BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Gottfried Wilhelm Leibniz

1646 - 1716

 

De vita Beata.

Von Glückseeligkeit

 

1672/76

 

Text:

Die philosophischen Schriften von

Gottfried Wilhelm Leibniz, Band 7

herausgegeben von C. J. Gerhardt

Berlin: Weidmann, 1890

 

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Ein Glückseeliges Leben bestehet darinn, daß man eines Vollkommen, Vergnügten und ruhigen gemüths genieße.

Solches zu erlangen ist nothig, daß ein iedweder

1) sich bemühe sein Ingenium auffs beste als ihm muglich zu gebrauchen, umb daßelbige was er in allen vorfallen seines Lebens thun oder laßen soll zu erkennen, kürzlich daß er stets was der Verstand anweiset suche zu erkennen, dahehro entspringet die Weisheit.

2) daß er allezeit in einen Vesten und bestandigen Vorsaz verbleibe, alles das jenige zu thun was ihm sein verstand anweiset, noch zulaße daß er durch seine Paßionen von selbigen abgezogen möge werden, kürzlich daß er das erkandte, wie sehr es auch den passionen zuwieder zu erlangen trachte, dahehr entspringet die Tugend.

3) daß er anbemercke, welcher gestalt so lange er durch verstand soviel müglich sich leiten laßen, alle güther deren er als dann entblößet absolut außer seiner macht seyn; und dahehro sich gewehne selbige nicht zu verlangen; kürzlich daß er über nichts clage sondern ruhig vergnügt sey. Dahehr entspringet die (ruhig vergnügende) Wollust.

 

I.

Von Weißheit.

Die Weisheit ist eine vollkommene Wißenschafft aller der jenigen sachen die das menschliche gemüth nur ergreiffen kan, welches ihm sey eine regel des Lebens die deßen gesundheit zu erhalten, und alle wißenschafften zu erfinden diene.

Auff daß wir nun erlernen den verstand wohl zu regiren, umb die erkendtnüß derselben wahrheiten so uns noch unbekand zu entdecken, sind folgende anmerckungen zu betrachten:

1) daß wir nichts iemahls vor wahrheit annehmen, als was so klar und deutlich unsern Verstand sich erweiset, daß es auff keinerley weise möge in Zweifel gezogen werden,

2) daß wir alle praejudicia und anticipation in fellung unsers Urtheils aufs fleißigste meiden, und dem jenigen so wir bejahen oder verneinen nur das jenige zufügen was in ihm enthalten,

3) daß wir die schwührigkeiten so wir uns vorgenommen zu untersuchen, in soviel theile theilen als nöthig umb selbe bequämer aufzulösen,

4) daß wir alle gedancken welche wir die wahrheit zu erfinden anwenden, in rechter ordnung fortführen, anfangende von den einfältigsten sachen, und die zu wißen am leichtesten fallen damit wir also mählig und gleichsam durch staffeln zu schwehrern und mehr zusammen gesezten wißenschaften auffsteigen,

5) daß wir auch durch den Verstand suchen, die jenige dinge, welche eine auff die andere ihre natur nach nicht folgen wollen, in eine gewiße ordnung zu bringen,

6) daß wir sowohl in nachsuchen der behörigen mittel, als in der durchlauffung der abgetheilten schwührigkeiten so vollkommen alle und iede erzehlen, und auff alles herumbschauen, daß wir gewiß seyn, das von uns nichts ausgelaßen worden.

Dieses aber dieweil es durch viele übung absonderlich zu erhalten, als ist rathsam auff daß wir diese Regeln zu unsern Nuz anwenden können, daß wir uns etliche Zeit in den leichten, als wie die so in mathematicis vorkommen wohl exerciren, zu welchen intent dienen wird zu erlernen die jenige wißenschafft so man Algebram nennet, und nachdem wir uns in auflösung solcher fragen einige leichtigkeit zuwege gebracht, sollen wir uns mit ernst zur wahren philosophi appliciren und dem studio der unwandelbaren Weisheit anhangen. Diese philosophi nun ist nicht ungleich einem baum, deren Wurzeln die Metaphysica, der Stam die Physica, und die heraus entsprießende äste alle andere Scienzien, welche zu diesen 3 vornehmsten, nehmlich Medicin, Mechanica, und Ethica können gebracht werden. Die vornehmste regel aber der wir in unsern studiis nachgehen sollen, ist diese, daß wir alle tage wenige stunden mit denselbigen gedancken zubringen, die eine imagination erfordern; und in einem ganzen jahr die wenigsten, in welchen wir uns des Verstandes allein gebrauchen; die übrige zeit aber können wir uns allerhand erlaubter Lust bedienen, uns die äusere sinne zu erfrischen, und dem gemüth dadurch die gebührende ruhe zu gönnen; Denn es fehlet weit daß unser ingenium durch alzu vieles studiren mehre bequämligkeit und scharffe erhalte, daß es vielmehr abgenüzet und gleichsam stumpf gemacht wird.

 

II.

Von der Tugend.

Die Tugend ist ein unwandelbarer Vorsaz des gemüths, und stäte erneurung deßelben, durch welchen wir zu dem jenigen, so wir glauben guth zu seyn zu verrichten, gleichsam getrieben werden. Auff daß wir nun erlernen den willen wohl zu verfestigen, umb unsere actionen in dem beruff darinn wir gesezt seyn wohl einzurichten; seynd folgende anmerckungen zu betrachten.

1) Weil unser willen nicht angetrieben wird etwas zu erhalten, oder auch zu fliehen, es sey dann daß es ihm von den Verstandt vorgewiesen wird als etwas guthes oder auch was böses, so wird gnug seyn daß wir allezeit recht urtheilen, umb allezeit recht zu thun.

2) Wann wir in gewißen fällen was das beste, nicht alsbald erkennen mögen, die sach aber keinen Verzug wohl leidet, sollen wir demselben folge leisten so uns das beste zu seyn bedüncket, oder so eines so scheinbar als das andere, welches wir wollen. Durffen uns auch der wahl nicht gereuen laßen, wenn es gleich übel ausschlägt, wann wir gethan was uns zu der selbigen Zeit da wir uns der vorfallenden Verrichtung nicht entschlagen mögen am besten gedaucht, ob wir gleich hernach in der stille wenn wir die sach wieder überlegen befinden, daß wir geirret. Denn wir nicht am Ausgang sondern nur an unsern eignen gedancken schuld haben, auch die besten ratschläge nicht allemahl die glücklichsten seyn, endtlichen des menschen natur so bewand, daß er nicht alles wißen kan.

3) Daß wir uns enthalten ein Urtheil zu fällen von ieder sach so uns Vorgestellet wird, so lang wir durch unsere passiones umbgetrieben werden. Wiewohl einem verständigen die herfür blickende passiones, sonderlich die so eine aversion unannehmligkeit und misgnügen in sich halten, als Zorn, Neid, und dergleichen nicht anstehen. Solte man aber gezwungen werden Zeit wehrender passion etwas zu thun, so wird das sicherste seyn daß wir unter zwey wiedrigen rationen der am meisten folgen, welche dem jenigen am meisten zu wieder, so die passion uns eingiebt, ob sie gleich von geringer wichtigkeit zu seyn scheinet. Deßen ursach ist, daß alle unsre passiones die güther dazu sie uns antreiben, größer vorstellen, als sie in der that seyn; und daß wir, wann wir sie anmehro besizen sie allezeit geringer befinden als wir in hofnung gehabt. Dieweil denn dem jenigen kein glauben zuzustellen der uns offt betrogen, wie freundtlich er sich gegen uns stelle, also scheint auch kein sicher mittel gegen die passionen zu seyn, als daß man, indem wir solche Gebluthsbewegung bey uns befiehlen, uns ermahnen, und wieder erinnern, daß alles was sich der Einbildung vorstellet, nur dahin gerichtet sey, wie es das gemüth betriegen und dem object der passion großes ansehen machen, und hiewegen die ursachen so ihm zuwieder verdunckeln möge.

4) Obzwar ein ieder unter uns der Person nach von dem andern unterschieden, so sollen wir dennoch gedencken, daß kein mensch durch sich selbst allein bestehen könne, und uns betrachten nicht allein als einen theil von alle dem das erschaffen ist, sondern auch in sonderheit des jenigen so diesem erdboden angehört, nehmlich der Politie, gesellschafft und geschlecht, deren wir durch behausung, verwandschafft oder andere gemeinschafft verbunden. Weil dann der Nuzen des ganzen dem Nuzen des theils vorzuziehen, so wird uns nur eine lust sein allen, keinen ausgenommen zu dienen. Überdieß wo wir dem Verstand nach alles einrichten wollen, werden wir befinden, daß auch unser eigner Nuz dabey, dann wir sehen, daß die so im beruf sind daß sie andere gern dienen, auch viele freundschafft und dienste wiederumb von andern erlangen, auch so gar von denen, so sie niemahls zu dienst gewesen. Die mühe so wir über uns nehmen zu ander dienst, ist geringer als der vortheil den wir aus ihrer freundschafft haben. Dann es werden keine dienste von uns erwartet, als die wir bequämlich leisten können, hingegen kan sich zutragen, daß ein ander mit einem wort oder ander sach so ihm nichts oder wenig kostet, uns großen Nuzen schaffen, ja leben und wohlfart retten kan.

5) Dieweil wir ingemein mehr durch ander Beyspiel und gewohnheit, als durch einige gewiße erkändtnuß zu vielen dingen getrieben werden, geschiehet dahero daß eben daßelbige so uns vor 10 jahren sehr wohl gefallen, und vielleicht in 10 jahren wieder gefallen wird; auch alles was unser gewohnheit zuwieder vor lächerlich und ungereim gehalten wird, so ist nöthig die gewohnheit aller orthen da wir uns befinden zu durchsuchen, auf daß wir gewis seyn, wie weit sie uns zu imitiren, damit nicht alsdann erst, wenn wir etwas verrichten sollen, wir zu zweifeln ursach haben, denn solcher zweifel einig und allein betrübnuß und gemüthsverstellung verursachet. Unter deßen müßen wir uns sonderlich von solchen Meinungen und gebräuchen regiren laßen, welche die moderatesten seyn, und von aller extremität weit entfernet. Daraus auch dieses folget, daß wir auch in ermahnung ander eine große behutsamkeit brauchen müßen, in dem es nicht allezeit nöthig daß wir ihnen das beste so wir wißen zu verstehen geben, maßen sie es nicht allezeit ertragen können, sondern es ist gnug daß wir ihnen mittheilen was ihrem gegenwärtigen gemüthsstande etwas mehr gemäß, und dero Verstande nicht zu hoch ist. Damit wir uns nicht selbst prostituiren. Denn es ist uns an der Leute opinion nicht wenig gelegen, und müßen wir dahin trachten wie wir von dem gemeinen hauffen in werth gehalten werden, maßen wir ohne ihn nicht leben können. Wir haben uns auch zu hüten, daß wir uns nicht durch versprechen unsre freyheit benehmen, unsern willen ins kunfftige zu endern, denn alles in der welt ist der veränderung unterworffen, und was iezo das beste zu seyn scheinet, kan in kurzen durch geringe veränderung vor das schlimste gehalten werden. Endtlich sollen wir nichts suchen in publicis in der welt zu ändern, maßen insgemein nichts unerträglicher als eine veränderung deßen, so man von langer zeit gewohnet. Endtlichen sollen wir uns fest eingebunden seyn laßen, daß die gerechtesten und erbarsten wege die nüzlichsten und sichersten seyn, und daß die gröste listigkeit sey keiner listigkeit sich niemahls gebrauchen.

6) ist zu betrachten, wie genau das gemüth mit dem Leibe verbunden, und daß die gedancken, so gewißen bewegungen des leibes von ersten anfang des Lebens an vergesellet, annoch denselbigen iezo folgen. Und daß dannenhehro wann solche bewegungen von weis nicht was für äuserliche ursachen im Leibe excitirt werden, eben dieselben gedancken wieder im gemüth erwecken. Und hingegen eben diese gedancken wiederumb einfallend gleichsfals die vorigen bewegungen verursachen. Jedoch ist sehr zu wißen, obschohn diese bewegungen so natürlich mit einander verbunden, so könne man dennoch durch viele übung selbige trennen, und wiederumb mit andern so ganz von vorigen different vereinigen. Dannenhehro erscheinet, daß auch die jenigen so gar schwach ihren aftecten zu resistiren, dennoch die aller absoluteste beherrschung über alle ihre passionen erhalten mögen, wann sie nur gnugsame mühe anwenden wollen; Und obschohn viele sachen anfangs uns sehr verdrießlich scheinen, werden sie doch durch gewohnheit sehr angenehm. Dahehro ferner die nüzlichste anmerckung, daß wenn wir durch keine bewegungen eingenommen, uns dann selbst bemühen sollen, umb mit genauer untersuchung zu betrachten, alles guthes und böses so uns in unsern ganzen Lebenslauff wiederfahren möchte, und dann deren werth oder unwerth überlegen, auff daß wir daraus recht gründtliche Urtheil fällen mögen, und unwandelbahr uns befestigen, diese zu fliehen und jene zu suchen, ohne ansehn einiger scheingrunde, so die passionen uns ins kunfftige einblasen mögen. Dann, weil wir nicht <kunnen> auff eine sach stets gedencken, und in ubrigen die tugend ins gemein vielen begierden entgegengesezt ist (deren gewalt die praxin solcher dinge so schwehr macht), so kan es geschehen, daß obgleich die ursachen außdermaßen clar, so uns vormahlen einer gewißen wahrheit überzeiget, wir dennoch hernachmahls durch falschen schein selbige zu beglauben abgezogen werden, wo wir nicht durch lange und stäte betrachtung solche unsern gemüth also eingebildet, daß sie in einen habitum verwandelt worden.

 

III.

Von gemüthsruhe.

Die gemüths Ruhe ist eine belustigung des gemüths und innerliche vergnügung verursachende in uns die höchste und beständigste wollust unsers Lebens. Auff daß wir nun erlernen unsre begierden also zu leiten, daß dieselbe nur zu denen sachen sich extendiren, welche machen, daß wir aus allen sachen lust und freude empfinden mögen, sind volgende anmerckungen zu betrachten:

1) Welcher allezeit thut was der verstand ihm anweiset, der kan stets im gemüth sich vergnüget befinden. Denn entweder er erlanget das worumb er nach anleitung des Verstandes sich bemühet, und dieweil es ihm also nach wundsch ergehet, kan er nicht anders als vergnügt sich befinden; oder es geht ihm contrar, und hier kan er nicht minder vergnügt seyn, bedenckend daß er dennoch gethan, was ihm seyn gewißen zu thun erinnert, und weil es dennoch wieder seinen Wundsch ergangen, siehet er leichtlich, daß es Gott (ohne deßen zulaßen nichts geschehen kan) also beliebet. Weil es aber Gott als dem allervollkommensten wesen also beliebet, ist es außer Zweifel ob gleich dieß sein Verstand nicht absehen kan, auch sehr guth. Ferner weil es guth so were ja unverständig im geringsten sich herüber zu betrüben oder auch zu clagen. Oder es geschicht endtlich, daß man durch affecten übereilet wird (wie denn offtmahls solche zu überwinden sehr schwehr, die überwindung gleichwohl, welches uns auch dazu anreizen solle, große lust verursachet). Es geschicht sage ich, daß die bewegungen des Leibes die affecten oder bewegungen des gemüths, diese aber den Verstand und willen überweltigen, daß ist das man nicht thut, was uns der Verstand anweiset, und also manchmahl in unglück verfället, so ist doch auch solches ein groß glück zu achten, wann nur der feste vorsaz bleibt, nach gedachter regel fortzufahren, maßen uns nichts behutsamer macht als schaden durch eigne erfahrung, und werden also viele auch vielleicht größere unglücksfälle, so uns ins kunfftige sonst hatten begegnen können verhütet. Maßen auch uns unsre fehler selbst, so bey andern eine gewißensangst, zu beßer vergnügung des gemüths verhelffen.

2) Unter den jenigen Sachen so wir wündschen können, sind etliche gänzlich in unser macht, und dann wann sie aus wahrer erkandtnüß hehrfließen, und uns vollkommener machen, so können sie nicht sattsam gnug von uns begehret werden; eben darumb weil der jenige trieb, so nur die tugend zum zweck hat, ie hefftiger ie beßer; die jenige sachen aber, so in keinerley weise in unser macht bestehen, obschohn sie guth seyn können, sind sie doch niemahls mit excess zu begehren, nicht allein, weil die erhaltung selbiger ungewiß, und also unser gemüth es mehr betrübet, ie hefftiger wir solche verlanget haben, sondern absonderlich, weil selbige unsre gedancken einnehmend, verhindern unsern fleiß anzuwenden in andern sachen, deren erhaltung in unsern vermögen ist. Doch weil der meiste theil unser begierde sich zu solchen sachen erstrecket, welche eines theils von uns dependiren, so sollen wir genau unterscheiden in denselbigen was nur einzig und allein in unser macht, damit wir nur allein unsre gedancken dahin ziehen, und was das übrige anlanget, ob wir zwar deßen ausgang vor fatal und unwandelbar halten sollen, damit sich nicht unsre begierde, mit selbigen einwickle, so steht uns doch vor zu betrachten die jenigen Ursachen, nach welchen uns mehr oder weniger zu hoffen gegeben wird; damit solches diene umb unsere actiones wohl zu dirigiren, und also geschicht es daß weil unsres wundsches erfüllung nur einzig und allein bey uns bestehet, selbige uns allezeit vollkommene Vergnügung geben können.

3) Einem Weisen komt zu sich des glücks Regirung also zu entziehen, daß ob er schohn nicht unterlaße sich aller annehmlichkeiten so ihm daßelbige vorträgt zu gebrauchen er dennoch im geringsten nicht sich unglucklich schäze, wann ihm gleich selbige entnommen weren, und also selbige gleichsam als resistirend, theils annehmend genießet er doppelter wohllust, und beschmecket mit mehrer annähmligkeit die süßigkeit dieses Lebens, in welchen wir sonsten, wenn wir sie nicht recht zu gebrauchen wüßten die allerherznagenste und bitterste Unlust erfahren können.

4) Ist zu betrachten die Natur unsers gemüths, das ist des jenigen so in uns wißend ist in so weit als sie auch ohne dem Leibe bestehen kan, und weil edler als selbiger, auch unzahlbar wollust so in diesem Leben nicht vorkommen zu genießen fähig. Denn von einer seite [uns] als unsterblich sehend und der hochsten wollust fahig, anderseits aber das wir mit sterblichen leibern vereiniget, die vielen schwachheiten unterworffen, und in wenig tagen vergehen werden, unterlaßen wir zwar nichts unser glück in beßern stand als müglich zu versezen, aber doch ist dieses alles in unsern augen in ansehung der ewigkeit so gering daß wir solches nicht anders als den ausgang einer Comedi zu gemuth ziehen.

5) Sollen wir uns Gott in unsern gedancken als das allervollkommenste wesen vorstellen, daß ist deßen eigenschafften kein ende ihrer vollkommenheit haben. Dann dadurch wir uns gewiß werden, daß es nicht weniger wieder den Verstand sey, bey sich bedencken, Gott (das ist das allervollkommenste wesen) dem die existenz (das ist eine vollkommenheit) ermangelt als bey sich bedencken einen berg ohne thal, denn aus diesen einzig und ohne andere weitere unterrichtung werden wir erkennen, daß Gott wahrhafftig sey, und wird uns nicht weniger gewiß bekand seyn, daß zu dem vollkommensten Dinge die eigenschafft gehöre, als alles was es auch ist, daß wir klar und deutlich verstehen, daß es einer zahl oder figur müße zu geeignet werden. Aus diesem werden wir auch ferner was er sey, so viel die schwachheit unser natur zuläßet erkennen; Dann nur das Ebenbild des jenigen gedancken, so wir von ihm haben betrachtend finden wir eine unbeschreibliche ausbreitung seiner vorsehung, dadurch er mit einem einzigen gedancken alles das jenige was geschehen ist, voriezo ist, noch seyn wird, oder auch sein kan bemercket, Eine unzweifelbare gewißheit deßen so er zu thun beschließet welches unmöglich zu endern, und in übrigen eine unermeßliche macht, alles das jenige was er siehet und will ins werck zu richten.

Welches auch bekand wird werden, wenn wir die wercke Gottes nach würden betrachten, und die so unbegreiffliche ausbreitung der Welt in gedancken wohl abfaßen, auch dieses erwegen, daß alle dieser sachen existenz oder bestand einig und allein von seiner macht dependire. Die betrachtung nun alles deßen ingesamt wird den jenigen Menschen dem solches wohlbekand mit sehr großer belustigung überschütten. Und dieweil der Liebe wahres object die Vollkommenheit, so geschicht es, daß wenn er sein gemüth deßen natur zu betrachten erhebet, er sich zu deßen Liebe natürlich so geneiget befindet, daß er auch aus seinen eigenen unglücksfällen freude empfindet, vermeinende das Gottes wille ebendadurch erfüllet worden sey. Denn [solche] vereinigung unsers willens mit dem willen Gottes hält in sich eine vollkommene Liebe, und einen steten wundsch, daß sein wille geschehe. Dahrhero er den tod ja alle schmerzen und bekümmernüß zu fürchten auffhöret; dieweil er weis daß ihm nichts wiederfahren kan, als was Gott beschloßen; und diesen beschluß Gottes hält er vor so gerecht und nothwendig wenn er gleich den todt oder anders übel zu gewarten, daß er dennoch obschohn solches (welches doch unmüglich zu sezen) in seinen Vermögen stünde, nicht würde ändern wollen. Gleichwie er aber unglück und wiederwertigkeit so ihm von Gott zugeschickt wird nicht fliehet, so verschmähet er auch gewiß in geringsten nicht das guthe und die wollüste, deren er in diesen Leben frey genießen mag. Dieweil sie von eben derselben Vorsehung ihren ursprung nehmen, und also indem er das guthe fröhlich annimt, befreyet von aller furcht des bösen, wird sein gemüth durch seine in Gott gerichtete Liebe in vollkommenen stand gesezt.

6) Ist dahin zu trachten, daß uns genau bekand werde, was für würdigkeit iedes ding zu unser [Gemüthsvergnügung] und seeligkeit habe. Ist dahrhero nöthig zu betrachten aus was für ursachen unsre wollust entspringet; Dann absonderlich diese erkändtnüß kan die würckung der tugend erleichtern, so ist derohalben zu wißen, daß alle würckungen unsers gemüths, so uns vollkommen machen tugendhafft seyn, daß aber alle unsre wollust darinn bestehe, daß wir eine gewiße vollkommenheit erlangt zu haben bey uns bemercken, giebt die erfahrung. Dahrher können wir nicht die geringste tugend üben, daß ist wir können nichts thun, so uns der Verstand anweiset, daß wir nicht mit belustigung erfüllet werden. Dahrher möglich, daß man aus sorge und arbeit viel größere wohllust als aus spiel und müßiggang empfinde. Und daß ie schwehrer unsre affecten zu überwinden, ie größer die wollust sey, damit das gemüth überschüttet wird, daß also ie mehr arbeit, ie größer Lohn. Denn sich seiner Kräffte versichert wißen, bringt dem gemüth ein großes wohlgefallen und daher entstehende freude, in dem es bey sich fühlet, daß was für affecten auffsteigen, es doch allezeit der meister bleibe; sonderlich wenn es so weit kommen, daß es den allerstärcksten passionen gleichsam troz bieten kan nach ihren vermögen zu thun, in dem es ihnen den zaum schießen läßt, und sogar in die gelegenheiten sich begiebt, darinn sie ihre gröste crafft erlangen können, und dennoch meister verbleibet alsdann verlachet es deren unvermögenheit mit unglaublich vergnügender belustigung. Sind derowegen auch eben aus obgedachten Ursachen keine zufälle so betrübt, und nach des gemeinen Mannes Urtheil gänzlich böß, aus welchen nicht durch hülffe des Verstandes einiger Nuz zu ziehen, und welche dem gemüth schaden können, wenn selbes nur bey sich vergnüget. Ja es wird vielmehr deßen freude vergrößert werden, wenn es findet, daß es von selben nicht könne verlezt werden.

In übrigen weil auch viele wollüste des Leibes verspüret werden, welche sich der einbildung confuse vorstellend, offt weit größer scheinen, als sie wahrhafftig seyn, vornehmlich ehe wir sie besizen welches dann aller übel und irrthümer dieses Lebens Ursprung ist, so stehet anzumercken (damit wir nicht durch deren schein betrogen werden) daß iede wohllust nach der größe der vollkommenheit so sie in uns zu wege bringet zu ermeßen. Auff daß derowegen unser gemüth vollkommentlich möge vergnüget seyn, so muß es auch der tugend vollkommentlich nachfolgen, denn derselbe so also gelebet, daß ihn sein gewißen nicht beschuldigen kan, daß er iemahls unterlaßen das jenige zu thun was er vors beste geurtheilet (welches dann ist tugendhafft leben), der befindet dannenhehro eine solche vergnügung, die so mächtig ist umb ihn glückseelig zu machen, daß auch die allerstärckeste bewegungen der affecten niemals sattsame macht haben seine ruhig vergnügende wollust in ihm zu verstören.

 

Beschluß.

Dieses nun durch viele Ubungen in uns befestiget, giebt ein recht Generoses gemüth. Weil aber nichts uns beßer in unserm vorhaben befestiget, als wenn der Nuz wohl bekand, und nichts beßer bekand und leichter zu erfüllen als was in wenigen enthalten, und dem gemüth stets vorzustellen, wollen zum beschluß beydes zugleich hiemit anfügen.