule

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Der Lehrplan und das Unterrichtsverfahren an den lateinischen, den deutschen und den Elementarschulen des Mittelalters hatten schon seit dem Beginn der Neuzeit manche Kritiker gefunden. Unter ihnen war am bekanntesten August Hermann Francke, der Begründer des Hallischen Waisenhauses (gest. 1727). In Württemberg fanden seine Ideen erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts Widerhall, als 1783 in Nürtingen eine Schule ins Leben gerufen wurde, die den Bedürfnissen zukünftiger „Professionisten, Künstler und Handwerker“ dienen sollte. Trotz der Widerstände von Seiten des Neuhumanismus gewann die „realistische“ Richtung immer mehr an Boden.

In Aalen entstand die Realschule im Jahre 1840. Ihre Schüler traten ein, nachdem sie eine mit der Lateinschule gemeinsame Elementarklasse durchlaufen hatten. Sie erhielten Unterricht in Religion (2 Wochen­stunden), Deutsch (3), Französisch (6), Rechnen (4), Geometrie (3), Geschichte und Erdkunde (3), Naturkunde (2), Zeichnen (5), Schreiben (1), Singen (1), Turnen (4) – zusammen also 34 Wochenstunden.

Es dauerte ein Vierteljahrhundert, bis die Schülerzahl so anwuchs, daß der bis dahin bestehenden einen Klasse eine weitere angegliedert werden konnte. Der weitere Ausbau vollzog sich rascher:

1840: 1 Klasse

1866: 2 Klassen

1872: 3 Klassen

1876: 4 Klassen

1889: 5 Klassen

1896: 6 Klassen

1898: 7 Klassen

1899: 8 Klassen,

einschließlich zweier Parallelklassen,

so daß 6 Klassenstufen vorhanden waren.

Damit hatte die Realschule den Charakter einer „Realanstalt“ erreicht. Mit der Feststellung des neuen Status verband die Kult­ministerialabteilung, die damalige Aufsichtsbehörde, ihre Anerkennung der ausgezeichneten Arbeit des langjährigen Leiters der Schule, des Oberreallehrers Rupp.

Die äußeren Ursachen für das in den letzten 27 Jahren relativ schnelle Wachstum waren verschiedener Natur. Die Erschließung Ostwürttembergs durch den in den 60er Jahren betriebenen Bahnbau belebte die bis dahin stagnierende Wirtschaft des Gebiets. Damit blühte die in Aalen und Umgebung bereits vorhandene Industrie merklich auf. Ihr kam der Lehrplan der Realschule besonders zustatten. Schließlich trug dazu bei die Wehrordnung des Norddeutschen Bundes von 1870, die nach der Reichsgründung auch für Württemberg galt. Wer 6 Klassen einer höheren Schule mit der Abschlußprüfung erfolgreich absolviert hatte, brauchte statt des sonst dreijährigen nur einen einjährigen Militärdienst zu leisten und durfte Waffengattung und Standort selbst wählen; ihm eröffnete sich beruflich eine Reihe von Beamtenlaufbahnen und schließlich gesellschaftlich der Zugang zu den gehobeneren Schichten des Mittelstandes. „Die wissenschaftliche Prüfung zum Nachweis der Befähigung zum einjährigfreiwilligen Militärdienst“ bot also wirtschaftliche und soziale Vorteile und fand entsprechende Beachtung. Das mag der Grund sein, weshalb die Bezeichnung „das Einjährige“ – so sinnlos sie heute ohne Kenntnis der näheren Zusammenhänge auch erscheint – sich bis in unsere Zeit im Volksmund behauptet hat, obwohl seit Jahrzehnten derselbe Bildungsgrad ohne Prüfung erreicht werden kann und unter dem Namen „Mittlere Reife“ läuft. Das „Einjährige“ erlangten Aalener Realschüler zum ersten Mal im Jahre 1900; die Prüfung wurde abgelegt unter dem seit 1898 amtierenden Rektor Rommel.

Der Ausbau der Realschule belastete die Stadtkasse nicht wenig. So war es zu begrüßen, daß seit 1873 die Kgl. Hüttenwerke in Wasser­alfingen alljährlich einen Zuschuß leisteten. Außerdem stand die öffent­liche Meinung fest hinter dem schulfreundlichen Stadtschultheißen Bausch.

Als 1897 Aalener Bürger und Auswärtige in einer Petition an den Gemeinderat auf Erweiterung der Realschule drangen, unterzeichneten Honoratioren wie die Fabrikdirektoren Cherbon und Mezger, die Apotheker Dr. Gaupp und Völter, Oberamtsarzt Dr. Mutschler, Oberamtsrichter Braun, Ratsschreiber Maier u. a., aber auch zahlreiche Handwerksmeister und sonstige Gewerbetreibende. Man hatte die Bedeutung des neuen Bildungsweges erkannt. Und der Stadtschultheiß verlieh wohl dem Wunsch der überwiegenden Mehrzahl der Bürger Ausdruck, als er 1898 bei der Amtseinführung des neuen Rektors Rommel die Hoffnung aussprach: „... daß unsere Realanstalt in seither gewahrtem Fortschreiten der Entwicklung auch fernerhin blühen und gedeihen und sich stetigen Wachstums erfreuen möge, zum Segen fleißiger und braver Schüler, zum Segen der Familie und zum Segen der ganzen Gemeinde.“

Die Realanstalt hatte sich einen festen Platz in Aalen errungen und schien ein ernsthafter Konkurrent der jahrhundertealten Lateinschule geworden zu sein.