BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Fürchtegott Gellert

1715 - 1769

 

 

Das Leben der Schwedischen

Gräfinn von G***

 

1. Teil (3)

 

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Wir lebten darauf noch einige Jahre in der größten Zufriedenheit auf unserm Landgute. Endlich erhielt mein Gemahl Befehl am Hofe zu erscheinen, und ich folgte ihm dahin.

Ich war kaum bey Hofe angekommen: so ward ich verehrt und bewundert. Es war, wie es schien, niemand schöner, niemand geschickter und vollkommner, als ich. Ich konnte vor der Menge der Aufwartungen und vor dem süssen Klange der Schmeicheleyen kaum zu mir selber kommen. Zu meinem Unglücke bekam mein Gemahl Ordre zum Marsche, und ich mußte zurück bleiben. Es hieß, ich sollte ihm bald nachfolgen; allein es vergiengen drey Monate, ehe ich ihn zu sehen bekam. Ich hatte meine ganze Philosophie nöthig, die ich bey meinem Vetter, meinem Gemahle und seinem Vater gelernet hatte, wenn ich nicht eitel und hochmüthig werden wollte. Die Ehre, die mir allenthalben erwiesen ward, war eine gefährliche Sache für eine junge und schöne Frau, die den Hof zum erstenmal sah.

Ein gewisser Prinz von S**, der schon eine Gemahlinn, und unstreitig nicht die erlaubtesten Absichten gegen mich hatte, suchte sich die Abwesenheit meines Gemahls zu Nutze zu machen. Er bediente mich bey aller Gelegenheit mit einer ungemeinen Ehrerbietung, und mit einem Vorzuge, der recht prächtig in die Augen fiel. Er wagte es zuweilen mir von einer Neigung zu sagen, die ich verabscheuete. Dennoch wußte ich der Ehrerbietung, die er stets mit untermengte, nicht genug zu widerstehen. Ich war so treu und tugendhaft, als man seyn kann; allein vielleicht nicht strenge genug in dem äußerlichen Bezeigen. Hierdurch machte ich den Prinzen nur beherzter. Er kam an einem Nachmittage unangemeldet zu mir. Er machte mir allerhand kleine Liebkosungen; doch bey der ersten Freyheit, die er sich heraus nahm, sagte ich zu ihm: Erlauben sie mir, daß ich es ihrer Gemahlinn darf melden lassen, daß Sie bey mir sind, damit sie mir das Glück ihrer Gegenwart auch gönnt. Sie ist schon in Gedanken bey mir, fieng er an. Und mein Gemahl, antwortete ich, ist auch bey mir, wenn er gleich im Felde ist. Darauf machte er mir ein frostig Compliment, und gieng fort.

Wie rachgierig dieser Herr war, wird die Folge ausweisen. Mein Gemahl kam wieder zurück, und nach seiner Ankunft ward ihm der Hof verbothen. Dieses war die erste Rache eines beleidigten Prinzen. Wir giengen darauf auf unser Landgut. Ich entdeckte meinem Gemahle ohne Bedenken die Ursache der erlittenen Ungnade, und bat ihn tausendmal um Vergebung. Ich bin sehr wohl, sprach er, mit meinem Unglücke zu frieden. Fahren sie nur fort, mich durch ihre Tugend zu beleidigen; ich will ihnen zeitlebens dafür danken. Ich habe es voraus gesehen, daß ihnen der Hof gefährlich seyn würde. Ich konnte mir einbilden, daß man sie bewundern, und daß ihr Herz der Versuchung der Lobsprüche und Ehrenbezeigung nicht gleich den ersten Augenblick widerstehen würde. Die erlittene Ungnade ist nichts, als ein Beweis, daß ich eine liebenswürdige und tugendhafte Frau habe.

Wir lebten auf unserm Landgute so ruhig und zärtlich, als iemals. Und damit wir den Verlust unsers klugen Vaters desto weniger fühlten: so nahm mein Gemahl seinen ehemaligen Reisegefährten, den Herrn R** zu sich. Er war noch ein junger Mann, der aber in einer großen Gesellschaft zu nichts taugte, als einen leeren Platz einzunehmen. Er war stumm und unbelebt, wenn er viele Leute sah. Doch in dem Umgang von drey oder vier Personen, die er kannte, war er ganz unentbehrlich. Seine Belesenheit war außerordentlich, und seine Bescheidenheit eben so groß. Er war in der Tugend und Freundschaft strenge bis zum Eigensinn. So traurig seine Mine aussah, so gelassen und zufrieden war er doch. Er schlug keine Vergnügung aus; allein mir kam es immer vor, als ob er sich nicht so wohl an den Ergötzlichkeiten selbst, als vielmehr an dem Vergnügen belustigte, das die Ergötzlichkeiten andern machten. Sein Verlangen war, alle Menschen vernünftig, und alle Vernünftige glücklich zu sehen. Daher konnte er die großen Gesellschaften nicht leiden, weil er so viel Zwang, so viel unnatürliche Höflichkeiten und so viel Verhinderungen, frey und vernünftig zu handeln, darinnen antraf. Er blieb in allen seinen Handlungen uneigennützig, und gegen die Glücksgüter, und gegen alle Ehrenstellen fast gar zu gleichgültig. Die Schmeichler waren seine ärgsten Feinde. Und er glaubte, daß diese Leute der Wahrheit und Tugend mehr Schaden thäten, als alle Ketzer und Freygeister. Einem geringen Manne diente er mit größern Freuden, als einem vornehmen. Und wenn man ihn um die Ursache fragte, so sagte er: Ich fürchte, der vornehme möchte mich bezahlen, und durch eine reiche Belohnung mich zu einem Lastträger seiner Meynungen, und zu einem Beförderer seiner Affecten erkaufen wollen. Er hatte einen geschickten Bedienten, der ihm aber des Tages nicht mehr, als etliche Stunden, aufwarten durfte. Als er seinen Herrn in unserer Gegenwart einmal fragte, ob er nichts zu thun hätte; so sagte er: Denkt ihr denn, daß ihr bloß meinetwegen und meiner Kleider und Wäsche wegen in der Welt seyd? Wollt ihr denn so unwissend sterben, als ihr gebohren seyd? Wenn ihr nichts zu thun habt, so setzt euch hin, und überlegt, was ein Mensch ist; so werden euch Beschäftigungen genug einfallen. Er gab ihm verschiedene Bücher zu lesen. Und wenn er ihn auskleidete: so mußte er ihm allemal sagen, wie er den Tag zugebracht hätte. Wer sich schämt, sagte er, einen Menschen vernünftig und tugendhaft zu machen, weil er geringe ist, der verdient nicht, ein Mensch zu seyn. Mein Gemahl liebte den Herrn R**, als seinen Bruder, und wir beschlossen niemals etwas wichtiges, ohne ihn zu Rathe zu ziehen.

Um diese Zeit bekam mein Gemahl Befehl zum Marsche, weil Schweden mit der Krone Pohlen in einen Krieg verwickelt wurde. Nunmehr gieng mein Elend an. Mein Gemahl hatte einen engen und gefährlichen Paß vertheidigen sollen. Allein er hatte das Unglück gehabt, ihn und fast alle seine Mannschaft zu verlieren. Man glaubte der Prinz von S**, der mit zu Felde war, hätte ihn mit Fleiß zu dieser gefährlichen Unternehmung bestimmt, um ihn zu stürzen. Genug, mein Gemahl ward zur Verantwortung gezogen. Man gab ihm Schuld, er hätte seine Pflicht nicht in Acht genommen, und es ward ihm durch das Kriegsrecht der Kopf abgesprochen. Gott, in welch Entsetzen brachte mich folgender Brief von meinem Gemahl!

Lebt wohl, liebste Gemahlinn, lebt ewig wohl! Es hat der Vorsicht gefallen, meinen Tod zu verhängen. Er kömmt mir nicht unvermuthet; doch würde mich die Art meines Todes erschrecken, wenn ich meinen Ruhm mehr in der Ehre der Welt, als in einem guten Gewissen suchte. Gerechter Gott! Ich soll durch das Schwerdt sterben, weil ich es nicht beherzt genug für das Vaterland geführet habe. Der Himmel weis, daß ich unschuldig bin. Und fünf Wunden, die ich bey meiner Gegenwehr empfangen habe, mögen Zeugen seyn, ob ich meiner Pflicht nachgelebt. Der Prinz von S**, den ihr durch eure Tugend beleidiget habet, ist ohne Zweifel die Ursache meines gewaltsamen Todes. Vergebt es ihm, daß er euch euren Gemahl entreißt. Es ist weit weniger, als wenn er euch eure Tugend entrissen hätte. Lebt wohl, meine Gemahlinn, und betet, daß ich bey dem Anblicke meines Todes so beherzt seyn mag, als ich itzt bin. Meine Wunden sind gefährlich. Wollte Gott, daß sie tödtlich wären, und mich der Schmach entrissen, als ein Verbrecher vor den Augen der Welt zu sterben. In fünf Tagen soll mein Urtheil vollstreckt werden. Nehmet von dem redlichen R** in meinem Namen Abschied. Er wird euch in eurem Unglück nicht verlassen. Ich habe den König in einem Bittschreiben ersucht, daß er euch meine Güter lassen soll; aber ich glaube nicht, daß es geschehen wird. Seyd unbekümmert, meine Getreue! Flieht, wohin ihr wollt, nur daß ihr den Nachstellungen des Prinzen entgeht. Lebt wohl. Ach wenn doch der fünfte Tag schon da wäre! O warum muß ich denn ein Schlachtopfer meiner Feinde werden! Doch es ist eine Schickung. Ich will meinen Tod mit Standhaftigkeit erwarten. Lebt noch einmal wohl, liebste Gemahlinn. Ich fühle den Augenblick eine außerordentliche Schwachheit in meinem Körper. Vielleicht sterbe ich noch heute an meinen Wunden. Mein Feldprediger kömmt. Ich will ihn bitten, daß er euch diesen Brief zustellen läßt. Faßt euch. Ich liebe euch ewig, und ich sehe euch in der künftigen Welt gewiß wieder.

Meinen Schmerz über diese Nachricht kann ich nicht beschreiben. Die Sprachen sind nie ärmer, als wenn man die gewaltsamen Leidenschaften der Liebe und des Schmerzes ausdrücken will. Ich habe alles gesagt, wenn ich gestehe, daß ich etliche Tage ganz betäubt gewesen bin. Alle Trostgründe der Religion und der Vernunft waren bey meiner Empfindung ungültig, und sie vermehrten nur meine Wehmuth, weil ich sah, daß sie solche nicht besänftigen konnten. Der angesetzte Todestag meines Gemahls brach an. Ich brachte ihn mit Thränen und Gebete zu, und fühlte den Streich mehr, als einmal, der meinem Gemahle das Leben nehmen sollte. Niemand stund mir in meinem Elende redlicher bey, als der Herr R**. Er klagte und weinte mit mir, und erwarb sich durch seine Traurigkeit den Vortheil, daß ich die Trostgründe anhörte, mit denen er mich nunmehr anfieng aufzurichten.

Binnen acht Tagen kam der Reitknecht meines Gemahls, und brachte mir die Post, daß sein Herr drey Tage vor dem Tage des Urthels an seinen Wunden gestorben wäre. Diese Nachricht vergnügte mich, so betrübt sie war, doch unendlich. So ist er denn, als ein Held, an seinen Wunden gestorben? rief ich aus. So hat er die traurigen Zubereitungen zu einem gewaltsamen Tode, welche ärger als der Tod selber sind, nicht mit ansehen dürfen? Nunmehr bin ich ruhig. Ich fragte, ob man ihn ohne Schimpf zur Erden bestattet hätte. Er sagte mir, daß dieses gar nicht hätte geschehen können, weil in der Nacht, da er gestorben wäre, die Feinde das Dorf angefallen, und das Bataillon, bey dem mein Gemahl gefangen gesessen, genöthiget hätten, sich in der grösten Eil und mit Verlust zurückzuziehen. In eben dieser Unordnung wäre er mit gewichen, und der Feldprediger von meines Gemahls Regimente hätte ihm Gelegenheit geschafft, mit einem Detaschement zurückzugehen, und mir die Nachricht und etliche Kleinodien von meinem Gemahle zu überbringen.

Der Feldprediger hatte selbst an mich geschrieben, und mir in meines Gemahls Namen gerathen, Schweden so bald zu verlassen, als es möglich wäre, damit ich nicht der Rache des Prinzen oder seiner Wollust weiter ausgesetzt seyn möchte. Der Befehl wegen der Einziehung unserer Güter war, wie ich erfuhr, schon vor meines Gemahls Tode unterzeichnet worden. Ich entschloß mich also zur Flucht, und bat den Herrn R** Schweden mit mir zu verlassen. Wir gaben in unserm Hause eine Reise auf die andern Güter vor, und nahmen nichts, als die Chatoulle, in welcher etwan tausend Ducaten waren, (denn mein Gemahl hatte sein baares Vermögen der Krone vorgestreckt) nebst dem Geschmeide und den Kleinodien mit uns. Alles Silbergeschirr liessen wir im Stiche, und kamen in Begleitung des vorhin gedachten Reitknechts, und des Bedienten des Herrn R** glücklich über die Grenzen. Wir erfuhren bald darauf, daß man die Güter eingezogen, und daß man mir etliche Meilen hatte nachsetzen lassen. Wir waren nunmehr in Liefland; allein ich war deswegen noch nicht sicher. Der Prinz wollte mich in seiner Gewalt haben. Mein Vetter, der mich nach Schweden gebracht hatte, war todt, und ich wußte nicht, welches Land ich zu meinem Aufenthalte aussuchen sollte. Mein getreuer Begleiter sollte mein Rathgeber werden. Er schlug mir Holland vor, weil er in Amsterdam Freunde hatte, und er versicherte mich, daß es mir an diesem Orte gefallen würde. Hier können sie sich, sagte er, ein Paar Jahre aufhalten, bis sich die Umstände in Schweden ändern. Vielleicht glückt es ihnen, daß sie durch Vorbitte mit der Zeit einen Theil von ihres Gemahls Vermögen zurück bekommen.

Die Furcht, in des rachgierigen Prinzen Hände zu fallen, machte mir alle Länder angenehmer, als mein Vaterland. Ich entschloß mich also mit ihm nach Amsterdam zu gehen, und ich wünschte, daß mich die ehemalige Geliebte meines Gemahls dahin begleiten möchte. Wir waren etwan achtzehn Meilen von ihr entfernet, denn wir bildeten uns ein, daß sie noch auf meines Gemahls Gütern wäre, die er in Liefland hatte. Herr R** reisete also dahin ab, um sich nach ihr zu erkundigen. Er war kaum weg, so brachte mir der Reitknecht die Nachricht, daß er Carolinen in der Kirche des Dorfes, in welchem ich mich insgeheim aufhielt, gesehen, aber nicht gesprochen hätte. Ich schickte ihn fort, und binnen wenig Stunden sah ich sie zu meinem größten Vergnügen bey mir. Sie hatte binnen den acht Jahren, da ich sie nicht gesehen, etwas von ihren äußerlichen Reizungen, doch nichts von ihrer Annehmlichkeit im Umgange verlohren. Ich erzählte ihr mein Schicksal, und fragte sie, ob sie mit mir nach Amsterdam gehen wollte. Sie vergoß tausend Thränen über mein Unglück, und über die Liebe, die ich noch gegen sie hatte. Sie verfahren, sprach sie, gar zu liebreich mit mir. Sie bezeigen mir die stärkste Gewogenheit und hätten doch vielleicht Ursache mich zu hassen. Ich halte es für mein größtes Unglück, daß ich ihnen nicht folgen kann; allein ich bin seit einem Jahre, denn so lange ist es, daß ich mich von ihres Gemahls Gütern an diesen Ort begeben habe, sehr krank gewesen, und sie werden mir es leicht ansehen, daß es mir unmöglich ist, eine so weite Reise mit ihnen zu thun. Indessen schwöre ich ihnen zu, daß mich, wofern ich wieder gesund werde, nichts in der Welt abhalten soll, ihnen nachzufolgen. Und damit ich sie von der Gewißheit meines Versprechens desto stärker überführe: so will ich ihnen meinen Sohn mit geben, wenn er ihnen nicht zur Last wird. Er ist bey mir. Ich habe mir für das Geld, das der Herr Vater ihres Gemahls zu meiner und meines Kindes Erhaltung ausgesetzet hat, ein kleines Landgut hier in diesem Dorfe gekauft, und ich biete es ihnen nicht allein zu ihrem Aufenthalte, sondern mit dem größten Vergnügen zu ihrem Eigenthume an. Wollte Gott sie blieben unerkannt bey mir, wie ruhig wollten wir nicht leben! Das Verlangen, ihnen zu dienen, sollte mich wieder gesund und munter machen.

Ich wagte es, mich auf ihren kleinen Rittersitz zu begeben. Ich traf keinen Reichthum, keinen Ueberfluß da an; aber Ordnung und Beqvemlichkeit, die von dem guten Geschmacke der Besitzerinn zeugten. Ich fand eine Menge schöner Bücher in ihrer besten Stube. Und sie war so bescheiden, daß sie sagte, sie gehörten ihrem Sohne, da ich doch leicht merken konnte, daß sie ihr selber zugehörten. Es waren fast alle die Französischen und Schwedischen Bücher, welche mein Gemahl hochzuhalten pflegte, und ich konnte leicht errathen, wem sie diesen guten Geschmack zu danken hatte. Unter ihrem Spiegel hieng das Bildniß meines Gemahls. So bald sie merkte, daß mirs in die Augen fiel: so überreichte sie mirs zum Geschenke, und gestund mir, daß sie es selber gemahlet hätte; denn sie konnte vortrefflich in Miniatür malen. Ich hielt es für eine Grausamkeit, sie um dieses Andenken zu bringen. Darum bat ich sie, das Bild noch einmal zu malen, und dieses so lange zu behalten.

Ihr Sohn war noch nicht völlig dreyzehn Jahr alt. Er war ein sehr artiger und lebhafter Knabe. Sie hatte ihn schon in seinen zartesten Jahren einem geschickten Manne zur Aufsicht anvertraut, und ihn itzt nur auf etliche Wochen zu sich kommen lassen, weil sie wegen der anhaltenden Krankheit ihr Ende vermuthet. Sie gestund mir zu gleicher Zeit, daß sie von meinem verstorbenen Gemahle auch eine Tochter gehabt hätte. Sie wäre mit ihr in Holland darnieder gekommen, und hätte sie bey ihrem Bruder, einem Kaufmanne im Haag, theils auf sein Bitten, theils aus andern Ursachen zurück gelassen; dieses Kind aber wäre in seinem sechsten Jahre gestorben, wie ihr ihr Bruder geschrieben hätte. Ich wollte wünschen, fuhr sie fort, daß sie ihren Aufenthalt in Holland bey meinem Bruder nehmen könnten. Doch, so viel ich weis, ist er nicht mehr in den besten Umständen. Ich habe lange keine Nachricht von ihm, und weis nicht, ob er sich von seinem starken Bankerotte wieder erholet hat, oder nicht?

Der Herr R** kam unterdessen von seiner vergebenen Reise wieder. Es war Zeit, daß wir uns von einem Orte weg machten, wo wir länger nicht wohl verborgen bleiben konnten. Ehe wir noch fortgiengen, so starb der Bediente des Herrn R**, dessen Verlust uns nicht wenig daurete. Dieser redliche Mensch gab seinem Herrn vor seinem Tode vier hundert Stück Ducaten. Dieses Geld, sagte er, habe ich in ihrem Dienste und durch ihre Freygebigkeit gesammlet, und ich bin froh, daß ich es ihnen wieder geben kann. Ihrer Güte, ihrem Unterrichte und ihrem Exempel habe ichs zu danken, daß ich itzt gelassen und freudig sterben kann. Wenn sie nur wieder einen Menschen hätten, auf den sie sich verlassen könnten. So gewiß ists, daß man auch den niedrigsten Menschen edelmüthig machen kann, wenn man ihn nicht bloß als seinen Bedienten und Sclaven, sondern als ein Geschöpf ansieht, das unserer Aufsicht anvertraut, und zu einem allgemeinen Zwecke nebst uns gebohren ist.

Wir verließen nunmehr Carolinen, in Begleitung ihres Sohnes. Sie versprach, so bald es möglich wäre, uns zu folgen, und ihr Landgütchen zu verkaufen. Wir kamen glücklich in Amsterdam an. Der Vetter des Herrn R**, bey dem wir uns aufhalten wollten, war zwar gestorben, doch lebte seine Tochter noch. Sie kannte den Herrn R**, so bald sie ihn sah; denn er war, wie ich schon gesagt habe, mit meinem Gemahl ehedem durch Holland gereiset. Sie nahm uns sehr gütig auf, und ihr Ehemann war ebenfalls ein vernünftiger und dienstfertiger Mann. Ich entdeckte mich ihnen, und bat, daß sie meinen Stand nicht allein verschwiegen halten, sondern ihn auch vergessen, und mich nicht mehr als eine Gräfinn, sondern als eine unglückliche Freundinn betrachten möchten. Sie hatten von dem Schicksale meines Gemahls schon durch die Zeitungen gehöret. Und wenn ich auch keine Eigenschaften gehabt hätte, mich bey diesen Leuten in Gewogenheit und Ansehen zu setzen: so war doch mein Unglück schon die beste Empfehlung. Ja ich erfuhr, daß ein grosses Unglück in den Gemüthern vieler Menschen fast eben die Wirkungen hervor bringt, welche sonst ein grosses Glück zu verursachen pflegt. Man schätzt uns hoch, weil wir viel erlitten oder viel verlohren haben, und man macht unsern Unfall zu unserm Verdienste, so wie man oft unser Glück, ob wir gleich nichts dazu beygetragen haben, als unsre Vollkommenheit ansieht. Mit einem Worte, diese Leute erwiesen mir, ehe ich sie noch kannte, mehr Hochachtung und Gefälligkeit, als ich fordern konnte. Sie gaben mir einen ganzen Theil von ihrem Hause zu meiner Wohnung ein; ich nahm aber nicht mehr, als ein Paar Zimmer. Und damit ich diesen gutthätigen Leuten nicht zur Last werden möchte: so entdeckte ich dem Herrn R**, daß ich willens wäre, meine Juwelen zu Gelde zu machen, und das Geld in die Handlung seiner Frau Muhme zu legen. Er sagte, daß er es mit seinen vier hundert Ducaten, die ihm sein Bedienter gegeben, schon also gemacht hätte. Mein dienstwilliger Wirth verhandelte meine Juwelen für zwölf tausend Thaler, und sagte, daß er mir keine Interessen, sondern den ordentlichen Gewinnst davon abgeben wollte, der bey der Rechnung in seinem Handel auf dieses Capital fallen würde. Ich bat ihn, daß er mir keine Rechnung ablegen, sondern mich und meine beyden Reisegefährten, an statt der Interessen, erhalten sollte. Ich lebte hier so ruhig, daß ich mir keinen andern Ort wünschte. Herr R** hatte den Sohn von Carolinen bey sich. Weil er kein Amt hatte: so gab er sich selber eins, und zog diesen jungen Menschen mit so vieler Sorgfalt auf, als ein Mann thun kann, der in dem Bewustseyn edler Absichten und nützlicher Thaten seine Belohnung sucht. Und wie sehr würden nicht die Grossen viele niedrige und unberühmte Männer beneiden, wenn sie die Belohnung kennten, welche solchen Leuten das Gedächtniß ihrer rühmlichen Absichten und guten Thaten zu schenken pflegt. Er unterrichtete den jungen Menschen in den Sprachen und Künsten, und brachte ihm die edelsten Meynungen von der Religion und der Tugend bey. Was sein Unterricht nicht that, das richtete sein Exempel aus. Der Schüler ward seinem Lehrer ähnlich, und belohnte dessen Mühe durch einen fähigen Verstand und durch ein gutes Herz. Ich brachte meine Zeit meistens mit Studiren zu, wenn anders ein Frauenzimmer ohne Eitelkeit dieses von sich sagen kann. Ich redte des Tages gemeiniglich eine Stunde mit unserm jungen Schüler, und suchte ihm das Wohlanständige beyzubringen, das junge Mannspersonen oft am ersten von einem Frauenzimmer lernen können. Ich suchte sein flüchtiges und feuriges Wesen der Jugend durch meine Ernsthaftigkeit zu mäßigen. Ich that stets fremd gegen ihn, und stellte verschiedene Personen vor, damit er meinen Umgang nicht zu gewohnt werden, und in meiner Gesellschaft immer etwas neues finden sollte. Mit der Tochter meiner Wirthinn, welche ein Mädchen von etwan acht Jahren war, vertrieb ich mir manche Stunde. Ich lehrte sie französisch, zeichnen, sticken, und auch singen. Kurz, ich führte eine sehr ruhige Lebensart. Mein Wirth und seine Frau beqvemten sich nach meinem Geschmacke, und lernten mir die Vergnügungen ab, mit welchen sie mich unterhalten wollten. Sie brachten mich niemals in große Gesellschaften. Sie störten mich nicht in meiner Einsamkeit, als bis ich gestört seyn wollte. Ich durfte weder befehlen, noch bitten, wenn ich ein Vergnügen haben wollte. Ich durfte nur wählen. Man hielt mich in unserm Hause für eine Anverwandtinn der Wirthinn. Und wer sonst mit mir umgieng, wußte es auch nicht besser. Mein verschwiegener Stand nöthigte mich also nicht den glänzenden und sehr beschwerlichen Charackter einer Standsperson in Gesellschaften zu behaupten, und dieses zu meinem großen Vortheile. Hätte man gewußt, daß ich eine Gräfinn wäre; so würde man, an Statt mich zu bewundern, nur mein gutes für einen nothwendigen Antheil meines Standes angesehen haben. Oder wenn es hoch gekommen wäre; so würde man mich nur verehret haben, da man mich gegentheils itzt zugleich verehrte und liebte, und meinen Umgang suchte.