BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. II. Abtheilung.

 

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Neuntes Capitel.

 

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Vom Stil und der Verskunst in der

deutschen Sprache.

 

Wenn man die Prosodie einer Sprache erlernt, so dringt man dadurch tiefer in den Geist der Nation, die sie spricht, als durch jegliches andre Studium. Daher kommt es, daß man Vergnügen findet, fremde Worte auszusprechen, man [207] hört sich selbst, als hörte man einen Dritten sprechen; nichts aber ist so zart, nichts so schwer zu ergreifen, als der Accent, man lernt tausendmal leichter die verwickelteste Arie, als die Aussprache einer einzigen Sylbe. Nur eine lange Reihe von Jahren, oder die ersten Eindrücke der Kindheit, geben die Fähigkeit eine Aussprache zu erlernen, die mit dem Feinsten und Unerklärlichsten in der Einbildungskraft und im National-Character zusammenhängt.

Die deutschen Dialecte haben ihren Ursprung in einer Muttersprache, aus der sie alle schöpfen. Diese gemeinschaftliche Quelle erneuert und vervielfältigt die Ausdrücke auf eine, dem Genius der Völker stets angemessene, Weise. Die Nationen lateinischen Ursprungs bereichern sich, so zu sagen, nur von außen; sie müssen zu todten Sprachen, zu den versteinerten Reichthümern ihre Zuflucht nehmen, um ihr Reich zu erweitern. Hievon ist die natürliche Folge, daß die Neuerungen in Worten ihnen minder gefallen, als den Nationen, die Sprößlinge aus einem immer lebenden Stamme ziehn. Die französischen Schriftsteller sollten ihren Stil durch jede Kühnheit, die ein natürliches Gefühl ihnen nur eingeben kann, beleben und ihm Farbe verleihn; die Deutschen dagegen gewinnen, wenn sie sich beschränken. Die Zurückhaltung kann ihre Originalität nicht zerstören, sie laufen aber durch das Uebermaaß des Ueberflusses Gefahr, sie einzubüßen.

Die Luft die man einathmet, hat großen Einfluß auf die Töne, die man hervorbringt; Verschiedenheit des Bodens und des Clima's erzeugen in der nämlichen Sprache die verschiedensten Arten der Aussprache. Näher zum Meere hin werden die Worte sanfter, das Clima ist dort gemäßigter; [208] vielleicht auch stimmt das fortwährende Schauspiel dieses Bildes der Unendlichkeit zur Schwärmerei, und giebt der Aussprache mehr Weichheit und Langsamkeit. Erhebt man sich dagegen in die Gebirge, so wird der Accent kräftiger, als ob die Bewohner dieser erhabnen Gegenden sich dem Ueberrest der Welt von der Höhe ihrer natürlichen Rednerbühnen verständlich machen wollten. In den deutschen Dialecten findet man die Spuren der eben von mir angedeuteten Einflüße.

Das Deutsche ist an und für sich selbst eine eben so ursprüngliche Sprache, und hat fast einen eben so gelehrten Bau, als das Griechische. Die, welche über die großen Völkerfamilien Untersuchungen angestellt haben, glaubten historische Gründe für diese Ähnlichkeit zu finden; wahr bleibt es immer, daß man im Deutschen eine grammatikalische Ähnlichkeit mit dem Griechischen findet, mit welchem es die Schwierigkeit theilt, ohne dessen Reiz zu besitzen: da die Menge der Consonanten, aus welchen die Wörter dieser Sprache bestehen, sie mehr harttönend, als wohlklingend machen. Man möchte sagen, daß diese Wörter stärker sind, als das, was sie ausdrücken sollen, und dies giebt zuweilen dem Stil eine Eintönigkeit von Energie. Dessenungeachtet hüte man sich wohl, die deutsche Aussprache zu sanft machen zu wollen; es entsteht sodann daraus eine gewisse manierirte Ziererei, die ganz und gar unangenehm ist: man hört Töne, die doch im Grunde rauh sind, ungeachtet der Zierlichkeit, die man hineinzulegen sucht, und diese Gattung der Affectation erregt besonderes Mißfallen.

Jean Jacques Rousseau sagt: die südlichen Sprachen seyen Töchter der Freude, die des Nordens Töchter der Nothwendigkeit. [209] Das Italienische und das Spanische haben Modulationen wie ein harmonischer Gesang, das Französische ist zur Unterhaltung geeignet; dem Englischen endlich haben die Parlamentsarbeiten und die der Nation eigenthümliche Energie eine Art von Ausdruck gegeben, welcher die Prosodie ersetzt. Die deutsche Sprache ist viel philosophischer als die Italienische, viel poetischer in ihrer Kühnheit als die Französische, dem Rhythmus der Verse viel günstiger, als die Englische; aber es hängt ihr noch immer eine Art von Steifheit an, welche vielleicht daher rührt, daß man sich ihrer noch nicht, weder in der Gesellschaft noch im Publikum, bedient hat.

Die grammatische Einfachheit ist einer der großen Vorzüge der modernen Sprachen; diese Einfachheit , welche auf Grundsätzen einer, allen Nationen gemeinen Logik beruht, macht das wechselseitige Verstehen sehr leicht: es bedarf nur eines sehr geringen Studiums, um Italienisch oder Englisch zu lernen, das Deutsche dagegen ist eine Wissenschaft. Die deutsche Periode umspannt den Gedanken, wie eine Scheere, die sich bald öffnet und bald wieder schließt, um ihn zu fassen. Ein fast antiker Bau der Phrasen hat in dieser Sprache leichter Platz gefunden, als in irgend einem andern europäischen Dialecte; aber Inversionen passen kaum für neuere Sprachen. Die auffallenden Endungen der griechischen und lateinischen Wörter ließen leicht erkennen, welche unter ihnen bestimmt waren, sich mit einander zu verbinden, selbst wenn sie getrennt dastanden: die Declinationszeichen bei den Deutschen sind so dumpf, daß man unter diesen eintönigen Zeichen Mühe hat, diejenigen Wörter herauszufinden, die von einander abhängen.

Wenn Ausländer sich über die Mühe beschweren, die ihnen das Studium der deutschen Sprache [210] macht, so antwortet man ihnen gewöhnlich, daß es sehr leicht sey, in dieser Sprache mit der Einfachheit der französischen Grammatik zu schreiben, daß es dagegen im Französischen unmöglich wäre, den deutschen Periodenbau anzunehmen, und daß man daher diesen als ein Werkzeug mehr betrachten müsse; dies Werkzeug verführt aber die Schriftsteller, und sie machen davon zu häufigen Gebrauch. Das Deutsche ist vielleicht die einzige Sprache, in welcher Verse leichter als Prosa zu verstehen sind, indem die poetische Phrase, die nothwendigerweise durch das Versmaaß zerschnitten wird, über dasselbe hinaus nicht verlängert werden kann.

Ohne Zweifel finden sich mehr Nuancen, mehr Gedanken-Verbindungen in diesen Perioden, welche ein Ganzes bilden, und unter einen Gesichtspunkt die verschiedenen, mit dem nämlichen Gegenstand zusammenhängenden Beziehungen zusammenfassen; wenn man sich jedoch der natürlichen Verkettung von einander verschiedener Gedanken überlassen wollte, so würde man damit endigen, alle in Eine Phrase zusammendrängen zu wollen. Der menschliche Geist muß zerstückeln, wo er verstehen will, und man läuft Gefahr, bloßen Schimmer für Wahrheit zu nehmen, wenn die Form der Sprache dunkel ist.

Die Kunst des Uebersetzens ist in Deutschland weiter gediehen, als in irgend einem andern europäischen Dialecte. Voß hat griechische und römische Dichter mit bewundernswürdiger Treue, und August Wilhelm Schlegel englische, italienische und spanische, mit einer Wahrheit des Colorits in die deutsche Sprache übertragen, wovon es zuvor kein Beispiel gab. Bei Uebersetzungen aus dem Englischen verliert das Deutsche seinen natürlichen Character nicht, weil diese Sprachen beide germanischen [211] Ursprungs sind; aber wie verdienstlich auch Vossens Uebersetzung des Homer seyn möge, so macht sie doch aus der Ilias und der Odyssee nur Gedichte in griechischem Stil, wenn gleich mit deutschen Worten. Die Alterthumskunde gewinnt hiebei, aber die der Sprache einer jeden Nation eigene Eigenthümlichkeit muß nothwendigerweise darunter verlieren. Es scheint ein Widerspruch zu seyn, wenn man die deutsche Sprache zu gleicher Zeit einer zu großen Biegsamkeit und Rauhigkeit beschuldigt; was sich aber im Character mit einander verträgt, das kann es auch in der Sprache: und häufig schützen die Unannehmlichkeiten der Rauhigkeit in einem und dem nämlichen Menschen nicht gegen die der zu großen Weichheit.

Diese Fehler fallen viel seltener in Versen als in der Prosa, in Original-Werken viel weniger als in Uebersetzungen auf; ich glaube mithin mit Wahrheit sagen zu dürfen, daß es heut zu Tage keine frappantere und mannichfaltigere Poesie giebt, als die Deutsche.

Die Kunst des Versbaus ist ein unerschöpfliches Geheimniß; Worte, die in den gewöhnlichen Verhältnissen des Lebens nur zur Bezeichnung des Gedankens dienen, ergreifen im Verse unsre Seele durch den Rhythmus harmonischer Töne, und geben den doppelten Genuß eines Gefühls-Eindrucks und dabei der Reflexion im Verein. Wenn aber auch alle Sprachen gleich fähig sind, das auszudrücken, was wir denken, so sind sie es doch keinesweges in Hinsicht der Mittheilung dessen, was wir empfinden, und die Wirkungen der Poesie hängen mehr noch von der Melodie der Worte ab, als von den Ideen, die sie bezeichnen.

Die deutsche Sprache ist die einzige unter den modernen, welche lange und kurze Silben hat, [212] wie die griechische und die lateinische; alle andre europäische Dialecte sind wohl mehr oder weniger accentuirt, aber in ihnen geschriebene Verse können nicht nach Art der Alten nach der Quantität der Silben gemessen werden; der Accent giebt den Phrasen, wie den Wörtern, Einheit, er steht in Beziehung mit der Bedeutung dessen, was man sagt; man ruht auf dem, was den Sinn bestimmen soll, und die Aussprache, indem sie d[as] eine oder das andere Wort hervorspringen läßt, führt alles auf die Haupt-Idee zurück. Nicht so verhält es sich mit der musikalischen Dauer der Töne in der Sprache, sie ist der Poesie viel günstiger als der Accent, weil sie keinen positiven Gegenstand hat, und bloß ein edles unbestimmtes Vergnügen gewährt, wie alle Genüsse ohne besondern Zweck. Die Alten scandirten die Silben nach der Natur der Vocale und den Verhältnissen der Töne zu einander, der Wohllaut entschied dabei allein; in der deutschen Sprache sind alle Nebenwörter kurz, und die grammatische Würde, das heißt, das Gewicht der Stammsilbe bestimmt die Quantität. Diese Art der Prosodie hat weniger Reiz, als die der Alten, weil sie mehr von abstracten Combinationen, als von unwillkührlichen Gefühlseindrücken abhängt; nichts destoweniger ist es ein großer Vorzug einer Sprache, in ihrer Prosodie ein Ersatzmittel für den Reim zu haben.

Der Reim ist eine moderne Erfindung, die mit dem Ganzen unsrer schönen Künste zusammenhängt: man würde sich große Wirkungen versagen, wenn man auf ihn Verzicht leistete; denn er ist ein Bild der Hoffnung und der Rückerinnerung. Ein Schall erregt in uns das Verlangen nach dem, der ihn beantworten soll, und, ertönt der zweite, so ruft er den eben entschwundenen ins Gedächtniß [213] zurück. Dessenungeachtet muß diese angenehme Regelmäßigkeit nothwendigerweise der Natur in der dramatischen Kunst, wie der Kühnheit in dem Epos Eintrag thun. Man kann des Reimes in den Sprachen, deren Prosodie wenig marquirt ist, schwer entrathen, und doch kann der Zwang der Construction in gewissen Sprachen so groß seyn, daß ein kühner und denkender Dichter das Bedürfniß fühlen muß, die Harmonie der Verse ohne die Sclaverei des Reimes genießen zu lassen. Klopstock hat den Alexandriner aus der deutschen Poesie verbannt, und ihn durch Hexameter ersetzt und durch reimlose Jamben, die auch bei den Engländern üblich sind, und der Einbildungskraft viel Freiheit gewähren. Der Alexandriner taugte schlecht für die deutsche Sprache; hievon kann man sich selbst durch die Werke des großen Haller überzeugen, wie verdienstlich sie auch sonst sind; eine Sprache, deren Ton so hart ist, betäubt durch die Wiederkehr und Gleichförmigkeit der Abschnitte. Ueberdies fordert diese Gattung des Verses Sentenzen und Gegensätze, und der Geist der Deutschen ist zu gewissenhaft und zu wahr, um sich den Antithesen hinzugeben, die sowohl Ideen als Bilder nie mit vollkommener Aufrichtigkeit und nie in ihren kleinsten Nuancen zeigen. Der Wohlklang der Hexameter und vorzüglich der reimlosen Jamben ist nur die natürliche Harmonie, die das Gefühl einflößt, eine mit Noten bezeichnete Declamation, wogegen der Alexandriner den Zwang gewisser Ausdrücke und Wendungen auflegt, aus denen man sich schwer wieder herauswickelt. Die Composition dieser Verse ist eine, selbst vom poetischen Genie völlig unabhängige Kunst, die man besitzen kann, ohne jenes Genie zu haben, wie man [214] im Gegentheil ein großer Dichter seyn könnte, ohne die Fähigkeit, sich in diese Form zu zwängen.

Unsre ersten französischen lyrischen Dichter sind vielleicht unsre großen Prosaiker, Bossuet, Pascal, Fenelon, Buffon, J. J. Rousseau u. s. w. Der Despotismus, den der Alexandriner übt, nöthigt zuweilen, das nicht in Verse zu bringen, was doch wahre Poesie wäre; während bei den an eine leichtere und natürlichere Versification gewöhnten Ausländern, alle poetische Gedanken Verse eingeben, und man in der Regel die Prosa nur für das Raisonnement bewahrt. Man würde selbst einem Racine vergeblich die Aufgabe machen, Pindar, Petrarca oder Klopstock in französische Verse zu bringen, ohne ihnen ihren ganzen Charakter zu rauben. Diese Dichter haben eine Art der Kühnheit, welche sich nur in den Sprachen findet, in denen man den ganzen Reiz der Versification mit der Originalität verbinden kann, die im Französischen die Prosa allein gestattet.

Einer der großen Vorzüge, den die deutschen Dialekte in Rücksicht der Poesie haben, ist die Mannigfaltigkeit und Schönheit ihrer Beiwörter. Auch in dieser Hinsicht kann das Deutsche mit dem Griechischen verglichen werden; man fühlt in einem Worte mehrere Bilder, wie man in der Grundnote eines Accordes die andern Töne, aus denen er besteht, mit höret, oder wie gewisse Farben in uns, den Eindruck derer, die von ihnen abhängen, erwecken. Man sagt französisch nur eben, was man sagen will, und sieht nicht um die Worte diese tausendgestaltigen Wolken schwimmen, die die Poesie der nordischen Sprachen umgeben, und eine Menge von Erinnerungen wecken. Mit der Freiheit, ein einziges Beiwort aus zweien oder dreien zu bilden, hängt auch die zusammen, [215] die Sprache durch Verwandlung von Zeitwörtern in Hauptwörter zu beleben: das Wollen, das Fühlen sind weniger abstrakte Ausdrücke, als der Wille, das Gefühl; und alles was dahin führt, den Gedanken in That zu verwandeln, giebt dem Stil immer größere Lebendigkeit. Die Leichtigkeit, nach Belieben die Construktion der Phrasen umzustoßen, ist auch der Poesie sehr günstig, und gestattet, durch die mannigfaltigen Mittel der Versification, Eindrücke hervorzubringen, die denen der Malerei und Musik ähnlich sind. Kurz, der allgemeine Geist der teutonischen Dialekte ist Unabhängigkeit: die Schriftsteller suchen vor allen Dingen, was sie selbst fühlen, auf andre zu übertragen, und würden gern zur Poesie, wie Heloise zu ihrem Geliebten sagen: giebt es einen noch wahreren, zärtlicheren, tieferen Ausdruck für das, was ich empfinde, so will ich ihn wählen. Das immerwährende Denken an die gesellschaftliche Convenienz verfolgt in Frankreich das Talent bis in seine geheimsten Regungen: und die Besorgniß, lächerlich zu erscheinen, ist das Schwert des Damokles, das kein Fest der Einbildungskraft vergessen machen kann.

Man spricht in den Künsten häufig von dem Verdienste überwundener Schwierigkeiten; man hat aber dagegen mit Recht erinnert: daß man entweder diese Schwierigkeiten nicht merke und daß sie dann also auch nicht da seyen, oder, daß man sie merke, und daß sie dann nicht überwunden wären. Hindernisse lassen die Gewandtheit des Geistes hervorspringen; aber zuweilen findet sich bei dem wahren Genie eine Art Unbehülflichkeit, die in gewisser Hinsicht der Leichtgläubigkeit schöner Seelen gleicht, und man thäte Unrecht, das Genie einem willkührlichen [216] Zwange zu unterwerfen, aus dem es sich bei weitem schwerer ziehen würde, als ein Talent zweiten Ranges.