BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Fürchtegott Gellert

1715 - 1769

 

 

Das Leben der Schwedischen

Gräfinn von G***

 

2. Teil (3)

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Einige Wochen nach des Juden Abreise, sprach er, ward ich zum Gouverneur geholt. Ich übergab ihm mit vieler Demuth den Riß, den er mir zu machen befohlen hatte. Er war ziemlich wohl damit zufrieden; allein er war doch der Gouverneur und ich sein Gefangner. Kurz, er schämte sich, mir eine Art der Hochachtung äusserlich sehn zu lassen, die er mir vielleicht im Herzen nicht ganz abschlagen konnte. Er fragte mich, ob mir der Jude so und so viel Geld zurückgelassen hätte und ich beantwortete es mit Ja. Darauf befahl er, daß der Gefangene hereintreten sollte; dieses war mein lieber Steeley, den ich fast seit vier Jahren nicht gesehen hatte. Ich vergaß vor Freuden, daß ich vor dem Gouverneur stund, und lief auf Steeleyn mit offnen Armen zu. Er soll euer Gesellschaffter seyn, fieng der Gouverneur an; allein wie lange, das kann ich euch nicht sagen. Ich verstund diese Sprache, und bat, ob er sich nicht wollte gefallen lassen, daß ich tausend Thaler zum Unterhalte meines Freundes erlegen dürfte. Er sagte, daß er sie zum Pfande, daß wir seine Gnade nicht mißbrauchen würden, annehmen wollte. Der Jude, von dem ich die Anweisung bey mir hatte, ward gefodert, und bezahlte die tausend Thaler. Er erhielt zugleich die Erlaubniß, mich an Statt des abgereisten Juden zu besuchen und mich mit dem Nothwendigen zu versehen. Nunmehr durfte ich an der Hand meines Steeleys, der noch wie in einem Traume war, und nichts als etliche abgebrochne Worte zu mir gesprochen hatte, nach meinem Behältnisse eilen. Unsere erste Beschäftigung, als wir allein waren, bestund darinn, daß wir einander eine lange Zeit ansahn, ohne ein Wort zu sprechen. Alsdann suchte ich ihm Wäsche und eine Kleidung, womit mich der Jude noch vor der Abreise versorget hatte; allein er war nicht vermögend vor trunckner Freude sich allein anzukleiden, ich mußte ihm helfen. Er sah die Sachen, die ich ihm gab, recht mit Erstaunen an, als ob er ihren Gebrauch vergessen hätte. Da er endlich umgekleidet war: so betrachtete er sich mit unersättlichen Augen und weinte. Ich hatte ihn schon oft gefragt, wie es ihm gegangen wäre; und er hatte mir nichts geantwortet, als: wie es mir gegangen ist, mein lieber Graf, wie es mir gegangen ist? Ja, ich würde ihm, ungeachtet meiner Neugierigkeit doch nicht haben zuhören können, wenn er mir auch meine Fragen beantwortet hätte, so bestürmt war ich von den Trieben der Freundschaft und der Freude. Ich reichte ihm ein halbes Glas Wein, denn mehr hatte ich nicht, und erinnerte ihn, wie er mich einmal in Moskau damit tractiret hatte. Wir wurden nach und nach unser mächtig. Wir hatten einander so viel zu erzählen, daß wir nicht wußten, wo wir anfangen sollten. Unter diesen Unterredungen verstrichen ganze Tage und Nächte und eben so viele unter den Wiederholungen unserer Begebenheiten. Steeley hatte in seinem Elende weit mehr erlitten, als ich. Ohne Mitleiden, ohne Freund war er die ganze Zeit ein Sclave, und was noch mehr ist, ein Gefährte des boshaften Mitgefangnen, des Knees Eskin, gewesen. Dieses Ungeheuer hatte ihm seine Hütte des Abends zur Hölle gemacht, wenn er den Tag über die Last der Sclaverey überstanden. Von tausend niederträchtigen Streichen, vor welchen die Natur erschrickt, will ich nur einen erzählen. Steeley war krank worden und hatte sich etliche Tage nicht von seinem Lager aufrichten können. Er hatte sich also genöthigt gesehn, da Eskin des Abends aus den Wäldern zurück gekommen, ihn zu ersuchen, daß er ihm das Gefäß mit Wasser reichen möchte, weil ihm sehr durstete. Also durstet euch recht sehr? spricht Eskin. Das ist mir lieb. Es hat mich vielmal auch gedurstet, und ihr seyd gegen einen Fürsten doch nur ein Nichtswürdiger. Darauf nimmt er das Trinkgeschirr und trinkt, und alsdann wirft ers Steeleyn vor die Füsse und lacht: da so viel gehört euch! Braucht man wohl mehr zur Verzweiflung, als so einen Unmenschen um sich zu haben? Nach einer Zeit von einem Jahre, und nach unzähligen Beleidigungen, wird dem Eskin, der sich gegen einen von seinen Aufsehern in der Raserey vergangen, so übel mit gefahren, daß man ihn halb todt in sein Behältnis schleppen muß. Man entzieht ihm zween Tage das Brodt; aber Steeley ist so großmüthig und theilet das seinige mit ihm. Er reicht ihm, so oft er kann das Trinken. Er wäscht ihm so gar die Wunden aus; und damals hat ihm der Russe die Hand gedrückt und zu ihm gesagt: vergebt mirs, daß ich nicht eben so an euch gehandelt, als ihr an mir thut. Er hat ihm nach diesem weniger Verdruß angethan. Sein ganzes Glück, das ihm in seiner Abwesenheit von mir begegnet ist, besteht in einer kleinen Freundschaft, die ihm ein Cosakisches Mädchen in dem letzten Jahre vor seiner Zurückkunft nach Tobolskoy erwiesen. Sie beweist, daß es auch unter dem wildesten Volke noch edle und empfindliche Herzen giebt. Steeley war eines Tages auf seinem Reviere um Pohem so glücklich gewesen, die gesetzte Zahl seiner Zobel bald zu fangen. Auf dem Rückwege nach der Stadt hatte er sich, um auszuruhen bey einer Quelle niedergeworfen. Darauf kömmt ein wohlgebildetes Mädchen zu ihm und sieht ihn lange starr an. Endlich setzt sie sich nieder und trinkt mit der holen Hand aus der Quelle. Armer Fremdling, fängt sie an, wollt ihr nicht auch trinken? Steeley sagt, daß ers schon gethan hätte. Aber, spricht sie, wollt ihr denn nicht einen Trunk Wasser aus meiner Hand annehmen? Thut es doch, ihr dauert mich, so oft ich euch gehn sehe, und ich bin nicht hieher gekommen, um zu trinken, sondern um euch dieses zu sagen. Steeley erschrickt, und weis selbst nicht, was er sagen soll. Ach, fährt sie fort, ihr wollt mir nicht antworten? Nun dauert michs, daß ich euerntwegen hieher gegangen bin. Wartet nur, ich will nicht wieder kommen. Er sieht sie darauf traurig an, und sagt, daß er ihr für ihr Mitleiden recht sehr verbunden wäre, und reicht ihr zur Dankbarkeit die Hand. Diese drückt sie bald an den Mund, bald an die Brust. Sie spielt mit seinen schwarzen Haarlocken und wiederholt ihre Liebkosung auf zehnerley Art. Er will nunmehr fortgehn. O, spricht sie, wartet doch, ich kann mich an euch gar nicht satt sehn. Ich wollte, daß alle Männer in diesem Lande so aussähen, wie ihr, alsdann würde es recht hübsch in Siberien seyn. Und wenn ihr ja gehn müßt, werdet ihr euch nicht bald wieder hieher setzen? Ich habe euch so viel zu sagen, und ich weis nicht, was es ist. Ich wußte es, ehe ich zu euch kam, und nun habe ichs über euren Haaren vergessen. Indem sieht sie in die klare Quelle und sieht ihr Bild darinn. Aber sagt mir nur, spricht sie, sehe ich denn wirklich so, wie hier im Wasser? Ich habe ja auch schwarze Augen, wie ihr. Eure gefallen mir, gefallen euch denn meine auch? Sind meine Zähne auch so weiß, wie eure? Ja, spricht er, ihr seyd schön; aber laßt mich gehn, ich bin ein unglücklicher Mensch. Darauf geht sie mit thränenden Augen fort. Als Steeley den andern Morgen wieder in sein Revier geht: so sitzt sie schon an der Quelle und wartet auf ihn. Sie nöthigt ihn, daß er sich niedersetzen und ein Stück Honig und Brodt aus ihrer Hand essen muß. Seht ihr, spricht sie, ich äße gern selbst; aber ich gönne es euch doch noch lieber. Und hier habe ich euch auch etliche Zobel mitgebracht, womit mich meine Liebhaber beschenkt haben. Nun habt ihr den ganzen Tag nichts zu thun. Sie sollen mir nun alle Tage welche schenken müssen, und ich will sie euch bringen. Seht mich doch freundlich an. Ihr hört ja, wie gut ichs mit euch meyne. Sie spielt darauf wieder ganz bescheiden mit seinen Haaren, und bittet um eine Locke, und zeigt ihm eine Scheere, die sie zu dieser Absicht mitgebracht. Steeley, dem die treuherzige und doch ehrbare Liebe dieser wilden Cosakinn nicht mißfällt, erlaubt ihr diese Bitte. Sie belohnt ihn durch etliche freywillige Küsse und zeigt ihm von fern eine Hütte, welches die Hütte ihres Vaters wäre. Darauf nimmt sie ein Blatt von einem Baume und bläßt. Nunmehr wird mein Bruder kommen. Ich hatte ihn bestellt. Wenn du mir die Locke nicht im guten gegeben hättest, so hätten wir dich dazu gezwungen. Fürchte dich nicht, er ist wie ich, er thut dir kein Leid. Siehst du, spricht sie, da der Bruder, ein Mensch mit einem ehrlichen wilden Gesichte, näher kömmt, das ist der Fremdling, dem ich so gut bin. Betrachte ihn nur, und sag es ihm, wie oft ich von ihm mit dir rede. Zeige ihm doch die Gegenden, wo er mit leichter Mühe die Zahl von Zobeln zusammen bringen kann. Ich will auch alles für dich thun. Suche mir hier in der Nähe eine Höle, oder einen Baum aus, wo ich dem armen Fremden künftig etwas Honig und Fisch und Brodt hineinlegen kann. Der Bruder verspricht es ihr, und geht mit Steeleyn fort, und weist ihm verschiedene Vortheile, und auch einen Ort, wie ihn seine Schwester verlangt hatte. Diesen hat sie zur Vorrathskammer von ihren kleinen Wohlthaten gemacht, oder Steeleyn vielmehr entweder des Morgens, oder des Abends, da erwartet. Sie ist oft ganze halbe Tage bey ihm geblieben, und alsdann hat ihr Bruder ihres Liebhabers Arbeit verrichten müssen. Da Steeley das vortreffliche Herz seiner Schönen wahrgenommen: so hat er sich alle Mühe gegeben, sie zu bilden, und ihre edlen Empfindungen von den rauhen Eindrücken ihrer Erziehung zu reinigen. Sie hat, durch die Liebe ermuntert, im kurzen seine Meynungen und seine Sitten angenommen und so viel Verstand bekommen, daß er sich keine Gewalt mehr hat anthun dürfen, ihr gewogen zu seyn. Allein dieses Vergnügen hat für beide nicht lange gedauret, weil Steeley nach drey Monaten nebst etlichen andern Gefangnen in eine andre Gegend zwanzig Werste von Pohem verlegt worden. Von da ist er nachdem nach Tobolskoy abgerufen worden, und hat also seine Freundinn nie wieder gesehn.

Wir richteten, da wir nunmehr wieder beysammen waren, unsre Lebensart so gut ein, als es unsre Umstände zuliessen. Der Gouverneur hatte mir ein Reiszeug gegeben und ich mußte durch meine kleine Kenntniß, die ich in der Mathematik hatte, seine Gewogenheit zu behaupten suchen. Ich unterwies Steeleyn in dem, was ich von diesen Dingen wußte, und da er die Rechenkunst, die ihm sein eigener Vater beygebracht, noch sehr gut verstund: so war er in einem halben Jahre in allen diesen Uebungen so geschickt, als ich. Wir arbeiteten also um die Wette, und der Gouverneur würde uns keine grössere Strafe haben anthun können, als wenn er uns befohlen hätte, diese Beschäftigung nicht zu treiben und müssig zu seyn. Allein er ließ es uns nicht an Arbeiten fehlen. Er gab uns Rechnungen, er gab uns tausend alte Risse, die wir abcopiren mußten; und ich glaube, daß kein verfallenes Schloß in Siberien und ganz Moskau mehr war, das wir nicht abgezeichnet haben. Er ließ uns zwar nicht zu sich kommen; allein er besuchte uns fast alle Wochen selbst einmal. Wir belohnten diese Gnade mit der möglichsten Demuth, und er belohnte sich für seine Herablassung dadurch, daß er alles besser wußte als wir, und uns unmittelbar nach einem zu freundlichen Worte, das ihm entwischt war, einmal gebietrisch anfuhr. Steeley, so sehr ihn sonst der Geist des Widerspruchs und der Stolz seiner Nation belebt hatte, war itzt viel gelaßner. Er schwieg, sobald ihn der Gouverneur tadelte; allein damit war dieser nicht allemal zufrieden. Nein, Steeley mußte reden und ihm in der unwahrsten Sache Recht geben. Dieses ward ihm sehr sauer, und er that es mit einer so gezwungnen Art, daß ihm oft der Schweis darüber ausbrach, und daß ich würde haben laut lachen müssen, wenn wir an einem andern Orte, als in Siberien, gewesen wären. Einsmals traf er uns an, daß wir Schach spielten. Steeley hatte die Steine mit dem Messer geschnitzt, und sie waren freylich nicht gar zu sauber gemacht. Der Gouverneur besahe sie, und hielt ihm eine lange Rede, daß keine Symmetrie und keine Sauberkeit darinn zu finden wäre. Mein Freund gab es gern zu, und entschuldigte sich, daß er keine Instrumente gehabt hätte. Aber das half alles nicht. Wenn sie recht schön seyn sollten, sprach der Gouverneur: so müßten sie seyn, als wenn sie gedrechselt wären, und ihr seht doch wohl, daß sie nicht so sind, daß sie hier zu viel, dort zu wenig, mit einem Worte, grob und schlecht geschnitten sind. Dergleichen Anmerkungen konnte er ganze Stunden fortsetzen, und Steeley zitterte auf die letzt vor dem Besuche dieses gebietrischen Pedanten. Er setzte sich oft, wenn wir zeichneten, neben uns, und stopfte sich eine Pfeife von unserm Tabacke ein. Wenn er ihn endlich mit vielem Appetite aufgeraucht hatte: so warf er die Pfeife hin, und that einen grossen Schwur, daß unser Taback nicht das geringste taugte. Zuweilen pries er uns seine Wohlthat, daß er uns die ordentlichen Arbeiten erlassen hätte, und nöthigte uns dadurch, ihn demüthig zu bitten, daß er uns nicht wieder den andern Sclaven gleich machen möchte. Oft kam er in dem größten Zorne zu uns und fluchte auf die Gefangnen, ohne zu sagen, was geschehen war, und wir mußten seine unsinnige Hitze mit Ehrerbietung anhören. Ob wir ihm nun gleich unsere verbesserten Umstände zum Theil zu danken hatten: so war er doch bey allen unsern Vortheilen noch unser beständiges Schrecken. Wir kannten seine unmäßige Gemüthsart und mußten alle Tage fürchten, daß es ihm einfallen könnte, uns von einander zu trennen, und wieder unter die andern Gefangnen zu stecken. Um diesem Unglücke zu entgehn, ließ ich ihm durch den Juden, der mein Geld in den Händen hatte, ein klein Geschenk nach dem andern machen.

Ein Jahr war verflossen, seit dem Steeley wieder bey mir lebte. Ich hoffte nun von einem Tage zum andern auf Briefe von euch, weil der Jude, dem ich den meinigen mitgegeben, nach Tobolskoy handelte, und mir also leicht eine Antwort übermachen konnte; allein ich hoffte vergebens. Steeley hatte ebenfalls binnen dieser Zeit nach London, und an den Englischen Gesandten nach Schweden, geschrieben, und keine Antwort erhalten. Die Gemahlinn des Gouverneurs hatte ich seit der Zeit, da sie mir das großmüthige Geschenk gemacht, mit einem Worte, seit dem ersten male nicht wieder gesehn. Alles dieses machte uns niedergeschlagen; und ie erträglicher unsere Gefangenschaft war, desto mehr meldete sich der Wunsch in uns, ihrer gar los zu seyn. Und mit was für Rechte konnten wir dies hoffen, da der Krieg mit den Russen und Schweden noch immer fortdauerte? Ich stand eben um die Mittagszeit mit Steeleyn an unserm kleinen Fenster, als ich den Juden mit schnellen Schritten über den Hof durch den tiefsten Schnee laufen sah. Er pflegte um diese Zeit nie zu kommen, und ich schloß aus seiner freudigen Mine, daß er mir einen Brief von seinem Correspondenten, dem Pohlnischen Juden, bringen würde. Er brachte mir auch einen Brief, aber von der Gemahlinn des Gouverneurs. Sie schrieb mir folgendes. Der Graf las mir darauf einen Brief, den ich noch besitze. Ich will ihn hier einrücken.

Mein Herr,

Ich melde Ihnen eine Nachricht, die ich Ihnen lieber mündlich ertheilen möchte, damit ich das Vergnügen hätte, ihre Freude mit anzusehn und zu geniessen. Sie sind frey. Der Befehl wegen Ihrer Befreyung ist gestern mit dem neu angelangten Gefangnen angekommen, und sie sollen Morgen nebst vier andern Verwiesenen wieder auf die Art zurück nach der Stadt Moskau gebracht werden, wie Sie hieher gebracht worden sind. Alsdann haben Sie die Erlaubniß Sich hinzuwenden, wo Sie hinwollen. Ich habe Ihnen Ihre Freyheit durch eine von meinen Freundinnen bey Hofe ausgewirkt. Mein Gemahl weis es nicht, daß ich mich Ihres Unglücks angenommen habe, und er soll es auch nicht wissen; auch nicht die Welt. Ich bin zufrieden, daß Sie es wissen. Und vielleicht wäre mein Dienst viel großmüthiger, wenn ich Ihnen solchen nicht selbst bekannt gemacht hätte. Ich war es Willens; allein ich war zu schwach; und ich sehe, daß es leichter ist, eine gute That zu unternehmen, als sie zu verschweigen. Vergessen Sie diese kleine Eitelkeit, durch die ich mich für meine guten Absichten selbst belohnt habe. Ich zweifle, daß ich das Vergnügen haben werde, Sie vor Ihrer Abreise noch zu sprechen, wenigstens doch nicht allein. Ich wünsche Ihnen also mit der größten Aufrichtigkeit das Glück, Ihre Gemahlinn bald wieder zu finden. Wie wird sie mich lieben, daß ich ihr ihren Grafen wieder geschafft habe! Für Ihren Freund, den Sie hier zurücklassen, will ich sorgen. Leben Sie wohl, und schreiben Sie mir künftig, ob Sie Ihre Gemahlinn angetroffen haben. Wenn meine Wünsche erfüllet werden: so hoffe ich das betrübte Land, aus dem Sie eilen, noch mit meinem Vaterlande zu verwechseln. Doch nein, ich Unglückliche werde wohl hier mein Leben beschliessen müssen. Schreiben Sie mir ja. Ich habe noch eine Stiefschwester in Curland, an die ich Ihnen den beyliegenden Brief mitgebe. Sollten es ihre Umstände verlangen: so glaube ich, daß sie sehr gut bey ihr aufgehoben sind. Sie ist eine Witwe; doch habe ich seit zwey Jahren keine Nachricht von ihr. Leben Sie noch einmal wohl. Amalia L**

Diesen Brief las ich und taumelte vor Freuden in Steeleyns Arme, und wollte ihm sagen, was darinne stünde; allein er wartete meine Entzückungen nicht ab. Er riß mir ihn aus der Hand und las ihn. Ich legte mich mit dem Kopfe auf seine Achsel, um die Bewegungen nicht mit anzusehn, die ihm die Nachricht von meiner Befreyung und seiner fortdauernden Gefangenschaft verursachen würde. Ihr seyd frey, fieng er an, und ich verliere euch und bleibe noch ein Gefangner und werde noch unglücklicher, als zuvor? das ist schrecklich! Hat euch der Himmel lieber, als mich? Doch ich werde Zeit genug zu meinen Klagen haben, wenn ihr nicht mehr bey mir seyd. Ich weis, daß es euch unmöglich ist, mich zu vergessen. Nein, fiel er mir um den Hals, ihr vergeßt mich nicht. Ich konnte ihm vor Wehmuth lange nicht antworten, und mein Stillschweigen, das doch nichts als Liebe war, machte ihn so hitzig, als ob ich schon die größte Untreue an ihm begangen hätte. Ich ließ seinen Affect ausreden, und nach einem kleinen Verweise, sah ich ihn beschämt und gelassen genug, ihm mein Herz zu entdecken und ihn zu überführen, wie unvollkommen mir meine Freyheit ohne die seinige wäre. Ich nahm mit dem Juden die Abrede, daß er mir das Drittel von meinem Gelde zur Reise geben und das Uebrige für Steeleyn zurück behalten und uns für seine Mühe, so viel er wollte, abziehn sollte. Der Jude war vorsichtiger, als ich. Er sagte mir, daß ich wenig baar Geld mitnehmen sollte; weil ich in der Gefahr stünde, auf der Reise nach Moskau zehnmal darum zu kommen. Er gab mir etwas weniges baar, und tausend Thaler und darüber in vier Wechseln an Juden in Moskau, damit ich, wenn ich einen verlöre, doch nicht um alles käme; so ehrlich handelte dieser Mann an mir. Ich ward noch vor dem Abend zu dem Gouverneur gerufen. Er lag an dem Podagra krank und kündigte mir meine Freyheit auf dem Bette, im Beyseyn seiner Gemahlinn an. Er reichte mir die Hand und sagte: ich habe Befehl, euch wieder nach Moskau zu schicken, und es soll Morgen zu Mittage geschehn. Ich verliere euch zwar ungern; aber reiset mit Gott und seyd glücklicher, als ihr bisher gewesen. Ich küßte ihm die Hand aus einer wahren Dankbarkeit und bat um seine fernere Gnade für Steeleyn. Wenn ich lebe, sprach er, so soll es ihm nicht schlechter ergehn, als zeither. Er hieß mich niedersitzen, (eine Ehre, die er mir zum ersten male erwies) und sagte, daß er noch viel mit mir zu reden hätte; allein seine Schmerzen meldeten sich so heftig, daß er mir winkte, ihn zu verlassen. Ich that es, und wiederholte seiner Gemahlinn im Herausgehn durch eine dankbare Mine die Grösse meiner Verbindlichkeit und ihrer Wohlthat. Lebt wohl, mein Herr, sprach sie, und wandte sich den Augenblick wieder zu ihrem Gemahle. Sobald ich wieder bey Steeleyn war; so schrieb ich an meine Erretterinn, weil ich dieser großmüthigen Seele nicht mündlich hatte danken können. Ich gab den Brief dem Juden, der unterdessen die Wechsel besorgt und mir Pelze und andere Nothwendigkeiten geschafft hatte, um mich vor der grossen Kälte zu schützen. Nunmehr war alles verrichtet, und nun überließ ich mich meinem Freunde die ganze Nacht hindurch. Wir redten, wir weinten, und empfanden alles, was wir nur nach unsern verschiednen Umständen empfinden konnten. Der Morgen übereilte uns, und eben so der Mittag, und wir hatten bis auf den letzten Augenblick einander noch, ich weis nicht was, zu sagen. Der Jude kam, und sagte, daß die Schlitten, die mich nebst den übrigen Befreyten fortführen sollten, gleich zugegen seyn würden. Wir nahmen Abschied, ohne zu reden, und ich vergaß mich in den Armen meines redlichen Steeleys, bis mich die Aufforderung der Wache von ihm losriß. Er stieß mich fort und in dem Augenblicke wollte er mir auch nachlaufen; allein man verschloß die Thüre und mein Jude führte mich bis in den Schlitten und rief mir noch die freundschaftlichsten Wünsche nach.

Ich ward nebst drey andern auf einen Schlitten gesetzt, denen Hoffnung und Freude aus den Augen leuchteten. Ich kann nicht sagen, was in den ersten Stunden, ja fast in den ganzen ersten beiden Tagen in meiner Seele vorgieng. Ein Uebermaß von freudigen Wallungen und betrübten Regungen überströmte mein Herz wechselsweise. Man begegnete uns an den Orten, wo wir frische Rennthiere bekamen, nicht so verächtlich, als damals, da wir auf dem Wege nach Siberien waren. Meine Gesellschafter waren drey Russen. Sie hatten Geld und versorgten sich an allen Orten mit so vielem Brandtweine, daß sie auf der ganzen Reise fast nicht nüchtern wurden. Sie haben mich indessen nie mit Willen beleidiget, und ich würde ihre Freundschaft erhalten haben, wenn ich mit ihnen getrunken hätte. Wir waren zu Ende des Märzes in Moskau. Ich ward in eben das Haus gebracht, in dem ich vor fünf Jahren verwahrt gesessen hatte und fand den vorigen Gefangenwärter noch. In drey Tagen ward ich völlig losgelassen und bekam einen Paß, und nun konnte ich mich hinwenden, wo ich hin wollte. Ich hatte meine Wechsel noch alle und begab mich nunmehr zu den Englischen Kaufleuten, welche Steeleyn vordem beygestanden hatten, und übergab dem einen, welcher Tompson hieß, ein Billet von ihm. Er nahm mich sehr liebreich auf und sagte mir, daß ihm Steeleys Unglück, nach Siberien verwiesen zu werden, durch den Gefangenwärter wäre hinterbracht worden, daß ers alsbald nach London an seine Freunde gemeldet und seit drey Jahren verschiedne Briefe an den Englischen Agenten in Moskau erhalten hätte. Zu diesem giengen wir den andern Tag. Der Agent war der liebreichste Mann von der Welt. Er wies mir die beweglichen Briefe, die Steeleys Vater an ihn geschrieben hatte. Er wies mir die Memoriale, durch die er bey dem Senate um meines Freundes Befreyung angehalten, und versicherte mich, daß er sie bey der Zurückkunft des Zaars, die bald erfolgen sollte, gewiß auszuwirken hoffte. Der Englische Gesandte in Schweden hatte ebenfalls an ihn geschrieben und ihn gebeten, alles zu Steeleyns Befreyung beyzutragen. Er gab mir die Briefe, die er aus London an ihn erhalten hatte, und Tompson führte mich nunmehr zu den Juden, um meine Wechsel zu heben. Ich bekam binnen zehn Tagen mein Geld, zu dem mir Tompson doch wenig Hoffnung gemacht hatte, und büßte nicht mehr, als einen Wechsel von hundert und funfzig Rubeln ein. Der Jude, der mir ihn bezahlen sollte, war in die elendesten Umstände gerathen, und seine Mitbrüder versicherten mich, daß sie binnen einem Jahre das Geld für ihn erlegen wollten, wenn ers nicht thun könnte. Ich zerriß darauf den Wechsel, und gab dem armen Juden noch zehn Thaler von dem übrigen Gelde. Ich bat sie, daß sie mir etliche Briefe an ihren Correspondenten nach Siberien, von dem ich die Wechsel empfangen, bestellen sollten. Sie sagten mir, daß drey von ihnen ihrer Geschäfte wegen selbst nach Tobolskoy reisen würden, und wenn ich mich zween Monate hier aufhalten könnte: so wollten sie mir durch die Antwort beweisen, ob sie ihr Wort gehalten hätten. Ich schrieb an meinen Freund; doch ehe der Brief fortgieng, ließ mich der Agent rufen, und sagte mir, daß er endlich so glücklich gewesen wäre, sich um seinen Landsmann verdient zu machen; seine Befreyung wäre in dem Senate unterzeichnet worden, und er hätte das Versprechen erhalten, daß Steeley binnen drey oder vier Monaten aus Siberien zurückgebracht und freygelassen werden sollte. Ich dankte dem Agenten nicht anders, als ob er mir diese Wohlthat selbst erwiesen hätte, und eilte meinem Freunde diese freudige Nachricht zu melden. Die Juden reisten ab, und ich war wirklich willens, Steeleys Ankunft zu erwarten. Doch die Liebe siegte über die Freundschaft und das Verlangen euch zu suchen, machte mir meinen Auffenthalt in Moskau unerträglich. Ich wollte fort, ohne zu wissen, wohin. Der Handel in die Schwedischen Lande war noch verboten. Ich wollte nach Dännemark, weil ich mir einbildete, daß ihr euch vielleicht dahin gewendet haben würdet: allein Tompson beredte mich, daß ich mit einem Holländischen Schiffe, dessen Ladung er in Commission hatte, und das in Archangel segelfertig lag, nach Holland gehn sollte. Er gab mir eine Addresse an den Kaufmann mit, dem die Waaren des Schiffs gehörten, und versprach mir, daß er die Briefe von Steeleyn an ihn einschlagen wollte; ich aber sollte bey diesem Manne die Nachricht zurücklassen, wo ich mich von Holland aus hinwenden würde, damit mich Steeley bey seiner Zurückkunft zu finden wüßte. Ich gieng also in der sechsten Woche nach meiner Ankunft in Moskau mit dem Schiffe fort, das mich so unvermuthet und glücklich zu euch gebracht hat. Ehe ich Moskau noch verließ: so gab ich Tompson funfzig Thaler, um sie nach meiner Abreise unter etliche von meinen gefangnen Landsleuten auszutheilen.

Dieß ist das meiste von dem, was mir mein Gemahl, über seine schriftlichen Nachrichten, von seinem Auffenthalt in Siberien erzählt hat. Ich habe es hin und wieder zusammen gezogen, und das was zur Geographie oder zur Historie dieses Lands gehöret, mit Fleiß übergangen, weil ich keine Reisebeschreibung machen wollen. Es hat sich auch seit der Zeit in diesem Reiche vieles verändert, besonders seit der Erbauung der Stadt Petersburg und den grossen Anstalten Peters des Ersten, die so wohl in die Natur des Landes, als in die Gemüthsart der Einwohner einen grossen Einfluß gehabt haben.