BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. II. Abtheilung.

 

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Viertes Capitel.

 

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Wieland.

 

Von allen Deutschen, die in dem Geiste der französischen Schriftsteller geschrieben, ist Wieland der einzige, in dessen Werken man Genie findet, und wenn er gleich immer als Nachahmer fremder Literaturen aufgetreten, so lassen sich die großen Dienste doch nicht verkennen, die er der seines [179] Volks geleistet, indem er die deutsche Sprache vervollkommnet und ihrem Versbau größere Leichtigkeit und Harmonie gegeben.

Es gab in Deutschland eine große Zahl von Schriftstellern, die es versuchten, in die Fußstapfen der französischen Literatur aus dem Zeitalter Ludwigs des Vierzehnten zu treten. Wieland ist der erste, der mit Erfolg die des achtzehnten Jahrhunderts einführte. In seinen prosaischen Werken findet sich einige Aehnlichkeit mit Voltaire, in seinen poetischen mit Ariost. Aber durch diese willkührliche Ähnlichkeit, blickt seine durchaus deutsche Natur überall hervor. Wieland ist unendlich unterrichteter als Voltaire, und hat die Alten auf eine viel gründlich gelehrtere Weise studirt als je ein französischer Dichter. Seine Fehler aber, wie seine Eigenschaften, sind von der Art, daß man seinen Schriften nicht die französische Grazie und Leichtigkeit zugestehen kann.

In seinen philosophischen Romanen Agathon und Peregrinus Proteus stößt man immer sogleich auf Zergliederungen, Erörterungen, Metaphysik; zwar macht er sich es dabei zur Pflicht, das häufig einzustreuen, was man Blumen nennt; aber man fühlt, daß sein natürlicher Gang ihn eigentlich zur tieferen Ergründung der Gegenstände hinzieht, die er behandelt. Ernst und Heiterkeit stehn in Wielands Romanen zu schroff einander gegenüber, um sich zu verschmelzen; wenn aber überall Contraste anziehend sind, so ermüden Extreme im Gegensatz.

Um Voltaire nachzuahmen, bedarf es einer spöttischen philosophischen Sorglosigkeit, die gleichgültig gegen alles macht, nur nicht gegen die anziehende Art, diese Sorglosigkeit auszusprechen. Nie wird ein Deutscher diese glänzende Freiheit im Scherz erreichen; die Wahrheit fesselt ihn zu sehr, [180] er strebt, das Wesen der Dinge zu kennen, zu erklären, und selbst wenn er verwerfliche Meinungen annimmt, so hält ein geheimes Gefühl der Reue wider Willen seine Schritte auf. Die Epicurische Philosophie paßt nicht zum Geist der Deutschen: sie geben ihr einen dogmatischen Charakter, da sie doch nur verführerisch ist, wenn sie unter leichten Formen auftritt; sobald man sie auf Grundsätze zurückführt, mißfällt sie allen in gleichem Maaße.

Wielands poetische Werke haben viel mehr Reiz und Eigenthümlichkeit, als seine prosaischen: Oberon und andre Gedichte, von denen ich besonders reden werde, sind voll von Anmuth und Einbildungskraft. Doch hat man ihm zum Vorwurf gemacht, daß er die Liebe mit zu wenig Sittenstrenge behandele; und das ist von den Deutschen wohl zu begreifen, denn ihnen ist in der Verehrung der Frauen noch ein Rest von dem Geiste ihrer Altvordern geblieben. Welcher Verirrungen der Einbildungskraft man ihn indessen zeihen kann, nie wird man wahres Gefühl in ihm verkennen; er möge in gutem oder bösem Sinne über Liebe scherzen, so verhindert ihn seine ernste Natur sich diesem Scherze dreist hinzugeben; gleich dem Propheten, der segnete statt zu fluchen, hört er mit Rührung auf, wo er mit Ironie begann.

Die Unterhaltung mit Wieland hat viel Reiz, und gerade darum, weil seine natürlichen Eigenschaften mit seiner Philosophie im Widerspruche stehen. Dieser Gegensatz kann ihm als Schriftsteller schaden, aber seine Gesellschaft wird dadurch höchst anziehend: er ist voll Leben, enthusiastisch, und wie alle Männer von Genie, noch jung im Alter; bei dem allen will er Skeptiker seyn, und kann ungeduldig werden, wenn man sich seiner eignen schönen Einbildungskraft bedient, um ihn zum Glauben zu [181] bringen. Wohlwollend von Natur, ist er jedoch der übeln Laune fähig, oft aus Unzufriedenheit über sich selbst, oft aus der über Andere. Seine Unzufriedenheit über sich selbst entspringt daraus, weil er in der Art, seine Gedanken auszusprechen, nach einem Grade von Vollkommenheit strebt, zu dem weder die Worte noch die Gegenstände geeignet sind, und es ihm nicht genügt, sich an das Beinahe-Treffen zu halten, welches für die Kunst der geselligen Unterhaltung doch fast besser paßt, als die Vollendung selbst; mit Andern ist er zuweilen unzufrieden, weil seine etwas weiten Grundsätze mit seinem exaltirten Gefühle sich nicht recht einigen. Es sind in ihm ein deutscher Dichter und ein französischer Philosoph, die wechselsweise gegeneinander zürnen; doch ist sein Unmuth leicht genug zu tragen, und seine von Ideen und Kenntnissen ganz erfüllte Unterhaltung würde den Gesprächen vieler geistreicher Männer in den verschiedensten Gattungen zum Grunde dienen können.

Die neueren Schriftsteller, die von der deutschen Literatur jeden fremden Einfluß ausgeschlossen, sind oft ungerecht gegen Wieland gewesen; seine Werke haben, selbst in Uebersetzungen, das Interesse von ganz Europa erregt. Er ist es, der die Wissenschaft der Alterthumskunde dem Reiz der Literatur dienstbar machte; Er [ist] es, der seiner fruchtbaren aber rauhen Sprache eine musikalische und anmuthige Geschmeidigkeit gab. Doch ist es richtig, daß es den Deutschen nicht vortheilhaft war, daß seine Schriften Nachahmer fanden; National-Eigenthümlichkeit ist vorzüglicher, und, wenn man in Wieland den großen Meister anerkennt, so schließt dies den Wunsch nicht aus, daß er keine Schüler gehabt haben möge.