BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Johann Jakob Brucker

1696 - 1770

 

Erste Anfangsgründe der

philosophischen Geschichte

 

Vorbericht

 

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Vorbericht.

 

I.

Was wird durch die Philosophie

verstanden?

Die Philosophie, welche man zum Unterschiede der geoffenbahrten Gotteslehre in der deutschen Sprache Weltweißheit zu nennen pfleget, in alten Zeiten aber alleine Weißheit genennet worden, ist eine gründliche und richtige Einsicht und Wissenschafft derjenigen Dinge, welche zur Erlangung, Erhaltung und Vermehrung der wahren Glückseligkeit nöthig und nützlich sind, in so ferne sie aus den Grundsätzen der Vernunfft erhalten werden kan.

 

 

II.

Was ist die philosophische Historie?

Durch die philosophische Historie verstehet man eine der Wahrheit gemässe und mit vernünfftiger Überlegung abgefaßte Erzählung aller derjenigen Grund- und Lehrsätze, in welchen von Anfang der Welt biß auf unsere Zeiten die Weltweißheit ist vorgetragen. Sie wird aber in weitläuffigerm und engerm oder eigentlicherm Verstande genommen. Dann in weitläuffigem Verstande begreifft die philosophische Historie alles, was mit der Philosophie sich zugetragen, es mögen nun Lehren oder Personen seyn. Wann man es aber in engerm Verstande nimmt, so bedeutet sie nur die Historie der philosophischen Wissenschafften und Lehrsätze.

 

 

III.

Wie kan die philosophische Historie am

füglichsten eingetheilt werden?

Man theilt sie am deutlichsten und faßlichsten in drey grosse Perioden und Zeitläuffe ein. Der erste fangt an von Anfang der Welt und gehet biß auf den Anfang der Römischen Monarchie; da die Philosophie gebohren, erwachsen, und zu ihren Jugend- und Mannesjahren gekommen ist. Der andere führet die Geschichte der Philosophie von dem Anfang der Römischen Monarchie biß auf das vierzehende Jahrhundert nach Christi Geburt aus, da da die Philosophie mancherley unangenehme und schädliche Veränderungen in ihrem Alter erlitten hat. Der dritte erzählet was sich von der Zeit an bis auf unsere Tage mit ihr zugetragen, da sie gleichsam wiederum junge worden, das ist, in eine neue Gestalt und Verbesserung gebracht worden ist.

 

 

IV.

Wie kan man den ersten Zeitlauff der Philosophie

am richtigsten eintheilen?

Die merckwürdigsten Umstände, welche sich mit der Philosophie zugetragen haben, geben Anlaß, sie in die Barbarische und Griechische Philosophie einzutheilen. Unter der Barbarischen Philosophie begreifftman die Lehrsätze und Meynungen aller Völcker, welche keine Griechen gewesen sind. Die Barbarische Philosophie kan betrachtet werden, wie sie sich theils vor, theils nach der Sündfluth geäussert hat. Letztere läßt sich am füglichsten nach den Völckern erzählen, welche sich um die Lehren der Weißheit von der Glückseligkeit der Menschen bemühet haben, und nach der Lage dieser Völcker, welche sie auf den bewohnten Erdtheilen eingenommen haben. Dann da kommen unter den morgenländischen Völckern vor die Hebräer, Chaldäer, Perser, Indianer und Seren oder Sinesen, die Araber und Phönicier; unter den mittägigen die Aegypter und Mohren; unter den abendländischen die Celten in Gallien, Britannien und Germanien; ingleichem die Römer und Hetruscer; unter den nordländischen die Scythen, Geten, Thracier und andere. Dann in diese Gegenden ist ehedem die gantze bewohnte Welt eingetheilet worden.

 

 

V.

Was vor eine Beschaffenheit hat es

mit der Griechischen Philosophie?

Die Griechische Philosophie war anfangs in Fabeln eingehüllet, hernach wurde sie etwas offenbarer und bekannter, da kluge Regenten sie zur geschickten Verwaltung des gemeinen Wesens anwendeten. Endlich wurde sie in eine kunstmäßige Verfassung gebracht, und ordentliche Lehrgebäude errichtet, wodurch sie erst zu ihrer rechten und vollkommenen Gestalt gekommen ist. Diese kunstmäßig-verfaßte Philosophie der Griechen hatte zween Verfasser, Thaletem in Ionien, und Pythagoram in Italien. Von dem ersten kommt die Jonische Secte her, aus welcher die Socratische Schule, und die Cyrenaische, Megarische, Eretrische, Academische, Peripatetische, Cynische und Stoische Secte entstanden. Von dem andern sind die Eleatische, Heraclitische, Epikurische und Pyrrhonische Secten entstanden, welche auch nach Alexanders des Grossen Regierung in den Asiatischen Provinzen gewisse Schicksale gehabt haben, welche in der philosophischen Geschichte nicht vorbeygelassen werden dörffen.

 

 

VI.

Wie kan man den zweyten Zeitlauf

der Philosophie abtheilen?

Gleichwie diese Periode bey dem Anfange der Römischen Monarchie ihren Ursprung hat, also kan man sie, dem Gedächtniß zum besten, am füglichsten in die Heidnische, Jüdische, Saracenische und Christliche, diese aber wiederum in die Philosophie der alten Christen, und der mitlern Zeiten abtheilen. Die Heydnische Philosophie war bey den Römern und im Römischen Reiche, wo alle in Griechenland übliche Secten geblühet, eine neue aber zu Alexandrien in Aegypten aufgekommen, und die übrigen alle verschlungen hat. So hat sich auch in Orient eine Art der Philosophie hervorgethan, welche sich durch ihre Vermengung von mancherley Lehrsätzen und deren Einfluß in verschiedene Lehrgebäude, sonderlich der Christen merckwürdig gemachet hat. Die Jüdische Philosophie, in so ferne sie von der alten Hebräischen Weißheit unterschieden wird, und von der Wiederkunfft aus der babylonischen Gefangenschafft sich anfängt, kan entweder der Zeit nach abgetheilt werden, nach den Schicksalen dieses Volcks vor und nach der Zerstöhrung Jerusalems, oder nach der Art des Vortrags, der entweder offentlich oder geheim gewesen ist: welche letztere Art die Cabbalistische genennet wird. Die Saracenische Philosophie begreifft dasjenige, was unter den Arabern damit vorgegangen, nachdem Muhamed seine neue Religion eingeführet hat. Die Philosophie bey den alten Christen, betrifft entweder die Zeiten vor oder nach dem Ursprunge der Alexandrinischen Secte, und reichet biß zu deren im siebenden Jahrhunderte sich äussernden Ende. Die Philosophie der Christen in den mittlern Zeiten fängt sich von dem siebenden Jahrhunderte an, und gehet biß auf das vierzehende Jahrhundert, da man angefangen hat, dem Verfalle der Wissenschafften vorzubeugen. Dieser Zeitlauff hat abermals zween Absätze; der erste begreifft alles, was bey den Griechen und Abendländern biß auf das zwölfte Jahrhundert mit der Weltweißheit vorgegangen, der andere erzählt, was vor eine Gestalt dieselbe um diese Zeit angenommen, und wie sie sonderlich in den Closterschulen unter dem Namen der scholastischen Philosophie fortgepftantzt worden ist.

 

 

VII.

Was enthält der dritte

Zeitlauf der Philosophie?

Alles was mit derselbigen biß auf unsere Zeit vorgegangen ist: wie man angefangen sie äusserlich und innerlich zu verbessern, und wie man entweder auf eine sectirische, oder auf eine eclectische Weise und nach einer freyen Auswahl zu philosophiren sich bemühet habe. Das erste ist auf zweyerley Weise geschehen: einige haben eine alte Griechische Secte wiederum hervorgesuchet, und sie in ihrer ehemaligen Lauterkeit herzustellen bemühet, andere hingegen haben sich angelegen seyn lassen, neue Secten auszubringen, oder mit all die Philosophie zu unterdrücken. Das andere hat grosse und berühmte Geister zu Urhebern, unter welchen Brunus, Cardanus, Verulamius, Campanella, Hobbesius, Cartesius, Leibnitz und Thomasius nebst andern sonderlich merckwürdig sind. Diese Verbesserung der Philosophie aber ist nicht nur überhaupt geschehen, sondern man hat sich auch bemühet, in allen Theilen der Weltweißheit Verbesserungen vorzunehmen: Es ist also eine Pflicht der philosophischen Historie, dasjenige zu erzählen, was in der Vernunfft- Grund- Geister- Sitten- und Staatslehre verändert, verbessert oder neu eingeführt worden ist. Da auch seit dritthalb hundert Jahren die übrigen Welttheile und die darinnen befindliche Völcker bekannter worden sind, als findet man auch Grund in der philosophischen Geschichte von der Philosophie der Asiatischen, und Americanischen Völckern zu gedencken.