BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Martin Opitz

1597 - 1639

 

Buch von der Deutschen Poeterey

 

1624

 

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Das III. Capitel.

Von etlichen sachen die den Poeten

vorgeworffen werden;

vnd derselben entschuldigung.

 

AVß oberzehlten sachen ist zue sehen/ wie gar vnverstendig die jenigen handeln/ welche aus der Poeterey nicht weiß ich was für ein geringes wesen machen/ vnd wo nicht gar verwerffen/ doch nicht sonderlich achten; auch wol vorgeben/ man wisse einen Poeten in offentlichen ämptern wenig oder nichts zue gebrauchen; weil er sich in dieser angenemen thorheit vnd ruhigen wollust so verteuffe/ das er die andern künste vnd wissenschafften/ von welchen man rechten nutz vnd ehren schöpffen kan/ gemeiniglich hindan setze. Ja wenn sie einen gar verächtlich halten wollen/ so nennen sie ihn einen Poeten: wie dann Erasmo Roterodamo von groben leuten geschahe. Welcher aber zur antwort gab: Er schätzte sich dessen lobes viel zue vnwürdig; denn auch nur ein mittelmässiger Poete höher zue halten sey als zehen Philosophastri. Sie wissen ferner viel von jhren lügen/ ärgerlichen schrifften vnd leben zue sagen/ vnd vermeinen/ es sey keiner ein gutter Poete/ er musse dann zu gleich ein böser Mensch sein. Welches allerseits vngegründetes vrtheil ich kaum einer antwort würdig achte; vnnd jhnen alleine für das erste zue bedencken gebe/ wer Solon/ Pythagoras/ Socrates/ Cicero vnd andere gewesen/ die sich doch [B3a] des Poetennamens nie geschämet haben. Jch köndte auch sonsten viel vortreffliche leute erzehlen/ die auff diese kunst (wo ich sie eine kunst nennen soll) jhren höchsten fleiß gewendet haben/ vnd dennoch dem gemeinen nutze mit vnsterblichem lobe vorgegangen sind. So ist auch ferner nichts närrischer/ als wann sie meinen/ die Poeterey bestehe bloß in ihr selber; die doch alle andere künste vnd wissenschafften in sich helt. Apuleius nennet den Homerus einen viel wissenden vnnd aller dinge erfahrenen Menschen; Tertullianus von der Seele: einen Vater der freyen künste. Plato/ welcher im Tragedien schreiben so weit kommen/ das er auch andern kampff anbitten dörffen/ hat vermischet/ wie Proclus von jhm saget/ τήν τε Πυθαγόρειον καὶ Σωκρατικὴν ἰδιότητα, die Pythagorische vnnd Socratische eigenschafft/ hat die Geometrie vom Theodorus Cyreneus/ die wissenschafft des Gestirnes von den Egyptischen Priestern erlernet/ vnd ist aller dinge kündig gewesen. So hat man vnsere Musen zue mahlen pflegen/ als sie mitt zuesammen gehenckten händen in einem reyen tantzten/ jhnen auch den namen Μοῦσαι/ gleichsam als ὁμοῦσαι/ gegeben/ das gemeine bandt vnd verwandschafft aller künste hierdurch an zue deuten. Wann auch die verse nur blosse worte sindt/ (wiewol das so wenig möglich ist/ als das der Cörper ohne die Seele bestehen könne) was ist es denn das Eratosthenes ein getichte von beschreibung der Welt/ so Hermus geheissen/ das Parmenides vnnd Empedocles von natur der dinge/ das Seruilius vnd Heliodorus/ derer Galenus erwehnet/ von der ärtzney geschrieben haben? Oder/ wer kan leugnen/ das nicht Virgilius ein gutter Ackersman/ Lucretius ein vornemer naturkündiger/ Manilius ein Astronomus/ Lucanus ein Historienschreiber/ Oppianus ein Jägermeister/ vnd einer vnd der andere der Philosophie obristen sein/ da sie doch nichts als Poeten sein. Es sey denn das wir glauben wollen/ Theocritus habe Schaffe getrieben/ vnd Hesiodus sey hinter [B3b] dem Pfluge gegangen. Doch muß ich gleichwol bekennen/ das auch an verachtung der Poeterey die jenigen nicht wenig schuldt tragen/ welche ohn allen danck Poeten sein wollen/ vnd noch eines theils zum vberfluß/ ebener massen wie Julius Cesar seine kahle glitze/ sie jhre vnwissenheit vnter dem Lorbeerkrantze verdecken. Gewißlich wenn ich nachdencke/ was von der zeit an/ seit die Griechische vnd Römische sprachen wieder sind hervor gesucht worden/ vor hauffen Poeten sind herauß kommen/ muß ich mich verwundern/ wie sonderlich wir Deutschen so lange gedult können tragen/ vnd das edele Papir mit jhren vngereimten reimen beflecken. Die worte vnd Syllaben in gewisse gesetze zue dringen/ vnd verse zue schreiben/ ist das allerwenigste was in einem Poeten zue suchen ist. Er muß ἐυφαντασιωτός, von sinnreichen einfällen vnd erfindungen sein/ muß ein grosses vnverzagtes gemüte haben/ muß hohe sachen bey sich erdencken können/ soll anders seine rede eine art kriegen/ vnd von der erden empor steigen. Ferner so schaden auch dem gueten nahmen der Poeten nicht wenig die jenigen/ welche mit jhrem vngestümen ersuchen auff alles was sie thun vnd vorhaben verse fodern. Es wird kein buch/ keine hochzeit/ kein begräbnüß ohn vns gemacht; vnd gleichsam als niemand köndte alleine sterben/ gehen vnsere gedichte zuegleich mit jhnen vnter. Mann wil vns auff allen Schüsseln vnd kannen haben/ wir stehen an wänden vnd steinen/ vnd wann einer ein Hauß ich weiß nicht wie an sich gebracht hat/ so sollen wir es mit vnsern Versen wieder redlich machen. Dieser begehret ein Lied auff eines andern Weib/ jenem hat von des nachbaren Magdt getrewmet/ einen andern hat die vermeinte Bulschafft ein mal freundtlich angelacht/ oder/ wie dieser Leute gebrauch ist/ viel mehr außgelacht; ja deß närrischen ansuchens ist kein ende. Mussen wir also entweder durch abschlagen ihre feindschafft erwarten/ oder durch willfahren den würden der Poesie einen mercklichen abbruch thun. [B4a] Denn ein Poete kan nicht schreiben wenn er wil/ sondern wenn er kan/ vnd jhn die regung des Geistes welchen Ovidius vnnd andere vom Himmel her zue kommen vermeinen/ treibet. Diese vnbesonnene Leute aber lassen vns weder die rechte zeit noch gelegenheit: wie sich denn Politianus in einer epistel hefftig darüber beschwäret/ vnd Ronsardt/ wie Muretus meldet/ hat pflegen zue sagen/ er empfinde nicht so grosse lust wann er seine eigene Liebe beschriebe/ als er grossen verdruß empfinde/ wann er anderer jhre liebe beschreiben muste Wiewol etliche/ gemeiniglich aber die schlimmesten/ sich selber hierzue antragen/ vnd den leuten jhre träwme fast einzwingen. Diese meinet sonderlich Aristoteles/ Eth. ad Nic. lib. 9. c. 7. da er saget/ das sie ihre getichte vber die maße lieb haben/ vnd so hertzlich gegen jhnen geneiget sein: wie die eltern gegen den kindern. Vnd Cicero 5. Tusc. spricht auch fast auff diesen schlag: In hoc enim genere nescio quo pacto magis quam in aliis suum cuique pulchrum est. adhuc neminem cognoui Poetam, & mihi fuit cum Aquinio amicitia, qui sibi non optimus videretur. Das ferner die Poeten mit der warheit nicht allzeit vbereinstimmen/ ist zum theil oben deßenthalben Vrsache erzehlet worden/ vnd soll man auch wissen/ das die gantze Poeterey im nachäffen der Natur bestehe/ vnd die dinge nicht so sehr beschreibe wie sie sein/ als wie sie etwan sein köndten oder solten. Es sehen aber die menschen nicht alleine die sachen gerne/ welche an sich selber eine ergetzung haben; als schöne Wiesen/ Berge/ Felde/ flüße/ ziehrlich Weibesvolck vnd dergleichen: sondern sie hören auch die dinge mit lust erzehlen/ welche sie doch zue sehen nicht begehren; als wie Hercules seine Kinder ermordet/ wie Dido sich selber entleibet/ wie die Städte in den brand gesteckt werden/ wie die pest gantze Länder durchwütet/ vnd was sonsten mehr bey den Poeten zue finden ist. Dienet also dieses alles zue vberredung vnd vnterricht auch ergetzung der Leute; [B4b] welches der Poeterey vornemster zweck ist. Die nahmen der Heidnischen Götter betreffendt/ derer sich die stattlichsten Christlichen Poeten ohne verletzung jhrer religion jederzeit gebrauchet haben/ angesehen das hierunter gemeiniglich die Allmacht Gottes/ welcher die ersten menschen nach den sonderlichen wirckungen seiner vnbegreifflichen Maiestet vnterschiedene namen gegeben/ als das sie/ wie Maximus Tyrius meldet/ durch Minerven die vorsichtigkeit/ durch den Apollo die Sonne/ durch den Neptunus die Lufft welche die Erde vnnd Meer durchstreichet; zuezeiten aber vorneme Leute/ die wie Cicero im andern buche von den Gesetzen saget/ vmb jhres vordienstes willen in den Himmel beruffen sein/ zue zeiten was anders angedeutet wird/ ist allbereit hin vnd wieder so viel bericht darvon geschehen/ das es weiterer außführung hoffentlich nicht wird von nöthen sein. Was auch der Poeten Leben angehet/ (damit ich mich nicht zue lange auffhalte) ist es nicht ohn/ das freylich etliche von ihnen etwas auß der art schlagen/ vnd denen/ die in anderer Leute mängeln falcken/ in jhren eigenen Maulwörffe sein/ anlaß geben jhnen vbel nach zue reden. Die Vrsache kan wol zum theile sein/ das jhre Poetische gemüter vnterweilen etwas sicherer vnd freyer sein/ als es eine vnd andere zeit leidet/ vnd nach des volckes Vrtheil nicht viel fragen. Zum theile thut auch der wein etwas; sonderlich bey denen/ welchen Horatius besser gefellt da er schreibet:

 

Prisco si credis, Maecenas docte, Cratino,

Nulla valere diu, nec viuere carmina possunt,

Quae scribuntur aquae potoribus.

 

Mecenas/ wilt du mir vnd dem Cratinus gleuben/

Der der da wasser trinckt kan kein guet carmen schreiben;

 

Als Pindarus/ der stracks im anfange seiner bücher saget: [C1a] Ἄριστον μὲν ὕδωρ, Das Wasser ist das beste das man findt. Mit welchem es Alceus/ Aristophanes/ Alcman/ Ennius vnd andere nicht gehalten hetten; auch Eschilus nicht/ dem Sophocles vorgeworffen/ der wein hette seine Tragedien gemacht/ nicht er. Vnd zum theile thut auch zue dem etwas nachleßigen wandel mancher Poeten nicht wenig die gemeinschafft etlicher alten/ die jhre reine sprache mit garstigen epicurischen schrifften besudelt/ vnd sich an jhrer eigenen schande erlustiget haben. Mit denen wir aber vmbgehen mußen wie die bienen/ welche ihr honig auß den gesunden blumen saugen/ vnd die gifftigen Kräuter stehen lassen. Doch wie ehrliche/ auffrichtige/ keusche gemüter (welche von den auch keuschen Musen erfodert werden) derer die jhre geschickligkeit mit vblen sitten vertunckeln nicht entgelten können/ so sind auch nicht alle Poeten die von Liebessachen schreiben zue meiden; denn viel vnter jhnen so züchtig reden/ das sie ein jegliches ehrbares frawenzimmer vngeschewet lesen möchte. Man kan jhnen auch deßentwegen wol jhre einbildungen lassen/ vnd ein wenig vbersehen/ weil die liebe gleichsam der wetzstein ist an dem sie jhren subtilen Verstand scherffen/ vnd niemals mehr sinnreiche gedancken vnd einfälle haben/ als wann sie von jhrer Buhlschafften Himlischen schöne/ jugend/ freundligkeit/ haß vnnd gunst reden. Wie dann hiervon der Frantzösischen Poeten Adler Peter Ronsardt ein artiges Sonnet geschrieben/ welches ich nebenst meiner vbersetzung (wiewol dieselbe dem texte nicht genawe zuesaget) hierbey an zue ziehen nicht vnterlassen kan:

 

Ah belle liberté, qui me seruois d'escorte,

Quand le pied me portoit où libre ie voulois!

Ah! que ie te regrette! helas, combien de fois

Ay-ie rompu le ioug, que maulgré moy ie porte!

 

Puis ie l'ay rattaché, estant nay de la sorte, [C1b]

Que sans aimer ie suis & du plomb & du bois,

Quand ie suis amoureux i'ay l'esprit & la vois,

L'inuention meilleure, & la Muse plus forte.

 

Il me faut donc aimer pour auoir bon esprit,

Afin de conceuoir des enfans par escrit,

Prolongeant ma memoire aux despens de ma vie.

 

Ie ne veux m'enquerir s'on sent apres la mort:

Ie le croy: ie perdroy d'escrire toute enuie:

Le bon nom qui nous suit est nostre reconfort.

 

Du güldne Freyheit du/ mein wünschen vnd begehren/

Wie wol doch were mir/ im fall ich jederzeit

Mein selber möchte sein/ vnd were gantz befreyt

Der liebe die noch nie sich wollen von mir kehren/

 

Wiewol ich offte mich bedacht bin zue erweren.

Doch lieb ich gleichwol nicht/ so bin ich wie ein scheit/

Ein stock vnd rawes bley. die freye dienstbarkeit/

Die sichere gefahr/ das tröstliche beschweren

 

Ermuntert meinen geist/ das er sich höher schwingt

Als wo der pöfel kreucht/ vnd durch die wolcken dringt/

Geflügelt mitt vernunfft/ vnd mutigen gedancken/

 

Drumm geh' es wie es wil/ vnd muß ich schon darvon/

So vberschreit ich doch des lebens enge schrancken:

Der name der mir folgt ist meiner sorgen lohn. [C2a]

 

Welchen namen wenn die Poeten nicht zue gewarten hetten/ würden viel derselben durch die boßheit der Leute/ die sie mehr auß neide alß billicher vrsache verfolgen/ von jhrem leblichen vorsatze zuerücke gehalten vnd abgeschreckt werden. Es wirt aber bey jhnen nicht stehen/ vnd ich bin der tröstlichen hoffnung/ es werde nicht alleine die Lateinische Poesie/ welcher seit der vertriebenen langwierigen barbarey viel große männer auff geholffen/ vngeacht dieser trübseligen zeiten vnd höchster verachtung gelehrter Leute/ bey jhrem werth erhalten werden; sondern auch die Deutsche/ zue welcher ich nach meinem armen vermögen allbereit die fahne auffgesteckt/ von stattlichen gemütern allso außgevbet werden/ das vnser Vaterland Franckreich vnd Jtalien wenig wird bevor dörffen geben.