BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. I. Abtheilung.

 

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Zwölftes Capitel.

 

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Von der deutschen Sprache in ihren Beziehungen

mit dem Geiste der Unterhaltung.

 

Wenn man den Geist und den Charakter einer Sprache studirt, so lernt man die philosophische Geschichte der Meinungen, der Sitten und National-Gewohnheiten; und die Umwandlungen, welche die Sprache erleidet, müssen über die Bahn des Gedankens nothwendig sehr viel Licht verbreiten. Allein eine solche Analyse würde, ihrer Natur nach, metaphysisch seyn, und eine Masse von Kenntnissen erfordern, die uns in einer fremden Sprache fast immer, in der eigenen nicht selten fehlen. Man muß also stehen bleiben bei dem Eindruck, welche[n] das Idiom einer Nation in seinem gegenwärtigen Zustande auf uns macht. Da das Französische mehr als irgend ein anderer europäischer Dialekt gesprochen wird, so ist es zugleich abgeglättet durch den Gebrauch und gestählt für den Zweck; keine Sprache ist klarer und reißender, keine kündigt leichter an, keine drückt netter aus, was man sagen will. Das Deutsche schmiegt sich [101] der Bestimmtheit und der Schnelligkeit der Unterhaltung weit weniger an. Selbst vermöge der grammatikalischen Zusammensetzung wird der Sinn einer Phrase gewöhnlich erst am Schlusse derselben gefaßt. Das Vergnügen zu unterbrechen, welches die Erörterung in Frankreich so sehr belebt, und das, was man zu sagen hat, in der möglich kürzesten Zeit vorzutragen nöthigt: – dies Vergnügen kann also in Deutschland gar nicht Statt finden; denn da die Anfänge der Phrasen ohne das Ende nichts bedeuten, so muß man Jedem den Spielraum lassen, den er für nöthig achtet. Dies leistet viel für die Ergründung der Dinge, dies ist auch höflicher; aber es ist weniger anreizend.

Die deutsche Artigkeit ist herzlicher, aber minder abgestuft, als die französische; man hat in Frankreich mehr Achtung für den Rang und überhaupt mehr Behutsamkeit; man schmeichelt mehr, als man schont; und da man die Kunst besitzt, alles anzudeuten, so nähert man sich weit lieber selbst den zartesten Dingen. Das Deutsche ist eine herrliche Sprache für Poesie, höchst reichhaltig für metaphysische Untersuchungen, aber sehr positiv in der Unterhaltung. Die französische Sprache hingegen ist nur reich an Wendungen, welche die feinsten Beziehungen der Gesellschaft ausdrücken; sie ist arm und umgränzt in allem, was die Einbildungskraft und die Philosophie angeht. Die Deutschen fürchten mehr, ein unangenehmes Gefühl zu erzeugen, als sie zu gefallen wünschen. Daher kommt es, daß sie die Artigkeit, so viel es immer in ihrer Macht stand, Regeln unterworfen haben; und ihre Sprache, die in ihren Büchern so kühn ist, wird in der Unterhaltung durch alle die Formeln gezwängt, womit sie überladen ist. Ich erinnere mich, in Sachsen einem Unterricht in der [102] Metaphysik beigewohnt zu haben; ein berühmter Philosoph gab ihn: aber, indem er den Baron von Leibnitz citirte, konnte selbst der Strom der Rede ihn nicht bewegen, den Baronstitel zu unterdrücken, der zu dem Namen eines großen, seit einem Jahrhundert verstorbenen Mannes durchaus nicht paßte.

Das Deutsche paßt sich mehr für die Poesie, als für die Prosa, und mehr für die geschriebene Prosa, als für die gesprochene. Ein herrliches Werkzeug, wenn man alles mahlen, alles sagen will; aber dafür kann man im Deutschen nicht, wie im Französischen, über verschiedene Gegenstände, die sich darbieten, hingleiten. Wollte man deutsche Worte so galloppiren lassen, wie die französische Unterhaltung es erfordert, so würde man ihnen alle Anmuth, alle Würde rauben. Das Verdienst der Deutschen liegt in der guten Ausfüllung der Zeit; das Talent der Franzosen besteht darin, daß sie die Zeit vergessen machen.

Obgleich der Sinn der deutschen Perioden oft erst am Ende hervortritt, so gestattet doch die Zusammensetzung nicht immer, die Sprache mit einem anreizenden Ausdruck zu beendigen; und doch ist dies eins von den stärksten Mitteln, in der Unterhaltung Eindruck zu machen. Selten vernimmt man unter Deutschen sogenannte Bons-Mots; die Gedanken selbst, nicht den Glanz, der ihnen gegeben wird, muß man bewundern. Die Deutschen finden in dem glänzenden Ausdruck eine Art von Marktschreierei, und halten sich an dem abgezogenen Ausdruck, weil er gewissenhafter ist und dem Wesen des Wahren sich mehr nähert: aber die Unterhaltung muß keine Mühe kosten, weder für das Verstehen, noch für das Sprechen. Sobald sich die Unterhaltung nicht mehr auf die allgemeinen Angelegenheiten des Lebens bezieht, und man in [103] den Kreis der Ideen eintritt, wird die Unterhaltung in Deutschland allzu metaphysisch; es giebt kein Mittelgut zwischen dem Gemeinen und dem Erhabenen, und doch ist es gerade dies Mittelgut, worin sich die Kunst zu schwatzen zeigt.

Die deutsche Sprache hat eine ihr eigenthümliche Lustigkeit; die Gesellschaft hat sie nicht furchtsam gemacht, und die guten Sitten haben sie in ihrer Reinheit erhalten. Aber dies ist eine volksthümliche Lustigkeit, welche alle Classen begreifen. Die seltsamen Töne der Wörter, ihre alterthümliche Einfalt, geben der Spötterei etwas Mahlerisches, womit sich das Volk eben so gut belustigen kann, als die Gebildeteren. Die Deutschen sind in der Wahl der Wörter minder gezwängt, als wir, weil ihre Sprache, die bei weitem weniger zur Unterhaltung der Vornehmen gebraucht worden ist, nicht, wie die unsrige, aus Wörtern besteht, die ein Zufall, eine Anwendung, eine Anspielung lächerlich machen; aus Wörtern, die, nachdem sie alle Abentheuer der Gesellschaft ausgehalten haben, vielleicht ungerechterweise proscribirt sind, aber doch nicht länger gestattet werden können. Der Zorn hat sich im Deutschen sehr oft ausgedrückt; aber nie hat man daraus eine Waffe der Verspottung gemacht, und die Wörter, deren man sich bedient, haben noch ihre volle Wahrheit, ihre volle Kraft. Dies ist ein Vortheil mehr; dafür aber kann man im Französischen tausend feine Bemerkungen ausdrücken und tausend Kunstwendungen machen, deren die deutsche Sprache bis jetzt unfähig ist.

Im Deutschen muß man sich mit den Ideen, im Französischen mit den Personen messen; mit Hülfe des Deutschen muß man grübeln, mit Hülfe des Französischen zum Ziel gelangen. Mit dem ersteren muß man die Natur, mit dem anderen die [104] Gesellschaft mahlen. Göthe lässt in seinem Roman Wilhelm Meister eine deutsche Frau sagen: daraus, daß ihr Liebhaber französisch an sie geschrieben, habe sie geschlossen, daß er sie verlassen wolle. Wirklich giebt es in unserer Sprache eine Menge Phrasen, etwas zugleich zu sagen und nicht zu sagen, etwas hoffen zu lassen, ohne es zu versprechen, und etwas zu versprechen, ohne sich zu binden. Das Deutsche ist weniger biegsam, und möge es immer so bleiben! Denn nichts verursacht so viel Abscheu, als diese Sprache, wenn sie zu Gleißnereien verbraucht wird, von welcher Beschaffenheit diese auch seyn mögen. Ihre schleppende Zusammensetzung, ihre vervielfachten Zwischensätze, ihre gelehrte Grammatik erlauben ihr keine Anmuth in der Kunst sich zu schmiegen; und man möchte sagen, sie sperre sich von selbst gegen die Absicht des, der sie redet, und in ihr zum Verräther an der Wahrheit werden will.