BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Christian Fürchtegott Gellert

1715 - 1769

 

 

Das Leben der Schwedischen

Gräfinn von G***

 

2. Teil (6)

 

______________________________________________________________________________

 

 

 

Wir kamen nach einer beschwerlichen Reise von fünf Wochen, die wir Tag und Nacht fortsetzten (weil die Nacht in den warmen Monaten fast so hell, wie der Tag, bleibt) glücklich in Moskau an. Ich wollte nicht öffentlich bey Hofe erscheinen, und ich suchte nichts, als der Geliebten des Zaars, deren Fräulein ich gewesen war, insgeheim aufzuwarten. Die großmüthige Catharina empfieng mich auf dem Lustschlosse Taninska sehr liebreich. Ich mußte acht Tage bey ihr bleiben; allein alle die Gnade, die sie mir unter dieser Zeit erwies, war mir ohne meinen Geliebten eine unerträgliche Last. Sie hörte, daß ich nichts wünschte, als das Glück, nach Curland zurück zu kehren, und sie verschaffte mirs, weil sie nur befehlen durfte. Ich eilte nach der Stadt zurück und ließ meinen lieben Reisegefährten, der bey dem englischen Kaufmanne abgetreten war, aufsuchen. Mein Christian brachte mir die betrübte Nachricht, daß er krank und nicht im Stande wäre, zu mir zu kommen. Ich ließ mich den Augenblick zu ihm fahren. Seine Krankheit war nichts, als der Kummer um mich. Ach, rief er mir entgegen, habe ich sie nicht verlohren? Sind sie noch meine beständige Freundinn? Ich bewies es ihm und blieb den ganzen Tag bey ihm. Er zeigte mir Briefe aus London, und insonderheit die, welche der Herr Graf an ihn zurückgelassen hatte. Es war wirklich mein Vorsatz nach Curland zu gehn, und nichts, als die Schwachheit meines Geliebten, hinderte die Abreise. Endlich erhielt er Briefe von dem Herrn Grafen. Ach, sprach er zu mir, er hat seine Gemahlinn wieder gefunden, er lebt mit ihr in Holland. Wollen wir nicht zu ihm reisen? wie glücklich würden wir bey ihm seyn! Mehr brauchte er nicht, um mich meinem Vaterlande zu entziehen.

Nun war es beschlossen, wir giengen nach Holland. Ich setzte mich mit ihm zu Ende des Augusts zu Schiffe, und auch die See ward mir durch die Liebe angenehm. Wir haben nichts als eine kleine Seekrankheit und etliche Stürme ausgestanden, die uns nichts gethan, als daß sie uns ein Paar Wochen länger auf der See aufgehalten haben. Wir sind schon vor vier Tagen ans Land gestiegen und gestern früh zu Lande hier angekommen.

Dieß war die Geschichte von Amaliens und Steeleys Liebe.

Die beiden ersten Tage verstrichen uns unter lauter Erzählungen, und der dritte war der Vermählungstag. Ich und Caroline kleideten unsere Braut an, und verliebten uns recht in sie, so reizend war sie; allein der, für den sie so reizend war, hatte nicht weniger männliche Schönheiten. Wir führten sie in sein Zimmer. Itzt, sprach sie, ist es noch Zeit, wenn sie Lust haben, eine andere zu wählen, und umarmte ihn. R** kam bald darauf mit seinem guten Freunde, einem Prediger bey der französischen Gemeine, der sie vermählen sollte. Er hatte ihm die Umstände von beiden gesagt. Wir setzten uns nieder und wir wußten nicht, daß unser Geistlicher eine Rede halten würde. Er that es mit so vieler Beredsamkeit und mit so vielem Geiste, daß wir alle ausser uns kamen und uns keine grössere Wollust auf diesen Tag hätten erdenken können. Er redte von den wunderbaren Wegen der Vorsehung bey dem Schicksale der Menschen. Man stelle sich den Grafen und Steeleyn mit allen ihren Unglücksfällen, seine Braut, mich, kurz, uns alle vor, wenn man wissen will, was diese vernünftige Rede für einen Eindruck in unsere Herzen machte. Unsere Seele erweiterte sich durch die hohen Vorstellungen, um den Umfang der göttlichen Rathschlüsse in Ansehung unsers Schicksals zu übersehn, und die Empfindungen der Verwunderung und der Dankbarkeit wuchsen mit unsern erhabnen Vorstellungen. Leuten, die niemals im Unglücke gewesen, Leuten, die zu frostig sind, andrer Unglück zu fühlen, wird das Vergnügen, das wir aus dieser Rede schöpften, als ein scheinheiliges Räzel vorkommen. Sie werden sich nicht einbilden können, wie sich solche ernsthafte Betrachtungen zu einem Tage der Freude und der Liebe schicken; allein sie werden mir auch nicht zumuthen, daß ich ihnen eine Sache beweisen soll, die auf die Empfindung ankömmt.

So vergieng der Vormittag, und Steeley und Amalie waren verbunden, und unser Bündniß war auch wieder erneuert. Unser Geistlicher, der uns ein recht lieber Gast gewesen seyn würde, wollte nicht bey uns bleiben, so sehr wir ihn auch baten. Er sagte, daß er den Nachmittag bey einem jungen Menschen zubringen würde, der sich aus Schwermuth das Leben hätte nehmen wollen, aber noch an dem Selbstmorde gehindert worden wäre. Er bat uns, ob wir nicht zur Verbesserung seiner elenden Umstände etwas beytragen und ihn mit einigen Arzneyen versehen lassen wollten, damit nicht die Krankheit des Gemüths durch ein verdorbnes Blut noch mehr unterhalten würde. Weil es schien, daß er die besondern Umstände dieses Menschen mit Fleiß verschwieg: so wollten wir nicht zur Unzeit neugierig seyn. Wir fragten also nichts, als wo er anzutreffen wäre. Er nannte uns eine alte Schifferinn, die ihn, wie er gehört, nur vor etlichen Tagen in ihre Hütte aus Mitleiden eingenommen, in der er sich gestern durch ein Messer, doch ohne Lebensgefahr, verwundet hätte. Wir sagten ihm, daß er nicht bitten, sondern uns vorschreiben sollte, wie ers mit dem Kranken gehalten wissen wollte; weil wir gar keine Ueberwindung nöthig hätten, einem Elenden mit einem Theile von unserm Vermögen zu dienen. Wir schickten ihm, sobald der Geistliche weg war, Betten und andere Sachen. Unser Doctor mußte kommen, und das unglückliche Mädchen, von der ich oben geredt habe, und die itzt Aufseherinn in meinem Hause war, mußte ihn zu dem Kranken begleiten, um zu hören, was er für Anstalten wegen der Speisen und des Getränks machen würde, damit sie alles nach seiner Vorschrift einrichten könnte.

Wir setzten uns zur Tafel und wir wären eines solchen Tages nicht werth gewesen, wenn wir ihn nicht zu geniessen gewußt hätten. Eins war zu dem Vergnügen des andern sinnreich; und Kleinigkeiten, die andre aus Mangel der Vertraulichkeit, oder auch des Geschmacks, vorüber gehn, dienten uns in unserer Gesellschaft zu neuen Unterhaltungen, und erhielten durch die Art, mit der wir uns ihrer bedienten, den Werth, den die prächtigsten Mittel der Freude am wenigsten haben. Kleine Zänkereyen, die Amalie mit Steeleyn wegen des Cosackischen Mädchens anfieng, kleine Vorwürfe, womit wir einander erschreckten, beseelten unsere Vertraulichkeit, und jeder unschuldige Scherz gab uns eine neue Scene des Vergnügens. Die Aufseherinn, die wir zu dem Kranken geschickt hatten, kam mit offnen Armen zurück und erzählte uns, daß sie ihren ungetreuen Liebhaber wieder gefunden, und daß es der Elende selbst wäre, für den wir gesorgt hätten. Er, rief sie, hat mir alles mit tausend Thränen abgebeten, und ich habe ihm alles vergeben, und ich bitte für ihn. Sein Gewissen hat ihn mehr als zu sehr bestraft. Er sagte mir, daß er sich, da er mich so boshaft verlassen, nach Harlem gewendet und sich allen Ausschweifungen überlassen hätte, um nicht an das zu denken, was er gethan. Einige Monate sey es ihm gelungen, nachdem aber hätte er sich der entsetzlichen Vorstellungen, daß er mich und die Frucht unsrer Liebe durch seine Untreue vielleicht ums Leben gebracht, nicht länger erwehren können. Sie hätten ihn genöthigt, an den Ort zurück zu kehren, wo er mich verlassen, und da er weder das Herz gehabt, sich genau nach mir zu erkundigen, noch auch gewußt hätte, wo er es thun sollte: so hätte ihn endlich eine alte Schifferinn auf eben der Wiese, wo er von mir gewichen, und auf der er schon zween Tage zugebracht, in der größten Verzweiflung angetroffen und ihn mit sich in ihre Hütte genommen. Hier hätte er, da er ohnedieß nichts mehr zu leben gehabt, sein Elend durch den Selbstmord endigen und sich zugleich für seine Bosheit bestrafen wollen. Es steht bey ihnen, fuhr sie fort, ob sie ihm durch ihre Wohlthaten das Leben und mich wiedergeben wollen. Ich liebe ihn, als ob er mich nie beleidiget hätte, allein (hier sah sie mich an) sie zu verlassen, das kann ich nicht – Sie verdiente unsere Gewogenheit und unser Vergnügen über ihr Glück. Wir liessen ihren Liebhaber in das Haus neben uns bringen und besuchten ihn den Abend noch. Seine Wunde war nicht gefährlich, und die Freude, seine Geliebte wieder gefunden zu haben, hatte ihm so viel Lebhaftigkeit ertheilt, daß er mit uns sprechen und uns seinen Fehler abbitten konnte. Er wollte uns alles erzählen; allein wir waren mit seiner Reue zufrieden und erliessen ihm die Schaam, sein eigner Ankläger zu werden. Wir sahen in seinem zerstreuten und ausgezehrten Gesichte noch Spuren genug von einer angenehmen Bildung und einem zärtlichen Herzen. Er war noch nicht vier und zwanzig Jahr alt und wegen seiner Jugend der Vergebung und des Mitleids desto würdiger.

Den Rest des Abends brachten wir mit einer Musik zu, die wir uns selber machten. Ich spielte den Flügel, und bald sang ich selbst, bald Amalie, oder Caroline, dazu. Meine kleine Tochter, die in das sechste Jahr gieng, war so verwegen, Steeleyn zu einem Tanze aufzufodern, und sie hätte uns bald alle zu dieser Lust verführt. Wir führten endlich unsre beiden Vermählten in ihr Schlafzimmer und überliessen sie den Wünschen der Liebe.

Als ich mich den Morgen darauf noch mit dem Grafen berathschlagte, was wir unserm Paare heute für ein Vergnügen machen wollten, trat der Bediente herein und sagte, daß ein Engelländer meinen Gemahl sprechen wollte. Sobald er die Thüre öffnete, so sagte uns sein Gesicht, daß es Steeleys Vater wäre. Er hatte ein eisgraues Haupt; aber seine muntern Augen, sein rothes Gesicht, und sein trotziger Gang widerlegten seine Haare. Ich suche, fieng er auf französisch an, meinen Sohn bey ihnen, oder da ich in meinem Leben wohl nicht so glücklich seyn werde, ihn wieder zu sehen: so will ich wenigstens hören, ob sie nicht wissen, wo er ist. Meine Nachricht aus Moskau geht nicht weiter, als daß ich gewiß weis, daß er aus seinem Elende in Siberien hat sollen befreyt werden. Und aus Verlangen einen so theuern Freund von meinem Sohne zu sprechen, bin ich in meinem neun und siebenzigsten Jahre noch einmal zur See gegangen. Ihre Reise, fieng mein Gemahl an, soll sie nicht gereuen. Ich habe Briefe von ihrem Sohne aus Moskau und kann ihnen die erfreuliche Nachricht von seiner baldigen Ankunft zum Voraus melden. Wie lange können sie sich hier aufhalten? Das ganze Jahr hindurch, sprach der Alte, und noch länger, wenn ich meinen Sohn erwarten kann. Mein Gemahl befriedigte seine väterliche Neubegierde mit einigen besondern Nachrichten, und ich eilte zu unserm zärtlichen Paare, um zu sehen, ob sie angekleidet wären. Sie giengen beide noch in ihren Schlafkleidern, und ich ließ dem Grafen heimlich sagen, daß sie aufgestanden wären. Mein Gemahl, sprach ich, nach einigen kleinen Fragen, wird gleich kommen und sie zu einer Spazierfahrt einladen. Indem öffnete er schon die Thüre und trat mit dem Alten herein. In dem Augenblicke riß sich Steeley von seiner Gemahlinn, die ihn in den Armen hatte, los, und lief auf seinen Vater zu. Der Alte sahe ihn nach der ersten Umarmung lange an, ohne ein Wort zu sagen. Ja, rief er endlich, du bist mein Sohn, du bist mein lieber Sohn! Gottlob, nun will ich gern sterben. Mein Sohn, gieb mir einen Stuhl, meine Füsse wollen mich nicht mehr halten. Amalie langte ihm einen und wir traten alle vor ihn. Seine erste Frage war, wer Amalie wäre. Seit gestern, sprach sie, bin ich die Gemahlinn ihres Sohnes. Sind sie mit seiner Wahl zufrieden? Er nahm sie recht liebreich bey der Hand. Ist es gewiß, daß sie meine Tochter sind: so küssen sie mich, und sagen sie mir, aus welchem Lande sie sind. Er machte ihr darauf die größten Liebkosungen, und that allerhand Fragen, die seinem ehrlichen Charakter gemäß und uns deswegen angenehm waren, wenn sie gleich nicht die wichtigsten waren. Es mißfiel ihm, da er hörte, daß wir nicht getanzt hätten. Nicht getanzt? fieng er an, wie traurig muß diese Hochzeit gewesen seyn! Nein, was unsere Vorfahren für gut befunden haben, das muß man nicht abkommen lassen. An seinem Hochzeittage muß man froh seyn. Wenn wir nach London kommen: so will ich alles so anordnen, wie es an meiner Hochzeit war. Es sind Gottlob! schon funfzig Jahre verstrichen, und ich weis alles noch so genau, als ob es erst gestern geschehen wäre. Es ist wahr, sprach er zu Amalien, sie sehn viel schöner aus, als meine selige Frau an ihrem Brauttage sah; aber sie war viel besser angezogen. Er beschrieb ihr mit der Freude eines Alten, dem das gefällt, was in seiner Jugend Mode gewesen, den ganzen Anzug seiner Frau, und sie versprach ihm, wenigstens um den Kopf und den Hals einen Theil von diesem Staate nachzuahmen. Sie that es auch, und in einem engen Leibchen und grossen weissen Ermeln, drey oder viermal mit Bande gebunden, und in Locken, die bis auf die Schultern hiengen, gefiel sie ihm erst recht wohl. Sein Sohn mußte ihm sein Schicksal erzählen. Er weinete die bittersten Thränen, wenn Steeley auf eine betrübte Begebenheit kam; und mitten unter den Thränen machte er hier und da noch allerhand Anmerkungen. Er fuhr ihn z. E. bey dem Anfange seiner Geschichte recht väterlich an, daß er den Gesandten verlassen hätte und ein Soldat geworden wäre. Bald darauf umarmte er ihn, daß er so rechtschaffen an den Grafen gehandelt hätte, als er auf dem Wege krank geworden. Da erkenne ich meinen Sohn, rief er. Gott weis es, ich hätte es eben so gemacht; das heißt seinen Freunden in der Noth dienen! Bey der Begebenheit mit dem Popen in Rußland machte er ihm keine Vorwürfe. Deine Liebe zur Wahrheit, sprach er, ist dir freylich übel bekommen, und ich wünschte, es wäre nicht geschehn; aber es ist doch allemal besser, seine Meinung frey heraus zu sagen, als mit einer niederträchtigen Furchtsamkeit zu reden. Ich sehe dich, weil die Sache von der Religion hergekommen ist, als einen Märtyrer an; und ich danke Gott für den Muth, den er dir gegeben hat. Bey den grossen Diensten, die der Graf Steeleyn in Siberien erwiesen, nahm er eine recht majestätische Mine an. Nun, sprach er, das ist Großmuth! mehr kann kein Freund an dem andern thun. Ach Herr Graf, sie haben noch ein redlicher Herz als ich und mein Sohn. Ihnen habe ich meinen Sohn zu danken. Ja, in meinem ganzen Leben, noch in jenem Leben will ich sie rühmen. Die Geschichte der Liebe mit Amalien trug Steeley auf der Seite vor, wo er wußte, daß sie seinen Vater am meisten rühren würde. Er ließ alles Freundschaft in ihrem Umgange seyn, und die Liebe nicht eher, als kurz vor der Abreise aus Moskau, entstehen. Alles gefiel ihm, alles war schön an Amalien, und ie mehr er aus der ganzen Erzählung schloß, daß Amalie vor ihrer Vermählung seinem Sohne keine vertrauliche Liebe erlaubt, desto freudiger ward er, und desto mehr Hochachtung bezeigte er ihr. Da die Erzählung geendigt war, umarmte er Amalien noch einmal. Ach, sprach er, mein Sohn ist ihrer nicht werth. Er verdient eine liebe Frau; aber wodurch hat er sie verdient? Kommen sie mit nach London, ich habe ein grosses Haus und es ist in der ganzen Welt nicht besser, als in London. Was? fieng ich an, als in London? und hier bey ihnen, fuhr er lächelnd fort, und fragte mich, ob ich ihn denn auch etliche Tage bey mir behalten und mir seine Art zu leben, die nicht nach der Welt wäre, gefallen lassen wollte. Er war wirklich bey allen seinen kleinen Fehlern ein rechter liebenswürdiger Mann, und die Aufrichtigkeit, mit der er sie begieng, machte sie angenehm. Er war dreist, ohne die Höflichkeit zu beleidigen, und seine Vorurtheile waren entweder unschuldig, oder doch dem Umgange nicht beschwerlich. Wir begiengen diesen und den folgenden Tag das Hochzeitfest nach seinem Plane. Er war auf die anständigste Art munter, und weckte uns alle durch sein Beyspiel auf. Sein Leibspruch war, man kann fromm und auch vergnügt seyn. Mein Sohn, sprach er, hat mir viel bekümmerte Stunden gemacht, nun soll er mir freudige Tage machen. Er tanzte denselben Abend bis um eilf Uhr und war gegen R** und den Grafen, und gegen seinen Sohn selbst, ein Jüngling. Das heißt, fieng er endlich an, recht ausgeschweift. So spät bin ich seit vierzig Jahren nicht zu Bette gegangen. Aber ist doch das Tanzen keine Sünde. Wenn ich nun auch diese Nacht stürbe, so würde mir meine Freude doch nichts schaden. R** fragte ihn bey dieser Gelegenheit, wie er sich denn bis in sein hohes Alter so munter erhalten, und wodurch er die Furcht vor dem Tode besiegt hätte, da er ihm nach seinen Jahren so nah wäre. Daß ich noch so munter bin, sprach er, das ist eine Gabe von Gott und eine Wirkung eines ordentlichen Lebens, zu dem ich von den ersten Jahren an gewöhnet worden bin. Und warum sollte ich mich vor dem Tode fürchten? Ich bin ein Kaufmann: ich habe meine Pflicht in Acht genommen, und Gott weis, daß ich Niemanden mit Willen um einen Pfennig betrogen habe. Ich bin gegen die Nothleidenden gütig gewesen, und Gott wird es auch gegen mich seyn. Die Welt hier ist schön; aber jene wird noch besser seyn – Mußte man einen solchen Mann nicht lieben, der von Jugend auf mit dem Gewinn umgegangen war und doch ein so edelmüthiges Herz hatte? Er bezeigte über das grosse Vermögen, das Amalie besaß, keine besondere Freude. Mein Sohn, sprach er, du hast ein Glück mehr, als andre Leute; aber du hast auch eine Last mehr, wenn du dein Glück recht gebrauchen willst.

Nachdem er das Vergnügen eingesammlet hatte, das sich ein Vater in seinen Umständen wünschen konnte: so waren alle unsre Bitten nicht vermögend, ihn von der Rückkehr in sein Vaterland abzuhalten. Ich will in Londen sterben, sprach er, und bey meiner Frau begraben werden; lassen sie mich reisen, ehe die See stürmisch wird. Ich will ihnen meinen Sohn zurück lassen und zufrieden seyn, wenn er künftiges Jahr zu mir kömmt. Der junge Steeley wollte seinen Vater nicht gern allein reisen lassen, und sich doch auch nicht von uns trennen. Mit einem Worte, wir entschlossen uns alle, Carolinen ausgenommen, ihn nach Londen zu begleiten und den Winter über da zu bleiben. Dieses hatte der Alte gewünscht; aber nicht das Herz gehabt, es uns zuzumuthen. Ehe wir fortgiengen, stifteten wir noch ein gutes Werk. Wid, so hieß der junge Mensch, der seine Geliebte ehemals verlassen hatte, war völlig von seiner Krankheit wieder hergestellt. Er wünschte nichts, als seine Braut zu besitzen, und mit seinem Vater wieder ausgesöhnt zu werden. Wir hatten an ihn geschrieben; aber er wollte nichts von seinem Sohne mehr wissen, und versicherte uns, daß er ihn, so geringe sein Vermögen wäre, doch schon enterbt hätte. Der junge Wid dauerte uns, und wir sahen, daß er die Thorheit seiner Jugend in seinen männlichen Jahren wieder gut machen würde. Er hatte in Leiden bis in sein siebenzehentes Jahr studirt, und nachdem auf seines Vaters Willen in ein Contoir gehen müssen. Andreas war auf das erste Wort willig, ihn in seine Handlung zu nehmen. Wir machten ihm eine kleine Hochzeit. Amalie stattete die Braut sehr reichlich aus, und der alte Steeley und der Graf gaben ihm auch tausend Thaler. Wir streckten ihm überdieß noch ein Capital in die Handlung vor und meldeten alles dieses seinem Vater, um ihn desto eher zu gewinnen. Wir überliessen also Carolinen unsre Tochter und unser Haus zur Aufsicht, und giengen zwölf Tage nach des alten Steeley Ankunft zur See. Der Wind war uns so günstig, daß wir in wenig Tagen nur noch etliche Meilen von Londen waren. Wir trafen ein Paquetboot an, und um eher am Lande zu seyn, setzten wir uns in dieses; allein zu unserm Unglücke. Wir waren alle in dem Boote, bis auf den alten Christian der Amalie. Dieser wollte seinem Herrn die Chatoulle, in welcher der größte Theil von Amaliens Vermögen an Kleinodien und Golde war, von dem Schiffe zulangen. Steeley und ein Bedienter des Grafen griffen auch wirklich darnach; allein vergebens. Christian, es mag nun seine Unvorsichtigkeit oder das Schwanken des Schiffes schuld gewesen seyn, ließ vor unsern Augen die Chatoulle in die See fallen und schoß in dem Augenblicke, entweder aus Schrecken, oder weil er sich zu sehr über Bord gebogen hatte, selbst nach. Wir hatten alle Mühe, ihm das Leben zu retten, und ein Schatz von mehr als funfzig tausend Thalern war in einem Augenblicke verlohren. Bin ich ihnen, fieng endlich Amalie zu ihrem Manne an, als Christian in dem Boote war, bin ich ihnen noch so lieb, als zuvor? Steeley betheuerte es ihr mit einem heiligen Schwure, und nun war sie zufrieden. Der alte Steeley, so wenig er das Geld liebte, konnte doch den Zufall nicht vergessen. Er hielt dem alten Christian eine lange Strafpredigt. Endlich nahm er Amalien bey der Hand. Seyn sie getrost, sprach er, ich habe Gottlob! so viel, daß sie beide nach meinem Tode ohne Kummer mit einander werden leben können. Den armen Christian kostete diese Begebenheit dennoch das Leben. Er kam krank nach London und starb bald nach unsrer Ankunft. Amalie und Steeley hatten eine ausserordentliche Liebe für diesen Menschen, und sie liessen ihn den verursachten Verlust so wenig entgelten, daß sie ihn vielmehr für seine Treue auf die großmüthigste Art noch auf seinem Sterbebette belohnten. Sobald sie von dem Doctor hörten, daß wenig Hoffnung zu seinem Aufkommen übrig wäre: so liessen sie ihn in ein Zimmer neben dem ihrigen legen, um ihn recht sichtbar zu überführen, daß sie nicht auf ihn zürnten, denn dieses war sein Kummer. Kurz vor seinem Tode besuchte ich ihn noch mit Amalien. Der alte Steeley kam auch und setzte sich vor das Bette des Kranken, um ihn sterben zu sehn. Er hat ein sanftes Ende, fieng er zu uns an, und wenn es seyn müßte, ich wollte gleich mit ihm sterben. Der Sterbende schien sich noch einmal aufrichten zu wollen, und indem schoß ihm ein Strom vom Blute aus dem Munde, und Christian war todt. Bin ich nicht erschrocken? rief der Alte zitternd. Wir wollten ihn in das andere Zimmer führen; allein er konnte sich nicht aufrecht erhalten, und wir mußten ihn hinein tragen lassen. Laßt mir meinen Großvaterstuhl bringen, fieng er an, in diesem will ich sterben, ich fühle mein Ende. Man brachte ihm den Stuhl und er ließ ihn vor das Fenster, das nach dem Garten gieng, setzen, damit er den Himmel ansehn könnte. Er hub seine Hände auf, und bat uns, (wir waren alle zugegen) daß wir ihn nicht stören sollten. Nachdem er sein Gebet verrichtet, rief er seinen Sohn. Ich fühle es, sprach er, daß ich bald sterben werde. Der gute Christian hat mich recht erschreckt; aber wer kann dafür? Hier hast du den Schlüssel zu meinem Schreibetische. Gott segne dir und deiner Frau das Vermögen, das ich euch hinterlasse. Es ist kein Heller von unrechtmäßigem Gute dabey. Der Doctor, nach dem wir geschickt hatten, kam und öffnete ihm eine Ader, wozu der Alte anfangs gar nicht geneigt war. Doch es gieng kein Blut. Er schlug ihm eine an dem Fusse, und auch da kam keines. Sieht er, sprach der Alte, daß seine Kunst nichts hilft, wenn Gott nicht will? Was hat er nunmehr für Hoffnung? Keine, sprach der Medicus. So gefällt er mir, war seine Antwort, wenn er aufrichtig redt. Bedienen sie sich, fuhr der Doctor fort, der guten Augenblicke, wenn sie noch einige Anstalten zu treffen haben. Der Alte lächelte: als wenn ich in achtzig Jahren nicht Zeit genug gehabt hätte, die Anstalt zu meinem Tode zu treffen. Gott, fuhr er fort, kann mich rufen, wenn er will, ich bin fertig, bis auf das Abschied nehmen. Wo sind meine Kinder und meine lieben Gäste? Wir traten alle mit thränenden Augen vor ihn, und er nahm von einem jeden insbesondere Abschied. Ach, fieng er darauf an, wie schön wirds in jener Welt seyn! Ich freue mich recht darauf; und wen werd ich von ihnen am ersten da umarmen? – Es wird mir ganz dunkel vor den Augen: aber sonst ist mir recht wohl, recht – Bey diesen Worten überfiel ihn eine Ohnmacht und bald darauf starb er.

Der Anfang unsers Aufenthalts in London war also traurig und das Geräusche der Stadt und der Besuch ward uns so beschwerlich, daß wir uns gleich nach der Beerdigung entschlossen, den Rest des Herbsts und den Winter selbst auf Steeleyns Landgute, das etliche Meilen von London war, zuzubringen.

Wir lebten daselbst sechs Monate recht zufrieden und meistens einsam, ausser, daß wir zuweilen die Schwester von der ehmaligen Braut unsers Steeley besuchten, und wieder von ihr besucht wurden. Sie war von ihrer ganzen Familie noch allein am Leben, und entschlossen, niemals zu heyrathen. Niemand, als sie, wußte, wer mein Gemahl war, denn die andern Nachbarn kannten ihn nicht anders, als unter dem Namen des Herrn von Loewenhoeck. Dieses Frauenzimmer, die nichts weniger, als schön war, besaß doch die liebenswürdigsten Eigenschaften. Amalie, sie und ich, brachten manche Stunde bey der Gruft ihrer Schwester zu, und ehrten ihr Andenken mit unsern Thränen.

Es war Frühling und viele Familien aus London besuchten nunmehr das Land. Das nächste Gut an dem unsrigen gehörte dem Staatssecretair Robert. Dieser hatte mit Steeleyn ehemals in Oxford studirt, und Steeley war sehr begierig, ihn nach so vielen Jahren einmal wieder zu sehn. Er schrieb an ihn, so bald er hörte, daß er auf dem Landgute angekommen war, und bat um die Erlaubniß, daß er ihn nebst seiner Frau und noch ein Paar guten Freunden besuchen dürfte. Robert, der noch gar nicht gewußt hatte, daß Steeley wieder aus Moskau zurück gekommen war, schickte ihm den andern Tag eine Antwort voll Sehnsucht und Freundschaft, und zugleich seinen eignen Wagen. R. war unpaß, und wir fuhren also ohne ihn zu Roberten, und kamen kurz vor der Mittagsmahlzeit an. Er empfieng uns mit vieler Höflichkeit, und Steeley präsentirte ihm meinen Gemahl unter seinem angenommenen Namen, als einen Freund, den er mit aus Siberien gebracht. Unser Wirth, der ganz allein war, nöthigte uns ohne Verzug zur Tafel, damit er ungestört mit uns reden könnte. Wir hatten uns kaum niedergesetzt und ausser den Complimenten noch nichts gesprochen, als der Bediente des Staatssecretairs hereintrat, und iemanden anmeldete, aber so sachte, daß wir nichts, als das Wort Abgesandter verstehen konnten. Müssen wir denn gestört werden? fieng Robert ganz zornig an, und eilte den Augenblick nebst dem Bedienten aus dem Zimmer. Wir blieben sitzen und erwarteten mit größtem Verdruß den neuen Gast; aber o Himmel, was für ein Anblick war das für mich und den Grafen, als Robert den Prinzen von S** herein geführet brachte! Wir sprangen beide von der Tafel auf, und wußten nicht, ob wir in dem Zimmer bleiben sollten. Der Prinz trat auf mich zu, als ob er seinen Augen nicht trauen wollte; indem sah er den Grafen und erschrack, daß er blaß wurde. Robert merkte nichts von diesem Geheimnisse und nöthigte den Prinzen und uns, die er seine Freunde nannte, an die Tafel. Der Prinz bedankte sich und sagte, daß er schon gefrühstückt hätte und nur gekommen wäre, sich einige Stunden mit der Jagd zu vergnügen. Robert antwortete, daß er ihm Gesellschaft leisten wollte; allein er nahm es nicht an. Geben sie mir ihren Jäger mit, sprach er ganz zerstreut; auf den Abend will ich gewiß ihr Gast seyn. Indem machte er uns allen ein Compliment und Robert begleitete ihn. Ach, fieng mein Gemahl zu Steeley an: wo haben sie uns hingeführt? Wie wird mirs und meiner Gemahlinn ergehn? Das war der Prinz von S** Er wird in den Verrichtungen seines Königs hier seyn, und ich, ich – Robert kam mit einer unruhigen Mine wieder. Ich weis nicht, sprach er, warum der Prinz so bestürzt war. Er muß iemanden von ihnen kennen oder zu kennen sich einbilden. Er fragte insonderheit nach ihnen; (er meinte den Grafen) allein ich sagte ihm, daß ich mit meinen Gästen selbst noch nicht bekannt wäre. Er ist in den Angelegenheiten des Königs von Schweden seit kurzer Zeit hier, und wird vermuthlich bald wieder von hier zur Armee abgehn. Unser Wirth schloß aus unsrer Bestürzung auf ein Geheimniß und bat, daß wir ihm die Sache entdecken sollten, wenn sie nicht von Wichtigkeit wäre. Ich will ihnen alles sagen, fieng der Graf an, und zum Voraus um ihren Schutz bitten, wenn ich ihn verdiene. Ich bin der Graf von G** Mein Name wird ihnen durch mein Unglück vielleicht schon bekannt seyn. Ich bin vor zehn Jahren als ein Schwedischer Obrister so unglücklich gewesen, daß mir das Leben durch das Kriegsrecht abgesprochen worden ist. Darauf erzählte er ihm das Uebrige, und wie er zu seiner Sicherheit, als ein Gefangner der Russen, den Namen Loewenhoeck angenommen. Der Prinz, fuhr er fort, ist mein Feind, und meine Verurtheilung ist vielleicht eine Würkung seiner Rache gewesen. Ich will ihnen die Ursache nicht sagen, wodurch er bewogen worden, meinen Untergang zu suchen. Sie ist ihm vielleicht nachtheiliger, als seine Rache selbst. Ich schliesse aus seiner Bestürzung, daß er mich für todt muß gehalten haben, und wer weis, ob nicht die Zeit seinen Haß gegen mich vertrieben hat. Bin ich, schloß er endlich, nicht so unschuldig, als ich ihnen gesagt habe: so lasse mich Gott noch durch die Verfolgung dieses Prinzen sterben. Unser Wirth, dem das Blut vor edler Empfindung in das Gesicht trat, reichte dem Grafen die Hand. Bleiben sie bey mir, sprach er. Ich will alle mein Ansehn bey Hofe zu ihrer Sicherheit anwenden, und wenn das nicht hilft, mein Leben. Verlassen sie sich auf mein Wort, ich bin ein ehrlicher Mann. Ich will dem Prinzen in etlichen Stunden entgegen fahren und ihn zurück holen, und bey meiner Zurückkunft will ich ihnen sagen, was sie thun sollen. Erzählen sie mir indessen alles, was zu ihrem Schicksale gehört, denn ich sehe doch, daß wir itzt nicht essen können. Wir thaten es. Ich bin ihr Freund, fieng Robert endlich an, mehr kann ich ihnen nicht sagen; ich will es ihnen aber beweisen. Er fuhr nunmehr dem Prinzen entgegen und bat, daß wir uns bis zu seiner Zurückkunft in dem Garten aufhalten sollten. Wir erwarteten ihn daselbst zwischen Furcht und Hoffnung und waren beynahe entschlossen, ohne seine Erlaubniß wieder zurück zu kehren. Endlich sahen wir ihn nebst dem Prinzen in den Garten kommen, und mein ganzes Herz empörte sich über diesen Anblick. Der Prinz gieng gerade auf den Grafen zu, der die Augen niederschlug, und umarmte ihn, nachdem er mir und Amalien ein Compliment gemacht. Ich bin ihr Freund, sprach er, wenn ichs auch nicht immer gewesen bin, und ich wünsche, daß sie der meinige werden möchten. Wir haben sie alle für todt gehalten. Ich weis, daß ihnen bey der Armee zu viel geschehen ist, und es kömmt auf sie an, was sie für eine Genugthuung fodern wollen. Keine, antwortete der Graf, als diejenige, die sie mir schon ertheilt haben, nämlich daß ich unschuldig und der Gnade des Königs nicht unwerth bin. Sie sind ihrer so werth, versetzte der Prinz, daß ich ihnen in seinem Namen zweyerley zum Voraus verspreche. Wollen sie mit nach Schweden und zur Armee zurückkehren: so biete ich ihnen die Stelle eines Generals an. Dieß wird die beste Ehrenerklärung für das seyn, was ihnen als Obersten Schuld gegeben worden ist. Wollen sie dieß nicht: so bleiben sie hier. Ich will es bey dem Könige so weit bringen, daß sie als Schwedischer Envoye bey meiner Abreise zurück bleiben sollen. Sagen sie ja, Herr Graf, damit ich das Vergnügen habe, sie zu überzeugen, daß ich sie hoch schätze und das Vergangene wieder gut machen will. Der Graf schlug beydes aus. Ich bin zufrieden, sprach er, daß sie mein Freund sind, und mich in die Gnade des Königs von neuem setzen wollen: mehr verlange ich nicht. Sollte ich mich noch einmal in die grosse Welt wagen und glücklich seyn, um vielleicht wieder unglücklich zu werden? Ich will mein Leben ohne öffentliche Geschäfte beschliessen. Robert mengte sich endlich in das Gespräch, und unsere Furcht vor dem Prinzen verminderte sich. Es sey nun, daß seine Rache gesättigt war, oder daß ihn sein Gewissen gequält hatte: so bezeugte er den ganzen Abend eine ausserordentliche Freude, daß der Graf noch lebte, den er so viele Jahre hindurch für todt gehalten hatte. Mein Gemahl that so großmüthig gegen ihn, als ob er nie von ihm wäre beleidigt worden. Der Prinz nahm noch denselben Abend von uns Abschied, weil er sehr früh wieder zurück nach London wollte. Wenn sie mein Freund sind, sprach er zum Grafen, so besuchen sie mich noch diese Woche, oder ich komme zu ihnen. Der Graf versprach es ihm, allein er konnte sein Wort nicht halten; die Zeit war da, daß ich ihn zum andern male verlieren sollte. Denn in eben dieser Nacht bekam er einen Anfall von einem Fieber. Wir eilten den andern Tag von unserm großmüthigen Wirthe auf unser Landgut zurück, und das Fieber ließ den armen Grafen kaum mehr aufdauern. Er ward in wenig Tagen so entkräftet, daß er die Hofnung zum Leben aufgab. Ich kam bis in den neunten Tag weder Tag noch Nacht von seiner Seite und suchte mir ihn recht wider den Willen des Schicksals zu erhalten; so vollkommen liebte ich ihn noch. Drey Tage vor seinem Ende wünschte er, daß ihn der Prinz besuchen möchte. Wir liessens ihm eiligst melden, und er war den Tag darauf schon zugegen. Sehn sie, sprach der Graf, daß ich keine Gnade des Königs mehr nöthig habe? Ich will nur Abschied von ihnen nehmen und sie und mich überzeugen, daß ich als ihr Freund sterbe. Der Prinz war so gerührt und zugleich so beschämt, daß er ihm wenig antworten konnte. Er blieb wohl eine halbe Stunde vor dem Bette sitzen und drückte ihm die Hand, und fragte, ob er ihm denn mit nichts mehr dienen könnte, als mit seinem Mitleiden. Der Graf ward so schwach, daß er kaum mehr reden konnte; und bat den Prinzen ihn zu verlassen. Der Prinz gieng mit der größten Wehmuth fort und wagte es nicht, von mir Abschied zu nehmen. Den andern Tag kam der Graf aus einem tiefen Schlafe eine Stunde lang wieder zu sich selber. Amalie, Steeley und R**, der doch selbst noch krank war, traten alle zu ihm. Bald, sprach er zu mir, hätte ich euch nicht wieder gesehn. Ach meine Gemahlinn, der Tod ist nicht schwer, aber euch und meine Freunde zu verlassen, das ist bitter. Ich sterbe; und ihnen, mein lieber R**, überlasse ich meine Gemahlinn. Er starb auch an eben dem Tage. Ich will meinen Schmerz über seinen Tod nicht beschreiben. Er war ein Beweis der zärtlichsten Liebe und bis zur Ausschweifung groß. Ich fand eine Wollust in meinen Thränen, die mich viele Wochen an keine Beruhigung denken ließ, und Amalie klagte mit mir, an Statt, daß sie mich trösten sollte. R** mußte die meiste Zeit über das Bette hüten, und auch dieses vermehrte meinen Schmerz: Steeley allein sann auf meine Ruhe und nöthigte mich, da die beste Zeit des Jahres verstrichen war, mit ihm nach London zurück zu kehren.

Das erste, was mir da wieder begegnete, war ein Vorfall mit dem Prinzen. Er war im Begriffe von London wegzugehn, und wagte es in Roberts Gesellschaft bey unsrer Ankunft mir die Condolenz abzustatten. Er wiederholte seinen Besuch binnen zwey Tagen etliche mal und begehrte, daß ich ihm eine Bittschrift an den König mitgeben und um die Ersetzung der eingezogenen Güter meines Gemahls anhalten sollte. Ich gab ihm eine, bloß um ihn nicht zu beleidigen. Noch an eben dem Tage erhielt ich einen Besuch von dem Staatssecretair. Ich will ihnen, fieng er nach etlichen Complimenten an, die Ursache meines Besuchs kurz entdecken. Ich bin ein Abgeordneter des Prinzen, und ich weis nicht, ob sie mich ohne Unwillen anhören werden. Wissen sie, daß ihm seine Gemahlinn vor etlichen Jahren gestorben ist? Er wünscht, sie als Gemahlinn mit nach Schweden nehmen zu können, und es ist nichts gewisser, als daß er sie auf das äusserste liebt. Mit einem Worte, er will durch mich erfahren, ob er hoffen darf, oder nicht. Nunmehr habe ich ihnen alles gesagt, und sie dürfen sich bey ihrer Antwort nicht den geringsten Zwang anthun. Steeley und Amalia und R** waren zugegen, als er mir den Antrag that, und R** erschrack, als ob er mich schon verloren hätte. Ich entsetzte mich selbst über die Verwegenheit des Prinzen und antwortete dem Herrn Robert nichts als dieses: Hier ist mein Gemahl und wies auf den Herrn R**. In der That war er mir noch so schätzbar, daß ich ihn allen andern vorgezogen haben würde, wenn ich mich hätte entschliessen können, mich wieder zu vermählen. Und vielleicht wäre ich, soll ich sagen, zärtlich, oder schwach genug dazu gewesen, wenn er länger gelebt hätte. Er starb bald darauf an seiner noch fortdauernden Krankheit und die Betrübniß über seinen Verlust überführte mich, wie sehr ihn mein Herz noch geliebt hatte.

 

_____________