BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Erster Theil. II. Abtheilung.

 

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Zwölftes Capitel.

 

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Von den deutschen Gedichten.

 

Es ergiebt sich, so scheint es mir, aus den verschiedenen Betrachtungen im vorstehenden Capitel, daß es keine klassische Poesie in Deutschland giebt, nehme man das Wort klassisch als die Nachahmung des Alterthums bezielend, oder nur dadurch den möglichst hohen Grad der Vollkommenheit auszudrücken. Die fruchtbare Einbildungskraft der Deutschen läßt sie eher produciren, als verbessern, auch kann man in ihrer Literatur wenig Werke angeben, die dort selbst als Muster gölten. Die deutsche Sprache ist noch nicht fixirt; der Geschmack ändert sich bei jedem neuen Erzeugniß eines Schriftstellers von Talent; alles ist im Fort-, im Vorwärtsschreiten, und der feste Punkt der Vollkommenheit noch nicht erreicht. Ist dies aber ein Uebel? Bei allen Nationen, die sich schmeichelten, dahin gelangt zu seyn, sah man fast unmittelbar darauf den Verfall eintreten, und die Nachahmer den klassischen Schriftstellern folgen, gleichsam um Eckel davor zu erregen.

Es giebt in Deutschland eben so viele Dichter als in Italien: die Menge der Versuche, in welcher Gattung es seyn möge, deutet auf den Hang, den eine Nation ihrer Natur nach hat. Ist die Liebe zur Kunst in ihr allgemein verbreitet, so nehmen die Geister von selbst die Richtung zur Poesie, wie anderswo zur Politik oder zum Handels-Interesse. Es gab bei den Griechen eine Unzahl von Dichtern, und nichts ist dem Genie günstiger, [229] als von einer großen Menge Menschen umgeben zu seyn, welche die nämliche Bahn verfolgen. Künstler sind nachsichtige Richter gegen Fehler, weil sie die Schwierigkeiten kennen; aber sie sind auch anspruchsvoll, wo sie billigen; es bedarf großer Schönheiten und neuer Schönheiten, um in ihren Augen die Meisterstücke zu erreichen, mit denen sie sich unaufhörlich beschäftigen. Die Deutschen improvisiren so zu sagen, indem sie schreiben; und diese große Leichtigkeit ist das wahre Zeichen des Talents für die Künste, denn sie müssen wie die Blumen des Südens, ohne Anbau aufwachsen; die Arbeit vervollkommnet sie, aber die Imagination spendet in Ueberfluß, wenn eine freigebige Natur damit die Menschen beschenkte. Es ist unmöglich, alle deutsche Dichter anzuführen, die eines besondern Lobes würdig wären; ich muß mich hier bloß darauf beschränken, auf eine allgemeine Weise die drei Schulen zu betrachten, die ich bereits bei Angabe des historischen Ganges der deutschen Literatur unterschieden habe.

Wieland ahmte in seinen Romanen Voltaire nach, oft Lucian, der in philosophischer Hinsicht der Voltaire des Alterthums ist, zuweilen Ariosten, und unglücklicher Weise auch Crebillon. Er hat mehrere Rittergeschichten in Versen erzählt, Gandalin, Gerion den Adlichen, Oberon u. s. w., in denen mehr Empfindsamkeit, aber immer weniger Grazie und Heiterkeit, als im Ariost sich findet. Die deutsche Sprache bewegt sich überall nicht mit der Leichtigkeit des Italienischen, und die Scherze, die jener Sprache, die ein wenig mit Consonanten überladen ist, ziemen, sind eher solche, die mit der Kunst, scharf zu characterisiren, als mit der, leicht anzudeuten, zusammenhängen. Idris und der neue Amadis sind Feenmährchen, in denen die [230] weibliche Tugend auf jedem Blatte der Gegenstand unabläßiger Spöttereien ist, die aufhören, unmoralisch zu seyn, weil sie langweilig werden. Uebrigens scheinen mir Wielands Rittergeschichten viel besser, als seine, dem Griechischen nachgebildeten Gedichte: Musarion, Endymion, Ganymed, das Urtheil des Paris u. s. w. Die Ritterhistorien sind in Deutschland national. Der natürliche Geist der Sprache und der Dichter neigt dahin, die Heldenthaten und die Liebes-Abenteuer jener Ritter und jener Schönen zu schildern, die in ihren Empfindungen zugleich so kräftig und so naiv, so wohlwollend und so fest waren; wenn aber Wieland moderne Anmuth in griechische Gegenstände bringen wollte, mußten sie dadurch nothwendiger Weise manierirt werden. Alle, die den antiken Geschmack mit dem modernen, oder den modernen mit dem antiken versetzen wollen, werden fast immer affectirt. Um dieser Klippe zu entgehen, muß man jede Gattung vollständig nach ihrer eigentlichen Natur nehmen.

Der Oberon gilt in Deutschland fast für ein Epos. Er gründet sich auf eine französische Rittergeschichte, Huon von Bourdeaux, von welcher Herr von Tressan einen Auszug geliefert hat; der Elfe Oberon und die Fee Titania, wie sie Shakespear in seinem Sommernachtstraum dargestellt, sind die mythologischen Personen dieses Gedichts. Der Stoff ist aus unsern alten Romanschreibern gezogen, aber was Wieland an Poesie hinzugethan, verdient das höchste Lob. Der Scherz, der aus dem Wunderbaren fließt, ist darin mit vieler Anmuth und Originalität behandelt. Huon wird, in Folge mehrerer Abenteuer, nach Palästina gesandt, um die Tochter des Sultans zur Ehe zu begehren; und wenn der Schall seines zauberischen [231] Horns die gravitätischen Personen, die sich dieser Heirath in den Weg stellen, zum Tanzen zwingt, so wird man dieses komischen Effects, wie oft er geschickter Weise wiederholt wird, nicht müde; mit wie lebhafterer Darstellung der Dichter die pedantische Ernsthaftigkeit der Imans und der Visire am Hofe des Sultans mahlt, um desto mehr belustigt ihr unwillkührlicher Tanz den Leser. Als Oberon auf einem beflügelten Wagen die beiden Liebenden durch die Lüfte fortführt, wird das Erschreckende dieses Wunders durch die Sicherheit, die die Liebe ihnen einflößt, gehoben.

 

Vergebens hüllt die Nacht mit dunstbelad'nen Flügeln

Den Luftkreis ein; dies hemmt der Liebe Sehkraft nicht:

Aus ihren Augen strahlt ein überirdisch Licht,

Worin die Seelen selbst sich in einander spiegeln.

Nacht ist nicht Nacht für sie; Elysium

Und Himmelreich ist alles um und um;

Ihr Sonnenschein ergießet sich von innen,

Und jeder Augenblick entfaltet neue Sinnen.

 

Die Empfindsamkeit verbindet sich in der Regel nicht leicht mit dem Wunderbaren, es ist so etwas Ernsthaftes in den Gefühlen des Gemüths, daß man sie nicht gern mit den Spielen der Einbildungskraft vermischt sieht. Wieland aber besitzt die Kunst, diese phantastischen Dichtungen mit wahrhaften Empfindungen auf eine Weise zu verschmelzen, die nur ihm eigenthümlich ist.

Die Taufe der Tochter des Sultans, die Christin geworden ist, um Huon zu heirathen, ist gleichfalls von der höchsten poetischen Schönheit; die Religion um die Liebe wechseln, ist freilich ein wenig profan; aber das Christenthum ist so sehr die Religion des Herzens, daß man nur mit Ergebenheit und Reinheit zu lieben braucht, um schon bekehrt [232] zu seyn. Oberon hat beide junge Gatten geloben lassen, sich vor ihrer Ankunft in Rom einander nicht ganz anzugehören; sie sind zusammen auf einem Schiffe, und getrennt von der übrigen Welt, läßt die Liebe sie ihr Gelübde vergessen. Nun bricht der Sturm die Fesseln, die Winde brausen, die Wellen toben, die Masten brechen, die Schiffenden wehklagen, die Matrosen schreien um Hülfe. Endlich wird das Schiff leck, die Fluthen drohen, alles zu verschlingen, und die Gegenwart des Todes kann kaum die beiden Gatten dem Gefühl des Glücks des irdischen Lebens entreißen. Sie stürzen ins Meer, eine unsichtbare Macht rettet sie und läßt sie an einer unbewohnten Insel landen, wo sie einen Einsiedler finden, den sein Unglück und seine Religion in diese Einsamkeit gebracht.

Amanda, Huons Gattin, bringt nach langen Widerwärtigkeiten einen Sohn zur Welt, und es giebt nichts Bezaubernderes, als dies Bild der Mütterlichkeit in der Wüste: dies neue Wesen, das die Einsamkeit belebt, diese unsichern Blicke der Kindheit, die die leidenschaftliche Zärtlichkeit der Mutter auf sich zu richten sucht, alles ist voll Empfindung und Wahrheit. Die Proben, denen Oberon und Titania beide Gatten unterwerfen wollen, dauern fort, aber endlich findet ihre Beständigkeit den Lohn. Obgleich einige Längen in diesem Gedichte sind, so ist es doch unmöglich, es nicht allerliebst zu finden, und würde es den Franzosen in gute Verse übersetzt, so würden sie es gewiß eben so beurtheilen.

Vor und nach Wieland versuchten Andere im französischen und italienischen Geschmack zu schreiben, was sie aber geleistet, verdient kaum der Erwähnung; und hätte die deutsche Literatur nicht [233] einen eigenthümlichen Character angenommen, so würde sie in der Geschichte der schönen Künste keine Epoche machen. Mit Klopstock's Messias beginnt die Zeitrechnung für die Poesie in Deutschland.

Der Held dieses Gedichts, nach unsrer sterblichen Sprache, flößt in gleichem Grade Bewunderung und Mitleid ein, ohne daß je eines dieser Gefühle durch das andere geschwächt wird. Ein edler Dichter, Herr von Sabran, sagt von Ludwig dem Sechzehnten:

 

Noch nie vertrug sich Ehrfurcht so mit Mitleid.

 

Dieser rührende und zarte Vers könnte als Ausdruck für die Rührung gelten, die der Heiland bei Klopstock erregt. Ohne Zweifel ist der Gegenstand erhaben über alle Erfindungen des Genies; doch gehört sehr viel dazu, um mit so viel Empfindung die Menschlichkeit in einem göttlichen Wesen, und mit so viel Kraft die Gottheit in einem sterblichen Wesen darzustellen. Auch ist ein großes Talent erforderlich, um Interesse und bange Besorgniß in die Erzählung einer Thatsache zu legen, die schon im Voraus ein allmächtiger Wille entschieden. Klopstock hat mit großer Kunst alles zu vereinigen gewußt, was das Schicksal der Alten und die Vorsehung der Christen zu gleicher Zeit an Schrecken und an Hoffnung erregen können.

Ich habe anderweitig von dem Character des Abbadona, dieses reuigen Teufels, der den Menschen Gutes zu thun sucht, gesprochen: nagende Gewissensbisse heften sich an seine unsterbliche Natur, sein reuiges Sehnen hat den Himmel selbst zum Gegenstande, jenen Himmel, den er gekannt, je{ne} Sphären, die er bewohnte; welch eine Situation bietet diese Rückkehr zur Tugend bei einem unwiderruflichen Geschick! das fehlte noch den [234] Qualen der Hölle, von Wesen bewohnt zu werden, die wieder Empfindung gewonnen! Unsre Religion ist uns ziemlich fremd in der Poesie; und Klopstock ist einer der neueren Dichter, der es am besten verstanden, das Geistige des Christenthums durch seinem Wesen angemessene Situationen und Gemälde gleichsam zu verkörpern.

Es ist nur Eine Episode der Liebe in dem ganzen Werke, und dies ist eine Liebe zwischen zwei Auferstandenen, Cidli und Semida; Christus hat ihnen beiden das Leben geschenkt, und sie hängen an einander mit einer Liebe, rein und himmlisch, wie ihr neues Daseyn: sie glauben sich dem Tode nicht mehr unterworfen, und hoffen mit einander von der Erde zum Himmel hinüber zu schweben, ohne den schrecklichen Schmerz einer scheinbaren Trennung für einen von ihnen. Welche rührende Dichtung diese Liebe in einem religiösen Gedicht! sie allein konnte mit dem Ganzen in Harmonie gebracht werden. Doch ist nicht zu läugnen, daß eine gewisse Eintönigkeit aus dem immer exaltierten Gegenstande entsteht; die Seele ermüdet durch ein Uebermaaß von Contemplation, und der Verfasser braucht oft auferstandene Leser wie Cidli und Semida. Dieser Fehler hätte, wie mir scheint, vermieden werden können, ohne, doch in den Messias irgend etwas Profanes zu bringen; es wäre nämlich vielleicht besser gewesen, das ganze Leben Christi zum Gegenstande zu wählen, als gerade den Augenblick, wo seine Feinde seinen Tod begehren. Es hätte größere Kunst angewandt werden können, mit den Farben des Orients Syrien zu mahlen, und auf eine kräftige Weise den Zustand des Menschengeschlechtes unter der römischen Oberherrschaft zu schildern. Es sind zu viel und zu lange Reden im Messias. Die Beredsamkeit selbst trifft die Einbildungskraft weniger als eine Situation, ein Charakter, [235] ein Gemählde, die etwas zu errathen übrig lassen. Der Logos, oder das göttliche Wort war schon da vor der Schöpfung der Welt, aber bei den Dichtern muß die Schöpfung dem Worte vorausgehn.

Man hat es eben so Klopstock zum Vorwurf gemacht, in die Zeichnung seiner Engel nicht Mannichfaltigkeit genug gebracht zu haben; es ist wahr, daß in einem vollkommenen Wesen Verschiedenheiten schwer aufzufassen, und es gewöhnlich Fehler sind, die die Menschen characterisiren; nichts desto weniger hätte sich doch mehr Abwechselung in dies große Gemälde bringen lassen; endlich, so scheint es mir, hätten nicht noch zehn Gesänge dem, der die Haupthandlung, den Tod des Erlösers, beendigt, hinzugefügt werden dürfen. Diese zehn Gesänge enthalten allerdings große lyrische Schönheiten; aber wenn ein Werk, welcher Gattung es sey, ein dramatisches Interesse erregt, so muß es in dem Augenblicke schließen, wo dies Interesse aufhört. Bemerkungen, Gefühle, die man anderwärts mit dem größten Vergnügen lesen würde, ermüden fast immer, wenn eine lebendigere Erregung ihnen vorangegangen ist. Es ist mit den Büchern beinahe wie mit den Menschen, daß man von ihnen immer dasjenige fordert, was sie selbst uns gewöhnt haben von ihnen zu erwarten.

Es herrscht in Klopstocks ganzem Werke ein erhabenes und empfindungsreiches Gemüth vor; doch sind die Eindrücke, die er erregt, zu gleichförmig und die trüben Bilder zu gehäuft. Das Leben hebt sich nur, weil man den Tod vergißt, und dies ist ohne Zweifel der Grund, warum die Idee des Todes einen so schrecklichen Schauder erregt, wenn sie uns vor die Seele tritt. Im Messias, wie bei Young, werden wir zu oft unter die [236] Gräber geführt, es wäre um die Künste geschehen, wollte man sich immer in dieser Art der Meditation versenken; denn es bedarf eines sehr energischen Gefühls unsrer Existenz, um zu fühlen, daß die Poesie die Welt belebt. Die Heiden stellten in Gedichten, wie auf den Basreliefs ihrer Grabmähler, immer verschiedenartige Gemälde dar, und schufen so den Tod in eine Lebenshandlung um; aber die weitaussehenden und tiefen Gedanken, die sich um die letzten Augenblicke des Christen lagern, eignen sich mehr zur Rührung, als zu den lebendigen Farben der Einbildungskraft.

Klopstock hat religiöse und patriotische Oden, und noch andere über verschiedene Gegenstände gedichtet, die voll von Geist sind. In seinen religiösen Oden weiß er Ideen, die dem Unendlichen angehören, in sichtbare Bilder zu kleiden, aber diese Gattung von Poesie verliert sich zuweilen in das Unermeßliche, das sie zu umfassen strebt.

Es ist schwer, aus seinen religiösen Oden einen oder den andern Vers auszuwählen, der sich wie ein abgerissener Satz wiederholen ließe. Die Schönheit dieser Gedichte besteht in dem allgemeinen Eindruck, den sie machen. Würde man von einem, der das Meer betrachtet, diese immer bewegte, und immer unerschöpfte Unermeßlichkeit, diese Unermeßlichkeit, die die Idee aller Zeiten in einem Augenblick vergegenwärtigt, die Idee aller Folgereihen in eine Gleichzeitigkeit verwandelt; würde man von einem solchen wohl fordern, daß er, Welle für Welle, herrechne, welch ein Vergnügen er empfinde, wenn er am Ufer sinnend steht? Eben so verhält es sich mit den durch die Poesie verschönerten religiösen Meditationen; sie verdienen Bewunderung, wenn sie uns begeistern, wenn man sich besser fühlt, nachdem man sich damit [237] durchdrungen: das ist das ganze literarische Urtheil über solche Werke.

Unter Klopstocks Oden verdienen die, welche die französische Revolution zum Gegenstande haben, gar keiner Erwähnung: die Gegenwart giebt den Dichtern immer eine schlechte Begeisterung, aus der Ferne von Jahrhunderten ist ihr Standpunkt um richtig zu urtheilen, und selbst um schön zu mahlen; was aber Klopstock große Ehre macht, sind seine Bemühungen, den Patriotismus der Deutschen zu beleben. Zu den für diesen ehrwürdigen Zweck verfertigten Gedichten gehört nachstehender Gesang der Barden bei Hermanns Tod, der von deutschen, seine Thaten und seine Macht beneidenden, Fürsten ermordet ward.

 

W. Auf diesem Steine der alternden Moose

Wollen wir sitzen, o Barden, und ihn singen.

Keiner tret' hervor, und blick hinab über das Gesträuch,

Das ihn verdeckt den edelsten Sohn des Vaterlands.

 

Denn dort liegt er in seinem Blut,

Er selbst da der geheime Schrecken Roms,

Da sie mit Kriegestanz und Flötenspiel des Triumphs

Seine Thusnelda führten.

 

Blickt nicht hin; ihr weintet,

Sähet ihr ihn in seinem Blute liegen!

Und nicht Thränen soll die Telyn tönen;

Sie soll den Unsterblichen singen!

 

K. Hell ist noch mein Jünglingshaar,

Umgürtet ward ich heut mit dem ersten Schwert,

Gewaffnet das erstemal mit der Lanz' und der Telyn;

Und ich soll Hermann singen?

 

Fodert nicht zu viel von dem Jüngling, Väter!

Ich muß mit der goldenen Locke zuvor

Trocknen meine heiße Wange,

Eh' ich singe den größten der Söhne Mana's. [238]

 

D. Thränen wein' ich der Wuth!

Und will sie nicht trocknen!

Fließt, fließt die glühende Wang' herab,

Thränen der Wuth!

 

Sie sind nicht stumm. Du vernimmst, was sie rauschen!

Fluch ists! höre sie, Hela!

Keiner der Verräther des Vaterlands, die ihn tödteten,

Sterb' in der Schlacht!

 

W. Sehet ihr den Waldstrom stürzen

Herunter in der Felsenkluft?

Stürzen mit ihm gewälzte Tannen

Zu Hermanns Todtenfeuer?

 

Bald ist er Staub, und ruhet

Im Gefäß der Begräbnisse,

Und in dem heiligen Staube das Schwert,

Bei dem er Untergang dem Eroberer schwur!

 

Weil', o du des Getödteten Geist!

Auf deinem Wege zu Siegmar,

Und höre, wie heiß von dir das Herz

Deines Volkes ist!

 

K. Verschweigts Thusnelda, verschweigts,

Daß hier in Blut ihr Hermann liegt!

Sagts dem edlen Weibe, der unglückseligen Mutter nicht,

Daß ihres Thumeliko Vater hier im Blute liegt!

 

Ihr nicht, die schon vor des stolzen Triumphs

Fürchterlichem Wagen in der Fessel ging!

Du hast ein Römerherz,

Der das der Unglückseligen sagen kann!

 

D. Und welcher Vater zeugte dich,

Unglückselige! Segestes auch

Röthet' in der finstern späten Rache sein Schwert!

Flucht ihm nicht! ihm hat schon Hela geflucht!

 

W. Laßt den Namen Segest den Gesang nicht nennen!

Weihet ihn schweigend der Vergessenheit,

Daß über seiner Asche sie

Ruhe mit schwerem Fittig! [239]

 

Die Saite, die den Namen

Hermanns bebt, wird entehrt,

Wenn sie auch nur mit Einem Zornlaut

Verurtheilt den Verräther!

 

Hermann! Hermann! singen dem Wiederhall,

Dem geheimen Graun des Hains, den Liebling der Edelsten!

Die Barden in vollem Chor, den Führer der Kühnsten,

In vollem Chor, den Befreier des Vaterlands!

 

Schwester Kannä's! Winfelds Schlacht!

Ich sah dich mit wehendem blutigen Haar,

Mit dem Flammenblick der Vertilgung,

Unter die Harfen Walhalla's schweben!

 

Verbergen wollte Drusus Sohn

Dein Vergängliches Denkmal:

Der Ueberwund'nen weißes Gebein

In dem öden Todesthal!

 

Wir duldeten es nicht, und stäubten den Hügel weg!

Denn auch dieses Maal sollte Zeuge der großen Tage seyn,

Und hören bei dem Frühlingsblumentanz

Der Ueberwinder Triumphgeschrei!

 

Der Schwestern mehr wollt' er Kannä geben,

Gespielen Varus in Elysium!

Ohne der Fürsten neidenden überrufenden Rathschluß,

Ward Varus Gespiele Zäzina!

 

In Hermanns heißer Seele war

Lang' ein größerer Gedanke!

Um Mitternacht, bei dem Opfer Thorrs, und dem Kriegsgesang,

Bildet' er sich in ihr, und schwang sich entgegen der That!

 

Auch dacht' er ihn, wenn er tanzen ließ bei dem Mahl

Unter den Lanzen die Jünglinge,

Und umher um den kühnen Tanz

Blutringe warf, den Knaben ein Spiel.

 

Der Sturmbesieger erzählt:

In dem Ozeane des fernen Nords ist ein Eilandsberg, [240]

Der flammenverkündenden Dampf, als wälz' er Wolken, wälzt,

Dann strömet die hohen Flammen, und meilenlang krachende Felsen wirft!

 

So verkündete Hermann durch seine Schlacht,

Entschlossen, zu gehn

Ueber die schützenden Eisgebirge! zu gehn

Hinab in die Eb'nen Roms!

 

Zu sterben da! oder im stolzen Kapitol,

Dicht an der Wagschaal Jupiters,

Zu fragen Tiberius, und seiner Väter Schatten,

Um ihrer Kriege Gerechtigkeit!

 

Das zu thun! wollt' er tragen Feldherrnschwert

Unter den Fürsten; da zückten sie den Tod auf ihn!

Und in Blute liegt nun der, in dessen Seele war

Der große Vaterlandsgedanke!

 

D. Hast du sie gehört, o Hela,

Meine zürnende Thräne?

Hast du ihr Rufen gehört,

Hela, Vergelterin?

 

K. In Walhalla wird Siegmar, unter der goldenen Aeste Schimmer,

Siegeslaub in der Hand, umschwebt von den Tänzen der Enherion,

Von Thuiskon geführt und von Mana,

Der Jüngling den Jüngling empfangen!

 

W. Siegmar wird, mit stummer Trauer,

Seinen Hermann empfangen.

Denn nun fragt er nicht Tiberius, und die Schatten

Seiner Väter, an der Wagschaal Jupiters.

 

So finden sich noch mehrere Gedichte Klopstocks, in denen er, wie in diesem, den Deutschen die Großthaten ihrer Altvordern, der Germanen, zurückruft; aber diese Erinnerungen haben fast keine Beziehung mehr mit der Nation, wie sie jetzt ist. [241] Man fühlt durch die Poesie dieser Gattung einen haltlosen Enthusiasmus, ein Sehnen, das sein Ziel nicht zu erreichen vermag, und das kleinste Volkslied eines freien Volks erregt eine wahrere Rührung. Es sind nur noch Spuren der alten Geschichte der Germanen übrig, ihre neuere Geschichte ist zu getheilt und zu verworren, um volksmäßige Empfindungen zu erzeugen; darum müssen die Deutschen in ihren Herzen allein die Quelle wahrhaft vaterländischer Gesänge suchen. Klopstock zeigt oft viel Anmuth bei mindern ernsten Gegenständen; diese Anmuth hängt mit Einbildungskraft und Gefühl zusammen, denn in seinen Poesieen findet sich wenig von dem, was wir Esprit nennen und was sich mit der lyrischen Poesie nicht verträgt. In seiner Ode über die Nachtigall (Bardale) weiß der deutsche Dichter einen sehr abgenutzten Gegenstand neu zu verjüngen, indem er dem Vogel so sanfte und lebendige Empfindungen für die Natur und für den Menschen leiht, daß er wie ein geflügelter Vermittler erscheint, der den Zoll des Lobes und der Liebe von einem zu dem andern trägt. Seine Ode: der Rheinwein, hat viel Originalität, die Rheinufer sind für die Deutschen eine wahrhaft nationale Vorstellung; sie haben nichts Schöneres in ihrem ganzen Lande; die Reben wachsen an der Stelle, wo so viel Kriegsthaten gethan wurden, und der hundertjährige Wein, Zeitgenosse glorreicherer Tage, scheint noch die edle Wärme verflossener Zeiten zu bewahren.

Klopstock hat nicht allein aus dem Christenthume die größten Schönheiten seiner religiösen Werke geschöpft; sondern, da es sein Zweck war, seine vaterländische Literatur von der des Alterthums völlig unabhängig zu machen, versuchte er auch zuerst der deutschen Poesie eine neue, von den Scandinavischen [242] Völkern erborgte, Mythologie zu geben. Zuweilen machte er davon einen zu gelehrten Gebrauch, aber zuweilen benutzt er sie auf eine sehr glückliche Weise, so daß seine Einbildungskraft die Beziehungen fühlte, die zwischen den Gottheiten des Nordens und dem Anblick der Natur, über welche sie herrschen, Statt finden.

Eine seiner reizenden Oden, die Kunst Tialfs, schildert die Kunst des Schlittschuhlaufens, deren Erfindung man dem Riesen Tialf zuschreibt. Eine junge schöne Frau, geschmückt mit einem Hermelinpelze, stellt sich auf einem Schlitten in Gestalt eines Wagens dar; die jungen Männer, die sie umgeben, schieben diesen Wagen mit Blitzesschnelle fort, indem sie ihn nur leicht anstoßen. Man wählt zur Bahn den gefrornen reißenden Strom, der im Winter die sicherste Straße bietet. Die Haare der Jünglinge glänzen von Schneeflocken und Reif; die jungen Mädchen, die dem Schlitten folgen, bewaffnen ihre Füße mit Stahlflügeln, die sie im Nu in weite Ferne führen. Bardengesang begleitet diesen nordischen Tanz; die fröhliche Schaar fährt unter Ulmen hin, deren Blüthen Schneeflocken sind; der Krystall kracht unter ihren Schritten; ein Augenblick des Entsetzens stört das Fest; aber bald sind alle Geister neu belebt durch den Schrei der Freude, durch die Heftigkeit der Bewegung, die dem Blut die Wärme giebt, die ihr der äußere Frost raubt, und durch den Kampf mit dem Clima; man langt am Ziel des Laufes in einem großen erleuchteten Saal an, wo Kaminfeuer, Ball und Feste, leichte Freuden auf die der Strenge der Natur abgerungenen folgen lassen.

Die Ode an Ebert, über ihre heimgegangenen Freunde, verdient auch angeführt zu werden. Klopstock ist minder glücklich, wenn er über Liebe [243] schreibt. Er hat, wie Dorat, seine künftige Geliebte besungen, und dieser manierirte Gegenstand hat seine Muse übel begeistert: man hat noch nicht gelitten, wenn man mit der Empfindung spielen kann, und wenn ein sonst ernsthafter Dichter solch ein Spiel versucht, so hindert ein geheimer Zwang ihn stets, natürlich dabei zu erscheinen.

Zu Klopstocks Schule kann man, nicht zwar als Schüler, sondern als Mitbrüder rechnen: den großen Haller, dessen Name nicht ohne Ehrfurcht genannt werden darf, Geßner und mehrere Andere, die sich durch Wahrheit der Empfindung dem Englischen Geiste näherten, aber noch nicht das wahrhaft charakteristische Gepräge der deutschen Literatur trugen. – Klopstocken selbst ist es nicht vollständig gelungen, Deutschland ein episches Gedicht zu schenken, das zugleich erhaben und volksmäßig wäre, wie ein Werk dieser Gattung es seyn muß. Voßens Uebersetzungen der Ilias und der Odyssee lehren den Homer so kennen, wie eine Durchzeichnung das Original wieder giebt: jedes Beiwort ist darin beibehalten, jedes Wort an die nämliche Stelle gesetzt; und der Eindruck des Ganzen ist ungemein groß, obgleich das Deutsche nicht all den Reiz haben kann, den das Griechische, des Südens schönste Sprache, hat. Die deutschen Schriftsteller, die mit Begierde nach jeder neuen Gattung fassen, versuchten hierauf Gedichte in homerischem Tone, und die Odyssee, die viel Einzelnheiten aus dem Privatleben darstellt, schien leichter nachzuahmen, als die Ilias.

Der erste Versuch dieser Art war eine Idylle in drei Gesängen, Luise, von Voß selbst. Sie ist in Hexametern, die alle Welt bewundernswürdig findet; aber gerade der Prachtschritt des hexametrischen Verses scheint oft wenig in Einklang [244] mit der außerordentlichen Einfalt des Gegenstandes. Ohne die reinen und frommen Gefühle, welche das ganze Gedicht athmet, würde man sich wenig für das sehr ruhige Ehebündniß der Tochter des ehrwürdigen Pfarrers von Grünau interessiren. Homer, der die passenden Beiwörter mit den Hauptwörtern treu zu verbinden pflegt, sagt immer von Minerven sprechend: Zeus blauäugige Tochter; so wiederholt auch Voß unaufhörlich: der ehrwürdige Pfarrer von Grünau. Homers Einfachheit thut aber nur darum eine so große Wirkung, weil sie einen edeln Gegensatz mit der imposanten Größe seines Helden und des ihn verfolgenden Schicksals bildet; wogegen, wenn von einem Landpfarrer und von seiner Gattin, einer sehr wackern Hausfrau, die ihre Tochter mit einem jungen Manne, den sie liebt, verheirathen, die Rede ist, diese Einfachheit wenig Verdienst hat. Man bewundert in Deutschland die Schilderungen in der Luise von der Art, den Caffee zu bereiten, die Pfeife anzuzünden u. s. w.; diese Einzelnheiten sind allerdings mit viel Talent und Wahrheit dargestellt, wie ein sauber gearbeitetes niederländisches Gemälde; aber es scheint mir, daß sich die täglichen Gewohnheiten des Lebens schwerer in unsre Gedichte wie in die der Alten einführen lassen: denn diese Gewohnheiten sind bei uns nicht poetisch, und unsre Civilisation hat einen etwas zu bürgerlichen Anstrich. Die Alten lebten immer in freier Luft, immer in Verhältnissen mit der Natur, ihre Art zu seyn war ländlich, nie gemein.

Die Deutschen legen zu wenig Gewicht auf den Gegenstand eines Gedichts, und glauben, daß alles in der Art der Behandlung liege. Einmal aber läßt sich eine von der Poesie bestimmte Form fast nie in eine fremde Sprache übertragen, und [245] eine europäische Reputation ist doch nicht zu verachten; anderntheils verwischt sich das Andenken an die interessantesten Einzelheiten, wenn man sie nicht an eine Dichtung knüpfet, welche die Einbildungskraft zu ergreifen im Stande ist. Die rührende Reinheit, die den Hauptreiz des Voßischen Gedichtes ausmacht, läßt sich, wie es mir scheint, am besten aus dem Segen des Pfarrers, bei der Hochzeit seiner Tochter, erkennen.

 

Gottes Segen mit dir, holdseliges, allerliebstes

Töchterchen; Gottes Segen auf dieser Erd' und im Himmel!

Ich bin jung gewesen und alt geworden, und vielfach

Hab' ich Freude von Gott, und vielfach Kummer geschmecket,

Im abwechselnden Leben, und Gott gedanket für beides!

Gerne will ich nunmehr mein graues Haupt zu den Vätern

Niederlegen in's Grab: denn meine Tochter ist glücklich!

Glücklich, weil sie es weiß, daß unser Gott wie ein Vater

Seiner Kindelein pflegt, durch Freud' und Kummer uns segnet!

Wunderbar regt sich mein Herz beim Anblick einer geschmückten

Jungen Braut, wie sie hüpfend, in holder kindlicher Einfalt,

An des Bräutigams Hand den Pfad durchs Leben beginnet:

Alles zu tragen gefaßt in Einigkeit, was auch begegne;

Ihm mitfühlend die Lust zu erhöhn, zu erleichtern die Unlust;

Und, will's Gott, von der Stirne den letzten Schweiß ihm zu trocknen!

Eben so wallete mir's von Ahndungen, als nach der Hochzeit

Ich mein jugendlich Weib heimführete. Freudig und ernstvoll

Zeigt' ich ihr am Moore die Grenzstein' unseres Feldes,

Jetzo den Kirchenthurm und die Wohnungen, jetzo das Pfarrhaus, [246]

Wo uns beiden so manches bevorstand, Gutes und Böses!

Du, mein einziges Kind! denn in Wehmuth, denk' ich der andern,

Wann mein Gang zur Kirch' an der blumigen Gruft mich vorbeiführt!

Bald, du Einzige! wirst du auf jenem Wege dahinziehn,

Welchen ich kam; bald steht mir des Töchterchens Kammer verödet,

Und des Töchterchens Stelle bei Tisch; ich horche vergebens

Ihrer Stimm' in der Fern' und ihrem kommenden Fußtritt.

Wann du mit deinem Mann auf jenem Wege dahinziehst;

Schluchzend werd' ich und lange mit heißen Thränen dir nachsehn!

Denn ich bin Mensch und Vater, und habe mein Töchterchen herzlich,

Herzlich lieb! und mich liebt mein Töchterchen eben so herzlich!

Aber ich werde getrost mein Haupt aufheben zum Himmel,

Trocknen mein Angesicht, und, fest die Hände gefaltet,

Mich im Gebete vor Gott demüthigen, der wie ein Vater

Seiner Kindelein pflegt, durch Freud' und Kummer uns segnet!

Sein ist auch das Gebot, des Liebenden: „Vater und Mutter

Soll verlassen der Mensch, daß Mann und Weib sich vereinen.“

Geh dann in Frieden, mein Kind; vergiß dein Geschlecht, und des Vaters

Wohnungen; geh' an der Hand des Jünglings, welcher von nun an

Vater und Mutter dir ist! Sei ihm ein fruchtbarer Weinstock

Um sein Haus; die Kinder um eueren Tisch, wie des Oelbaums

Sprößlinge! So wird gesegnet ein Mann, der dem Herrn vertrauet!

Lieblich und schön seyn ist nichts; ein gottesfürchtiges Ehweib

Bringet Lob und Segen! Denn, bauet der Herr das Haus nicht,

Dann arbeiten umsonst die Bauenden!.... [247]

 

Das ist wahre Einfachheit, nämlich des Gemüths, die dem Volke wie den Königen, den Armen wie den Reichen, allen Creaturen Gottes gleicherweise ziemt. Man wird der beschreibenden Poesie leicht müde, wenn sie Gegenstände darstellt, die in sich selbst nichts Großes haben; aber die Gefühle steigen vom Himmel herab, und wie niedrig der Ort sey, wohin ihre Strahlen dringen, so verlieren diese nichts von ihrer Herrlichkeit.

Die außerordentliche Bewunderung, die Göthe den Deutschen einflößt, hat seinem Gedichte Hermann und Dorothea, den Namen eines epischen verschafft, und einer der geistreichsten Männer in jedem Lande, Wilhelm von Humboldt, ein Bruder des berühmten Reisenden, hat über dies Gedicht ein Werk voll höchst philosophischer und anziehender Bemerkungen geschrieben. Hermann und Dorothea ist auch ins Französische und Englische übersetzt; doch giebt die Uebersetzung keine Vorstellung von dem Reize, der in diesem Werke herrscht; eine sanfte und ununterbrochene Rührung athmet von dem ersten bis zum letzten Verse darin, und die kleinsten Einzelheiten haben eine natürliche Würde, die Homers Helden nicht verunzieren könnte. Nichts desto weniger, muß man sich gestehen, haben die Personen und die Begebenheiten zu geringe Wichtigkeit: der Gegenstand hat zureichendes Interesse, wenn man das Gedicht im Original liest, in der Uebersetzung verschwindet dies. Beim Epos scheint es mir erlaubt, eine Art von literarischer Aristokratie zu fordern; die Würde der Personen und der historischen Erinnerungen, die sich daran knüpfen, können allein die Einbildungskraft zu der Höhe erheben, welche diese Gattung heischt.

Ein altes Gedicht aus dem 13. Jahrhundert, das bereits von mir erwähnte Lied der Nibelungen, [248] scheint zu seiner Zeit den ganzen Character einer wahren Epopöe gehabt zu haben. Die Thaten des Helden des Nordens, Siegfried, den ein burgundischer König tödten ließ, und die Rache, die die Seinigen deshalb in Attila's Lager nahmen, und die dem ersten Königreich Burgund ein Ende machte, sind der Inhalt dieses Gedichts. Ein Epos ist fast nie das Werk eines Menschen, Jahrhunderte selbst, wenn ich mich so ausdrücken darf, sind die Mitarbeiter daran: der Patriotismus, die Religion, kurz, der ganze Umfang der Existenz eines Volkes, können nur durch ungeheure Ereignisse in Bewegung gesetzt werden, die der Dichter nicht schafft, und die ihm durch die Nacht der Zeiten vergrößert erscheinen: die Personen des Epos müssen den ursprünglichen Character der Nation darstellen, und man muß in ihnen die unzerstörliche Form finden, aus welcher die ganze Geschichte derselben geflossen.

Was es in Deutschland Schönes gab, das war das alte Ritterthum, seine Kraft, seine Treue, seine Gutmüthigkeit, und die Rauhigkeit des Nordens im Bunde mit erhabener Empfindsamkeit. Was ferner schön darin war, war das auf die scandinavische Mythologie gepfropfte Christenthum; diese wilde Ehre, die der Glauben reinigte und heiligte; diese Ehrfurcht vor den Frauen, die noch durch den allen Schwachen bewilligten Schutz an Rührung gewann; dieser Enthusiasmus des Todes; dieses kriegerische Paradies, in welchem die menschlichste Religion ihren Platz genommen. Dies sind die Elemente eines deutschen Epos, dieser muß der Genius sich bemeistern, und wie Medea durch ein neues Blut alte Erinnerungen wecken.