BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Clara Hätzlerin

um 1430 - 1476/77

 

 

Das Liederbuch

 

Bl. 233v-234v (II, 80)

 

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‹[Freydanck.]› Von dem tode

 

Vor allen nöten ist ain not,

Was lebent ist, das fürcht den tot.

Wir faren hie tagwaidt

In lieb vnd auch ze laidt.

5

Es sind morgen alle lüt

Dem tod nächer vil dann heẅt.

Das Jar gat hin, der tod ‹[gat]› her,

Er widersagt vns on sper.

Der tod lieb von liebe‹m› schelt,

10

Bis er vns alle hin gezelt.

Der tod die lüt von vns stilt,

‹R›echt als der schavch zabels spilt.

Got tett wol, das er verpot,

Das nyemant wiszt sein selbs tot.

15

Vil manig man stirbet,

Darnach vnd er würbet,

Der nymer also st‹urb›,

Waun er recht w‹urb›.

Vil maniger eylet zu dem grab

20

Recht ob er sich versavmet hab.

D‹e›s gachen ist on not,

Er läg wol mäsziclich tod.

Wir leben all nach won;

Der sorg ist nyemantz on.

25

Wir mügen mit chainen synnen

Dem ‹tod› nicht entrynnen.

Ist das nit grosz, so nyemantz mag

Dem tod entrynnen ainen tag?

Ain valscher trost ist vns gegeben:

30

Wir wenen ‹all› lang ze leben.

Die alten leben kurtze frist,

Der Jungen ainer nicht geniszt.

Sälig ist, der da pawet wol,

Da er ymmer wesen sol.

35

Man sol nach gůt werben,

Als man nymmer süll sterben.

Adel, zucht, schön vnd iugent,

Witz, ‹Rei›chtumb, er vnd tugend,

Den wil der tod nicht fride lavn;

40

Vns chomt, was wir verdienet havn.

On sorgen nyemantz mag

Geleben ainen gantzen tag.

Wer driu ding bedacht,

Der verdient nit gotes ächt:

45

Was er was vnd nun ist,

Vnd was er wirt in kurtzer frist.

Des siechen reẅ gar lützel frumbt,

So Im der tod nachent ch‹o›mt.

Wann er Im an das hertze gavt,

50

Alle reẅ er dann verlavt

Vnd claget nur des hertzen not.

Als‹o› verlaitet In der tod.