BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Fürchtegott Gellert

1715 - 1769

 

 

Das Leben der Schwedischen

Gräfinn von G***

 

1. Teil (4)

 

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Vier Jahre hatte ich nunmehr in Amsterdam zugebracht, und zu verschiedenen malen an Carolinen geschrieben, und sie an ihr Versprechen, zu mir zu kommen, erinnert; allein sie blieb aus.

Ihr Sohn sollte sich nunmehr eine Lebensart erwählen, welche er wollte. Er bezeigte Lust zu dem Soldatenstande, und der Herr R** war so wenig dawider, daß er seine Wahl vielmehr billigte. Gesittete und geschickte Leute, sagte er, sind nirgends nöthiger und nützlicher, als wo es viele Ungesittete giebt. Werden sie ein Soldat, und zeigen sie, daß man unerschrocken, tapfer, strenge, und doch auch weise, vorsichtig und liebreich seyn kann. So lange sie die Religion und ein gutes Gewissen haben werden: so lange werden sie den Tod zwar nicht gleichgültig ansehen; aber doch ohne Entsetzen erwarten, und nie aus Zagheit vermeiden. Dieses ist die wahre Tapferkeit. Wir kauften ihm eine Fähndrichsstelle; und er gieng zu seinem Regimente ab, welches nachmals an die Grenze von Holland zu stehen kam.

Nunmehr kömmt eine von den wundersamsten Begebenheiten meines Lebens, welche mir von Leuten, die den Stand lieben, und die Menschen nicht nach ihren Neigungen und Eigenschaften, sondern stets nach der Geburt und nach dem Range unter einander vergleichen, schwerlich wird vergeben werden. Ich war noch in meinen besten Jahren, und die Annehmlichkeiten in meiner Bildung waren noch nicht verlohren gegangen, oder höchstens zum Theile nur so verloschen, wie die kleinen Züge in einem Gemälde, die man nicht sehr vermißt. Es fanden sich verschiedene Holländer von Ansehen und grossem Vermögen, die mich zur Frau begehrten. Allein ihr Suchen war umsonst. Wer einen so liebenswürdigen und vortrefflichen Gemahl, als ich, gehabt, konnte in der Liebe leicht etwas eigensinnig seyn. Ob nun gleich keiner von meinen Freyern seine Absicht erreichte: so weckten sie doch die Erinnerung von der Süßigkeit der Liebe bey mir wieder auf. Du willst, dachte ich, um dieser Herren los zu werden, dich selbst zu einer Wahl entschließen. Diese Ursache zu einer Ehe ist etwas weit hergeholet. Indessen war es gewiß, daß ich sie bey mir selber vorwand, weil es mein Herz haben wollte. Der Herr R** kam an einem Nachmittage zu mir auf meine Stube und fragte mich, ob ich mich bald der Ehe zum Besten entschlossen hätte. Rathen sie mir denn, sprach ich, daß ich wieder heyrathen soll? Nicht ehe, versetzte er, als bis ich sehe, daß es ihnen ihr eigen Herz gerathen hat. Sie kennen meine Aufrichtigkeit, und sie wissen, daß ich nichts für ein Glück halte, was man nicht verlangt und freywillig wählt. Unter der großen Anzahl Männer, die sich um ihr Herz bemühen, gefällt mir keiner besser, als der Herr von der H**; Nicht deswegen, weil er sehr gelehrt ist; sondern weil er außer seinen Wissenschaften und seiner wichtigen Bedienung sehr viele Vortheile hat, die ihm Liebe erwerben, und ihn zur Liebe geschickt machen. Ich habe gewiß Recht, daß er ein liebenswürdiger Mann ist; allein diesem Urtheile dürfen sie darum nicht trauen. Ich betrachte den Mann zwar nach einerley Begriffen mit ihnen, allein nicht nach einerley Empfindungen. Ich liebe ihn als einen Freund, und als ein Freund kann er ihnen angenehm und liebenswerth vorkommen, aber darum noch nicht als ein Ehemann. Unser Herz ist oft so beschaffen, daß es die Liebe gegen eine ihm angenehme Person zurück hält, so bald es auf das genaueste mit ihr verbunden werden soll. Vielleicht, fuhr er fort, gefällt ihnen einer von den andern Herren besser zur Liebe, ob ihnen dieser gleich zu einem guten Freunde genug gefällt.

Ich versicherte ihn, daß ich mich seines Raths bedienen würde, so bald ich meine eigene Neigung zu Rathe gezogen hätte. Warum, fuhr ich fort, heirathen sie denn nicht? O, sagte er, ich würde es gewiß gethan haben, wenn meine Umstände und die Liebe mir zur Ehe gerathen hätten. Die Liebe und meine Philosophie sind einander gar nicht zuwider. Eine recht zufriedene Ehe bleibt nach allen Aussprüchen der Vernunft die größte Glückseligkeit des gesellschaftlichen Lebens. Zeigen sie mir nur eine Person, die mir anständig ist, und die ihnen die Versicherung giebt, daß sie mich zu besitzen wünscht: so werde ich sie, so bald ich sie kenne, mit der größten Zufriedenheit zu meiner Gattinn wählen. Wir haben alle eine Pflicht, uns das Leben so vergnügt und anmuthig zu machen, als es möglich ist. Und wenn es wahrscheinlich ist, daß es durch die Liebe geschehen kann: so sind wir auch zur Liebe und Ehe verbunden. Allein, versetzte ich, sie haben ja, so lange ich sie kenne, gegen unser Geschlecht sehr gleichgültig zu seyn geschienen; wie kömmt es denn, daß sie der Liebe itzt das Wort reden? Ich bitte, sprach er, vermengen sie die Bescheidenheit nicht mit der Gleichgültigkeit. Ich weis, daß man dem andern mit seiner Liebe oft so beschwerlich fallen kann, als mit seinem Hasse. Und aus diesem Grunde bin ich stets behutsam, aber darum nicht gleichgültig gegen das Frauenzimmer. Ich weis eine Person, hub ich an, die sie liebt, und ich glaube nicht, daß sie ihnen misfallen wird. Allein deswegen weis ich auch noch nicht, ob es eben diejenige ist, mit der sie das genaueste Band der Liebe schliessen wollen. Er ward bestürzt, und fragte mich wohl zehnmal, wer sie wäre. Ich hielt ihn lange auf, und endlich versprach ich ihm, daß er sie Nachmittage zu sehen bekommen sollte. Nachmittage schickte ich ihm mein Portrait, und schrieb ein Billet ungefehr dieses Innhalts an ihn:

So hat die Person in ihrer Jugend ausgesehn, die sie liebt. Erst hat sie nur Freundschaft und Erkenntlichkeit gegen sie empfunden. Die Zeit und ihr Werth hat diese Regungen in Liebe verwandelt. Der liebste Freund meines Gemahls hat das erste Recht auf mein Herz. Sie sind so großmüthig und tugendhaft mit mir umgegangen, daß ich Sie lieben muß. Antworten Sie mir schriftlich. Entschuldigen Sie sich nicht mit ihrem Stande. Sie haben die Verdienste; was geht die Vernünftigen die Ungleichheit des Standes an? Um die Unvernünftigen dürfen wir uns nicht bekümmern, weil hier niemand von meinem Stande weis.

Er kam den Augenblick zu mir. Und eben der Mann, der so wohl bey meines Gemahls Lebzeiten, als nach seinem Tode nie so gethan hatte, als ob er mir eine Liebkosung erweisen wollte, wußte mir itzt seine Zärtlichkeit mit einer so anständigen und einnehmenden Art zu bezeigen, daß ich ihn würde zu lieben angefangen haben, wenn ich ihn noch nicht geliebt hätte. Nunmehr, sagte er, haben sie mir das Recht gegeben, ihnen mein Herz sehen zu lassen. Und nunmehr kann ich ihnen ohne Fehler das gestehen, was mich die Ehrerbietung sonst hat verschweigen heissen. Ich habe an das Glück, das sie mir itzt anbieten, wie der Himmel weis, kaum gedacht. Und wenn ich auch daran gedacht hätte: so würde mich meine wenige Eigenliebe niemals diesen Gedanken haben fortsetzen lassen. Es fehlt zu meiner Zufriedenheit nichts, als daß sie mich überzeugen, daß ich ihrer werth bin: so will ich mich für den glücklichsten Menschen schätzen. Kurz, wir giengen zu unserer Wirthinn, wir sagten ihr unsern Entschluß, und sie war nebst ihrem Manne über diese unvermuthete Nachricht ausnehmend erfreut. Unsere kleinen Capitale hatten sich binnen sechs Jahren in der Handlung fast um noch einmal so viel vermehret, und wir hätten beyde sehr gemächlich davon leben können. Allein unser freundschaftlicher Wirth wollte uns nicht aus seinem Hause lassen. Er behielt unser Geld, und erwies uns, wie zuvor, alle mögliche Gefälligkeiten. Also war Herr R** mein Gemahl, oder wenn ich nicht mehr standesmäßig reden soll, mein lieber Mann. Ich liebte ihn, wie ich aufrichtig versichern kann, ganz ausnehmend, und so zärtlich, als meinen ersten Gemahl. An Gemüthsgaben war er ihm gleich, wo er ihn nicht noch in gewissen Stücken übertraf. Aber an dem äußerlichen kam er ihm nicht bey. Er war wohl gewachsen; allein er hatte gar nicht das Einnehmende an sich, das gleich auf das erstemal rührt. Nein, man mußte ihn etliche mal gesehen, man mußte ihn gesprochen haben, wenn man ihm recht gewogen seyn wollte. Ich will deswegen nicht behaupten, daß er sich für alle Frauenzimmer geschickt haben würde. Genug, er gefiel mir, und ich fand jeden Tag in seinem Umgange eine neue Ursache, ihn zu lieben. Er war nahe an vierzig Jahre, und er hatte seit der Zeit, daß ich ihn bey meinem Gemahle kennen lernen, sich gar nicht von Person geändert. Seine ordentliche und stille Lebensart erhielten ihn so gesund, als ob er erst zu leben anfieng. Wer war glücklicher, als wir! Unser Glück fiel niemanden in die Augen, und desto ruhiger konnten wir es genießen. Wir lebten ohne zu befehlen, und ohne zu gehorchen. Wir durften niemanden von unsern Handlungen Rechenschaft geben, als uns selbst. Wir hatten mehr, als wir begehrten, und also genug, andern wohl zu thun. Wir hatten eine Gesellschaft, die sich zu unsern Neigungen schickte. Wir lebten an dem volkreichsten Orte in der größten Stille. Dieses war unser Verlangen. Wir konnten uns beyde mit dem edelsten Zeitvertreibe, mit Lesen und Denken unterhalten. Wir studirten, ohne daß uns deswegen jemand bewundern sollte. Wir studirten zu unserer eigenen Ruhe. Und daß ich alles mit einmal sage, wir wußten in unserer Ehe von keinem andern Wechsel, als von Gefälligkeiten und Gegengefälligkeiten. Viele können es nicht vertragen, wenn sie die Liebe verehlichter Personen so zärtlich abgeschildert sehen, als die Liebe zwischen unverehlichten, weil man sieht, daß die meisten Ehen die Liebe eher auslöschen, als vermehren. Doch solche Leute wissen nicht, was Klugheit und Behutsamkeit in der Ehe für Wunder thun können. Sie erhalten die Liebe und befördern ihren Fortgang, wie das Herz durch seine Bewegung den Umlauf des Geblüts. Es ist wahr, eine beständige und sich stets gleiche Zärtlichkeit ist in der Ehe nicht möglich. Doch wenn nur auf beyden Seiten eine gegründete Liebe vorhanden ist: so kann sie bis in die spätesten Jahre feurig und lebhaft bleiben. Unsere Empfindungen können wohl etwas abnehmen, allein diese Abnahme heißt wenig. Derjenige hat allemal genug Vergnügen, so lange er so viel hat, als das Maaß seiner Empfindungen verlangt. Genug, wir sind nach vielen Jahren noch so verliebt in einander gewesen, als wenn wir uns erst zu lieben angefangen hätten. Man denke ja nicht, weil wir die Wissenschaften liebten, daß wir an uns nur unsere Seelen geliebt hätten. Ich habe bey allen meinen Büchern über die metaphysische Geisterliebe nur lachen müssen. Der Körper gehört so gut, als die Seele, zu unserer Natur. Und wer uns beredet, daß er nichts als die Vollkommenheiten des Geistes an einer Person liebt, der redet entweder wider sein Gewissen, oder er weis gar nicht, was er redet. Die sinnliche Liebe, die bloß auf den Körper geht, ist eine Beschäftigung kleiner und unfruchtbarer Seelen. Und die geistige Liebe, die sich nur mit den Eigenschaften der Seele gattet, ist ein Hirngespinste hochmüthiger Schulweisen, die sich schämen, daß ihnen der Himmel einen Körper gegeben hat, den sie doch, wenn es von den Reden zur That käme, um zehen Seelen nicht würden fahren lassen.

Ich komme wieder zu meiner Geschichte. Wir lebten, wie ich gesagt habe, so vergnügt, als man nur leben kann. Wir meldeten Carlsonen, so hieß Carolinens Sohn, der Fähndrich, unsere Heirath, und baten ihn, daß er uns besuchen sollte, wenn es möglich wäre; denn wir hatten ihn nun wohl in vier Jahren nicht gesehen. Er schrieb uns, daß er Lieutenant worden wäre, daß es ihm sehr wohl gienge, und daß er sich vor wenig Wochen mit einem Frauenzimmer, die ihm zu gefallen das Kloster heimlich verlassen, verheyrathet hätte. Von ihrem Stande könnte er uns nichts sagen, weil sie in dem sechsten Jahre in das Kloster gekommen, und darinnen bloß unter dem Namen Mariane bekannt gewesen wäre. Sie möchte indessen von dem niedrigsten Herkommen seyn; so wäre sie doch so liebenswürdig, daß er sich nur einen hohen Stand wünschen wollte, um seine Geliebte darein setzen zu können. Denn Carlson wußte nichts weiter von seiner Geburt, als daß sein Vater ein Aufseher auf den Gütern meines ersten Gemahls gewesen und ihm jung gestorben wäre. Er bat uns unbeschreiblich, daß wir nach dem Haag kommen sollten, von welchem Orte er itzt nur etliche Meilen weit in dem Quartiere stünde. Diese Nachricht erschreckte uns fast mehr, als sie uns erfreuete. Wir vermutheten bey dieser Ehe zwar genug Liebe, aber nicht genug Ueberlegung. Indessen schickten wir ihm etliche hundert Ducaten, daß er seine Umstände desto bequemer einrichten könnte. Wir versprachen auch, ihn so bald zu besuchen, als es die Jahrszeit und meine Umstände erlauben würden; denn ich war mit einer Tochter darnieder gekommen. Wir reiseten den folgenden Frühling nach dem Haag ab. Wir fanden an unserm Carlson und seiner Frau ein Paar Eheleute, die einander werth waren. Mariane war ein ganz außerordentlich schönes Frauenzimmer. Sie war blond, und hatte ein paar große blaue und schmachtende Augen, die sich zu schämen schienen, daß sie die Verräther von einem sehr zärtlichen Herzen seyn sollten. Und wenn auch die übrigen Theile ihres Gesichts nicht so ausnehmend wohlgestalt und recht abgemessen gewesen wären: so hätte sie doch bloß ihrer Augen wegen den Namen einer Schönheit verdient. Von ihrem Verstande will ich nicht viel sagen. Sie war in dem Kloster erzogen. Ihr unschuldiges und aufrichtiges Herz hätte auch den Mangel des Witzes tausendmal ersetzt, wenn sie gleich weniger Einsicht gehabt hätte, als sie in der That hatte. Es hieng ihr noch etwas Schüchternes aus dem Kloster an; allein selbst diese Schüchternheit schickte sich so wohl zu ihrer Unschuld, daß man sie ungern würde vermißt haben. Ja, ich sage noch mehr, man liebte so gar an ihr die Schüchternheit; so wie oft ein Fehler unter gewissen Umständen zu einer Schönheit werden kann.

Ich suche die Worte vergebens, mit denen ich ihre Zärtlichkeit gegen ihren Mann beschreiben will. Man stelle sich einen sehr einnehmenden, feurigen und blühenden Mann, (denn dieses war Carlson) und dann ein von Natur zärtliches Frauenzimmer vor, die von Jugend auf eine Nonne gewesen war, und bey der die süssen Empfindungen nur desto mächtiger geworden waren, weil sie an der strengen Lebensart und an den Regeln einer hohen Keuschheit einen beständigen Widerstand gefunden hatten: so wird man die innbrünstige und schmachtende Liebe dieser jungen Frau einigermaaßen denken können. Ich war so wohl mit unsers Carlsons Wahl zufrieden, als mein Mann, und wir vergnügten uns an der Zufriedenheit dieses Paars so sehr, daß wir nicht wieder von ihm kommen konnten. Wir ließen Geld aus Amsterdam kommen, und blieben ein ganzes Jahr, und länger bey diesen zärtlichen Eheleuten. Nichts fehlte uns, als Carlsons redliche Mutter. Wir hatten Briefe von ihr, daß es sich mit ihrer Gesundheit gebessert hätte, und daß sie im Stande wäre, bald zu uns zu kommen. Wir schickten auch den Reitknecht, der mir ehemals die Post von meines Gemahls Tode gebracht hatte, fort, daß er sie abholen und zu uns bringen sollte. Er hatte sie bereits unterwegs angetroffen, und sie war bey uns, ehe wir es vermutheten. Sie hatte sich recht verjüngt, und sie ward durch die Freude über ihres Sohnes Glück und mein Vergnügen alle Tage belebter und munterer. Indessen versicherte uns diese rechtschaffene Frau, daß ihr Vergnügen gar zu groß sey, als daß es lange Bestand haben könnte. Mariane kam mit einer Tochter darnieder. Auch dieses diente uns zu einer neuen Freude. Doch ie mehr wir Ursache hatten, mit Marianen zufrieden zu seyn, desto begieriger wurden wir, etwas gewisses von ihrer Herkunft zu erfahren. Gleichwohl war alle unsere angewandte Mühe vergebens, uns dieses Geheimniß zu entdecken. Mariane hatte ihrem Manne zu Liebe das Kloster heimlich verlassen, und wir mußten bey unserer Nachforschung sehr behutsam gehen, damit wir sie nicht in die Gefahr setzten, entdeckt zu werden. Im Kloster fertigte man diejenigen, die wir insgeheim nachfragen ließen, mit der Antwort ab, daß ihnen Marianens Stand und Geburt unbekannt wäre, daß sie in ihrem sechsten Jahre von einem gemeinen Manne in das Kloster gebracht worden, der ein gewisses Geld zu ihrer Erziehung da gelassen, und nichts gesagt hätte, als daß sie die Tochter eines unglücklichen Holländers wäre, der sie nicht in der reformirten Religion erziehen lassen wollte. Vielleicht könnte er der Aebtissinn mehr vertraut haben, diese aber wäre todt. Kurz, wir erfuhren nichts, und es konnte seyn, daß man in dem Kloster selbst nichts gewisses von Marianens Herkunft wußte. Denn wie viele Kinder werden nicht unter einem fremden Namen in die Klöster gebracht, und durch unbekannte Hände erhalten.

Endlich mußten wir uns doch entschließen, wieder nach Amsterdam zurück zu gehen. Unsere Umstände forderten diese Trennung. Caroline begleitete uns nach dem Haag. Sie erkundigte sich hier, ob sie nicht iemanden antreffen könnte, der ihr von ihrem Bruder, Andreas, Nachricht geben könnte. Allein sie erfuhr nichts weiter, als was wir schon wußten, nämlich, daß er nach seiner Frauen Tode unglücklich in seiner Handlung geworden, und weil er sein Vermögen eingebüßet hätte, mit einem Schiffe nach Ostindien gegangen wäre, sein Glück von neuem zu versuchen. Wir blieben noch etliche Tage in dem Haag, und nahmen unsere Reisegelder in Empfang. Und eben da wir fort wollten, so ließ uns der Kaufmann, der sie uns ausgezahlt hatte, sagen, daß in Amsterdam vor etlichen Tagen ein Ostindienfahrer, und auf diesem Schiffe zugleich Herr Andreas, der Kaufmann, nach dem wir ehedem gefragt hätten, zurück gekommen, und heute bey ihm gewesen wäre. Diese Zeitung war zu wichtig, als daß wir unsere Reise hätten fortsetzen sollen, ohne den Herrn Andreas zu sprechen. Aber wollte der Himmel, daß wir ihn in unserm Leben nicht gesehen hätten! Er kam den andern Tag zu uns. Carolinens erste Frage war, warum er ihr denn vor seiner Abreise nach Ostindien nichts ausführliches von dem Tode ihrer Tochter geschrieben hätte? Ist denn Mariane todt? rief er. Was willst du denn mit der Mariane? versetzte seine Schwester. Meine Tochter hieß ja, wie ich, Caroline. Wo ist sie denn? Ist sie nicht todt? Ach wenn doch dieses Gott wollte! Ja doch, sprach Andreas, ich weis es wohl, sie hieß Caroline; aber aus Liebe zu meiner Frau, und weil ich sie an Kindesstatt angenommen hatte, nennte ich sie nach meiner Frau, Mariane. Ich will dir alles erzählen; aber versprich mir, daß du mir auch alles vergeben willst. Meine liebe Frau starb mir, wie ich dir vor zehn Jahren gemeldet habe. Mariane war ebenfalls tödtlich krank, und ich hielt sie schon für verloren. Allein es besserte sich mit ihr. Indessen nöthigte mich mein Bankerott, mein Glück anderwärts zu versuchen. Ich gieng nach Ostindien. Du weist, daß ich der Catholischen Religion zugethan bin. Ich liebte deine Tochter, oder vielmehr meine an Kindesstatt angenommene Mariane recht väterlich. Um sie nun theils in meiner Religion erziehen zu lassen, theils sie wohl zu versorgen: so nahm ich, was ich noch hatte, und that dieses liebe Kind vor meiner Abreise, und ohne iemanden etwas zu sagen, in ein Kloster an der Grenze der Oesterreichischen Niederlande. Ich war eben im Begriffe dahin zu reisen, und zu sehen, ob Mariane noch lebte, als ich hieher gerufen ward. Ich kann nicht länger warten, ich muß wissen, ob sie noch lebt. Komm mit, sprach er zu Carolinen. Wir wollen den Augenblick in das Kloster fahren. In drey Tagen sind wir wieder hier. Und ohne ein Wort weiter zu sprechen, giengen sie beyde fort. Mein Mann und ich hatten kaum das Herz uns anzusehen, geschweige zu reden. Ein heimlicher Schauer lief mir durch alle Glieder. Gott, was soll das werden! fieng endlich mein Mann an. Mariane, das Kloster – und nicht weit von der Grenze. Was sind dieses für entsetzliche Nachrichten! Ach der arme, der unglückliche Carlson! Möchte doch diesesmal unsere Muthmaßung falsch seyn! Wäre doch Andreas wieder da, oder wäre er vielmehr nimmermehr wieder nach Europa gekommen! Seine Gegenwart wird uns ganz gewiß das traurigste Geheimniß offenbaren, das uns ewig hätte verborgen bleiben sollen. Wird nicht Caroline, um ihre Tochter wieder zu finden, sie als Frau aus den Armen ihres eigenen Sohns reissen müssen? Mit diesen grausamen Vorstellungen qvälten wir uns, bis Andreas mit seiner Schwester, der Caroline, wieder zurück kam. Ihr Anblick ließ uns zu unserem Unglücke die Sache auf einmal errathen. Caroline zerfloß fast in Thränen. Sie that untröstlich, und ihr Bruder, als ein harter Mann, ließ zwar äußerlich keine Traurigkeit spüren; allein er saß ganz betäubt. Wir konnten aus beyden lange Zeit kein Wort bringen. Sie hatten mit einem Worte in dem Kloster erfahren, daß eine Nonne, mit Namen Mariane, welche um das und das Jahr, (Tag und Jahr traf beydes ein,) in das Kloster gebracht wäre, vor anderthalb Jahren dasselbe heimlich verlassen, und, so viel man wüßte, sich mit einem jungen von Adel verheyrathet hätte. Was war zu thun? Wir mußten, an Statt nach Amsterdam zu reisen, wieder zurück nach Carlsons Qvartier. Wir sahen alle viere nur mehr als zu gewiß, daß diese Nonne niemand anders, als Carlsons Frau seyn würde. Doch man müßte das menschliche Herz nicht kennen, wenn man glaubte, daß wir zu unserm Troste keine Ausflüchte gewußt hätten. Eine Nachricht, von der uns die Gewißheit erschreckt, und das Gegentheil erfreut, mag noch so wahrscheinlich seyn, als sie will, so sind wir doch sinnreich genug, sie zweifelhaft zu machen. Sollte ich, sagte Caroline, denn mein Kind, mein leiblich Kind nicht kennen? Sollte es denn keine Aehnlichkeit mit mir haben? Gleichwohl hatte sie es verlassen, da es kaum einige Monate alt gewesen war. Ein junger von Adel, fieng mein Mann oft unterwegs an, ein junger von Adel? Wenn hat sich denn Carlson dafür ausgegeben? Er ist viel zu bescheiden, als daß er sich einen Stand andichten sollte, in dem er nicht erzogen worden ist. Nein, nein, sprach ich, das wolle Gott nicht! Hätte er sich auch für einen Edelmann ausgegeben, warum hätte er nicht gesagt, daß er ein Officier wäre? Vielleicht ist in eben dem Jahre noch ein Kind in das Kloster gekommen, das ebenfalls den Namen Mariane gehabt hat. Andreas, der der Philosophie wegen nicht nach Ostindien gereiset war, meynte, es läge schon in der Natur, daß ein Paar so nahe Blutsfreunde einander nicht als Mann und Frau lieben könnten. Ich glaube, daß wir uns alle Augenblicke auf dieser Reise widersprachen, ohne es zu merken. Voll Zittern und Hoffnung kamen wir also bey unserm Carlson wieder an. Wir hatten uns vorgenommen, recht behutsam zu gehn, und die Ursache unserer Zurückkunft weder ihm noch ihr merken zu lassen. Wir wollten sagen, daß wir aus Vergnügen über die Ankunft des Herrn Andreas wieder mit umgekehrt wären. Wenn auch, sprachen wir alle, Mariane die rechte Mariane seyn sollte: so würden diese zärtlichen Eheleute doch beyde in Verzweifelung gerathen, wenn wir ihnen dieses traurige Geheimniß auf einmal entdeckten. Nein, fieng ich an, wir bringen Marianen auf diese Art um das Leben. Ist sie die wahre Caroline: so will ich sie bitten, daß sie mir zu Liebe auf einige Zeit mit nach Amsterdam reisen soll. Ihr Mann wird ihr dieß Vergnügen nicht abschlagen. Ist sie einmal in Amsterdam: so wird es Zeit seyn, ihr das Geheimniß nicht so wohl zu entdecken, als es sie nach und nach entdecken zu lassen. Weis es Mariane: so soll es Carlson auch erfahren. Er muß sie in seinem Leben nicht wieder zu sehn bekommen. Dieses wird der einzige Trost seyn, mit dem wir ihm in seinem mitleidenswürdigen Irrthume beystehen können. Er kennt die Religion, und hört die Vernunft. Die Tochter aus dieser unglücklichen Ehe will ich erziehen lassen, damit Mariane den traurigen Beweis einer so zärtlichen und nunmehr unerlaubten Liebe nicht vor Augen hat. In dieser Berathschlagung langten wir bey Carlson an. Er trat in die Thüre, indem wir ankamen, und lief uns mit Verwunderung entgegen. Wir heiterten unsere Gesichter so gut auf, als es möglich war, und sagten ihm, daß Herr Andreas, Carolinens Bruder, den wir in dem Haag von seiner Wiederkunft aus Indien angetroffen hätten, die Ursache unserer Zurückkunft wäre. Wer war froher, als er! Wir traten in die Stube zu seiner Mariane. Kaum hatte Andreas Marianen erblickt: so fiel er ihr um den Hals, und schrie mit einem entsetzlichen Tone: Ach das Gott erbarme, sie ist es, sie ist es! Ich unglücklicher Mann, ich bin an allem Schuld! Dieses war die Erfüllung von dem Vorsatze, bey der Sache behutsam zu gehen. Caroline lief als verzweifelnd zur Thüre hinaus. Mariane wollte sich von dem Andreas los machen; allein er ließ sie nicht aus seinen Armen. Ich hatte nicht so viel Gewalt über mich, daß ich hingehen, und ihn von ihr los reissen konnte. Carlson blieb auf einer Stelle stehen, und fragte hundertmal, was es wäre. Mein Mann wollte es ihm sagen, und kehrte doch bey iedem Worte wieder ein. Mariane kam endlich auf mich zu. Ich sollte ihr entdecken, was es wäre. Ich fieng an zu reden, ohne zu wissen was. Ich bat sie um Vergebung. Ich versicherte sie meiner ewigen Freundschaft. Ich umarmte sie. Dieses war es alles. Indessen kam ihr Mann, und wollte sie aus meinen Armen nehmen. Nein, nein, schrie ich, Mariane ist nicht ihre Frau, Mariane ist ihre Schwester. In diesem Augenblicke sank Mariane nieder, und ich erwachte darüber, als wie aus einem unruhigen Schlafe. Ich und mein Mann waren am ersten wieder bey uns selbst. Wir brachten Marianen auf ein Bette, und sie erholte sich aus einer Ohnmacht, um in die andre zu fallen. Ihre Leibesbeschaffenheit trug zu dieser Schwachheit vermuthlich viel bey. Sie war schwanger. Wir brachten sie den ganzen Tag nicht wieder zu sich selbst.

Mein Mann war indessen nach Carolinen gegangen, die wir, seit dem sie aus der Stube gelaufen war, nicht wieder gesehn hatten. Wenn ich einen Roman schriebe, so hätte sie Zeit genug gehabt, sich indessen mit einem Dolche, oder mit Gifte, um das Leben zu bringen. Allein die Verzweiflung in den Romanen, und die Verzweiflung im gemeinen Leben, haben nicht allemal einerley Wirkung. Mein Mann hatte sie in dem Gartenhause auf den Knien angetroffen. Ich will gleich auf den andern Tag kommen. Das Gewaltsame unsers Affects hatte sich gelegt, und sich an Statt dessen das Bange der Traurigkeit eingestellt. Thränen und Seufzer, welche die Bestürzung gestern zurück gehalten, hatten nun ihre Freyheit, und wir suchten unsern Trost in Klagen und im Mitleiden. Carlson kam vor das Bette seiner Mariane, und mit ihm Wehmuth, Furcht, Schaam, Reue und gekränkte Zärtlichkeit. Es war erbärmlich anzusehen, wie sich diese beyden Leute gegen einander bezeigten. Die Religion hieß sie die Liebe der Ehe in Schwester- und Bruderliebe verwandeln, und ihr Herz verlangte das Gegentheil. Sie hatten einander unbeschreiblich geliebt. Sie waren noch in dem Frühlinge ihrer Ehe, und sie sollten dieses Band itzt ohne Anstand zerreissen. Sie hatten einander in ihrem Leben nicht gesehen, und also kam ihnen die Vertraulichkeit nicht zu Hülfe, die sonst die Liebe unter Blutsverwandten auszulöschen pflegt. Ihre Natur selbst that den Ausspruch zu ihrem Besten. Wie konnten sie etwas in sich fühlen, das ihre Liebe verdammte, da sie den Zug der Blutsfreundschaft nie gefühlt hatten. Ach, mein Bruder, rief Mariane einmal über das andere aus, verlaßt mich, verlaßt mich! Unglückseliger Gemahl fangt mich an zu hassen. Ich bin eure Schwester. Doch nein! Mein Herz sagt mir nichts davon. Ich bin euer, Ich bin euer. Uns verbindet die Ehe. Gott wird uns nicht trennen. Ihr Gemahl war nicht besser gesinnt. Er hörte die Stimme der Leidenschaften, um den Befehl der Religion nicht zu hören. Er hütete sich genau, sie nicht seine Schwester zu nennen. Er hieß sie seine Mariane. Er war beredt und unerschöpflich in Klagen, die bis in das Herz drungen, weil sie das Herz hervorbrachte. Er fieng zuweilen mitten in seinen Klagen an zu philosophiren, und wie man leicht glauben kann, sehr eigennützig. Er erwies, daß ihre Ehe vor Gott erlaubt wäre, wenn sie auch die Welt verdammte. Und er that doch nichts, als daß er zehnmal nach einander sagte, daß sie öffentlich verbunden wären, und daß nichts als der Tod dieses Bündniß trennen sollte. Er wünschte unzähligemal, in der Sprache des Affects, daß Andreas gestorben seyn möchte, ehe er den Athem zur Entdeckung dieses Geheimnißes hätte schöpfen können. Dieser saß da, als ob er sein Todesurtheil anhören sollte. Ich glaube, daß er gern mit etlichen Jahren von seinem Leben das zerstörte Vergnügen dieser Zärtlichen wieder erkauft hätte. Caroline trat endlich zu Marianen an das Bette, und hieß Carlsonen weggehen. Meine Tochter, fieng sie an, ich habe dich wieder gefunden, um dich aus den Armen deines Bruders zu reissen. Wollte Gott, daß ich dieser betrübten Pflicht zeitlebens hätte überhoben seyn können! Vielleicht ist es die Strafe, daß ich – doch Gott hat es verhänget. Ihr seyd beyde keines Verbrechens schuldig. Eure Unwissenheit rechtfertiget eure Liebe, und die Gewißheit verbeut sie nunmehr. Ich bin eure Mutter, und ich liebe euch, als meine Kinder; aber ich verabscheue euch, wenn ihr das Band der Ehe dem Bande des Blutes vorzieht. Die Anrede war sehr fromm; allein sie war zu heftig, und zu früh angebracht. Sie weckte die Verzweiflung in beyden von neuem auf. Mein Mann erwählte einen gelindern Weg, die zärtlichen Gemüther zu besänftigen. Er bediente sich eines Scheingrundes, der in der Stunde des Affects eben so viel Kraft zu haben pflegt, als die Wahrheit. Er sagte, es wäre eine Gewissenssache, die wir nicht entscheiden könnten. Wir wollen den Ausspruch verständigen Gottesgelehrten überlassen. Er glaubte, daß die Ehe vielleicht noch Statt finden könnte. Dieses war eine Arzney, welche die Wehmuth der beyden Leute verminderte, und zugleich ihrer Liebe Widerstand that. Sie entschlossen sich, sich dem Ausspruche der Geistlichen zu unterwerfen; aber gewiß nicht aus Ueberzeugung, sondern aus Verlangen, desto ruhiger ihre Liebe fortsetzen zu können. Wir machten uns indessen ihre Bereitwilligkeit zu Nutze, und ermunterten Marianen, uns, so bald es ihre Umstände zuließen, nach Amsterdam zu folgen; vielleicht wäre es möglich, daß man von Rom Dispensation erlangen könnte. Ihr Mann sollte sich Urlaub auf ein halb Jahr ausbitten, und wenn er ihn erhielte, uns nachkommen. Alles dieses ließen sich die beyden Leute gefallen. Es strichen einige Tage dahin, und Mariane war in den Umständen, die Reise mit anzutreten. Indem wir uns dazu anschickten, so erhielt Carlson Ordre, sich unverzüglich, und bey Verlust seiner Stelle, zu dem Regimente zu verfügen, weil es marschiren sollte. Diese Nachricht that eine ungleiche Wirkung. Carlson war darüber erfreut, und Mariane ward von neuem niedergeschlagen. Kaum sah sie seine Zufriedenheit über diese Post: so machte sie ihm die grausamsten Vorwürfe. Sie hieß ihn einen Ungetreuen, der ihrer los zu seyn wünschte. Sollte man wohl glauben, daß eine Frau, die da wußte, daß ihr Mann ihr Bruder war, noch auf einen solchen Verdacht fallen könnte? Allein was ist in der Liebe und in dem Traume wohl unmöglich? Wir sahen also leider nur mehr, als zu deutlich, wie heftig Mariane ihren Mann noch liebte, und wie sie in ihrem Herzen nichts weniger beschlossen hatte, als ihn fahren zu lassen. Carlson versicherte sie mit den größten Betheurungen, daß er sie noch unendlich liebte, und daß er über die Nachricht zum Marsche nur deswegen vergnügt wäre, weil er ihn als eine Gelegenheit ansähe, die der Himmel bestimmt hätte, der Sache den Ausschlag zu geben. Vielleicht, sprach er, verliere ich mein Leben, wenn es zu einem Feldzuge kömmt. Und wer ist alsdann glücklicher, als wir? Soll ich den Tod nicht geringer schätzen, als die Qvaal, euch zu sehen, und euch zu lieben? Und wollt ihr nicht lieber mit Gewalt von mir getrennt seyn, als die Pein ausstehen, mich freywillig zu verlassen, und doch diese Freyheit niemals von eurer Liebe zu erhalten? Seyd getrost, liebste Mariane! Komme ich wieder zurück: so ist es ein Zeichen, daß der Himmel unsre Ehe billiget. Verliere ich mein Leben: so ist es ein Beweis, daß ihr einen Mann verloren habt, der nur euer Bruder, und nicht euer Ehemann seyn sollte. Welche glückselige Dienste leistet nicht der Irrthum in gewissen Umständen! Und wie gut ist es nicht oft, daß wir das Vergnügen haben, uns selbst zu betrügen! Genug Carlsons Irrthum war in Ansehung des Erfolgs vortrefflich. Er beruhigte ihn, und endlich auch Marianen. Sie ließen die Sache auf den Himmel ankommen. Und sie versprachen sich von diesem Richter nichts als Gerechtigkeit, das ist, nichts, als was sie wünschten. Sie flehten Gott um Beystand an, nicht anders, als ob ihnen die Menschen unrecht thäten. Kurz, sie waren voll Zuversicht und Vertrauen, die alle Wahrheit nicht würde zuwege gebracht haben. Carlson reisete fort, als ob er in dem Treffen seine Mariane gewinnen sollte, und Mariane that so gesetzt, als ob sie ihn von sich ließe, um ihn auf ewig wieder zu bekommen. So bald er fort war, so folgte sie uns ganz getrost nebst ihrer Tochter und ihrer Mutter nach Amsterdam. Andreas, der sich in Ostindien wieder ein kleines Vermögen erworben hatte, blieb in dem Haag, um von neuem seinen Handel anzufangen, wozu ihm Caroline einen Theil von ihren Geldern gab, die sie aus Deutschland mitgebracht hatte. Wir trafen unsern gütigen Wirth in Amsterdam noch in seinen vorigen Umständen an. Wir gaben Marianen für Carlsons Frau aus, und Caroline war seine Mutter.