BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Fürchtegott Gellert

1715 - 1769

 

 

Das Leben der Schwedischen

Gräfinn von G***

 

2. Teil (4)

 

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Ich eile nunmehr zu dem letzten Periode dieser Geschichte, nämlich zu dem, was nach der Rückkunft meines Gemahls erfolgt ist. Wir lebten in unserer zweyten Ehe, wenn ich so reden darf, vollkommen zufrieden, und mein Gemahl schmeckte auf sein erlittenes Ungemach die Freuden der Liebe und der Ruhe gedoppelt. Er blühte in meinen Armen wieder auf und bekam die erste Lebhaftigkeit wieder, von der ihm das Unglück einen grossen Theil entzogen hatte. Die ersten Monate verstrichen uns in der Gesellschaft der Caroline und des Herrn R** meistens unter wechselseitigen Erzählungen. Nichts war kläglicher, als da ich ihm einsmals meine Heyrath und die Geschichte meiner Ehe mit dem Herrn R** und zwar in dem Beyseyn desselben umständlich erzählen sollte. Der Graf hatte mich die ganze Zeit über bey der Hand, als wollte er mir einen Muth einsprechen. Ich fieng die Erzählung mit vieler Dreistigkeit an. Ich war von der Liebe meines Grafen völlig überzeugt: ich wußte, daß ich ihm niemals untreu geworden seyn würde, wenn ich nur die geringste Nachricht von seinem Leben gehabt hätte. Allein alles dieses langte nicht zu, mich in meiner Erzählung zu unterstützen. Ich wollte aufrichtig und doch auch behutsam sprechen; und ie mehr ich redete, desto mehr fühlte ich, wieviel beleidigendes diese Geschichte für den Grafen in sich hatte, und wie viel kränkendes für mich und für den Herrn R**. Ich ward verzagt. Der Graf gab mir die theuersten Versicherungen, daß er durch nichts beleidigt würde; allein ich kam nicht weiter, als bis auf die Geburt meiner Tochter. Ich sammlete alle meine Kräfte; ich fieng zehnmal wieder an; doch mein ganzes Herz weigerte sich, mich fortfahren zu lassen; ich schwieg. Nun sprach der Graf mit einer liebreichen Mine, diese kleine Marter, die ich euch itzt gemacht habe, das soll die Strafe für eure Untreue seyn, und umarmte mich. Und ihr mein lieber R**, fuhr er fort, schlagt eure Augen immer wieder auf und seht zu eurer Strafe eure vorige Gemahlinn in meinen Armen. Er küßte ihn, und ich mußte es auch thun. Nein, sprach er, sie hat euch geliebt und ihr habt es verdient, und wenn ich sterbe, so liebt sie euch wieder. Wir haben uns alle kein Vergehn, sondern nur das Unglück vorzuwerfen. Caroline, (sie saß bey mir), seht nur, wie euch meine Gemahlinn betrachtet. Kann sie sich wohl besser an mir rächen, als durch eure Gegenwart?

Ich war unermüdet, dem Grafen alle die Augenblicke zu ersetzen, die er ohne mich zugebracht. Ich kam selten von seiner Seite und sann bey jeder Gefälligkeit, die ich ihm erweisen konnte, schon auf eine neue. Wenn wir unser Herz ausgeredet hatten: so las ich ihm etwas vor, und wenn ich nicht mehr lesen konnte, so that ers. Diese glückliche Beschäftigung mit dem Geiste der besten Scribenten, die der Graf so lange entbehrt hatte, nahm uns den größten Theil des Tages weg, und breitete ihr Vergnügen über unsere Gespräche, über unsere Mahlzeiten und über alle unsere Zärtlichkeiten aus. Wir hielten keine Gesellschaften und fühlten doch nie die Beschwerlichkeit der Langenweile. Wenn wir mitten in unsern Vergnügungen recht empfindlich gerührt seyn wollten: so dachten wir unserm Schicksale nach. Diejenigen, die niemals unter grossen Unglücksfällen geseufzt haben, wissen gar nicht, was für eine Wollust in diesen Betrachtungen zu finden ist. Man entkleidet sich in solchen Augenblicken von allem seinen natürlichen Stolze; man sieht, indem man sein Schicksal durchschaut, sein Unvermögen, sich selber glücklich zu machen, und überläßt sich den Entzückungen der Dankbarkeit, die uns nicht länger wollen nachdenken lassen. Der Graf setzte zuweilen ganze Tage zu dieser Absicht aus und wandte sie zu Werken der Gutthätigkeit an. Er erkundigte sich nach elenden und unglücklichen Personen; mit einem Worte, Arme, Kranke und Gefangene an diesem Tage zu erquicken und aufrichten zu lassen, das war seine Zufriedenheit. Oft ließ er auch einige von denen, die schon unter dem Elende grau geworden waren zu sich rufen, und sie an einem Tische zusammen speisen. Es war ihm freylich lieb, wenn er wußte, daß es Leute waren, welche die Gutthat verdienten; allein er stellte deswegen nicht die strengsten Untersuchungen an. Vielleicht, sprach er, lassen sie sich durch die Wohlthaten bessern, wenn sie boshaft gewesen sind; laßt sie auch der Wohlthat unwerth seyn: sie sind doch Menschen. Wenn er hörte, daß sie mit dem Essen bald fertig waren: so gieng er zu ihnen und ließ sich ihr Schicksal erzählen. Fand er eine Person darunter, die ein edles Herz hatte: so nahm er sich ihrer ins besondre an. R** war sein Gehülfe in dieser Tugend, und wem sie beide nicht als Wohlthäter dienen konnten, dem dienten sie doch als vernünftige Rathgeber. Wir fuhren gemeiniglich an diesen Tagen etliche Stunden in die Felder, oder in die Gärten, spatziren. Einmal hörten wir des Abends, indem wir bey dem Mondenscheine durch die Wiesen giengen und den Wagen am Wege halten liessen, ein jämmerliches Gewinsel. Wir näherten uns ungeachtet des tiefen Grases dem Orte, wo der Schall herkam, und fanden eine junge Weibesperson, welche die Schmerzen der Geburt kaum überstanden hatte und in einem hülflosen Zustande da lag. Herr R**, der bey uns war, fuhr den Augenblick in das nächste Landhaus, um ein Weib und andre Bedürfnisse für die Geburt herbey zu holen, und ich machte mich indessen um diese Unglückliche so gut verdient, als es die Nothwendigkeit erforderte. Ich konnte aus ihrem Anzuge schliessen, daß sie keine der Vornehmsten und keine der Geringsten war, und ihre Jugend und ihre gute Bildung war genug, uns einen Theil von ihrem Schicksale zu erklären, weil sie selbst nichts, als etliche unvernehmliche Worte, hervorbringen konnte. Herr R** kam mit einigen Weibern zurück und wir liessen die unbekannte Elende auf unserm Wagen in das nächste Dorf bringen, und kehrten zu Fusse in die Stadt. Nun, sprach der Graf, indem wir zurückgiengen, dieser Spaziergang ist viel werth. Wie schön wird sichs in den Gedanken einschlafen lassen, daß wir zwön Personen das Leben auf einmal erhalten haben! Das arme Mädchen ist vermuthlich aus Furcht der Schande von ihrem Geburtsorte geflüchtet. Wer weis, welcher Betrüger sie unter dem Versprechen der Ehe um ihre Unschuld gebracht hat. Ich fuhr mit anbrechendem Tage nebst Carolinen auf das Dorf und wir fanden die Unglückliche mit ihrem Kinde auf den Armen, in Thränen zerfliessen. Sie war nicht allein wohl gebildet, sie war ausnehmend schön, und eine gewisse schamhafte Mine entschuldigte ihren Fehler zum voraus. Die Liebe, sprach sie, oder vielmehr ein Liebhaber hat mich unglücklicher gemacht, als ich zu seyn verdiene. Ich habe mich mit ihm seit zwey Jahren versprochen; allein ein bejahrter Vormund, unter dem ich stehe und der mir sein eigen Herz aufdringen wollte, hat unsre Verbindung verhindert. Mein Bräutigamm, eines Pachters Sohn bey Leiden, hat mich mit meinem Willen entführt, und mir versprochen, sich im Haag mit mir nieder zu lassen und die Handlung zu treiben. Als wir gestern Morgen in die Gegend kamen, wo ihr mich angetroffen, sah ich mich durch eine Unpäßlichkeit genöthigt, vom Wagen abzusteigen. Mein bis dahin getreuer Liebhaber führte mich in dem Felde herum, um mich durch die Bewegung wieder zu mir selber zu bringen. Ich mußte mich endlich niedersetzen, und sobald er sah, was mir für ein Schicksal bevor stund, verließ mich der Boshafte unter den Vorwande, mir iemanden zu Hülfe zu rufen. Ich habe also den ganzen Tag auf seine Zurückkunft vergebens gewartet und bin mehr durch das Entsetzen über seine Untreue, als durch die unglückliche Frucht meiner Liebe in den sinnlosen Zustand gekommen, in dem ihr euch gestern meiner so großmüthig angenommen. Man kann keine grössere Bosheit begehn, als er an mir begangen hat. Er hat mir mein Geschmeide, das mein ganzer Reichthum war, und das wir im Haag zu Gelde machen wollten, mitgenommen. Dennoch hasse ich ihn noch nicht, ja ich würde es ihm mit Freuden vergeben, daß er mich mit der Gefahr meines Lebens verlassen hat, wenn ich nur wüßte, daß es ihn reute – Ich suchte sie zu beruhigen und versprach ihr, wenn ihr Liebhaber binnen acht Tagen nicht wieder käme, sie zu mir zu nehmen und sie und ihr Kind zu versorgen. Er kam nicht, und ich erfüllte mein Wort und ließ das Kind auf dem Dorfe erziehn.

Der Graf war nunmehr ein halb Jahr lang bey mir und hatte nicht das geringste Verlangen in sein Vaterland zurück zu kehren, wenn ihm auch die Erlaubniß dazu wäre angeboten worden. Ueberdieses wußte er, daß der Prinz, dem er sein Unglück zu danken hatte, noch lebte und bey dem Könige in dem größten Ansehn stund; und was brauchte er mehr, als dieses zu wissen, um an keine Rückkehr zu denken? Aber daß Steeley nicht kam, und daß er, auf alle seine Briefe an ihn, noch nicht die geringste Antwort erhalten, dieses beunruhigte ihn desto mehr. Von Steeleys Vater hatte er zwar aus London schon vor etlichen Monaten die Nachricht bekommen, daß sein Sohn durch die Bemühungen des Englischen Gesandten, und durch ein Strafgeld von etlichen tausend Thalern seiner Verweisung nach Siberien erlassen worden wäre, von ihm selbst aber hätten er und seine Landsleute in Moskau keine Briefe. Indessen daß der Graf vergebens auf Steeleyn hoffte, begegnete ihm ein andrer vergnügter Zufall. Er war eine Stunde vor der Mahlzeit, wie er zu thun pflegte, mit dem Herrn R** auf das Caffeehaus gegangen, wo die meisten Fremden einzusprechen pflegten. Kurz darauf ließ er mir sagen, er würde mir einen Gast mitbringen, für den ich ein Zimmer zu rechte machen lassen sollte. Er kam, und der Gast war der ehrliche Jude, der ihm in Siberien so viele Menschenliebe erwiesen, und den seine Geschäfte nach Holland zu gehn genöthigt hatten. Mein Gemahl war ausserordentlich erfreut, daß er diesem wackern Manne einige Gefälligkeiten erzeigen konnte, und er selbst war eben so froh, daß er meinen Gemahl so unvermuthet und so glücklich angetroffen. Er überreichte mir den Brief aus Siberien, den ich schon eingerückt habe, und versicherte mich, daß er sich in Liefland und Dännemark sehr sorgfältig nach mir erkundigt und doch nicht das Geringste von meinem Auffenthalte hätte erfahren können. Sein Herz war wirklich seiner ehrlichen und einfältigen Mine gleich, und seine Sitten gefielen durch sein Herz. Er war schon bey Jahren und sein grauer Bart und sein langer pohlnischer Pelz gaben ihm ein recht ehrwürdiges Ansehn. Die freundschaftliche Art, mit der wir mit ihm umgiengen und ihm unsere Erkenntlichkeit zu bezeigen suchten, rührte ihn ausnehmend. Als wir das erstemal von der Tafel aufstunden: so ward der gute Mann ganz betrübt. Mein Gemahl fragte ihn um die Ursache. Ach, sprach der Alte, wenn ich nur so glücklich seyn könnte, noch etliche Stunden bey ihnen zu bleiben! Ich habe mein Tage kein solch Vergnügen gehabt, und niemand ist noch so großmüthig mit mir umgegangen, als sie thun. Der Graf nahm ihn bey der Hand und führte ihn in das Zimmer, das für ihn zu bereitet war. Seht ihr, sprach er, meine Gemahlinn giebt euch ihr bestes Zimmer ein. Glaubt ihr nun wohl, daß ihr uns angenehm seyd? Ihr dürft nicht daran denken, uns unter acht Tagen zu verlassen. Nicht wahr, ich wohne hier besser, als in Siberien? dort habt ihr mich bedienet, und hier wollen ich und meine Gemahlinn euch bedienen. Wir thaten es, und wir alle, Caroline sowohl als R** bestrebten uns recht, diese acht Tage unserm Gaste zu Tagen des Vergnügens zu machen. Wenn die Sonne untergieng, schlich er sich in sein Zimmer und blieb meistens eine halbe Stunde aus. Wir fragten ihn, als dieses etlichemal geschah, um die Ursache und er wandte allerhand kleine Verrichtungen vor, bis ihn endlich Herr R** einmahl überraschte und auf den Knien betend fand. Als diese acht Tage unter tausend kleinen Vergnügungen verstrichen waren: so bat er uns, unsere Wohlthaten einzuschränken und ihn wieder fortreisen zu lassen. Er verließ uns einen Tag, um seine Geschäfte zu besorgen, und kam den andern wieder, um Abschied von uns zu nehmen. Nun, sprach er, will ich mit Freuden fortreisen, Herr Graf, und Gott auf meiner Reise danken, daß ich sie angetroffen habe. Ich bin alt, und ich werde sie alle in dieser Welt wohl nicht wieder sehn. Ich habe keine Kinder, und wenn ich nicht bey meinem Weibe sterben wollte: so würde ich mich auf meine alten Tage hier niederlassen. Wir nahmen alle als von einem Vater Abschied von ihm. Ach Herr Graf, fieng er endlich ganz furchtsam an, sie haben mich für meine Dienste reichlich belohnt; aber ich bin gegen sie noch nicht dankbar genug gewesen, daß sie mir das Leben mit ihrer eignen Gefahr erhalten haben. Sie wissen, daß ich mehr Vermögen habe, als ich und meine Frau bedürfen. Ich habe hier in der Bank ein Capital von zehntausend Thalern zu heben. Erlauben sie mir die Freude, daß ichs ihrer kleinen Tochter schenken darf, und nehmen sie den Schein von mir an. Wir versicherten ihn, daß unsere Umstände so beschaffen wären, daß wir nicht Ursache hätten, ihm einen Theil von seinem Vermögen zu entziehn; allein er beklagte sich, daß wir seine Gutwilligkeit verachten wollten, und zwang uns, das Geschenk anzunehmen. Er gieng darauf zu unsrer Tochter und knüpfte ihr noch ein sehr kostbares Halsband um den Hals. Er beschenkte auch das unglückliche Mädchen, das ich zu mir genommen hatte, sehr reichlich, und eilte alsdann, was er konnte, um sich seinen Abschied nicht noch saurer zu machen. Der rechtschaffene Mann! Vielleicht würden viele von diesem Volke beßre Herzen haben, wenn wir sie nicht durch Verachtung und listige Gewaltthätigkeiten niederträchtig und betrügerisch in ihren Handlungen machten, und sie nicht oft durch unsere Aufführung nöthigten, unsere Religion zu hassen. R** begleitete den Alten etliche Meilen und konnte gar nicht aufhören, seinen uneigennützigen und grossen Charakter zu bewundern. Unter allen Merkmalen der Freundschaft, die wir ihm erwiesen, rührte ihn nichts so sehr, als dieses, daß ihn der Graf abmalen und das Bild in seine Studierstube setzen ließ.

Auf diese Freude folgte in einigen Wochen eine noch grössere und eben so unvermuthete. Andreas, Carolinens Bruder, war gewohnt, alle Jahre seinen Geburtstag zu feyern. Er kam einstens sehr früh zu uns und sagte, weil er genöthigt wäre, auf etliche Wochen zu verreisen, und weil sein Geburtstag morgen einfiele: so wollte er ihn heute feyern und uns bitten, uns gleich mit ihm auf eine Gondel zu setzen und einmal einen ganzen Tag in seinem Hause zuzubringen. Wir liessen es uns gefallen, und weil wir bey dem Thee gleich mit dem Briefe beschäfftigt gewesen waren, den mir der Graf durch den Juden aus Siberien geschickt: so baten wir den Andreas, uns nur so lange Zeit zu lassen, bis ich diesen Brief vollends laut hergelesen und der Graf uns das, was wir noch umständlicher wissen wollten, erzählt hätte; denn Caroline und R** sassen bey uns. Ach, schrie er ganz ängstlich, das könnt ihr in meinem Hause auch thun; nehmt den Brief mit und verderbt mir meine Freude nicht, oder ich reise gleich heute fort und tractire euch gar nicht. Dieses treuherzige Compliment nöthigte uns, ihm gleich zu folgen. Alles war in seinem Hause wider seine Gewohnheit aufgeputzt, und wir konnten uns in seine grossen Anstalten gar nicht finden. Ich weis nicht, sprach Caroline, was ich von meinem Bruder denken soll. Wenn nur nicht etwan aus diesem Geburtstage ein Hochzeittag wird. Er thut mir zu froh und zu geheimnißvoll. Wir scherzten mit ihm darüber, als er uns den Thee auftrug, und er lachte auf eine Art, als ob er es gern sähe, daß wir seine kleine List erriethen. Leset nur euern Brief vollends durch, fieng er an, ich will indessen meine Braut holen, oder wenigstens meinen Flaschenkeller zurechte machen. Er gieng in das Nebenzimmer, und wir vertieften uns wieder in den Brief. Ich fragte nach tausend Kleinigkeiten, welche die Gemahlinn des Gouverneurs angiengen, deren Brief an ihre Stief-Schwester nach Curland mein Gemahl wieder zurück bekommen hatte, weil sie todt war. R** wollte immer mehr von der wunderlichen Gemüthsart des Gouverneurs wissen, und Caroline blieb bey aller Gelegenheit bey Steeleyn stehn. Andreas trat aus der Nebenstube wieder herein, als wollte er uns zuhören. Habe ich ihn euch denn noch nicht genug beschrieben? sagte mein Gemahl zu Carolinen. Habt ihr euch denn gar in ihn verliebt? Freylich sah er vortheilhaft aus, sonst würde ihm das Cosackische Mädchen nicht so gut gewesen seyn. Er hatte grosse schwarze Augen, wie ihr, und – Indem öffnete Andreas, der nah an der Thüre stund, das Nebenzimmer und rief, nach seinen Gedanken, ganz sinnreich: sah er etwan wie dieser Herr aus? und in dem Augenblicke stund Steeley vor uns. Der Graf zitterte, daß er kaum von dem Sessel aufstehen konnte, und wir sahen ihren Umarmungen mit einem freudigen Schauer lange zu. Nun, schrie endlich Steeley, nun sind wir für alle unser Elend belohnet, und riß sich von dem Grafen los, und ich eilte ihm mit offnen Armen entgegen. Ach Madam, fieng er an, ich – ich – ja, ja, sie sind es – und das war sein ganzes Compliment. Der Graf kam auf uns zu, und wir umarmten uns alle drey zugleich. O was ist das Vergnügen der Freundschaft für eine Wollust, und wie wallen empfindliche Herzen einander in so glücklichen Augenblicken entgegen! Man sieht einander schweigend an, und die Seele ist doch nie beredter, als bey einem solchen Stillschweigen. Sie sagt in einem Blicke, in einem Kusse ganze Reihen von Empfindungen und Gedanken auf einmal, ohne sie zu verwirren. Caroline und der Herr R** theilten ihre Freude mit der unsrigen, und wir traten alle viere um Steeleyn und waren alle ein Freund. Dem Andreas mochte unsre Bewillkommung zu lange dauern; er zog mich und Carolinen bey Seite. Ihr Leute, sprach er ganz bestrafend, vergeßt doch nicht, daß ihr Frauenzimmer seyd und – Setzt euch alle nieder, sonst muß ich den ganzen Tag euern Umarmungen zusehen. Thut es, wenn ich nicht dabey bin. Wir wollen heute lustig und nicht so niedergeschlagen seyn. Und damit mußten wir uns niedersetzen. Herr Graf, fuhr er darauf fort, habe ichs nicht listig gemacht? Wir merkten, daß er für seine Erfindung belohnt seyn wollte, und er war es werth, daß wir ihm unser eigen Vergnügen etliche Minuten aufopferten. Mein Gemahl hatte schon zehn Fragen an Steeleyn gethan; allein Andreas ließ ihn zu keiner Erzählung kommen. Seyd doch zufrieden, sprach er, daß ihr ihn habt, und daß ich ihn euch geschafft habe. Ihr sollt ihn auf den Abend mit zu euch nehmen, alsdann könnt ihr mit einander reden, bis wieder auf meinen Geburtstag. Itzt will ich das Vergnügen haben, daß ihr bey mir recht aufgeräumt seyn und recht laut werden sollt. Wir wünschten unstreitig alle, von unserm gebietrischen und uns so unähnlichen Wirthe bald entfernt zu seyn; allein wir mußten uns ihm aus Dankbarkeit Preis geben, und Steeley schien selbst itzt keine Lust zu haben, uns seine Begebenheiten zu erzählen, ausser daß er den Tod des Gouverneurs etlichemal erwähnte. Und von seiner Gemahlinn, fuhr er zum Grafen fort, habe ich einen Brief an euch. Die großmüthige Seele! Ich will euch den Brief aus meinem Coffer langen. Er gieng, und Andreas mit ihm. Wir waren es zu frieden, daß uns Steeley einige Augenblicke verließ, nur damit wir das Verlangen befriedigen konnten, einander unsere Lobsprüche von ihm mitzutheilen. Ist er meiner Liebe werth, sprach der Graf zu mir, und gefällt er euch? Caroline ließ mich nicht zum Worte kommen. Herr Graf, rief sie, ihre Gemahlinn kann nicht urtheilen, sie ist nur von ihnen eingenommen. Fragen sie doch mich, ich wills ihnen aufrichtig sagen, ich und das Mädchen in Siberien, wir – Hier trat Steeley, mit einem Frauenzimmer an der Hand, herein, aus deren Gesichte Anmuth und Freude lachten. Sie gieng in Amazonenkleidern, und jeder Zug in ihrer Bildung war ein Abdruck der Gefälligkeit und der Liebe. Ach Gott! rief der Graf, wen sehe ich? Ist es möglich, Madam? oder betrügen mich meine Augen? das ist zu viel Glück auf einen Tag! Madam, redte mich Steeley an, indem ich noch vor Erstaunen immer auf einer Stelle stund: Hier bringe ich ihnen meine liebe Reisegefährtinn und bitte für sie um ihre Freundschaft. Ich wußte noch nicht, wen ich umarmte, oder wollte es doch nicht sobald wissen, um mein Vergnügen zu verlängern. Sie selbst schien mich aus eben der Ursache in der Ungewißheit zu lassen. Glaubt es doch, rief mir endlich mein Gemahl zu, sie ist es, der ich meine Befreyung zu danken habe; sie hat mich euch wieder gegeben. Ja, Madam, fieng sie an, für diesen Dienst suche ich itzt die Belohnung bey ihnen, und ich bitte nicht um ihre Freundschaft, sondern ich fodere sie von ihnen. Ist es ihnen denn recht lieb, daß sie mich sehn? Ja, ich sehe es, sie fühlen eben so viel, als ich, daß ich sie nunmehr kenne. Ach, Herr Graf, also sind wir nicht mehr in Siberien? Wie viel habe ich ihnen zu erzählen! Ihr Freund, den sie mir hinterlassen haben, hat mir viel zuwider gethan, (hier sah sie Steeleyn mit dem zärtlichsten Blicke an) und – er mag es ihnen selber sagen. Aber, fieng sie ganz sacht zu meinem Gemahle an, wer ist das Frauenzimmer und der Herr? (sie meynte Carolinen und R**) Der Graf erschrack und wußte nicht, was er in der Eil sagen sollte. Sie sind – sie sind unsre Freunde und auch die ihrigen. Ich nahm darauf Carolinen bey der Hand und führte sie zu ihr, und der Graf that mit R** eben das. Wir glaubten, daß Andreas das Geheimniß vor unserer Zusammenkunft schon verrathen hätte; denn die Verschwiegenheit war seine Sache nicht. Allein er hatte, entweder um uns zu schonen, oder weil er nicht daran gedacht hatte, geschwiegen. Er hatte nicht die Geduld gehabt, unsere Bewillkommung ganz anzuhören. Itzt kam er wieder herein und half uns zum Theil aus unsrer Verwirrung. Das ist, fieng er zu der Fremden an, das ist meine liebe Schwester. In dem Augenblicke gieng R** mit niedergeschlagenen Augen aus der Stube, weil er glaubte, daß Andreas auch von ihm anfangen würde. Geht nicht, rief ihm dieser nach, ich will nichts sagen. Der Herr Graf wird es schon selbst erzählen. Ach, mein lieber Graf, sprach Steeley, was ist das für ein Geheimniß? Darf ichs und die Madam nicht wissen? Wer ist der Herr R**? Er ist einer von meinen ältsten Freunden, und wenn ich ihnen alles sagen soll – hier sahe er mich an und schwieg. Er war mein Gemahl, sprach ich zu meiner neuen Freundinn, ehe ich wußte, daß mein Graf noch lebte. Sie hassen mich doch deswegen nicht? Nein, Madam, ich verdiene ihr Mitleiden und mein Graf – dieser liebt euch, fuhr er fort, eben so zärtlich, als iemals. Sie sah mich beschämt und eilte, mir durch eine mitleidige Umarmung diese traurigen Augenblicke zu verkürzen. Steeley schien wirklich bey dieser Nachricht etwas von seiner Hochachtung gegen mich zu verlieren. Er sah bald mich, bald den Grafen an. Ist sie denn nicht mehr eure Gemahlinn? sprach er ganz heftig. Sie ist meine Gemahlinn, antwortete ihm der Graf; beunruhigt euch nicht. Ich weis, daß ihr mich liebt, und mir hat zu meinem Glücke nichts als der heutige Tag gefehlt. Hierauf gieng unsere Freude, wie von neuem, an.

Unser stürmischer Wirth nöthigte uns alsbald zur Mahlzeit. Ein jedes Wort von uns war eine Liebkosung, und an Statt zu essen, sahen wir einander an. Madam, fieng endlich Steeley zu mir an, ihre Augen fragen mich alle Augenblicke etwas. Beneiden sie mich etwan wegen meiner liebenswürdigen Reisegefährtinn? Oder wollen sie wissen, warum sie nach Holland gegangen ist? Sie will die Juwelen wieder holen, die sie dem Herrn Grafen in Siberien gegeben hat. Wir erfuhren in Moskau, daß wir ihn hier finden würden, und sie wird so lange bey ihnen bleiben, bis sie ersetzt sind. Ja, sprach ich, wir sind dazu verbunden; aber warum nehmen sie sich der Madam so eifrig an? Erfodert dieses die Pflicht der Reisegesellschaft? Sie hören wohl, versetzte sie, daß er das Geheimniß meiner Reise gern entdeckt wissen will. Ich soll ihnen sagen, daß ich ihn liebe, und daß ich ihn aus Liebe hieher begleitet habe. Er verdient und besitzt mein Herz, und ihm meine Hand zu geben, habe ich bloß auf ihre Gegenwart verspart. Steeley stund auf und umarmte sie. Also sind sie meine Braut? rief er. Ja, sagte sie, und um es zu werden, würde ich noch eine See durchreisen. Und ihnen, mein lieber Herr Graf, ihnen bin ich mein Glück schuldig, denn ohne sie würde ich meinen Geliebten nie haben kennen lernen. Sie haben mir ihn in ihrem ersten Gespräche mit mir so edel beschrieben, daß ich ihm gewogen war, ehe ich ihn sah. Die Vorsehung hat mir mein Unglück durch ihn belohnt, und ich will das seinige durch meine Liebe belohnen. Ich bleibe bey ihnen; und sie, Madam, sollen das Recht haben, unsere Verbindung zu vollziehn, und einen Tag zu unsrer Vermählung anzusetzen, welchen sie wollen. Ich will meinen künftigen Gemahl von ihren Händen empfangen; Und ich, sprach der Graf, meine Gemahlinn von den ihrigen. Ich will mir sie, da ich die zweyte Ehe mit ihr angefangen habe, auch noch einmal vermählen lassen, und dieses soll an dem Tage geschehn, da sie ihre Verbindung vollziehn. Amalie, so hieß Steeleys Braut, ließ darauf einen Pocal und einen Flaschenkeller Wein aus ihrem Zimmer langen. Kennen sie das Glas, Herr Graf? daraus habe ich ihnen in Siberien die Gesundheit ihrer Gemahlinn zu getrunken. Und aus eben diesem Glase und von dem Weine, der nicht weit von diesem Lande gewachsen ist, wollen wir sie zum andernmale in Holland trinken. O wie gut wird mirs schmecken! Sie trank und reichte mirs. Ich sah das Glas und den Wein an, und sah meinen Gemahl zugleich in Siberien und in den unglücklichsten Umständen von einer großmüthigen Seele bedauert und geschützt; ich sah sie an und trank, und Thränen fielen in den Wein. Kein Wein hat mir in meinem Leben so gut geschmeckt, als dieser. Wir schwiegen vor Vergnügen alle still, bis Andreas endlich unser Stillschweigen unterbrach. Aber, Madam, fieng er lachend an, wie sah denn der Herr Graf damals aus, da er als ein Gefangner vor ihnen stund? Sah er vornehm oder nicht? Sah er traurig? Seine Mine, sprach sie, richtete sich nach der Art, mit der ich mit ihm redte. Wenn ich ihn recht freundschaftlich bedauerte: so sah er mich zur Dankbarkeit sehr demüthig an; und wenn ich einen Augenblick unempfindlich gegen sein Elend schien: so warf er mir mein kaltes Herz mit einer stolzen Mine vor, die mich leicht errathen ließ, daß er aus Unschuld unglücklich und im Elende auch noch groß gesinnt war. Aber wie war er gekleidet? Schlechter, als ich wünschte. Ein deutsches Unterkleid, sehr abgenutzt, und ein schwarzer russischer Pelz und ein Paar Halbstiefeln waren sein Staat. Sein kurzes aufgelaufnes Haar gab indessen seinem Gesichte, bis auf etliche Spuren von Kummer, die aus seinen Augen nicht vertrieben werden konnten, ein unerschrocknes Ansehn. Nie war er beredter und in meinen Augen grösser, als da er von seiner Gemahlinn sprach; und ich that von diesem Augenblicke an heimlich ein Gelübde, ihm die Freyheit auszuwirken. Aber ihr verstorbner Gemahl und der Herr Graf, sprach Andreas, waren wohl nicht allezeit die besten Freunde? Was dieser gethan hat, das bitte ich dem Grafen itzt ab. Ach vergeben sie ihm die Fehler seiner Gemüthsart und seines Volkes, die ich ungeachtet seiner Neigung gegen mich mehr, als sie, empfunden habe. Unsre Ehe war ein Bündniß, das der Hof schloß, und das ich aus Gehorsam nicht ausschlagen durfte. Indessen ehre ich sein Andenken; so wie ich mein Schicksal an seiner Seite geduldig ertragen und mir, wenn ichs sagen darf, vielleicht durch meine Geduld ein bessers verdient habe.

Andreas ward zu unserm Glücke durch seine Geschäfte von uns gerufen, und seine Abwesenheit ließ uns vertraulicher werden. Steeley wollte dem Grafen erzählen, was seit seiner Abreise aus Tobolskoy vorgegangen; allein er stand alle Augenblicke vor gar zu grosser Empfindung still, und wir waren zufrieden, daß wir diesesmal das Wichtigste von dem erfuhren, was uns Amalie nachdem umständlicher auf folgende Art erzählet hat.