BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Dritter Theil. II. Abtheilung.

 

___________________________________________________________

 

 

[285]

Neuntes Capitel.

 

――――――

 

Von der Betrachtung

der Natur.

 

Als ich von dem Einfluß der neuen Philosophie auf die Wissenschaften sprach, habe ich bereits einiger von den, für das Studium der Natur in Deutschland angenommenen, Principien erwähnt. Da aber Religion und Enthusiasmus einen so großen Antheil an der Betrachtung des Universums haben, so will ich im Allgemeinen die politischen und religiösen Ansichten anzeigen, die man in dieser Hinsicht in den Werken der Deutschen sammeln kann.

Einige Physiker, von einem frommen Gefühl geleitet, haben geglaubt, sie müssen sich auf die Erforschung der Endursachen beschränken; sie haben also zu beweisen gesucht, daß alles in der Welt auf die Aufrechthaltung und das physische Wohlseyn der Individuen und Arten abzwecke. Gegen dies System lassen sich, wie ich glaube, erhebliche Einwendungen machen. Ohne Zweifel ist es leicht einzusehen, daß in der Ordnung der Dinge Mittel und Zweck in einem bewundernswürdigen Zusammenhange stehen; aber wo stehen in dieser allgemeinen Verkettung die Ursachen welche Wirkungen, und die Wirkungen, welche Ursachen sind, stille? Will man alles auf die Erhaltung des Menschen beziehen, so wird man nicht ohne Mühe begreifen können, was sie mit den meisten Wesen gemein hat. Außerdem legt man einen allzu großen Werth auf die materielle Existenz, wenn man sie zum letzten Zweck der Schöpfung macht.

Die, welche, trotz der unermeßlichen Menge von besonderem Unglück, der Natur eine gewisse [286] Gutherzigkeit beilegen, betrachten sie als einen Spekulanten im Großen, der sich auf die Zahl stützt. Dies System paßt nicht einmal für eine Regierung, und gewissenhafte Schriftsteller im Fache der politischen Oekonomie haben es bekämpft. Was würde es erst seyn, wenn von den Absichten der Gottheit die Rede ist? Religiös betrachtet, ist ein Mensch so viel, als das ganze menschliche Geschlecht; und sobald man die Idee einer unsterblichen Seele gefaßt hat, ist es nicht weiter möglich, ein Mehr oder Weniger von Wichtigkeit des Individuums in Beziehung auf Alle zuzulassen. Jedes intelligente Wesen ist von unbestimmbaren Werthe, weil es ewig dauern soll. Die deutschen Philosophen haben also das Universum aus einem höheren Gesichtspunkte betrachtet.

Einige glauben in allen Dingen zwei Principien zu sehen, die sich unaufhörlich bekämpfen, nemlich das Princip des Guten und das des Bösen; und es sey nun, daß man diesen Kampf einer höllischen Macht zuschreibt, oder, was sich weit einfacher denken läßt, daß die physische Welt das Bild der guten und bösen Neigungen des Menschen seyn könne: so bleibt es immer wahr, daß diese Welt der Beobachtung zwei durchaus entgegengesetzte Außenseiten darbietet.

Es läßt sich nicht läugnen, in der Natur giebt es, wie im menschlichen Herzen, eine schreckliche Seite; man nimmt eine furchtbare Macht des Zorns an ihr wahr. Was auch die gute Absicht der Anhänger des Optimismus sey, mehr Tiefe wird in Denen fühlbar, die das Uebel nicht läugnen, aber den Zusammenhang dieses Uebels mit der Freiheit [287] des Menschen und der Unsterblichkeit begreifen, welche sie ihm erwerben kann.

Die mystischen Schriftsteller, von welchen ich in den vorhergehenden Capiteln geredet habe, sehen in dem Menschen einen Abriß der Welt und in der Welt das Sinnbild der Lehren des Christenthums. Die Natur erscheint ihnen als das körperliche Bild der Gottheit und sie stürzen sich immer tiefer und tiefer in die tiefe Bedeutung der Dinge und der Wesen. 

Unter den deutschen Schriftstellern, welche sich mit der Betrachtung der Natur beschäftigt haben in religiösen Beziehungen, verdienen zwei eine besondere Aufmerksamkeit; Novalis, als Dichter, und Schubert, als Physiker. Novalis, ein Mann von vornehmer Geburt, war von Jugend auf in alle die Studien eingeweiht, welche die neue Schule in Deutschland entwickelt hat; aber seine fromme Seele hat seinen Poesieen einen großen Charakter von Einfachheit gegeben. Er ist im sechs und zwanzigsten Jahre gestorben, und seitdem er nicht mehr ist, haben seine religiösen Gesänge in Deutschland eine rührende Berühmtheit erhalten. Der Vater dieses jungen Mannes ist ein Mitglied der mährischen Brüdergemeinden; und als er, einige Zeit nach dem Tode seines Sohnes, eine Gemeinde seiner Brüder besuchte, hörte er in ihrer Kirche die Poesieen seines Sohnes singen, welche die mährischen Brüder zu ihrer Erbauung angenommen hatten, ohne den Verfasser zu kennen.

Unter den Werken dieses Novalis unterscheidet man Hymnen an die Nacht, welche mit großer Kraft die Andacht malen, die sie in der Seele entzündet. Der fröhlichen Lehre des Heidenthums entspricht der Glanz des Tages; aber der gestirnte Himmel [288] ist der wahre Tempel eines reinen Cultus. „In der Dunkelheit der Nächte,“ sagt ein deutscher Dichter, „hat sich die Unsterblichkeit dem Menschen offenbart; das Licht der Sonne blendet die Augen, welche zu sehen glauben.“ Stanzen von Novalis über das Leben der Bergleute enthalten eine lebendige Poesie von ungemeiner Wirkung; er befragt die Erde in der Tiefe, weil sie Zeuge der verschiedenen Umwälzungen gewesen, welche die Natur erfahren hat; und zeigt ein heftiges Verlangen, immer tiefer zu dem Mittelpunkt unseres Erdballs vorzudringen. Der Abstich dieser unermeßlichen Neugierde mit dem zerbrechlichen Leben, das man an ihre Befriedigung setzen muß, weckt eine erhabene Rührung. Der Mensch auf der Erde befindet sich zwischen dem Unendlichen der Himmel und dem Unendlichen der Abgründe, und sein Leben in der Zeit schwankt gleichfalls zwischen zwei Ewigkeiten. Von allen Seiten von gränzenlosen Ideen und Gegenständen umgeben, erscheinen unzählige Gedanken ihm, wie tausend Lichter, die ihn verwirren und blenden.

Novalis hat über die Natur im Allgemeinen geschrieben, und mit Recht nennt er sich den Schüler von Sais, weil in dieser Stadt der Tempel der Isis gegründet war, und weil die, von den Aegyptiern uns überlieferte Tradition zu dem Glauben führt, daß ihre Priester eine gründliche Kenntniß von den Gesetzen des Universums hatten.

„Man steht mit der Natur,“ sagt Novalis [Die Lehrlinge zu Sais, 2. Kapitel], „grade in so unbegreiflich verschiedenen Verhältnissen, wie mit den Menschen; und, wie sie sich dem Kinde kindisch zeigt und sich gefällig in seinem kindlichen Herzen anschmiegt, so zeigt sie sich dem Gotte göttlich und stimmt zu dessen hohem Geiste. [289] – – – – – – – – –– – – – „So entstehen mannichfache Naturbetrachtungen, und wenn an einem Ende die Naturempfindung ein lustiger Einfall, eine Mahlzeit wird, so sieht man sie dort zur andächtigsten Religion verwandelt, einem ganzen Leben Richtung, Haltung und Bedeutung geben. Schon unter den kindlichen Völkern gab's solche ernste Gemüther, denen die Natur das Antlitz einer Gottheit war, indessen andere fröhliche Herzen sich nur auf sie zu Tische baten; die Luft war ihnen ein erquickender Trank, die Gestirne Lichter zum nächtlichen Tanz, und Pflanzen und Thiere nur köstliche Speisen, und so kam ihnen die Natur nicht wie ein stiller, wundervoller Tempel, sondern wie eine lustige Küche und Speisekammer vor. Dazwischen waren andere sinnigere Seelen, die in der gegenwärtigen Natur nur große, aber verwilderte Anlagen bemerkten, und Tag und Nacht beschäftigt waren, Vorbilder einer edleren Natur zu schaffen. – Sie theilten sich gesellig in das große Werk, die einen suchten die verstummten und verlornen Töne in Luft und Wäldern zu erwecken, andere legten ihre Ahndungen und Bilder schönerer Geschlechter in Erz und Steine nieder, bauten schönere Felsen zu Wohnungen wieder, brachten die verborgenen Schätze aus den Grüften der Erde wieder an's Licht u. s. w. – – – – – – – – –– – – – Bald lernte die Natur wieder freundlichere Sitten, sie ward sanfter und erquicklicher und ließ sich willig zur Beförderung der menschlichen Wünsche finden. Allmählig fing ihr Herz wieder an, menschlich sich zu regen, ihre Fantasien wurden heiterer, sie ward wieder umgänglich [290] und antwortete dem freundlichen Frager gern, und so scheint allmählich die alte goldne Zeit zurückzukommen u. s. w.“

Um die Natur zu kennen, muß man eins mit ihr werden. Ein poetisches und andachtvolles Leben, eine heilige und religiöse Seele, die ganze Kraft, die ganze Blüthe der Existenz, sind erforderlich, sie zu begreifen, und der ächte Beobachter ist der, welcher die Analogie dieser Natur mit dem Menschen, und die des Menschen mit dem Himmel faßt.

Schubert hat ein Buch über die Natur geschrieben, dessen Lectüre keinen Augenblick ermüdet, so voll ist es von Ideen, welche zum Nachdenken reizen; es füllt das Gemälde mit neuen Thatsachen, deren Verkettung unter neuen Beziehungen gedacht ist. Von seinem Werke bleiben zwei Haupt-Ideen zurück. Die Indier glaubten an eine herabsteigende Seelenwanderung, d. h. an die, welche die Seele der Menschen zum Durchgang durch die Thiere und die Pflanzen verdammt, um sie für den Misbrauch des Lebens zu bestrafen. Schwerlich kann man sich ein niederschlagenderes System denken, und die Werke der Indier haben das schmerzliche Gepräge desselben. Ueberall glaubt man in Thieren und Pflanzen den gefangenen Gedanken, das eingekerkerte Gefühl, zu sehen, wie sie sich abmatten, um die groben und stummen Formen, die sie einschließen, abzustreifen. Schuberts System ist tröstlicher. Er stellt sich die Natur als eine aufsteigende Seelenwanderung vor, in welcher von dem Steine bis zum menschlichen Daseyn ein fortgehendes Vorrücken Statt findet, wodurch das Lebensprincip von Stufe zu Stufe bis zur höchsten Vervollkommnung erhoben wird. [291]

Auch Schubert glaubt, es habe Epochen gegeben, wo der Mensch ein so lebendiges und so zartes Gefühl für die vorhandenen Phänomene gehabt, daß er die verborgensten Geheimniße der Natur aus eigenen Eindrücken errathen habe. Diese ursprünglichen Fähigkeiten sind abgestumpft, und eine kränkliche Reizbarkeit der Nerven giebt, indem sie die Macht des Verstandes schwächt, dem Menschen den Instinkt zurück, den er ehemals mit dem vollsten Genuß seiner Kräfte verband. Die Werke der Philosophen, Gelehrten und Dichter in Deutschland haben den Zweck, die unfruchtbare Macht des Verstandes zu vermindern, ohne der Aufklärung in irgend etwas zu schaden. Und so kann die Einbildungskraft der alten Welt gleich dem Phönix aus der Asche aller Irrthümer wieder hervorgehen.

Die meisten Physiker haben, wie ich bereits bemerkt habe, die Natur wie eine gute Regierung darstellen wollen, in welcher alles nach weisen Administrations-Principien geschieht; aber vergeblich trägt man dies prosaische System auf die Schöpfung über. Weder das Furchtbare, noch das Schöne läßt sich durch diese beschränkte Theorie erklären, und die Natur ist abwechselnd allzu grausam und allzu prächtig, als daß man sie dem Calcul unterwerfen könnte, der in dem Urtheil über Dinge dieser Welt gestattet wird.

Es giebt Gegenstände, die in sich selbst scheußlich sind, und deren Eindruck auf uns unerklärlich bleibt, gewisse Thiergestalten, gewisse Pflanzenformen, gewisse Farbenverbindungen, empören unsere Sinne, ohne daß wir darüber Rechenschaft ablegen können; man möchte sagen, daß diese widrigen Umrisse, diese zurückstoßenden Bilder an Niederträchtigkeit [292] und Meineidigkeit erinnern, wiewohl in den Analogieen des Raisonnements nichts eine solche Ideen-Verknüpfung erklären kann. Die Physiognomie des Menschen hängt nicht, wie einige Schriftsteller behauptet haben, von der mehr oder minder ausgesprochenen Zeichnung der Züge ab; in den Blick und in die Bewegungen des Gesichts geht, ich weiß nicht, welcher Ausdruck des Gemüths über, der sich nicht verkennen läßt, und besonders in der menschlichen Gestalt lernt man das Außerordentliche und Unbekannte in den Harmonieen des Geistes und des Körpers kennen.

In der physischen Ordnung haben Unfälle und Unglück etwas so Schnelles, so Unerbittliches, so Unerwartetes, daß sie an das Wunderbare gränzen; die Krankheit und ihre Wuthanfälle sind wie ein böses Leben, das sich plötzlich des friedlichen Lebens bemächtigt. Die liebenden Gefühle des Herzens machen uns die Barbarei jener Natur, welche man uns sanft darstellen möchte, nur allzu fühlbar. Wie viel Gefahren bedrohen nicht ein geliebtes Haupt! Unter wie vielen Umgestaltungen verkleidet sich nicht der Tod um uns her. Es giebt keinen schönen Tag, der nicht den Blitz verbergen, keine Blüthe, deren Säfte nicht vergiftet seyn: keinen Lufthauch, der nicht eine tödtliche Ansteckung mit sich führen könnte; die Natur scheint eine eifersüchtige Liebende zu seyn, die bereit ist, die Brust des Menschen zu durchstoßen in dem Augenblick, wo er in ihren Gaben schwelgt.

Wie den Zweck aller dieser Erscheinungen begreifen, wenn man sich an die gewöhnliche Verkettung unserer Arten zu urtheilen hält? Wie kann man die Thiere betrachten, ohne sich in das Erstaunen zu [293] versenken, das ihr geheimnißvolles Daseyn erzeugt? Ein Dichter hat von ihnen gesagt: sie seyen die Träume der Natur, deren Erwachen der Mensch sey. Zu welchem Zweck sind sie geschaffen? Was bedeuten diese Blicke, welche mit einer dunkeln Wolke bedeckt scheinen, hinter der ein Gedanke hervorbrechen möchte? In welchem Verhältniß stehen sie zu uns? Was hat es auf sich mit dem Theil des Lebens, den sie genießen? Ein Vogel überlebt den Mann von Genie, und ich weiß nicht, welche seltsame Verzweiflung das Herz ergreift, wenn man den Gegenstand seiner Liebe verloren hat, und man den Hauch des Daseyns noch ein Insekt beleben sieht, das sich auf eben der Erde bewegt, von welcher das Edelste verschwunden ist.

Die Betrachtung der Natur drückt den Gedanken zu Boden. Man fühlt, daß man mit ihr in Verhältnissen steht, welche nichts gemein haben mit dein Guten und Bösen, das sie uns zufügen kann; aber ihre sichtbare Seele sucht die unsrige in unserem Busen aus und unterhält sich mit uns. Wenn die Finsternisse uns schrecken, so sind es nicht immer die Gefahren, denen sie aussetzen, was wir fürchten; es ist vielmehr die Sympathie der Nacht mit allen Arten von Beraubungen und Schmerzen, von welchen wir durchdrungen sind. Die Sonne im Gegentheil ist ein Ausfluß der Gottheit, gleichsam der glänzende Bote eines erhörten Gebets; ihre Strahlen senken sich nieder, nicht blos um die Arbeiten des Menschen zu leiten, sondern um der Natur Liebe auszudrücken.

Die Blumen wenden sich nach dem Lichte, um es zu empfangen; sie schließen sich des Nachts, und Morgens und Abends scheinen sie ihre Lobgesänge in Wohlgerüchen auszuathmen. Erzieht man diese [294] Blumen in der Dunkelheit, so verlieren sie ihre gewohnten Farben und erblassen; aber giebt man sie dem Tageslicht zurück, so spiegelt die Sonne in ihnen, wie in dem Regenbogen, ihre wechselnde Strahlen, und man möchte sagen, sie beschaue sich mit Stolz in der Schönheit, die von ihr ausgegangen ist. Der Schlummer der Pflanzen während gewisser Stunden und gewisser Jahreszeiten steht in Uebereinstimmung mit der Bewegung der Erde; die Hälfte der Pflanzen, der Thiere, der Menschen, zieht sie im Zustande des Schlafs durch die Regionen, die sie durchläuft. Die Reisenden in dem großen Schiffe, Welt genannt, lassen sich wiegen in dem großen Zirkel, den ihre kreisende Wohnung beschreibt.

Der Friede und die Zwietracht, die Harmonie und die Dissonanz, welche ein geheimes Band vereinigt, sind die ersten Gesetze der Natur; und mag sie sich furchtbar oder bezaubernd zeigen, die erhabene Einheit, die sie bezeichnet, stellt sich immer unverkennbar dar. Die Flamme stürzt in Wellen, wie die Bergströme; die Wolken, welche die Lüfte durchreisen, nehmen bisweilen die Gestalt von Berg und Thal an, und scheinen spielend das Bild der Erde nachzumachen. In der Genesis heißt es: „der Allmächtige trennte die Gewässer der Erde von denen des Himmels, und befestigte sie in den Lüften.“ Wirklich ist der Himmel ein edler Verbündeter des Oceans; das Blau des Firmaments zeigt sich in den Wellen, und die Wogen malen sich in den Wolken. Bisweilen, wenn das Gewitter sich in der Atmosphäre bildet, brüllt von weitem das Meer, und man möchte sagen, es antworte durch die Unruhe seiner Fluthen auf das geheimnißvolle Signal, das es vom Gewitter empfangen hat. [295]

Herr von Humboldt sagt in seinen wissenschaftlichen und poetischen Ansichten vom mittäglichen Amerika: er sey Zeuge gewesen von einem, in Aegypten betrachteten Phänomen, das man Mirage nennt. Plötzlich nimmt, in den allertrockensten Steppen, der Wiederschein der Luft den Schein der See oder des Meeres an, und die Thiere selbst, lechzend vor Durst, werfen sich auf diese trügerischen Bilder, indem sie sich zu erquicken glauben. Die mannigfaltigen Gestalten, welche der Frost auf dem Glase zeichnet, bieten ein neues Beispiel dieser wunderbaren Analogie dar; die verdichteten Dünste bilden Landschaften, gleich denen, die man in mitternächtlichen Gegenden bemerkt: Fichtenwälder und struppige Berge erscheinen in dieser weißen Farbe; und die erstarrte Natur macht fröhlich nach, was die belebte hervorgebracht hat.

Doch nicht genug, daß die Natur sich selbst wiederholt, auch die Werke der Menschen scheint sie nachmachen zu wollen, um ihnen, auf diese Weise, einen auffallenden Beweis ihrer Uebereinstimmung mit ihnen zu geben. Man erzählt, daß aus den benachbarten Inseln von Japan die Wolken den Blicken regelmäßige Gebäude darstellen. Auch die schönen Künste haben ihren Typus in der Natur, und dieser Luxus der Existenz wird von ihr noch sorglicher behandelt, als das Daseyn selbst. Die Symmetrie der Formen im Pflanzen- und Mineralreich hat den Baukünstlern zum Modell gedient, und der Widerschein der Gegenstände und Farben in der Welle giebt die Idee von den Täuschungen der Malerei; der Wind, dessen Gemurmel sich unter zitternden Blättern verlängert, offenbaret uns die Musik. Man sagt sogar, daß auf den Küsten Asiens, [296] wo die Atmosphäre reiner ist, man des Abends eine klagende und sanfte Harmonie vernehme, welche die Natur an den Menschen zu richten scheint, um ihm zu sagen, daß sie athmet und liebt und leidet.

Oft, beim Anblick einer schönen Gegend, geräth man in die Versuchung zu glauben, ihr einziger Zweck sey, erhabene und edle Gefühle in uns anzuregen. Irgend ein Verhältniß findet Statt zwischen den Himmeln und dem Stolz des Herzens, zwischen den Strahlen des Mondes, welche auf dem Gebirge ruhen, und der Heiterkeit des Gewissens. Solche Gegenstände reden eine schöne Sprache, und man kann sich den Bebungen, die sie verursachen, ohne Scheu hingeben; das Gemüth befindet sich wohl dabei. Wenn, des Abends, am äußersten Rande einer Landschaft, der Himmel die Erde so nahe berührt: so bildet sich die Fantasie jenseits des Horizonts einen Zufluchtsort der Hoffnung, ein Vaterland der Liebe, und die Natur scheint schweigend zu wiederholen, daß der Mensch unsterblich ist.

Die fortdauernde Reihenfolge von Tod und Entstehung, wovon die physische Welt die Schaubühne ist, würde den allerschmerzlichsten Eindruck verursachen, wenn man hierin nicht die Spur von der Wiederauferstehung aller Dinge zu sehen glaubte; und diese Art die Natur zu betrachten, ist der wahrhaft religiöse Gesichtspunkt, aus welchen sie betrachtet seyn will. Man würde zuletzt vor lauter Mitleid sterben, wenn man sich auf die furchtbare Idee des Unersetzlichen beschränken müßte: kein Thier stirbt, ohne daß man es bedauern könnte, kein Baum sinkt, ohne daß der Gedanke, man werde ihn in seiner Schönheit nicht wieder sehen, in uns nicht ein schmerzliches Gefühl anregte. Selbst die unbelebten Gegenstände [297] thun wehe, wenn ihr Verfall zu einer Trennung von ihnen nöthigt: das Haus, die Geräthschaften, welche Personen, die wir liebten, gedient haben, finden unsere Theilnahme, und diese Gegenstände selbst erregen in uns eine Art von Sympathie, die ganz unabhängig ist von den Erinnerungen, welche sie auffrufen. Man bejammert die Form, die ihnen eigen war, gerade als ob diese Form sie zu Wesen machte, die, weil sie uns haben wachsen sehen, uns auch sterben sehen müßten. Wenn die Zeit nicht die Ewigkeit zum Gegengifte hätte, so würde man sich anklammern an jeden Augenblick, um ihn fest zu halten, an jeden Ton, um ihn zu binden, an jeden Blick, um seinen Glanz zu verlängern; und die Genüsse würden nur den Augenblick da seyn, welcher nöthig ist, um ihr Vorüberrauschen zu fühlen und ihre Spuren mit Thränen zu benetzen, welche der Abgrund der Tage eben so verschlingen würde.

Ein neuer Gedanke ist mir aufgefallen in Schriften, die mir von einem Manne mitgetheilt sind, dessen Einbildungskraft sinnig und tief ist. Er vergleicht die Ruinen der Natur, die der Kunst und die der Menschheit. „Die ersteren, sagt er, sind philosophisch, die zweiten poetisch, die dritten mysteriös.“ In der That ist die so verschiedene Einwirkung der Jahre auf die Natur, auf die Werke der Menschen und die lebenden Geschöpfe etwas Merkwürdiges. Die Zeit beleidigt nur den Menschen. Wenn Felsen zertrümmern, wenn Gebirge in Thäler sich versenken, so verändert die Erde nur ihre Gestalt. Ein neuer Anblick weckt in unserem Geiste neue Gedanken, und die belebende Kraft leidet eine Umwandlung, aber nicht ein Vergehen. Die Trümmer der schönen Künste sprechen zur Einbildungskraft; [298] sie bauet wieder auf, was die Zeit verschüttet hat, und vielleicht hat nie ein Meisterstück in seinem vollsten Glanze die Idee von Größe gegeben, die sich aus den Trümmern desselben entwickelt. Man stellt sich halbzerstörte Denkmäler mit allen den Schönheiten bekleidet vor, die man bei dem, was man bedauert, voraussetzt. Aber wieviel fehlt daran, daß dem eben so sey bei den Zerstörungen des Alters!

Kaum kann man glauben, daß die Jugend dieses Gesicht verschönerte, von welchem der Tod bereits Besitz genommen hat. Einige Physiognomieen entkommen durch den Glanz des Gemüths der Herabwürdigung; aber die menschliche Gestalt in ihrem Verfalle nimmt oft einen gemeinen Ausdruck an, der kaum das Mitleid aufkommen läßt. Die Thiere verlieren zwar mit den Jahren ihre Kraft und Beweglichkeit; aber die Farben des Lebens verwandeln sich für sie nicht in bleichgelbe Farben, und ihre erloschenen Augen gleichen nicht den Leichenkerzen, welche blasses Licht auf ein verwelktes Gesicht werfen.

Selbst dann, wenn in der Blüthe des Alters das Leben aus der Brust des Menschen weicht, kann weder die Bewunderung, die von den Gewaltsamkeiten der Natur erzeugt wird, noch jene Teilnahme, welche die Ueberreste der Denkmäler anregen, sich an den entseelten Körper der schönsten aller Kreaturen anschließen. Die Liebe, welche diese Zaubergestalt umfaßte – die Liebe kann die Ueberbleibsel nicht ertragen, und von dem Menschen bleibt auf Erden nichts zurück, was nicht schaudern machte, sogar seine Freunde.

Ach! welche Lehre liegt in dieser schaudervollen Zerstörung, die nur das menschliche Geschlecht trifft! Sie sollte nicht anzeigen, daß das Leben des [299] Menschen anderwärts ist? Würde die Natur ihn in einem so hohen Grade demüthigen, wenn die Gottheit ihn nicht wieder erheben wollte?

Die wahren Endursachen der Natur sind ihre Verhältnisse zu unserem Gemüth, zu unserem unsterblichen Schicksal. Die physischen Gegenstände selbst haben eine Bestimmung, die sich nicht auf das kurze Daseyn des Menschen hienieden beschränkt; sie sind da, um zur Entwickelung unseres Gedankens, zum Werke unseres sittlichen Lebens beizutragen. Die Erscheinungen der Natur sollen nicht blos nach den Gesetzen der Materie begriffen werden, wie gut kombinirt diese Gesetze auch seyn mögen; sie haben einen philosophischen Sinn und einen religiösen Zweck, dessen Umfang selbst die aufmerksamste Betrachtung nie ganz ausmessen wird.