BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Wilhelm Worringer

1881 - 1965

 

Abstraktion und Einfühlung

 

Praktischer Teil

 

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IV. Kapitel.

Ausgewählte Beispiele

aus Architektur und Plastik

unter den Gesichtspunkten von

Abstraktion und Einfühlung.

 

Dieses Kapitel versucht ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit die großen Linien, die aus der Antike in die nachchristliche Zeit hinüberführen, zu skizzieren, um dann in einem letzten Kapitel das so differenzierte Kunstwollen des Mittelalters aus diesen Prämissen heraus zu analysieren.

Wir haben im vorhergehenden Kapitel die griechische Ornamentik als einen überaus glücklichen Ausgleich abstrakter und naturalistischer Tendenzen mit einem stark ausgesprochenen Übergewicht der letzteren definiert. Da wir im absoluten Kunstwollen eines Volkes den direkten Niederschlag seiner psychischen Disposition sehen, so können wir eine am Paradigma des Ornaments abgelesene Definition im Prinzip ohne weiteres auf die übrigen Kunstzweige ausdehnen. Oder, besser gesagt, wir werden durch die anderen Kunstarten das aus der Ornamentik heraus analysierte Kunstwollen bestätigt finden.

Die Disposition zur Abstraktion, die bei den Griechen wie bei allen anderen Völkern am Anfange der Kunstübung steht, wurde bei dem glücklich veranlagten Volke so bald von der Freude am Organischen zurückgedrängt und schließlich ganz übertönt, daß unsere Untersuchung sich darauf beschränken kann, darzulegen, wie stark das abstrakte Prinzip trotzdem besonders beim Beginn der Epoche zum Ausdruck kommt. Ja, weil das naturalistische organische Prinzip in seiner Vorherrschaft so augenfällig ist, erscheint es um vieles interessanter, den Spuren abstrakter Tendenz, die trotzdem vorhanden sind, nachzuspüren. Die griechisch-archaische [76] Kunst steht ja noch ganz deutlich unter der Macht abstrakter Tendenzen und es bedürfte einer eingehenden Untersuchung, um den Prozeß zu analysieren, wie in relativ so kurzer Zeit die dem Organischen zugewandte Begabung des Griechen sich aus diesen abstrakten Fesseln herausarbeitet und innerhalb eines Jahrhunderts zum Ziele ihres eigentlichen Kunstwollens eilt, eine Bewegung, die fast gleichzeitig in der Architektur, wie in der Skulptur und Vasenmalerei vor sich geht.

Ein Beispiel aus der Architektur möge den Sachverhalt beleuchten. Ein Vergleich zwischen dem dorischen und dem jonischen Tempel zeigt schon, wie das abstrakte Prinzip von dem organischen abgelöst wird. Der dorische Tempel stellt sich noch ganz als das Produkt eines auf's Abstrakte gerichteten Kunstwollens dar. Seine innere Konstitution, wenn wir so sagen dürfen, basiert noch auf einer rein geometrischen oder vielmehr stereometrischen ausdruckslosen Gesetzmäßigkeit, über deren klar beschriebene Grenzen sie nicht hinaus will. Die Gesetze seines Aufbaus sind noch keine anderen als die Gesetze der Materie. Diese abstrakte innere Konstitution gibt ihm jene ernste Schwerfälligkeit, jenes Gedrungene, Leblose, im Banne der Materie Verharrende, das seine unerreichte Feierlichkeit ausmacht. Nur im Einzelnen wird dieser abstrakte Habitus durch organische Tendenzen gelockert, die die künftige Entwicklung schon ankünden. Hierher gehört, wie auch Woermann hervorhebt, der Wechsel gerader und geschwungener Linien, die Kurvaturen, die leichten Schwellungen in den horizontalen Balken, die Anschwellung (Entarsis) und Verjüngung des Säulenschaftes, die leichte Neigung der Außensäulen nach innen, die Verengung der Eckjoche und die Unregelmäßigkeit in der Stellung der Triglyphen. Mit all diesen Momenten ist schon der Bann starrer abstrakter Gesetzmäßigkeit leise durchbrochen. Vollständig ist dieser Übergang zum Organischen schon manifestiert im jonischen Tempel. Hier [77] gehorcht die Materie schon nicht mehr nur ihren eigenen Gesetzen, sondern sie ordnet sich mit diesen ihren Gesetzen einem vom Gefühl für das Organische erfüllten Kunstwillen unter. Die ernste hoheitsvolle Monumentalität des dorischen Tempels, der mit seiner unnahbaren übermenschlichen Abstraktion den Irdischen niederdrückte und ihn die Nichtigkeit seines Menschseins fühlen ließ, finden wir im jonischen Tempel nicht wieder. Trotz aller Hoheit und trotz des Riesenhaften seiner Maaße steht er in einem näheren Verhältnis zum Menschen. Heiter und gefällig richtet er sich auf, überall mitempfinden wir ein selbstbewußtes Leben und Streben, das, von einer wunderbaren Harmonie besänftigt, mit sanfter Gewalt an unser Lebensgefühl appelliert. Die Gesetze seines Aufbaus sind natürlich noch die Gesetze der Materie, sein inneres Leben aber, sein Ausdruck, seine Harmonie liegt innerhalb der Gesetzmäßigkeit des Organischen. Die Gedrungenheit und Starrheit des dorischen Tempels ist durchbrochen; die Proportionen kommen menschlichen oder allgemein organischen Proportionen näher; die Säulen sind höher und schlanker geworden, sie steigen scheinbar wie aus eigner Kraft empor, um sich auf ihrem Höhepunkte willig von der Giebelkonstruktion beruhigen zu lassen. Während beim dorischen Tempel das hohe ausdruckslose Gesetz der Materie in seiner Ausschließlichkeit jede menschliche Einfühlung zurückscheuchte, fließen beim jonischen Tempel alle Lebensgefühle hemmungslos ein und das Glück dieser vom Leben durchströmten Steine wird zu unserem eignen Glück.

Wir werden im Folgenden noch manchmal Gelegenheit haben, an der Architektur das Kunstwollen eines Volkes abzulesen, und wir möchten damit einer Betrachtung der architektonischen Entwicklung von höheren Gesichtspunkten aus das Wort reden. Daß eine solche Betrachtungsweise noch selten ist, dafür mag das Beispiel Lamprechts zeugen. Selbst dieser in künstlerischen Dingen so feinfühlige und moderne [78] Historiker neigt noch zu einer Unterschätzung des künstlerischen Elementes in der Architektur, wenn er schreibt: „Für die Baukunst ist zu bedenken, daß sie, läßt man die Entwicklung des mehr oder minder ornamentalen Beiwerkes wie das von den jeweiligen Kulturbedürfnissen abhängige Raumverständnis bei Seite, im wesentlichen nur die Entwicklungsgeschichte eines bestimmten tektonischen Gedankens verkörpert, in ihrem Kerne also nicht so sehr die ästhetische als die logische Evolution mathematisch-physikalischer Zusammenhänge darstellt. Eine solche Evolution aber kann an sich für die psychologische Charakteristik einer bestimmten Entwicklungsstufe nicht von maßgebender Bedeutung sein.“ Daß der tektonische Gedanke, der Gebrauchszweck und das Material auch hier nur Faktoren sind, mit denen man einen höheren Gedanken ausdrückt und daß sich innerhalb der logischen Entwicklung eines tektonischen Gedankens auch eine entsprechende Skala psychischer Zustände abspielt, übersieht Lamprecht.

Indem wir uns nun der Skulptur zuwenden, müssen wir uns zuerst das Prinzip ins Gedächtnis zurückrufen, das wir im theoretischen Teil aufzudecken versuchten. Wir hatten mit Riegl die Behauptung aufgestellt, daß das Kunstwollen der alten Kulturvölker sie zu einer Annäherung der künstlerischen Darstellung an die Ebene gedrängt habe, weil in ihr der taktische Zusammenhang am strengsten gewahrt sei und weil deshalb innerhalb der Ebene die ersehnte Darstellung der Außendinge in ihrer abgeschlossenen stofflichen Individualität am ehesten zum Ausdruck kommen konnte. Wie dieses Flächenprinzip die Kunst beherrscht, zeigt vor allem die ägyptische Kunst, speziell das ägyptische Relief. Aber auch die Geschichte des griechischen Reliefs, dessen Bedeutung und maßgebende Rolle man längst nicht genug gewürdigt hat, weil man der Rundplastik eine aussch[l]ießliche Beachtung widmete, zeigt, wie die Darstellung in der Ebene nicht um äußerer Forderungen willen, sondern um ihrer selbst willen gewählt wurde, [79] weil sie dem Kunstwollen am meisten entsprach. Ja, man darf sagen, die ursprüngliche und nächstliegende Äußerungsart des griechischen Kunstwollens war das Relief. Allerdings wird diese Darstellung innerhalb der Ebene gleichzeitig mit der naturalistischen Belebung archaischer Starrheit in ihrer Konsequenz gelockert, Schatten und Verkürzungen werden zugelassen, aber nie geht diese lockernde Tendenz so weit, durch Einführung des freien Raumes und damit zusammenhängend der Perspektive die stoffliche Individualität der Einzelform aufzuheben. Diese Entwicklung bleibt vielmehr der nachchristlichen Epoche vorbehalten. Doch darum handelt es sich hier nicht. Vielmehr sei versucht, unter solchen Prämissen der antiken, besonders der archaischen und archaisierenden griechischen Plastik von einem neuen Gesichtspunkte aus gerecht zu werden. Es soll hier der anscheinend paradoxe aber klar aus den Voraussetzungen folgende Standpunkt vertreten werden, daß die rundplastische Darstellung eine durch äußere Bedingungen gebotene dem ursprünglichen Kunstwollen zuwiderlaufende Kunstgattung darstellt, während die aus dem ursprünglichen abstrakten Kunstwollen resultierende Kunstart eben die Darstellung in der Ebene sei.

Und zwar kommt hier nur die Monumentalplastik in Betracht. Die Kleinplastik diente naturgemäß mehr zur Befriedigung eines nachbildungs- und symbolfreudigen Spieltriebes, an dessen Erzeugnisse man andere Forderungen stellte als an ein Kunstwerk. Trotzdem sind übrigens die Stilelemente der monumentalen Plastik auch an ihr nachweisbar, wenn sie sich da auch nicht mit derselben Stärke ausdrücken.

In der großen monumentalen Kunst tritt also die Forderung der rundplastischen Darstellung als ein Hemmungsmoment für das eigentliche Kunstwollen auf. Das heißt: wo äußere Umstände und Bedingungen eine rundplastische Darstellung verlangten, da hieß es Widerstände, wie sie durch diese Forderung entstanden, zu überwinden, also [80] die Prinzipien des Kunstwollens, die naturgemäß zu einer Darstellung in der Ebene geführt hätten, nun trotzdem, trotz dieses Widerstandes zur Durchführung zu bringen. Wie sich dieser Willen durchsetzen konnte, sei gleich erörtert. Hier aber sei im Voraus bemerkt, daß in dieser ursprünglichen Unvereinbarkeit der rundplastischen Darstellung mit den Forderungen eines aufs Abstrakte, auf Verewigung gerichteten Kunstwollens der Grund für die Erscheinung zu suchen ist, daß alle Rundplastik am stärksten die Merkmale einer sogenannten Stilisierung trägt. Weil sie mit ihrer Dreidimensionalität, die sie sofort in den Relativismus und in die Unklarheit der Erscheinungen einbezieht, dem in jedem Kunstwollen stärker oder schwächer enthaltenen Verewigungsdrange zu entfliehen droht, muß sie mit umso intensiveren äußerlichen Mitteln verewigt werden. Während durch Projizierung auf die Fläche das Ding der Außenwelt verhältnismäßig einfach dem Fluß des Geschehens entrissen und für sich in seiner stofflichen Individualität und geschlossenen Einheit zur Anschauung gebracht werden kann, ist diese Absicht bei rundplastischer Darstellung ein Versuch mit untauglichen Mitteln, denn eine freiplastische Darstellung steht eigentlich eben so verloren und willkürlich im Weltbild wie ihr Naturvorbild, das man eben im Stein verewigen wollte. Diese Verewigung will natürlich auf anderem Wege erreicht werden als durch einfache Übertragung in ein unzerstörbares Material. Wo man sich mit dieser Prozedur begnügt, da hat man wohl einen Klumpen Stein, aber kein Kunstwerk vor sich.

Die Mittel, die man fand, um den unvermeidlichen Widerspruch zwischen rundplastischer Darstellung und abstrakten Verewigungstendenzen, zu überbrücken oder zu unterdrücken, machen die Geschichte der Entwicklung der plastischen Stilidee aus. Zwei Hauptmomente dieses Prozesses lassen sich am leichtesten herausgreifen. Einmal entstand die Forderung, die Vorstellung von der [81] stofflichen Individualität, die sonst nur durch den taktischen Zusammenhang innerhalb der Fläche erreicht wurde, auf eine andere Weise zum Ausdruck kommen zu lassen. Das geschah, indem man durch die Geschlossenheit des Materials, durch seine ungegliederte Körperlichkeit jenen Eindruck der Einheit und des taktischen Zusammenhanges nach Möglichkeit bewahren wollte. Dieses Grundgesetz der Plastik ist von den ersten archaischen Statuen bis auf Michelangelo, Rodin und Hildebrand dasselbe geblieben. Denn es ist im Prinzip kein Unterschied zwischen einer archaischen Statue und einer michelangelesken Grabfigur. Dort scheint die Figur mühsam aus einer Säule herauszuwachsen, ihre Arme haften eng am Körper, jede Gliederung der Oberfläche ist möglichst vermieden und unumgängliche Gliederungen sind nur ganz allgemein angedeutet oder sogar nur aufgemalt: alles ist getan, um den Eindruck stofflicher Geschlossenheit nach Möglichkeit zu erreichen. Hier dagegen, bei Michelangelo, ist die Geschlossenheit der Materie nicht von außen, sondern von innen heraus zur Anschauung gebracht. Bei ihm sind die streng abschließenden Grenzen der Materie keine faktischen, sondern imaginäre, die uns aber trotzdem nicht weniger deutlich zum Bewußtsein kommen. Wir können sie nicht tasten, aber wir fühlen sie mit ihrer kubischen Geschlossenheit. Denn nur unter dem unsichtbaren Druck dieser kubischen Geschlossenheit erhält die Dynamik michelangelesker Formsprache ihre übermenschliche Größe. Innerhalb eines geschlossenen kubischen Raumes ein Maximum von Bewegung: hier haben wir eine der Formeln michelangelesker Kunst. Diese Formel wird uns lebendig, wenn wir uns an den Alp, an das schwere Träumen erinnern, das über all diesen Figuren liegt, an das gequälte ohnmächtige Sichlosreißenwollen, das jede Schöpfung des michelangelesken Geistes in das Reich einer tiefen gigantischen Tragik hebt. Während wir also bei der archaischen Figur die Geschlossenheit der Materie abtasten können, fühlen wir [82] bei Michelangelo nur die unsichtbare kubische Form, in der seine Gestalten ihr Dasein führen. Bei beiden ist das Ziel aber dasselbe, nämlich, die Darstellung der stofflichen Individualität und geschlossenen Einheit anzunähern.

Die Kunstmaterialisten verkannten natürlich diese tieferen Ursachen für die Genesis des plastischen Stiles, sie erklärten alle Gebundenheit aus dem Widerstand des Materials. An der Absurdität, daß der Meißel, der das Gesicht einer archaischen Figur oder die kleinen Dekorationen ihres Gewandes exakt heraushaute, nicht die Fähigkeit besessen habe, die Arme oder die Beine vom Körper zu trennen und diesen Gliederungen irgendwelche Stützen zu geben, stieß man sich nicht. Warum auch eine so einfache, dem gesunden Menschenverstand so einleuchtende Erklärung auf ihre Berechtigung prüfen. Zwar hätte schon ein flüchtiger Blick auf die ägyptischen Skulpturen die Unhaltbarkeit einer solchen These erweisen müssen. Daß der Ägypter den Widerstand des Materials spielend meisterte, zeigen die ihres Realismus wegen genügend bewunderten Statuen der Profankunst des alten Reiches, wie der Dorfschulze, der Bierbrauer u. a. Und zur selben Zeit zeigen die Statuen des Hofstils, also der eigentlichen Monumental-Kunst, eine Ungegliedertheit der Form und eine Strenge des Stils, wie nur irgend eine archaische Figur. Es muß bei diesem Stil also doch wohl etwas anders mitgespielt haben als technisches Unvermögen, wie uns die Kunstmaterialisten glauben machen wollen. Riegl sagt: „Daß seit der ägyptischen Kunst eine fortschreitende Entwicklung stattgefunden hat, wollen wir nicht leugnen, aber dagegen muß Verwahrung eingelegt werden, daß diese Entwicklung eine solche des technischen Könnens gewesen wäre. In rein technischem Können, d. h. in der Beherrschung der Rohmaterialien waren die Ägypter allen ihren Nachfolgern bis auf den heutigen Tag überlegen.“ (Spätrömische Kunstindustrie.)

Nach dieser Abschweifung wiederholen wir die [83] erste Forderung plastischen Kunstwollens: taktische Geschlossenheit des Materials. Die zweite Forderung werden wir sogleich kennen lernen. Es stimmt mit dem von uns im ersten Teil theoretisch aufgebauten Entwicklungsgang überein, wenn Collignon in seiner Geschichte der griechischen Plastik sagt: „Die ersten Symbole der Gottheit, die sog. anikonischen Bilder, hatten, gleichviel ob sie aus Holz oder Stein bestanden, nur geometrische Form; man kann sie auf einige sehr einfache Typen zurückführen. Derart waren die Grundelemente, aus denen im Laufe der Entwicklung die ersten griechischen Statuen hervorgegangen sind. Noch in der archaischen Statue und im schlichten aus Ton geformten Weihgeschenk macht sie sich fühlbar.“ Die ersten Symbole der Gottheit waren also demnach reine Abstraktionen ohne jede Annäherung an das Leben. Es war klar, daß man, sobald nun ein wirkliches Naturvorbild plastisch-monumentaler Wiedergabe für würdig befunden wurde, diese Wiedergabe jener reinen Abstraktion anzunähern suchte. Man erinnere sich, wie wir im ersten Teil das Kunstwerk früher Zeiten, soweit ihm ein direktes Naturvorbild zu Grunde liegt, als einen Kompromiß zwischen dem Abstraktionsdrang und der Notwendigkeit, eben das Naturvorbild wiederzugeben, zu definieren suchten. Und man vergleiche mit dieser Definition die Ausführungen Schmarsows in seinem Kapitel über monumentale Plastik: „Jede Abwandlung der streng geometrischen Gebilde, jede Annäherung an die Formen der Pflanzen- oder Tierwelt mildert und schwächt die rücksichtslose Klarheit der monumentalen Tektonik und leitet das eine, worauf es ankommt, in die Bedingungen des Wachstums und des Lebens, d. h. der Zeitlichkeit über. Die Darstellung der organischen Geschöpfe scheint einer solchen abstrakten Verewigung des Daseins im kristallinischen Körper als unvereinbarer Widerspruch gegenüberzustehen. Schon die Gestalt des organischen Gewächses verkündet die mannigfaltige Beziehung, verrät in allen Gliedern die Bedingtheit des [84] Wachsens und Verwelkens. Die Beweglichkeit der Organismen stellt sich jeder Auffassung als feste Form entgegen. Wie weit ist das lebendige Individuum entfernt von der absoluten Geschlossenheit der regelmäßigen Körper und dennoch wird es unternommen, den Wert des Daseins von denen des Lebens zu scheiden und am organischen Gewächs zu verewigen, was sich als bleibender Bestandteil in starrem Material wiedergeben läßt. Gewaltsame Fassung in kubische Formen ist die erste Maßregel dieses monumentalen Bestrebens, sowie sich das Bewußtsein aufringt, daß es sich nicht um Nachahmung der Wirklichkeit handelt, nicht um Darstellung der Lebewesen in ihrem Tun und Treiben, in ihrem Zusammenhang mit der Natur, in die sie gestellt sind, sondern im Gegenteil um eine Abstraktion des Konstanten, um eine Umdichtung ins Unbewegliche, Starre, Kalte und Undurchdringliche, um eine Neuschöpfung in anderer eben unorganischer Natur.“ (Grundbegriffe der Kunstwissenschaft Kap. XVI.) Der Kompromißcharakter des plastischen Kunstwerkes wird also hier auch deutlich betont.

Die Gesetze des Unorganischen zu Hülfe rufen, um das Organische in eine zeitlose Sphäre zu heben, es zu verewigen, das ist ein Gesetz aller Kunst, sonderlich aber der plastischen. Dieses Verbrämen des Organischen durch Anorganisches kann auf mancherlei Art geschehen. Der nächste Weg ist, die Formen gewaltsam in tektonische Werte hineinzupressen, sie gleichsam in eine tektonische Gesetzmäßigkeit einzuschließen, innerhalb derer ihr eigentliches Leben unterdrückt wird. Heinrich Brunn hat in seinen „Kleinen Schriften“ einen höchst bemerkenswerten Ansatz unternommen, den tektonischen Stil in der griechischen Plastik und Malerei zum Gegenstand einer eingehenden Untersuchung zu machen. Er charakterisiert die Entwicklung der griechischen Monumentalplastik als eine Überwindung des Schematisch-Mechanischen (also des Abstrakt-Gesetzmäßigen) durch das Organisch-Rhythmische „und wenn dabei das tektonische [85] Prinzip auch seinen regelnden Einfluß als früheres Erziehungsmittel nicht einbüßt, so tritt es doch äußerlich immer mehr in den Hintergrund und wirkt nur noch gewissermaßen unbewußt im Verborgenen.“ (Kleinere Schriften, München 1905.) Die Griechen gingen also bald von dieser gewaltsamen Fassung in kubische Formen ab, und versuchten das Abstrakt- Gesetzmäßige durch das Organisch-Gesetzmäßige, die tote geometrische Form durch den Rhythmus des Organischen zu überwinden. Ihre glückliche Veranlagung, die weltfreudige Temperatur ihres Lebensgefühles wies ihnen diesen Weg. Die Skulptur der anderen Völker scheute vor solcher Verlebendigung zurück und ein Ägypter hätte sicherlich die organische Schönheit und Harmonie einer klassischen Statue nicht zu würdigen gewußt und sich vielleicht hochmütig von einer solchen Spielerei abgewandt.

Bei der gewaltsamen Fassung in kubisch-gesetzmäßige Formen, bei der tektonischen Bindung der Figuren werden die organischen Werte auf eine äußerliche Weise in die Welt des Anorganischen hinübergeleitet. Auf eine feinere verinnerlichte Art geschieht das durch Hineinbeziehung der Plastik in die Architektur. Hier ist die tektonische Gebundenheit keine direkte sondern eine indirekte. Das gleiche Prinzip ist auf eine differenziertere Weise zur Anwendung gekommen. Die Plastik geht vollständig auf in einem anderen Organismus von höchster Gesetzmäßigkeit. Ist nun diese architektonische Gesetzmäßigkeit organischer Art wie in der griechischen Baukunst, so wirkt auch die Gebundenheit, in der die Plastik lebt, in organischer Weise wie z. B. bei den Figuren eines Giebelfeldes, ist sie dagegen wie bei der Gotik anorganischer Art, so werden die Figuren in dieselbe anorganische Sphäre hineinbezogen. Hier wie dort aber verlieren sie die Willkür und Unklarheit, die an der rundplastischen Darstellung haftet, indem sie sich, gleichsam ihrer Relativität bewußt, an ein außer ihnen liegendes System von gesetzmäßiger Bildung anklammern. Möglichste Geschlossenheit der Materie, gewaltsames [86] Hineinpressen des Objektes in geometrische oder kubische Gesetzmäßigkeit: diese beiden plastischen Stilgesetze stehen am Anfang aller skulpturalen Kunst und bleiben während ihrer ganzen Entwicklung mehr oder weniger bestimmend, weil ja die Plastik, wie schon gesagt, durch ihre Dreidimensionalität am wenigsten auf sogenannte Stilisierung verzichten kann und deshalb allen anderen Künsten gegenüber am stärksten die Merkmale des Abstraktionsbedürfnisses trägt.

Eine dritte Forderung, die sich eng an die erste anschließt und eigentlich nur eine konsequente Weiterbildung derselben ist, wurde nur von den Völkern erfüllt, deren Kunstwollen ganz unter dem Prinzip der Abstraktion stand. Diese Forderung war, das Kubische flächenhaft wirken zu lassen, d. h. dem plastischen Gebilde eine derartige Bearbeitung zu geben, daß das Augenbild dem Beschauer anstatt der dreidimensionalen Wirklichkeit eine flächenhafte Darstellung vortäuschte. Auf äußerliche direkte Art wurde diese Tendenz bei den Ägyptern, auf verinnerlichte, indirekte wird sie z. B. bei Hildebrand zum Ausdruck gebracht.

Wir erinnern an die in Hildebrands „Problem der Form“ ausgesprochenen Grundsätze. Da heißt es: „So lange eine plastische Figur sich in erster Linie als ein Kubisches geltend macht, ist sie noch im Anfangsstadium der Gestaltung, erst wenn sie als ein flaches wirkt, obschon sie kubisch ist, gewinnt sie eine künstlerische Form. Durch die konsequente Durchführung dieser Reliefauffassung unserer kubischen Eindrücke erhält die Darstellung erst ihre Weihe und die geheimnisvolle Wohltat, die wir vom Kunstwerk empfangen, beruht nur auf ihr.“

Das Prinzip, das hier von dem modernen Bildhauer ausgesprochen wird, erhielt, wie schon gesagt, seine rücksichtsloseste Durchführung bei den Ägyptern. Als Musterbeispiel des ägyptischen Kunstwollens stellt sich uns die Pyramide dar, die ebensogut als plastisches Mal wie als architektonisches Gebilde betrachtet werden [87] kann. Hier sind die genannten Tendenzen am strengsten und unzweideutigsten zur Anschauung gebracht und es ist deshalb verständlich, daß kein anderes Volk diese Form nachgeschaffen hat. Welches sind nun die Entstehungsbedingungen dieser eigenartigen Form ? Durch den Gebrauchszweck, nämlich die Grabkammern, war ein kubisches Gebilde bedingt. Anderseits sollte das Gebilde ein Mal sein, ein weitwirkendes feierlich eindrucksvolles Mal, das einsam auf weiter Ebene stehen sollte. Es mußte also eine Form gefunden werden, die am nachdrücklichsten den Eindruck stofflicher Individualität und geschlossener Einheit hervorzurufen geeignet war. Dem aber stand aus früher angeführten Gründen die durch den Gebrauchszweck bedingte kubische Fassung entgegen. Es handelte sich also darum, „dem Kubischen das Quälende zu nehmen“, das Kubische in Flächeneindrücke umzusetzen. Als denkbar konsequente Erfüllung dieses Bestrebens steht die Pyramide vor uns. Lassen wir Riegl sprechen: „Das Architekturideal der Altägypter ist wohl im Grabmaltypus der Pyramide zum reinsten Ausdruck gelangt. Vor welche der vier Seiten immer der Beschauer sich hinstellt, sein Auge gewahrt stets bloß die einheitliche Ebene des gleichschenkligen Dreiecks, dessen scharf abschließende Seiten in keiner Weise an den Tiefenabschluß dahinter gemahnen. Gegenüber dieser wohlüberlegten und mit größter Schärfe betonten Begrenzung der äußeren stofflichen Erscheinung in den Flächendimensionen tritt hier die eigentliche gebrauchszweckliche Aufgabe – die Raumbildung – vollständig zurück. Sie beschränkt sich auf die Anlage einer kleinen Grabkammer mit unansehnlichen Zugängen, die für den Anblick von außen so gut wie nicht vorhanden waren. Die stoffliche Individualität im strengsten orientalischen Sinne konnte kaum einen vollendeteren Ausdruck finden.“ Es leuchtet ein, warum wir die Pyramide als Musterbeispiel für alle abstrakten Tendenzen nannten. An ihr kommen sie am reinsten zum Ausdruck. Soweit man Kubisches in Abstraktion umwandeln [88] kann, ist es hier geschehen. Klare Wiedergabe der stofflichen Individualität, streng geometrische Gesetzmäßigkeit, Umsetzung des Kubischen in Flächeneindrücke: all die Forderungen eines extremen Abstraktionsdranges sind hier erfüllt. Bei den Mastaba's, den Gräbern der Großen, und anderseits beim Tempel- und Wohnbau des Ägypters ist ein analoges Bestreben überall deutlich zu verfolgen, um von der Plastik ganz zu schweigen. Nur forderte hier der Gebrauchszweck stärkere Konzessionen und da es sich nicht um Idealbauwerke wie bei den Königspyramiden handelte, verstand man sich umso leichter zu Konzessionen.

Wie sehr die ägyptische Rundplastik, soweit sie dem hieratischen Hofstil angehört, das Bestreben hatte, den Beschauer von der quälenden Relativität des Kubischen zu befreien, wird Jedem auch bei nur flüchtigem Hinsehen klar. Überall, wo es eben anging, suchte man die Tiefendimensionen durch Flächenbildungen zu verbergen, sie vergessen zu machen. Am wenigsten konnte dieses Bestreben sich natürlich an den Köpfen der Statuen durchsetzen, zumal hier eine gewisse Ähnlichkeit zu erreichen war. Denn von der Ähnlichkeit des Bildes war nach dem Glauben der Ägypter das Fortleben des „Ka“ bis zu einem gewissen Grade abhängig. Überall sonst aber suchte man Flächeneindrücke zu geben. Die Vorderfronten der Figuren erscheinen oft völlig plattgedrückt. Bei den sitzenden oder vielmehr kauernden Figuren bilden die Beine vielfach mit dem ganzen Körper eine zusammenhängende würfelförmig gebildete Masse, aus der nur die Schultern mit dem Kopf als notwendige individuelle Charakterisierung herausragen. Die ungegliederten Flächen dieses Würfels sind oft mit Hieroglyphen bedeckt, die von den Taten des Dargestellten erzählen, sie haben also ihre eigentliche Bedeutung vollständig verloren und sind zur Schreibfläche geworden. Aber auch im Einzelnen macht sich das Bestreben, dem Beschauer möglichst viele Flächeneindrücke zu geben, bemerkbar, so am Kopfschmuck, den [89] Königshauben, den Schurzen und Gewändern u. s. w. Schließlich wird dann noch der Tiefeneindruck oft durch eine im Rücken angebrachte Säule aufgehoben.

Als das letzte und äußerlichste Mittel Organisches in die Sphäre des Anorganisch-Abstrakten hinüberzuleiten, sei die Tendenz erwähnt, Einzelheiten rein dekorativ zu nehmen, sie zu geometrischen Mustern zu machen. So werden z. B. die Gewandfalten ins Steife und Regelmäßige stilisiert, der Fall der Draperie am Gewandsaum in ein Flächenmuster umgewandelt, desgleichen der Rand des emporgenommenen Gewandstückes und wo sonst noch Gelegenheit dazu sich bietet, wie z. B. in der Haarbehandlung. Denn es ist kaum anzunehmen, daß die oft sehr umfangreichen Frisuren in Wirklichkeit so steif stilisiert gewesen sind, vielmehr machte man hier von der Gelegenheit, vorhandene kubische Werte mit abstrakten Werten zu verbrämen, reichlichen Gebrauch, womit natürlich nicht bestritten sein soll, daß die Altorientalen kunstvolle Frisuren oder vielmehr Perücken gehabt hätten.

Die außerordentliche Art der Stilisierung, wie wir sie zuletzt erwähnt haben, spielt eine große Rolle in der byzantinischen Kunst, zu der wir uns jetzt wenden wollen, um von ihr zur mittelalterlich nordischen Kunst überzugehen. Denn die Betrachtung der Elemente, aus denen sich die nordische mittelalterliche Kunst zusammensetzt, erfordert vor allem ein Eingehen auf die Kunst, die im ersten nachchristlichen Jahrtausend das Kunstwollen dieser Zeit am deutlichsten repräsentierte. Und das tut zweifellos die byzantinische Kunst. Die Frage nach der historischen Entstehung und genetischen Entwicklung dieses Stiles ist eine der schwierigsten und interessantesten der ganzen Kunstgeschichte. Besonders über das Anteilverhältnis der Indogermanen und der Orientalen gehen die Meinungen stark auseinander. Die byzantinische Kunst stellt sich in erster Linie als Universalerbin der antiken und altchristlichen Kunst dar. Dadurch, daß Riegl die altchristliche oder spätrömische [90] Kunst nicht als eine durch die Dazwischenkunft der Barbaren motivierte Sondererscheinung sondern als eine logische Entwicklungsphase der antiken Kunst und als eine notwendige Überleitung zur neueren Kunst analysierte, erfährt die Frage eine neue Komplikation. Wir müssen hier einen längeren Passus aus Riegl anführen, weil er viele Gesichtspunkte enthält, die auch für den Zweck unserer Ausführung von erheblicher Wichtigkeit sind. Riegl macht die Reliefs am Konstantinbogen zu Rom zur Basis seiner Analyse des spätrömischen Kunstwollens und kommt zu dem folgenden Ergebnis. „Man hat stets gefunden, daß den konstantinischen Reliefs gerade das abgehe, was den klassischen Reliefs spezifisch eigentümlich sei, das ist die Schönlebendigkeit. Die Figuren seien einerseits häßlich, anderseits plump und unbeweglich. Damit schien es gerechtfertigt, sie als Arbeiten wo nicht von Barbarenhänden, so von solchen barbarisierter Werkleute zu erklären. Was einmal die Schönheit betrifft, so vermissen wir allerdings die proportionale (in unserer Terminologie organische), die jeden Teil nach Größe und Bewegung an seinem Nachbarteil und am Ganzen abwägt; dafür haben wir aber eine andere Art der Schönheit vorgefunden, die in der strengsten symmetrischen Komposition zum Ausdruck gelangt und die wir die kristallinische nennen dürfen, weil sie das erste und ewigste Formgesetz der leblosen Materie bildet und der absoluten Schönheit (stoffliche Individualität) die freilich nur gedacht werden kann, verhältnismäßig am nächsten kommt. Barbaren hätten wohl das von der klassischen Kunst überlieferte proportionale Schönheitsgesetz in mißverstandenen und vergröberten Äußerungen wiedergegeben, die Urheber der konstantinischen Reliefs haben an seine Stelle ein anderes gesetzt und damit ein selbständiges Kunstwollen bewiesen. Freilich ist diese höchste gesetzliche Schönheit keine lebendige. Anderseits fehlt es den Figuren dieser Reliefs auch keineswegs an Lebendigkeit, nur liegt diese nicht in der taktischen Modellierung der Gliederverbindungen [91] (Gelenke) und überhaupt nicht in der taktisch-normalsichtigen Modellierung des Nackten und der Draperie, sondern in dem lebhaften Wechsel von Hell und Dunkel, dessen Wirkung sich namentlich bei fernsichtiger Betrachtung einstellt. Die Lebendigkeit ist also wohl vorhanden und sogar eine extreme, weil auf einem momentanen optischen Eindruck beruhende, aber allerdings keine schöne (nach klassischen Begriffen d. h. auf taktischer Modellierung in Halbschatten begründet). Es läßt sich bereits aus diesen kurzen allgemeinen Andeutungen das Ergebnis ableiten, daß in den konstantinischen Reliefs beide Zielpunkte alles bildenden Kunstschaffens – Schönheit und Lebenswahrheit – ebensogut angestrebt und auch tatsächlich erreicht waren als in der klassischen Kunst, während sie aber in der letzteren zu harmonischem Ausgleich (der Schönlebendigkeit) vereinigt waren, sind sie nun wieder in ihre Extreme auseinandergegangen: einerseits die höchste gesetzliche Schönheit in der strengsten Form des Kristallinismus, anderseits die Lebenswahrheit in der extremsten Form des momentanen optischen Effekts.“ (Spätrömische Kunstindustrie Seite 48 f.) Diese Ausführungen, deren Schlußfolgerungen wir nicht ohne weiteres zustimmen können, geben uns zwei Tatsachen, die für unsere Untersuchungsmethode von Bedeutung sind. Vor Allem finden wir die Tatsache konstatiert, daß hier die Einheit des Kunstwerkes wieder in seiner kristallinisch-geometrischen Gesetzmäßigkeit gesucht wird, daß also seine innere Konstitution wieder eine abstrakte ist. Zwar wird dieser Tatbestand dadurch verschleiert, daß dieses veränderte Kunstwollen sich im Einzelnen noch antiker Errungenschaften bedient, also sozusagen noch auf demselben Instrumente weiterspielt, anderseits wird durch diesen Umstand auch wieder der Unterschied gegenüber der reinen Antike umso energischer dem Bewußtsein aufgedrängt.

Eine weitere wichtige Tatsache gibt uns jener von Riegl oben definierte koloristische Effekt. Zweifellos [92] ist hier der Schatten, der im antiken Relief nur Mittel zum Zweck ohne eigene Funktion war, selbst zum Kunstmittel geworden. Er dient als Kompositionsfaktor und ergänzt so jene kristallinische Gesetzmäßigkeit. Diesen wohlberechneten Wechsel von Hell und Dunkel als ein Mittel zur Erreichung der Lebendigkeit und Lebenswahrheit zu bezeichnen, wie Riegl es tut, könnte, so richtig es unter den Gesichtspunkten Riegl's ist, zu Mißverständnissen führen. Zwar wird die Fläche durch diese Wechselwirkung fraglos belebt, aber diese Belebung geht nach abstrakten Grundsätzen vor sich, sodaß der Gesamteindruck immer mehr der eines Musters wird. Und diese Art des Kolorismus appelliert nicht an unsere Einfühlungsfähigkeit. Das ist das Entscheidende. Als Kompositionsmittel im organischen Sinne wird der Wechsel zwischen Licht und Schatten erst in späteren Epochen der Kunstentwicklung verwandt, wo er, auf die Malerei übertragen, in jener großartigen Linie, wie sie von Piero della Francesca und Lionardo über Rubens zu Rembrandt und Velasquez führt, bei den malerischen Problemen unserer Zeit endet.

Also in den beiden Momenten, die uns in der altchristlichen Kunst entgegentreten, offenbart sich klar als gemeinsames Novum die Tendenz zum Abstrakten. Daß dieses Novum mit dem neuen Geist, der durch das Christentum in die römische Welt kam, in Zusammenhang steht, ist kaum abzuweisen. Das Christentum ist in seinem Geiste orientalisch-semitischer Provenienz, mußte also auch in seinem Kunstwollen die abstrakten Züge zum Ausdruck bringen, die den semitischen Orient beherrschten.

Die byzantinische Kunst nimmt nun mit der ganzen hellenischen Entwicklung auch die Elemente der altchristlichen Kunst in sich auf und verarbeitet sie zu einer Gesamtkunst, in der Hellenistisches, Altchristliches und Allgemein-Orientalisches sich unter vielen Auseinandersetzungen zu einem neuen Stil einen, der in dieser Prägung zu einer Art Weltherrschaft gelangt. Von [93] einer vollständigen Unterdrückung irgend eines dieser Komponenten, wie sie das Schlagwort Strzygowski's „Hellas in des Orients Umarmung“ andeutet, kann wohl nicht ohne weiteres die Rede sein, vielmehr enden die letzten Fäden antiker Kunstentwicklung ebenso ungehindert und logisch hier, wie auch die altchristlichen und orientalischen auf diese Entwicklungsstufe hindrängen.

Die altchristlichen Stilelemente waren natürlich nicht auf römischen und abendländischen Boden beschränkt geblieben, sondern hatten sich mit dem Christentum selbst nach Ägypten (koptische Kunst) und Vorderasien verbreitet, wurden dort mit der heimischen in der Tendenz verwandten Tradition verschmelzt und gingen so in die byzantinische Kunst über.

Das Schwanken zwischen hellenisch-organischer Tradition und jener altchristlich-orientalischen abstrakten Einwirkung bildet die Entwicklungsgeschichte der byzantinischen Kunst, bis durch das gewaltsame Vordringen des Islam die Auseinandersetzung mit einem Siege der unantiken abstrakten Elemente endete.

In dieser ganzen Periode geht die Entwicklung des Kunstwollens in extremer sprunghafter widerspruchsvoller Weise wie unter Zuckungen vor sich, was sich ja genügend aus der gewaltsamen und konfliktreichen Art erklärt, wie hier im oströmischen Weltreich Rassen und Völker miteinander in Berührung und zur Vermischung kamen. Die Hauptphasen der Entwicklung sind bekannt. Im theodosianischen Zeitalter ein ausgesprochenes Vorherrschen der abstrakten Tendenzen, wie sie sich äußern in der Geometrisierung der Dekoration, besonders der antiken Pflanzenmotive, und im Abnehmen des Formgefühls. Anstatt plastischer Modellierung finden wir flachen Ausstich mit musterartigem Wechsel von Hell und Dunkel. Diese Entwicklung setzt sich auch in justinian'scher Zeit fort. Dann kommen die Jahrhunderte des Bilderstreits, die auf allen Gebieten anscheinend einen Stillstand im Gefolge hatten. „Von [94] den zwei Jahrhunderten zwischen Justinian und Karl dem Großen wird sich so viel mit Sicherheit sagen lassen, daß sie in höherem Maße als dies irgendwann der Fall gewesen ist, den Wert des Kunstwerks einseitig in seinem immateriellen Vorstellungsinhalte gesucht hat. In der Zeit, wo der Islam aufkam und der Bildersturm wütete, hat sich auch die christliche Kulturanschauung in beträchtlichem Maße der jüdischen genähert, die ein Wettschaffen mit der organischen Natur überhaupt als unzulässig und harmoniefeindlich, d. h. die bildende Kunst, soweit sie Nachahmung belebter Wesen betrifft, für an sich unkünstlerisch erklärt hat.“ (Riegl, Spätrömische Kunstindustrie.) Dann aber werden wir plötzlich von einem starken Wiederaufleben antik-hellenistischer Tendenzen überrascht. Das Organische beherrscht wieder das Kunstwollen. In diese Zeit gehören z. B. die Narthex-Mosaiken der Sophienkirche in Konstantinopel und auf dem Gebiet der Buchmalerei der berühmte Codex 139 der Pariser Nationalbibliothek mit seinen köstlichen Malereien. Aber mit der zweijahrhundertlangen Herrschaft des makedonischen Kaiserreiches geht auch dieses Wiederaufblühen organischen Empfindens zu Ende. Stellt diese Epoche der byzantinischen Kunst die Blüte der indogermanisch-antiken Komponente ihres Wesens dar, so findet die vom andern Pol, dem orientalisch-abstrakten herkommende Komponente ihre Blüte in den ersten Jahrhunderten des zweiten Jahrtausends, in denen Byzanz unter der Herrschaft der Komnenenkaiser stand. In dieser Form hat die byzantinische Kunst wohl den stärksten Einfluß auf das Abendland ausgeübt, was zu der irrtümlichen Identifizierung dieser späten Komnenenkunst mit der byzantinischen Kunst überhaupt führte.

Die künstlerische Würdigung dieser Komnenenkunst datiert erst seit jüngster Zeit. Vorher verkannte man das bewußte Kunstwollen darin fast vollständig, sah in ihr nur einen Mangel an künstlerischer Kraft und die Worte „schematisch“ „leblos“ „starr“ konstatierten nicht nur einen Tatbestand, sondern gaben auch ein [95] Werturteil im abfälligen Sinne ab. Man stand eben ganz im Banne einer Kunstanschauung, die ihre Ästhetik von der Antike und von der Renaissance abstrahiert hatte und die infolgedessen das Organisch-Lebenswahre zum Kriterium ihrer Wertungen machte. Daß das Ziel der Kunst im Leblosen, im Starren gesucht werden könne, diese Annahme war vom Standpunkt der früheren Kunstwissenschaft aus ausgeschlossen. Die eingehende geistreiche Analyse, die dann Semper in seinem „Stil“ von der byzantinischen Kunst gab, basierte natürlich ganz auf seiner materialistischen Theorie und brachte die Eigenart des byzantinischen Stiles mit der Teppichweberei in Zusammenhang, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, daß man zu einer bestimmten Technik griff, weil sie dem Kunstwollen am meisten entgegenkam. Zu einem entscheidenden Fortschritt in der objektiven Würdigung des byzantinischen Stiles brachte es erst Robert Vischer mit seinem Aufsatz „Kritik der mittelalterlichen Kunst“, den er in seinen gesammelten „Studien“ veröffentlichte. Hier versucht er wenigstens trotz aller Befangenheit in „europacentrischen“ (wenn diese dem Wort geozentrisch analoge Neubildung hier ausnahmsweise gestattet sei) und materialistischen Anschauungen ein positives Kunststreben im byzantinischen Stil nachzuweisen. Aus diesen Ausführungen seien einige Stellen zitiert, die zugleich eine Charakteristik des Stiles geben: „Die Transformation der spätbyzantinischen Bildkunst ins planimetri­sche und stereometrische Dekorative ist wohl ohne Zweifel aus einem Verfall der Kunst zu erklären, aus einer Erstarrung des Gefühls für organische Körperlichkeit (das also hier klar mit der Kunst überhaupt identifiziert wird. D. Verf.), allein ebensosehr aus einer Zuschärfung des Sinnes für Flächenschmuck und Architektonik. Wir haben es also auch wertkritisch genommen mit einem eigentümlichen Ineinander, mit einer Zweieinigkeit von Kunst und Unkunst, artistischer Absicht und handwerklicher Verblendung zu tun. Das Schematische ist in einer Hinsicht [96] Folgezwang ratloser Befangenheit und Unkenntnis (sic!) in anderer Hinsicht freigewollt und stilvoll durchgeführt.“

Man fühlt, wie in dieser Analyse eine neue Anschauung mit der alten kämpft und wie jedes Moment, das der neuen konzediert wird, von der alten wieder aufgehoben wird.

Eine weitere Stelle lautet:

„Dieser Stil besteht in einem dekorativen Veräußerlichen und Schematisieren der Gestalt, in einer Annäherung des Menschenbildes zum Charakter des Flachornaments und hiermit zur architektonischen Gebundenheit. Daß auch die menschliche Gestalt mit ihrem Formenwert einer solchen Abstraktion unterworfen wurde, das ist gewiß seltsam aber nicht wahnwitzig. Denn die Entorganisation des Organischen setzt sich ja doch ins Werk zu Gunsten einer Stilistik, welche wesentlich dekorativer Natur, sie hat also ihren Sinn und in diesem Sinn auch ästhetische Wirkung. Alle Bildkunst hat einen subjektivistischen, dem gegebenen Naturvorbild gegenüber relativ unabhängigen Hang, der sich rein formal, in Formen überhaupt aussprechen will, steht somit in einem tiefen Zusammenhang zum Zierwesen (sic) und neigt immer mehr oder weniger zu einer spielenden Umformung natürlicher Gebilde, gleichsam zur Übertäubung des Gesanges durch Orchestermusik. So gelangte man allmählich ganz unbefangen dahin, die lebendige Gestalt dem Charakter des Flächenornamentes zu unterwerfen. An die Stelle des totalen Scheines der menschlichen Gestalt, worin ihr selbstständiges geschlossenes organisches Leben zum Ausdruck käme, tritt nun ein harmonisches Conglomerat von Teilchen, worin der Zweck der Lebensillusion hinter dem Zweck einer selbständig dekorativen Wirkung zurücktritt.“

Soweit geht das Verständnis Vischers für den byzantinischen Stil. Er gelangt nicht zum vollständigen Verständnis, weil er das Wort „dekorativ“ nur in der [97] uns gewohnten äußerlichen Auffassung nimmt und so den tieferen Inhalt dieses Kunstwollens, auf das die Bezeichnung ornamental schon besser paßte, verkennt.

Für eine eingehende Analyse der byzantinischen Kunst ist hier nicht der Platz. Es kommt uns hier nur auf unsere Gesichtspunkte an und auf die Bedeutung, die der Stil für die weitere nordeuropäische Entwicklung hat. Und da ergibt sich ja schon aus der Vischer'schen Charakteristik die Tatsache, daß in dieser Kunst die Tendenz wieder in ihrem ganzen Umfange eine abstrakte ist, die dem Organischen als Trübung des Ewigkeitswertes möglichst auszuweichen sucht und die wieder mit aller bewußter Absicht die Dreidimensionalität vermeidet und alles Heil in der Fläche sucht.

Es ist hier der Punkt, um die psychischen Voraussetzungen eines derartigen Kunstwollens an der Religion und an der Weltanschauung des betreffenden Volkes abzulesen und so den innigen Zusammenhang zwischen Kunst und Religion als zwei gleichwertigen Äußerungen der gleichen psychischen Disposition, der gleichen temperature d'âme, an einem Beispiel klarzulegen.

Jener polaren Gegenüberstellung von Einfühlung und Abstraktion, die wir für die Kunstbetrachtung fanden, entsprechen auf dem Gebiete der Religions- oder Weltanschauungsgeschichte die beiden Begriffe der Innerweltlichkeit (Immanenz), die sich als Polytheismus oder als Pantheismus charakterisiert und der Überweltlichkeit (Transzendenz), die zum Monotheismus überleitet.

Die vertrauliche Hingabe an die Außenwelt, das sinnlich sichere Sichwohl- und Sicheinsfühlen mit der Schöpfung, diese ganze wohltemperierte glückliche Stimmung der Griechen, die sich in ihrem weltfrommen Pantheismus ausspricht, mußte, sobald man überhaupt psychische Motive für die Entstehung des Kunstwerkes anerkennt, zu jenem klassischen Stil führen, dessen Schönheit eine lebendig organische ist, in die das von keinen Weltängsten zurückgedrängte Einfühlungsbedürfnis mühelos einfließen konnte. Für das religiöse wie [98] das ästhetische Erleben gilt es gleicherweise: es war objektivierter und gesteigerter Selbstgenuß. Man war in der Welt zu Hause und fühlte sich als ihren Mittelpunkt. Mensch und Welt waren keine Gegensätze und, von diesem Glauben an die Wirklichkeit der Erscheinung getragen, gelangte man zu einer umfassenden intellektuellen Beherrschung des Weltbildes. Alle griechische Philosophie, soweit sie sich von asiatisch-orientalischen Zusätzen freihält, ist ein Ausbau der Oberfläche der sichtbaren Welt vom Mittelpunkt des betrachtenden denkenden Menschen aus und deshalb hat sie mit ihren Systemen der modernen Menschheit ein so ungeheures Material gegeben für eine rationalistische Auffassung des Weltganzen. Man kann ruhig sagen, daß die Griechen die Menschheit zum ersten Male wissenschaftlich zu denken gelehrt haben und daß unser ganzes heutiges Denken und Begriffsbilden noch im Banne dieser griechischen Philosophie und ihrer Fortsetzung der Scholastik oder, um die Vertreter dieser Systeme zu nennen, im Banne einer aristotelisch-tomasinischen Weltanschauung steht.

Das Kriterium für das gestörte Verhältnis zwischen Mensch und Außenwelt ist die transzendente Färbung der religiösen Vorstellung mit ihrer Folgeerscheinung, der dualistischen Trennung von Geist und Materie, von Diesseits und Jenseits. Anstatt des naiv sinnlichen Einsseins mit der Natur eine Zerrissenheit, ein Furchtverhältnis zwischen Mensch und Welt, eine Skepsis gegenüber der Oberfläche und dem Schein der Dinge, über die hinaus man nach dem letzten Grund der Dinge, nach einer letzten Wahrheit suchte. Dem tiefen Instinkt für die Undurchdringlichkeit der Schöpfung und für die Problematik aller Erscheinung konnte das Diesseits mit seiner Wirklichkeit nicht genügen. Und aus diesem Instinkt heraus schufen sich die Völker transzendenter Geistesrichtung ein Jenseits. Alle transzendente Religionen sind naturgemäß mehr oder weniger ausgesprochene Erlösungsreligionen; Erlösung suchen sie zu bringen aus der Bedingtheit menschlichen Seins und aus der Bedingtheit [99] der Erscheinungswelt. Bedarf es noch vieler Worte, um zu beweisen, daß diese temperature d'âme alle Kunstbetätigung zu einer abstrakten machte. War denn dieser Abstraktionsdrang etwas anderes als das Bestreben, Ruhepunkte zu schaffen innerhalb der Flucht der Erscheinungen, Notwendigkeiten innerhalb des Willkürlichen, Erlösung von der Qual des Relativen. Es leuchtet ein, daß transzendente Vorstellungen in religiöser Beziehung und Abstraktionsbedürfnis in künstlerischer Beziehung Äußerungen derselben psychischen Disposition dem Kosmos gegenüber sind. Und diese psychische Disposition, welche die Entwicklung der Kunst im Sinne des Organisch-Naturalistischen hinderte, bewahrte den orientalischen Geist auch vor einer Entwicklung seiner Weltanschauung im Sinne des griechischen Rationalismus. Und nun wissen wir die Tatsache anders zu würdigen, daß griechische Kunst im Orient, speziell in Ägypten, nicht durchdrang, ebensowenig wie das griechische Denken das Grundwesen orientalischer Weisheit zu ändern wußte. Es wurde vielmehr von ihm absorbiert. Griechenland und Ägypten sind trotz ihrer vielfachen kulturellen Beziehungen als die strengsten Vertreter entgegengesetzter Weltanschauungen zu betrachten. Und infolgedessen zeigt auch ihr Kunstwollen einen polaren Gegensatz.

Religiöse Transzendenz und ihre uns vertrauteste Gestaltung, das Christentum, sind orientalisch-semitischer Herkunft. Längst war die griechische Götterwelt schon mit transzendent- orientalischen Vorstellungen zersetzt, ehe das Christentum diesen Elementen in einer neuen Fassung auf römischem Boden zum Siege verhalf. Der Rückschlag dieses transzendenten Empfindens auf das Kunstwollen liegt in der oben an der Hand der konstantinischen Reliefs geschilderten abstrakten Tendenz der altchristlichen Kunst klar zu tage.

Die altrömische Kultur pflegte dann einerseits bewußt die hellenische Überlieferungen, anderseits machte sie das Christentum zur Staatsreligion. In der Komnenenzeit [100] aber sind die antiken Erinnerungen vollständig zum Schweigen gebracht und unter dem Einfluß des neuaufkommenden Islams, dieses späten Nachtriebes der religionsbildenden Kraft der semitischen Rasse, wie ihn Pfleiderer 1) nennt, gewinnen die transzendenten Tendenzen die Alleinherrschaft, was zu der in ihrem reinabstrakten Habitus unverkennbaren spätbyzantinischen Kunst führt.

In den Elementen dieser Kunst, als da sind Rückkehr zur Fläche, Unterdrückung des Organischen, kristallinisch-geometrische Komposi­tion finden wir die Grundbestandteile der altorientalischen ägyptischen Kunst wieder. Der Ring scheint wieder geschlossen und die griechisch-antike Kunst erscheint fast wie eine verhältnismäßig kurze Unterbrechung eines dauernden Zustandes, eines festgelegten Kunsttypus. Und doch, wie verschieden zeigt sich die byzantinische Kunst von der altägyptischen, wie deutlich zeigt sie, daß sie die antike Entwicklungsphase durchgemacht hat. Es ist hier nicht der Platz, um die Hauptmomente der Wesensverschiedenheit, wie sie von Riegl und Strzygowski als Neuerrungenschaften der altchristlichen und byzantinischen Kunst aufgedeckt sind und wie sie hauptsächlich das Raumproblem, den Übergang vom taktischen Objektivismus zum optischen Objektivismus (Riegl) und den Kolorismus in Betracht ziehen, zu, untersuchen. Eine Äußerlichkeit kann uns schon über diese Verschiedenheit belehren. Man vergleiche ein byzantinisches Relief der guten Zeit mit einem altägyptischen Relief und schließlich mit einer griechischen Vasenzeichnung. Trotzdem die rein geometrisch-abstrakte Fassung und die ausgesprochene abstrakte Tendenz das byzantinische Werk ganz nahe an das ägyptische heranführen, so merken wir doch sofort aus der Eleganz und Schönheit des linearornamentalen Aufbaus, an der oft bis zur Zierlichkeit gehenden Grazie der Anordnung, daß die Entwicklung über [101] die griechische Kunst geführt hat, wie sie uns z. B. in der ersten besten Vasenzeichnung entgegentritt.

 

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1) Religion und Religionen. München 1906.