BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Gottfried Wilhelm Leibniz

1646 - 1716

 

[Societät und Wirtschaft]

 

1671

 

Text:

Gottfried Wilhelm Leibniz Sämtliche Schriften und Briefe,

herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR

Vierte Reihe: Politische Schriften, Erster Band, 1667 - 1676

Berlin (DDR): Akademie-Verlag, 1983

 

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[Societät und Wirtschaft]

 

Monopolium wird verhütet, denn die Societät allezeit die wahren und billigen Preis geben will, ja vielfältig noch wohlfeiler, in dem sie an den orthen selbst die manufacturen machen laßen wird, die aniezo erst dahin geführet werden. Sonderlich aber wird verhindert das Monopolium der Kaufleüte, und Polypolium der Handwergs=Leüte, oder gar zu großes Reichthum der Kaufleüte und gar zu große Armuth der Handwercks=Leüte, welche sonderlich in Holland, alda der Kaufleüte maxim, die Handwergsleüte stets in armuth und arbeit zu unterhalten. Welches aber der Republick schädtlich, denn an sich selbst die Handwergsleüte auch Aristotelis meinung nach die favorabelsten seyn sollen. Nam Mercatura transfert, tantum Manufactura gignit. Und warumb sollen doch soviel Menschen zu so wenig anderer Nuzen arm und elend seyn. Ist also der ganze Zweck der Societät, den Handwergsman von seinem Elend zu erlösen. Der Bauer bedarfs nicht, denn dem ist sein Brod gewiß, der Kaufman hats übrig. Die übrigen Menschen sind entweder nichts nuz oder diener der Obrigkeit. Wiewohl auch die Societät den Bauer außer aller übrigen Sorge sezen kan, wenn sie ihm das seinige allezeit umb einen gewißen billigen Preis abnimt, es sey wohlfeil oder theüer. Dadurch auch verhütet werden kan, daß in alle Ewigkeit natürlicher weise keine theürung entstehe. Denn die Societät überall ein allgemein Kornhaus haben kan.

Durch stifftung einer solchen Societät wird ein tieff eingerißener Mangel vieler Republiqven aufgehoben, welcher darinn bestehet, daß man einen ieden sich ernehren laßet wie er kan und will, er werde reich mit hundert anderer verderben, oder falle und stoße hundert andere mit umb, die ihm getrauet, die sich von ihm ernehret. Er ruinire seine famili, gehe hernach mit denen seinigen und übrigen mitteln durch, oder nicht.

Objicietur man ziehe das geld in andere Lande? ganz nicht. Sondern viel mehr iedes Land soll mit nöthigen aniezo ausländischen wahren und manufacturen versehen werden, damit es nicht von andern hohlen müße, was es selbst haben kan; iedem Land soll gewiesen werden, wie es sein eigne inheimische recht brauchen solle. Dem Land so wolle gnugsam hat, sollen die manufacturen eingepflanzet werden, vermittelst derer tuch bereitet wird; ein Land so Leinwand übrig hat, soll mit machung der Zeüche seine Landeskinder occupiren, und also fort. Wird also dadurch keinem Land für dem andern favorisirt werden, unter allen denen so der societät die nöthige freyheit laßen, sondern iedes soll in denen sachen florirend gemacht werden, darinn ihm Gott und die Natur avantage geben. Dahehr die manufacturen allemahl in loco nativitatis der wahren, hingegen commercien an Strömen und Meeren der Natur gemäß, seyn sollen. Welches aber aus keiner ander Ursach verrucket, und die manufacturen zu den commercien von den materialien ab, geleget worden, dieweil die nöthige societät und vereinigung an vielen orthen, sonderlich wo keine Republicken, ermangelt.

Es ist ein großer mangel in den Republiqven und Ländern, daß an vielen orthen mehr gelehrte, will geschweigen müßige, als Handwergs=Leüte seyn. Allein diese societät hat niemand müßig, braucht ihre gelahrte zu stetswerenden conferenzen und lustigen erfindungen. Die Societät kan für andern profession machen alle Arme Leüte zu versorgen über sich zu nehmen. Item alle strafwürdige zu verwahren, welches auch eine große avantage für die Republiqven.

Man möchte sagen, die Handwergs=Leüte arbeiten iezo aus noth. Wenn man ihnen alle nothdurfft verschaffen wird, werden sie nichts arbeiten. Ich sustinire das contrarium daß sie alsdann mit Lust mehr, als iezo aus noth thun werden. Denn erstlich wenn ein Mensch seiner Nahrung ungewiß, hat er zu nichts weder muth noch herz, arbeitet nichts mehr, als er zu vertreiben trauet, so wegen seiner wenigen Kunden wenig, bleibt bey minutien, hat nicht das herz etwas neües und Reales vorzunehmen, kan also auch nichts verdienen, muß sich offt voll sauffen nur die desperation ausm sinn zu schlagen, und die traurigkeit zu vertrincken, ist von der gesellen muthwillen geplaget; Aber da wirds anders zugehen: ein ieder wird mit Lust arbeiten, weil er weis was er zu thun hat. Wird nie, wieder willen müßig gehen, wie iezo, denn keiner für sich sondern ins gemein arbeitet, hat der eine zuviel der andere zuwenig so schlegt mans dem andern zu. Hingegen wird kein Handwergsman vonnothen haben, wie iezo auf einmahl sich mit seinen Leüten bey sich haüffender arbeit halb todt zu plagen, weil ohngefehr allezeit die gleich seyn wird. Die gesellen werden mit lust einer mit den andern umb die wett in den öffentlichen werckhaüsern arbeiten, die meister werden das jenige arbeiten so mehr verstand erfodert. Keinen meister wirds verdrießen daß der gesell gescheid und auch bald meister werden möchte, denn was schads ihm so. Die Kost der gesellen und nothdurfft wird einerley, alle handwerge geschenckt seyn. Kein meister wird zu sorgen haben wie er seine Kinder versorge, ihnen ehrliche Heürathen schaffe. Vor erziehung der Kinder wird die Societät sorgen; Älthern sollen ihre Kinder zu erziehen entübriget seyn: alle Kinder sollen in guther Zucht in öffentlichen weisenhaüsern so lange sie klein von weibern erzogen werden. Und dennoch wird man vollkommene obsicht halten, daß sie nicht zu dick über einander stecken, rein gehalten werden, keine Kranckheiten entstehen. Wie könte ein Mensch glückseeliger leben. Die Handwergsleüte werden mit Lust beysammen in großen Stuben bey der compagnie mit singen und schwäzen arbeiten, ausgenommen welche arbeiten nachsinnen erfodern. Die meiste arbeit wird vormittags seyn. Man wird dahin trachten, wie ihnen andere Lust als das sauffen gemacht werde, nehmlich schwäzen von ihrer Kunst, erzehlen allerhand lustiger sachen, dabey muß man ihnen sachen zu eßen geben die den Durst leschen, als acida. Es ist keine größere Lust einem verständigen, ja einem ieden Menschen, der es nur einmahl gewohnet, als bey einer compagnie seyn, da man annehmliche und nüzliche sachen erzehlet, bey ieder compagnie soll iemand seyn, so gar die Handwergsleüte, der nüzliche vorfallende remarqven aufzeichne. Alleine die Hauptregel der societät soll seyn eine wahre Liebe und vertraüligkeit unter den gliedern zu stifften, nichts anziehendes hönisches verächtliches gegen den andern sich mercken laßen. Ja so gar die obren, ohne wenn nichts anders verfangen will, sollen aller verächtligkeit müßig gehen, denn die ist die einige hinderung der vertraüligkeit. Kein Mensch soll wegen versehens ausgelacht werden, und wenn es noch so grob: sondern er soll brüderlich sanfftmüthig ermahnet, und zu gleich unnachlaßig nach gelegenheit gestrafft werden. Straffe soll seyn vermehrte und schwehrere arbeit, als daß ein Meister müße arbeiten wie ein gesell, ein gesell wie ein jung.

Die virtutes morales sollen soviel müglich juxta principia Octavii Pisani per gradus aufs höchste getrieben werden. Wenn man merckt daß zwey personen sich nicht zusammen vergleichen können, soll man sie sondern. Auch eine Lügen soll gestrafft werden. Sed haec non omnia statim initio publicanda.