BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. I. Abtheilung.

 

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Neunzehntes Capitel.

 

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Von den besonderen Erziehungs- und

Wohlthätigkeits-Anstalten.

 

Es wird zwar Anfangs inconsequent scheinen, daß ich die alte Methode lobe, welche das Studium der Sprachen zur Grundlage der Erziehung macht, und dann die Pestalozzische Schule als eine der besten Anstalten dieses Jahrhunderts betrachte; ich glaube indeß, daß diese beiden Ansichten vereinigt werden können.

Von allen Studien ist zwar bei Pestalozzi die Mathematik dasjenige, welches die glänzendsten Resultate giebt; allein es kommt mir vor, als könne seine Methode auch auf andere Theile des Unterrichts angewendet werden, ohne minder sichere und rasche Fortschritte zu bewirken. Rousseau hat gefühlt, daß die Kinder vor dem Alter von zwölf bis dreizehn Jahren nicht den nöthigen Verstand für die Studien haben, die man von ihnen verlangt, oder vielmehr für die Methode des Unterrichts, der man sie unterwirft. Sie wiederholten, ohne zu fassen; sie arbeiteten, ohne zu lernen; sie erndteten von der Erziehung oft nur die Gewohnheit, ihre Aufgabe ohne richtigen Begriff zu machen, und der Macht des Lehrers durch die List des Schülers auszuweichen. Alles was Rousseau gegen die hergebrachte Erziehung gesagt [141] hat, ist vollkommen wahr; aber das, was er als Rettungsmittel vorschlägt, ist nicht selten noch schlimmer, als das Uebel selbst.

Ein Kind, das nach dem Rousseauschen System in einem Alter von zwölf Jahren noch nichts gelernt hätte, würde von seinem Leben sechs kostbare Jahre eingebüßt haben; seine Verstandes-Organe würden nie die Biegsamkeit erhalten, welche die Uebung von Kindesbeinen an, giebt und allein geben kann. Der Müssiggang würde ihm so zur Gewohnheit, und diese Gewohnheit so mächtig geworden seyn, daß man es in einem Alter von zwölf Jahren durch Vorstellungen von der Nothwendigkeit der Arbeit weit unglücklicher machen würde, als es durch die Gewöhnung, darin eine nothwendige Bedingung des Lebens zu sehen, jemals werden konnte. Außerdem würde die Sorgfalt, welche Rousseau von dem Erzieher fordert, um den Unterricht zu ergänzen und denselben durch die Nothwendigkeit herbeizuführen, jeden Menschen nöthigen, sein ganzes Leben an die Erziehung des andern zu setzen, und nur die Großväter würden die Freiheit haben, eine persönliche Laufbahn zu beginnen. Dergleichen Entwürfe sind chimärisch, indeß die pestalozzische Methode reell und anwendbar ist, und auf den künftigen Gang des menschlichen Geistes einen großen Einfluß gewinnen kann.

Rousseau sagt mit Recht, daß die Kinder nicht fassen, was sie lernen; und daraus schließt er, daß sie nichts lernen sollen. Pestalozzi hat vortrefflich ergründet, warum die Kinder nicht fassen und seine Methode vereinfacht die Ideen so, und stuft sie zugleich so ab, daß sie dem Fassungsvermögen der Kindheit entsprechen, und daß der Geist in diesem Alter, ohne zu ermatten, zu den tiefsten [142] Resultaten gelangt. Indem Pestalozzi mit großer Genauigkeit durch alle Stufen des Raisonnements durchgeht, setzt er das Kind in den Stand, selbst zu entdecken, was man es lehren will.

In Pestalozzi's Methode giebt es kein Beinahe; man versteht entweder gut, oder man versteht gar nicht; denn alle Sätze berühren sich so nahe, daß das zweite Raisonnement immer eine unmittelbare Folge des ersteren ist. Rousseau hat gesagt, man ermüde den Kopf der Kinder durch die Studien, die man von ihnen fordere. Pestalozzi führt sie immer auf einem so leichten und so positiven Wege, daß das Vertrautwerden mit den abgezogensten Wissenschaften ihnen nicht mehr Beschwerde verursacht, als sie in den einfachsten Beschäftigungen finden; jeder Schritt in diesen Wissenschaften ist, vermöge des Vorhergegangenen, ebenso leicht, als die allernatürlichste Folgerung aus den allergewöhnlichsten Umständen. Was die Kinder ermüdet, ist, wenn man sie die Zwischensätze überhüpfen läßt, ist, wenn sie vorrücken, ohne zu wissen, was sie gelernt zu haben glauben. In ihrem Kopfe ist alsdann eine Verwirrung, die ihnen jede Untersuchung furchtbar macht, und ihnen einen unüberwindlichen Eckel gegen die Arbeit einflößt. Von allen diesen Nachtheilen keine Spur bei Pestalozzi. Die Kinder belustigen sich mit ihren Studien, nicht, daß man ihnen dieselben zum Spiel macht – was, wie ich schon bemerkt habe, die Langeweile in das Vergnügen, und den Flattersinn in das Studium bringt – sondern weil sie, von Kindesbeinen an, das Vergnügen gemachter Menschen genießen – nehmlich zu begreifen und zu beendigen, was man ihnen aufgetragen hat.

Pestalozzi's Methode ist, wie alles wahrhaft Gute, nicht eine ganz neue Entdeckung, wohl aber [143] eine einsichtsvolle und standhafte Anwendung bereits bekannter Wahrheiten. Geduld, Beobachtung und philosophisches Studium der Verfahren des menschlichen Geistes haben ihm gezeigt, was in den Gedanken elementarisch, in ihrer Entwickelung folgerecht ist; und weiter, als jeder Andere, hat er die Theorie und Praxis der Abstufung des Unterrichts getrieben. Mit Erfolg hat man seine Methode auf die Grammatik, die Geographie, die Musik angewendet; aber es würde sehr zu wünschen seyn, wenn ausgezeichnete Lehrer, die seine Grundsätze angenommen haben, sie auf alle Arten von Kenntnissen anwendeten; die der Geschichte ist insbesondere noch nicht gehörig gefaßt. Noch hat man nicht die Abstufung der Eindrücke in der Literatur wie die der Probleme in den Wissenschaften beobachtet. Mit einem Worte: es ist noch viel zu thun übrig, um die Erziehung auf den höchsten Punkt zu bringen, d. h. die Kunst, sich hinter das, was man weiß, zu stellen, um es Anderen begreiflich zu machen.

Pestalozzi bedient sich der Geometrie, um den Kindern den arithmetischen Calcul beizubringen; dies war auch die Methode der Alten. Die Geometrie spricht mehr zur Einbildungskraft, als die abstracte Mathematik. Es ist Recht, so viel als immer möglich die Bestimmtheit des Unterrichts mit der Lebhaftigkeit der Eindrücke zu vereinbaren, wenn man sich zum Gebieter über den ganzen menschlichen Geist machen will; denn es ist nicht die Tiefe der Wissenschaft selbst, sondern nur die Dunkelheit in der Art des Vortrags, was die Kinder verhindert, sie zu fassen; von Stufe zu Stufe begreifen sie alles, und das Wesentliche ist, die Fortschritte auf dem Gange der Vernunft bei den Kindern abzumessen. Dieser langsame, aber [144] sichere Gang führt so weit als immer möglich, sobald man sich zum unverbrüchlichen Gesetze macht, ihn nicht zu übereilen.

Es ist ein anziehendes und einziges Schauspiel bei Pestalozzi, diese Kinder-Gesichter zu sehen, deren abgerundete, unbestimmte und zarte Züge den Ausdruck des Nachdenkens annehmen. Sie sind aufmerksam durch sich selbst, und betrachten ihre Studien, wie ein Mensch von gereiftem Alter sich mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigen würde. Etwas sehr Merkwürdiges ist, daß weder Strafen noch Belohnungen zur Aufmunterung in der Arbeit nöthig sind. Vielleicht zum erstenmal geht eine Schule von 150 Kindern ohne die Triebfeder der Nacheiferung und der Furcht. Wie viele böse Empfindungen werden dem Menschen erspart, wenn man von seinem Herzen Eifersucht und Demüthigung entfernt, wenn er in seinen Gespielen keine Nebenbuhler, in seinen Lehrern keine Richter erblickt! Rousseau wollte das Kind dem Gesetze des Schicksals unterwerfen; Pestalozzi schafft dieses Schicksal selbst in dem Laufe der Erziehung dieses Kindes, und bezweckt durch seine Decrete Glück und Vervollkommnung. Das Kind fühlt sich frei, weil es sich in der allgemeinen Ordnung gefällt, womit es umgeben ist, und deren vollkommene Gleichheit nicht einmal durch die mehr oder weniger ausgezeichneten Talente der Einzelnen gestört wird. Nicht auf Erfolg kommt es an, wohl aber auf Vorschritte zu dem Ziele, welchem Alle mit derselben Treuherzigkeit entgegen streben. Die Schüler werden Lehrer, wenn sie mehr wissen, als ihre Kameraden; die Lehrer werden wieder zu Schülern, wenn sie in ihrer Methode einige Unvollkommenheiten finden, und beginnen ihre Erziehung aufs Neue, um über die Schwierigkeiten des Unterrichts besser zu urtheilen. [145]

Man fürchtet sehr allgemein, daß Pestalozzi's Methode die Einbildungskraft ersticken und sich der Originalität des menschlichen Geistes entgegenstellen werde. Für das Genie giebt es schwerlich eine Erziehung, und nur die Natur und die Regierung begeistern es und regen es an. Aber ursprüngliche Kenntnisse, die vollkommen klar und zuverlässig sind, können kein Hinderniß für das Genie werden; sie geben dem Geiste vielmehr eine Art von Festigkeit, die ihm auch die erhabensten Wissenschaften leicht macht. Man muß Pestalozzi's Schule bis jetzt als auf die Jugend begränzt betrachten. Nur für Leute aus der Classe des Volks ist seine Erziehung definitiv; aber eben deshalb kann sie einen höchst wohlthätigen Einfluß auf den Nationalgeist ausüben. Für reiche Leute muß die Erziehung in zwei Epochen zerfallen; in der ersten werden die Kinder von ihren Lehrern geleitet; in der zweiten unterrichten sie sich freiwillig, und diese selbstgewählte Erziehung muß auf den großen Universitäten erworben werden. Der Unterricht, den man bei Pestalozzi erwirbt, giebt Jedem, von welcher Classe er auch sey, eine Grundlage, auf welcher er, nach Gutbefinden, eine Hütte oder einen Pallast errichten kann.

Man würde sich in Frankreich sehr irren, wenn man glauben wollte, in Pestalozzi's Schule sey außer seiner raschen Methode, im Rechnen zu unterrichten, nichts Gutes weiter zu finden. Pestalozzi selbst ist gar nicht Mathematiker; auch Sprachen hat er nicht studirt. Er besitzt nur das Genie und den Instinkt, die Intelligenz der Kinder zu entwickeln; er weiß, welchen Weg ihr Gedanke verfolgt, um zum Ziel zu gelangen. Jene Reinheit des Characters, die eine edle Gelassenheit über die Affectionen des Herzens verbreitet, hat Pestalozzi für [146] nöthig erachtet, auf die Operationen des Geistes überzutragen. Er achtet dafür, daß in vollständigen Studien ein Vergnügen der Sittlichkeit sey. In der That bemerken wir unaufhörlich, daß oberflächliche Kenntnisse eine Art von Hochmuth einflößen, der alles, was man nicht weiß, als unnütz, oder gefährlich, oder lächerlich zurückstößt. Auch sehen wir, daß diese oberflächlichen Kenntnisse die Pflicht auflegen, das, was man nicht weiß, geschickt zu verbergen; die Offenheit leidet unter den Mängeln des Unterrichts, deren man sich zu schämen nicht verfehlen kann; denn etwas vollkommen wissen, giebt dem Geiste eine Ruhe, welche einem guten Gewissen gleichkommt. Die Redlichkeit also, welche Pestalozzi in den Kreis der Intelligenz eingeführt hat, und welche mit Ideen eben so gewissenhaft umgeht, wie mit Menschen &ndash, diese Redlichkeit ist das Hauptverdienst seiner Schule; und gerade durch sie versammelt er um sich her Männer, welche sich dem Wohlergehn der Kinder auf eine vollkommen uneigennützige Weise widmen. Wenn in einer öffentlichen Anstalt von den persönlichen Berechnungen ihrer Vorsteher keine einzige befriedigt wird, so muß man die bewegende Kraft dieser Anstalt in der Tugendliebe suchen; die Genüsse, welche sie gewährt, können allein Macht und Reichthümer entbehren.

Durch Verpflanzung der Pestalozzischen Methode würde man sein Institut noch nicht vervielfältigen; mit ihr müsste man die Beharrlichkeit der Lehrer, die Einfachheit der Schüler, die Regelmäßigkeit der Lebensweise, vor allem aber den religiösen Sinn verpflanzen, der diese Schule belebt. Die Eigenthümlichkeiten des Cultus werden hier nicht strenger beibehalten, als anderwärts; aber alles geschieht im Namen der Gottheit, im Namen [147] jenes reinen, edlen und erhabenen Gefühls, das den religiösen Zustand des Herzens bezeichnet. Die Wahrheit, die Güte, das Vertrauen, die Liebe umgeben diese Kinder; dies ist die Atmosphäre, in welcher sie leben, und einen längeren Zeitraum hindurch bleiben ihnen alle feindseligen Leidenschaften und alle stolzen Vorurtheile der Welt vollkommen fremd. Ein beredter Philosoph Deutschlands, Fichte, hat gesagt: „er erwarte die Wiedergeburt der deutschen Nation von Pestalozzi's Institut.“ Wenigstens muß man eingestehn, daß eine auf solche Hebelkräfte gestützte Revolution, weder gewaltsam, noch reißend seyn würde; denn die Erziehung, wie gut sie auch seyn möge, ist nichts in Vergleichung mit dem Einfluß der politischen Elemente: Tropfenweise höhlt der Unterricht den Felsen aus, den der Bergstrom in einem Tage fortreisset.

Huldigen muß man Pestalozzi, besonders für die Sorgfalt, die er angewendet hat, sein Institut mit dem Vermögenszustande unbemittelter Personen ins Gleichgewicht zu bringen; er hat die Pension so gering als möglich angesetzt. Mit großer Standhaftigkeit hat er sich der Armen angenommen, um ihnen die Wohlthat reiner Aufklärung und gründlichen Unterrichts zu verschaffen. Pestalozzi's Werke sind in dieser Hinsicht eine merkwürdige Lectüre; er hat Romane geschrieben, in welchen die Lagen von Leuten aus dem Volke mit vollendetem Interesse, Wahrheit und Moralität dargestellt sind.

Die Gesinnungen, die er in diesen Schriften entwickelt, sind, so zu sagen, eben so elementarisch, als die Grundsätze seiner Methode. Man muß sich über sich selbst wundern, wenn man sich bei Thränen überrascht, die man um ein so einfaches, so alltägliches Wort und Detail vergießt, daß es [148] bloß durch die Tiefe der Rührung Werth und Wichtigkeit erhält. Das niedere Volk steht in der Mitte zwischen den Wilden und den gebildeten Menschen; ist diese Classe tugendhaft, so trägt sie den Stempel einer Unschuldsgüte, die man in der großen Welt nicht antrifft. Die Gesellschaft lastet auf sie; sie ist mit der Natur im Kampf, und ihr Vertrauen auf Gott ist lebhafter, dauernder, als das der Reichen. Beständig vom Unglück bedroht, seine Zuflucht immer zum Gebete nehmend, jeden Morgen unruhig über sein Fortkommen, jeden Abend getröstet und gerettet, fühlt sich der Arme unter der unmittelbaren Hand desjenigen, der schützt, wen die Menschen verlassen haben, und die Rechtschaffenheit des Armen, sobald er rechtschaffen ist, ist ganz besonders gewissenhaft.

Ich erinnere mich aus einem Pestalozzischen Roman, wie ein Kind einige gestohlene Erdäpfel auf Befehl seiner sterbenden Großmutter, dem Eigenthümer zurückgeben muß. Dieser so einfache Auftritt rührt das innerste Herz.. Ein so dürftiges Verbrechen, wenn ich es so nennen darf, erregt so brennende Gewissensbisse; das Feierliche des Todes mitten im Elend des gemeinen Lebens; das Alter und die Kindheit, einander nahe gebracht durch die Stimme Gottes, welche zu beiden zugleich spricht; dieses alles thut weh, sehr weh; denn in unsern gewöhnlichen poetischen Erdichtungen, benimmt der Prunk des Schicksals etwas von der Bitterkeit des Mitleidens, das aus dem Unglück entsteht; hier aber, in Pestalozzis Volksromanen, glaubt man ein schwaches Lämpchen zu sehen, das eine niedere Hütte bescheint, und die Herzensgüte tritt aus allen Leiden, die sie auf die Probe stellen, hervor.

Da man die Zeichenkunst füglich unter die nützlichen Kenntnisse rechnen kann, so darf man [149] sagen, daß unter allen Erholungskünsten, die in der Pestalozzischeu Anstalt erlernt werden, die Tonkunst die einzige ist; eine Wahl, die man allerdings billigen muß. Es giebt eine ganze Ordnung von Gefühlen, ich möchte sagen. eine ganze Ordnung von Tugenden, die mit der Kenntniß, oder wenigstens mit dem Geschmack an der Musik in Verbindung stehen; es muß für eine wahrhafte Grausamkeit angesehen werden, daß man einen großen Theil des Menschengeschlechts von diesen Gefühlen entfernt hält. Die Alten waren der Meinung, die Völker seyen durch Musik entwildert worden; in dieser Allegorie liegt ein tiefer Sinn; denn man kann nicht umhin, zu glauben, das Band der Gesellschaft sey durch Sympathie oder durch Interesse geknüpft worden; und wahrlich, der erste Ursprung ist edler als der zweite.

Pestalozzi ist nicht der einzige, der in der deutschen Schweiz sich mit Eifer dem Geschäft unterzieht, die Seele des Volks auszubilden; unter eben diesem Gesichtspunkt hat der Anblick der Anstalt des Herrn von Fellenberg mich erfaßt. Viele andere haben sich bei ihm über die neuere Landwirthschaftskunde Raths erholen wollen; man versichert, sie haben die gesuchten Aufschlüsse und Befriedigungen gefunden; was aber weit mehr noch die Achtung des Menschenfreundes verdient, ist die Sorgfalt, mit welcher Herr von Fellenberg sich der Erziehung des niedern Volks annimmt; er läßt die Landschulmeister nach der Pestalozzischen Methode unterrichten, damit sie den Kinderunterricht nach derselben fortsetzen; seine Feldarbeiter lernen die Psalmen nach Noten singen, und bald wird man auf dem Felde das Lob Gottes von einfachen, aber harmonischen Stimmen erschallen hören, welche zu gleicher Zeit die Natur und ihren Urheber [150] preisen werden. So sucht Hr. v. Fellenberg auf alle Weise, zwischen den niedern Classen und der unsrigen ein liberales Band anzuknüpfen, ein Band, welches sich nicht bloß auf das Geldinteresse zwischen den Reichen und Armen einschränkt.

England und Amerika belehren uns, daß es nur freier Anstalten und Einrichtungen braucht, um den Verstand und die Weisheit des Volks zu entwickeln; doch ist es ein Schritt mehr, wenn man ihm, in Hinsicht auf den Unterricht und die Bildung, etwas über das Nothwendige hinaus zufließen läßt. Das Nothwendige, in jeder Art, führt etwas Empörendes mit sich, sobald es die Eigentümer des Ueberflüßigen sind, die es abmessen. Es ist nicht genug, sich mit dem Volke unter dem Gesichtspunkt des Nützlichen zu beschäftigen; man muß es auch an den Genüssen der Phantasie und des Herzens Antheil nehmen lassen.

In eben diesem Sinn haben sich aufgeklärte Menschenfreunde in Hamburg der wichtigen Aufsicht über die Bettelei unterzogen. In ihren Armen-Anstalten haben sie weder Despotismus, noch ökonomischen Spekulationsgeist eingeführt; sie haben es dahin zu bringen verstanden, daß Unglückliche und Dürftige von selbst eben so sehr nach der Arbeit Verlangen tragen, die man von ihnen fordert, als nach den Wohlthaten, die man ihnen zu ertheilen bereit ist. Da in ihren Augen die Armen nicht Mittel, sondern Zweck sind, so haben sie den Armen die Arbeit nicht zur Pflicht, sondern zum Wunsche gemacht. Aus den abgelegten Jahresrechnungen dieser Armenanstalten ersieht man, daß ihre Stifter mehr zur Absicht hatten, die Armen besser, als sie nützlicher zu machen; dieser hohe philosophische Gesichtspunkt bezeichnet vorzüglich den Weisheits- und Freiheitssinn jener alten ehrwürdigen hanseatischen Stadt. [151]

Es giebt viel Sinn für Wohlthätigkeit auf Erden, und wer nicht in dem Fall ist, seinen Nebenmenschen durch Aufopferungen seiner Zeit und seiner Lieblingsbeschäftigungen nützlich zu seyn, hilft ihnen gerne mit Gelde; es ist immer etwas; keine Hülfe und Tugend darf verschmäht werden.  Aber in den mehresten Ländern wird die ansehnliche Masse der Privatalmosen nicht mit Weisheit verwaltet, und der Baron von Voght und seine trefflichen Mitbürger haben der Menschheit den wesentlichsten Dienst dadurch geleistet, daß sie uns bewiesen, daß ohne neue Geld-Opfer, ohne Dazwischenkunft des Staats, die Privatwohlthätigkeit hinreiche, das Elend zu stillen. Was durch Einzelne geschieht, paßt vorzüglich für Deutschland, weil dort alles, theilweise betrachtet, immer besser ist, als das Ganze.

Die Armenanstalten müssen in Hamburg den besten Fortgang haben, da sie von der Moralität seiner Einwohner so kraftvoll unterstützt werden. Diese Moralität geht so weit, daß jeder lange Zeit hindurch seine Abgaben in eine Art von öffentlichem Schatzkasten entrichtete, ohne daß jemand darüber gesetzt war, das Dargebrachte zu untersuchen; diese Abgaben sollten mit dem Vermögen eines jeden im bestimmten Verhältnisse seyn, und nach erfolgter Zusammenrechnung, fand sichs immer, daß dieses Verhältnis treu beobachtet worden war. Sollte man nicht glauben, es sey vom goldnen Zeitalter die Rede, wenn man anders in jenem Alter von Privatvermögen und öffentlichen Abgaben etwas wußte? Es ist bewundernswürdig, wie leicht Treue und Glauben alles macht, sowohl im öffentlichen Unterricht, als in der öffentlichen Verwaltung. Man sollte ihr wahrlich alle Ehre einräumen, die man der Geschicklichkeit zukommen läßt, denn, alles [152] wohl berechnet und überlegt, versteht sich Treue und Glauben besser, selbst auf Weltgeschäfte, als die sogenannte Feinheit.