BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clara Hätzlerin

um 1430 - 1476/77

 

 

Das Liederbuch

 

Bl. 178v-180r (II, 61)

 

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Ain gemaine lere

 

Mensch, wilt du leben cristenlich,

So hör wol vnd merck mich.

Verschmäch die welt gar fürderlich

Vnd trag dein armůt williclich,

5

Leid vngemach gedulticlich,

Hütt deiner wort gar fleissiclich,

Gang vff der gassen züchticlich,

Kurtz würb dein potschafft endlich.

Dein leben halt gar erber‹c›lich,

10

Meid aubenteẅr vil stätticlich.

Bis nyemant gemainsam vnnützlich,

Vor böser gesellschafft hůt dich.

Eruorsch nicht neẅes fürwitzlich,

Trag haimlich scham vnd offenlich,

15

Vor dir schäm auch selber dich.

Deinem ebengnosz bis fridsamlich,

Dein huszgesind ziuch cristenlich,

Den lon gib behenndiclich,

Nit halt In vor gewalticlich,

20

Dein vndertavn straff güticlich,

Nit erger nyemantz leichticlich,

Nyemant verurtail fräuelich.

Dein leben pesser täglich,

Prich deinen willen ordenlich,

25

Gehorsam bis diemüticlich.

Vatter vnd můter halt erlich,

L‹ei›plich vnd gaistlich witziclich.

Die priesterschafft erwirdiclich,

Vor allen geschlächten sunderlich;

30

Bis In nit ze haimlich,

Vor In halt dich ernstlich,

Erzaig‹t› dich vor In züchticlich,

In rechter scham, nit lotterlich.

Beweis dich nyemantz wunderlich,

35

Deine wort vnd weis mach tugentlich.

Dein gewandt sey nit ergerlich,

Das mach auch nit neẅfundlich.

Dein schůch mach nit sprentzerlich,

Dein speis sey nit scheinberlich,

40

Dein getranck nit ze costberlich,

Dein gang sey nit vnzüchticlich,

Dein wanndel gantz vnstraffberlich.

Deiner herschaft nutz würb fr‹ümk›lich,

Bewar iren schaden sorgsamklich.

45

Dein lon verdien getriulich,

Mit fleisz gar vnuerdrossenlich.

Leibs ‹gmach› sůch nit sorguelticlich,

Nit wach ze vil, doch mässiclich.

Dein notdurfft nym beschaidenlich,

50

In speis, in tranck nit geitticlich,

Leibs lust stand wider creffticlich.

Anuächtung bestreitt manberlich,

Got will dir bey stavn brüderlich.

Zum gotz dienst halt dich ynneclich,

55

Dabey so bätt andächticlich.

Dein schweigen halt behůtsamclich,

Dein glauben halt gar vesticlich.

Von Im tritt nit ‹v›nsynnclich,

Nit stell dich vastent märterlich

60

Vnd sůch dein lon nit werntlich.

Das wort gotes hör begirlich,

Daby so sitz nit schlauffberlich,

Das selbs mach dir auch fruchtberlich.

Dein peicht die tů gar lautterlich

65

Vnd tail sy nit můtwilliclich.

Dein sünd verschweig nit wissiclich,

Gottes gnad empfach nit eytelich,

Die selben v:b auch danckperlich,

So das sy dir werd nutzberlich.

70

Dein hertz berait got stätticlich,

Mit allen crefften mynnsamclich,

Vsz gantzem gemüt erwirdiclich,

Von gantzer sel gar lobsamklich.

Gottes gepott halt synneclich,

75

Lieb got für alles hertziclich,

Betracht sein leiden zäherlich,

Sein tod vnd ‹vrste›nd hitziclich,

Den Jungsten tag gerechticlich,

Der helle pein erschrockenlich,

80

Das ewig leben wunnsamklich.

Dein nächsten lieb als selber dich,

Nit hinderkös In hässiclich.

Nit erzaig dich v:ppiclich,

Getraw nyemantz vnwitziclich,

85

Dein sitten laitt gar dapfferlich.

Deine augen würff nit v:ber sich,

Die armen tröst gar milticlich,

Gen In beweis dich süssiclich,

Nach deinem vermügen völliclich,

90

Got gibs wider manigualticlich.

Dein leben für gewarsamclich

Den tod betracht gar vorchtsamklich.

Darzu so richt dich emssiclich,

Er chomt dir anders grymiclich

95

Vnd pricht dein hertz gar pitterlich,

Dein sel zuckt er dir schnelliclich,

Dann můst du leiden ewiclich.

Dauor bis, got, genädiclich

Vnd stand vns by gar vätterlich

100

Alldört in deines vatters Reich!