BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Germaine de Staël

1766 -1817

 

Über Deutschland

 

Dritter Theil. II. Abtheilung.

 

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Zehntes Capitel.

 

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Von dem Enthusiasmus.

 

Viele Menschen sind gegen den Enthusiasmus eingenommen; sie vermengen ihn mit dem Fanatismus, und dies ist ein arger Irrthum. Der Fanatismus ist eine ausschließende Leidenschaft, deren Gegenstand eine Meinung ist; der Enthusiasmus schließt sich an die allgemeine Harmonie an; er ist die Liebe des Schönen, die Erhebung des Gemüths, der Genuß der Aufopferung, vereinigt in Einem Gefühl, welches zugleich Größe und Ruhe in sich trägt. Die edelste Definition desselben ist der wörtliche Sinn bei den Griechen. Enthusiasmus bedeutet: Gott in uns. Wirklich, wenn die Existenz [300] des Menschen ausgedehnt ist, so hat sie etwas Göttliches.

Alles, was uns zur Aufopferung unseres eigenen Wohlseyns oder unseres Lebens treibt, rührt beinahe immer vom Enthusiasmus her; denn der gerade Weg der egoistischen Vernunft muß seyn, sich selbst für das Ziel aller Anstrengungen zu nehmen, und von dieser Welt nichts weiter zu achten, als Gesundheit, Geld und Macht. Ohne allen Zweifel reicht das Gewissen aus, um den allerfrostigsten Charakter auf der Bahn der Tugend zu leiten; aber der Enthusiasmus verhält sich zum Gewissen, wie die Ehre zur Pflicht. Es giebt in uns eine Fülle des Gemüths, die man dem, was schön ist, mit Freuden weiht, wenn die Forderungen des Guten erfüllt sind. Genie und Einbildungskraft bedürfen auch einiger Sorge für ihr Glück in dieser Welt; und das Gesetz der Pflicht reicht nicht aus, um alle Wunder des Herzens und des Gedankens zu genießen.

Es läßt sich nicht läugnen, daß die Angelegenheiten der Persönlichkeit den Menschen von allen Seiten drängen; selbst in dem, was gemein ist, liegt ein gewisser Genuß, für welchen Viele große Empfänglichkeit haben, und man findet die Spuren unedler Neigungen oft unter dem Anschein der ausgezeichnetsten Manieren wieder. Die größten Talente schützen nicht immer gegen diese herabgesetzte Natur, welche ganz leise über das Daseyn der Menschen gebietet, und sie ihr Glück in Dingen finden läßt, die unter ihrer Würde sind. Nur der Enthusiasmus kann die Neigung zur Selbstheit aufwiegen, und gerade an diesem Zeichen soll man die unsterblichen Geschöpfe erkennen. Sprecht ihr mit Jemand über Gegenstände, die einer heiligen Achtung [301] würdig sind: so bemerkt ihr sogleich, ob er ein edles Schaudern empfindet, ob sein Herz für erhabene Gesinnungen schlägt, ob er mit dem anderen Leben ein Bündniß geschlossen hat, oder ob er nur das bischen Verstand besitzt, was zur Leitung des Mechanismus seines Daseyns dient. Und was ist denn das menschliche Wesen, wenn man in ihm nichts weiter wahrnimmt, als eine Klugheit, die den eigenen Vortheil zum Gegenstande hat? Noch besser ist der Instinkt der Thiere; denn er ist bisweilen großmüthig und stolz. Gerade ist die Berechnung, welche das Attribut der Vernunft zu seyn scheint, macht zuletzt unfähig für die erste aller Tugenden, für die Aufopferung.

Unter Solchen, welche die exaltirten Gefühle lächerlich zu machen suchen, haben Mehrere, ohne daß sie es wissen, viel Empfänglichkeit dafür. Der Krieg, selbst wenn er mit persönlichen Absichten unternommen wird, gewährt immer einige von den Genüssen des Enthusiasmus. Die Berauschung eines Schlachttages, das ungemeine Vergnügen, sich dem Tode zu weihen, wenn unsere ganze Natur uns zur Liebe des Lebens treibt: dies muß eben so dem Enthusiasmus zugeschrieben werden. Die militairische Musik, das Wiehern der Rosse, die Explosionen des Pulvers, diese Menge von Soldaten in dieselben Farben gekleidet, von demselben Verlangen beseelt, um dieselben Banner versammelt, regt etwas an, was über den erhaltenden Trieb des Daseyns triumphirt; und dieser Genuß ist so stark, daß weder Beschwerden, noch Leiden noch Gefahren, die Gemüther davon trennen können. Wer dieses Leben empfunden hat, liebt es ausschließend. Das erreichte Ziel befriedigt niemals; die Handlung des [302] Wagens wird nothwendig, und sie ist es, die den Enthusiasmus in das Blut treibt; und wiewohl er auf dem Grunde des Gemüths viel reiner ist, so ist er doch selbst dann noch edel, wenn er zu einem beinahe physischen Antriebe hat werden können.

Man beschuldigt oft den aufrichtigen Enthusiasmus dessen, was nur dem affectirten zum Vorwurf gemacht werden kann; je schöner ein Gefühl ist, desto verhaßter wird die falsche Nachahmung desselben. Das größte Verbrechen ist, sich der Bewunderung der Menschen ungerechter Weise zu bemächtigen; denn man vertrocknet in ihnen die Quelle der guten Bewegungen, indem man sie nöthigt, darüber zu erröthen, daß sie dergleichen empfunden haben. Außerdem ist nichts peinlicher, als die falschen Töne, welche aus dem Heiligthum des Gemüths selbst hervorzugehen scheinen. Mag sich die Eitelkeit alles dessen bemächtigen, was äußerlich ist; es wird daraus kein anderes Uebel entstehen, als das der Anmaßung und des Unglimpfs. Wenn sie sich aber herausnimmt, die innigsten Gefühle nachzumachen: so scheint es, als verletze sie den letzten Zufluchtsort, wo man ihr zu entkommen glaubte. Es ist indeß nicht schwer, die Aufrichtigkeit im Enthusiasmus zu erkennen. Dies ist eine so reine Melodie, daß der geringste Miston den ganzen Zauber derselben zerstört; ein Wort, ein Ton, ein Blick drüken die conzentrirte Bewegung aus, welche einem ganzen Leben entspricht. Leute, die man in der Welt strenge nennt, haben sehr oft etwas Exaltirtes an sich. Die Kraft, welche Andere unterwirft, kann nur ein kalter Calcul seyn; die Kraft hingegen, welche über sich selbst triumphirt, ist immer durch ein großmüthiges Gefühl eingehaucht. [303]

So viel fehlt daran, daß man das Uebermaaß des Enthusiasmus zu fürchten habe, daß er vielleicht im Allgemeinen zur Contemplation hinreicht, welche der Thatkraft schadet. Die Deutschen geben den Beweis davon. Keine Nation ist fähiger zu fühlen und zu denken; aber wenn der Augenblick eintritt, wo gehandelt werden muß, so schadet der Umfang der Begriffe der Entschiedenheit des Charakters. Enthusiasmus und Charakter unterscheiden sich sehr. Wählen muß man sein Ziel aus Enthusiasmus; darauf losgehen aber aus Charakter. Der Gedanke ist nichts ohne Enthusiasmus; nichts die Handlung ohne Charakter. Für die literärischen Nationen ist der Enthusiasmus alles; der Charakter aber für die handelnden. Freie Nationen bedürfen des einen und des anderen.

Die Selbstheit spricht unaufhörlich und mit Wohlgefallen über die Gefahren des Enthusiasmus, und diese vorgebliche Furcht ist eine wahre Verlachung. Denn wenn die Gewandten dieser Welt aufrichtig seyn wollten, so würden sie eingestehen, daß ihnen nichts lieber ist, als mit Personen zu thun zu haben, für welche so manche Mittel ganz unmöglich sind, und die so gern auf das verzichten, was die meisten Menschen beschäftigt.

Diese Stimmung des Gemüths hat bei aller Sanftheit Stärke, und wer sie empfindet, schöpft daraus eine edle Standhaftigkeit. Die Stürme der Leidenschaften schweigen, die Freuden der Eigenliebe welken dahin; nur der Enthusiasmus ist unerschütterlich. Das Gemüth selbst würde unter der Last des physischen Daseyns erliegen, wenn nicht etwas Stolzes und Beseeltes das gemeine Uebergewicht der Selbstheit schwächte. Diese moralische Würde, [304] welcher nichts beikommen kann, ist in dem Geschenke des Daseyns das Bewundernswertheste. Um ihrentwillen ist es, selbst unter den herbsten Schmerzen, noch immer schön, gelebt zu haben, wie es schön seyn würde, zu sterben.

Untersuchen wir jetzt den Einfluß des Enthusiasmus auf die Aufklärung und auf die Glückseligkeit. Die letzten Betrachtungen werden den Gedankenlauf beendigen, zu welchem die verschiedenen Gegenstände, welche ich durchgehen mußte, mich geleitet haben.