BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Jakob Brucker

1696 - 1770

 

Erste Anfangsgründe der

philosophischen Geschichte

 

Erster Periodus. Erster Theil.

Von der Barbarischen Philosophie.

Das erste Buch.

 

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Das zweyte Capitul.

Von der Philosophie vor der Sündfluth ins besondere.

 

I.

Wo hat man den ersten Ursprung

der Philosophie zu suchen?

Auf diese Frage ist verschiedentlich geantwortet worden, nachdem man sich einen Begriff von der Philosophie gemacht hat. Dann weil die Geister mit dem materiellen Cörper nicht beschwehrt, und also zur Einsicht der Wahrheit tüchtiger sind, so haben sich einige einfallen lassen, von einer Philosophie der guten und bösen Geister zu schwatzen. Man hört aber gleich, daß sie nicht wissen, wovon eigentlich die Rede est.

 

II.

Wer soll dann der erste Philosophus unter

den Menschen gewesen seyn?

Dazu wird von vielen Adam gemacht, von dem sie sich überreden, daß er ein vollkommener Weltweiser gewesen, welcher alle Theile der Gelehrsamkeit und Weißheit, und also auch die Philosophie inne gehabt. Das will man daher beweisen, weil

1. Adam durch das Göttliche Ebenbild alle Weißheit bekommen,

2. die Buchstaben erfunden,

3. er den Thieren Namen gegeben, und also ihre Natur verstanden,

4. mit der Schlange disputirt,

5. die Zeiten eingetheilt,

6. die Erkänntnis des wahren und guten gehabt,

7. seine Familie wohl regiert hat.

8. nach dem Falle bey seinem lange daurenden Leben den überblie-benen Vernunfftsfuncken aufzublasen und zu vermehren Zeit gehabt hat.

 

III.

Machet aber dieses aus Adam

einen Philosophum[?]

Gar nicht. Dann es ist nicht die Frage, ob Adam eine Wissenschafft des wahren und guten gehabt, sondern ob er philosophirt, und dem wahren und guten kunstmäßig nachgedacht habe. Dann das von ihm angeführte gründet sich entweder auf die göttliche Offenbahrung, oder ist etwas, das einer ohne philosophisches Nachdencken fassen und begreiffen kan, oder ist gar erdichtet und wird ohne Grund vorgegeben, und wanns gut gehet, aus schlechten Muthmassungen behauptet.

 

IV.

Waren nicht etwa Adams Söhne

und Nachfolger Philosophi?

Ob sich es gleich einige träumen lassen, so hat es doch keinen Grund: dann Cain war ein Ackersmann, wie Abel, und so wenig ein Philosophus, als ein anderer Ackers- oder Bauersmann, der die Zeit zu säen und zu schneiden verstehet. Cains Gottlosigkeit aber war kein Lehrgebäude, und die von ihm erbaute Stadt kein Stück der mathematischen Baukunst. Seths zwo Säulen aber, deren eine von Stein, die andere von Thon gewesen, und in welche er die philosophischen und astronomischen Lehrsätze eingegraben haben soll, daß sie im Wasser und Feur nicht untergehen möchten, sind eine Fabel, oder man hat ägyptische Säulen dafür angesehen, und damit vermischet.

 

V.

Sind aber nicht etwa Cains und Seths Nachkommen

Philosophi gewesen?

Eben so wenig. Dann die Erfindung des Schmidens, des Thubal Cains, macht ihn wohl zu einem geschickten Schmide, aber zu keinem Chymico oder Philosopho. Die Weißheit der Kinder Seths aber bestund in der geoffenbahrten Erkänntnis GOttes und einer wahren Frömmigkeit, und nicht in der Philosophie: und die grossen Männer unter ihnen waren Propheten, aber keine Philosophi. Überhaupt muß man bey den Menschen vor der Sündfluth mehr Erfahrung zur Bequemlichkeit des Lebens als Philosophie, bey den Patriarchen aber mehr Offenbahrung suchen, welche nicht in die Philosophie gehört.