B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
1749 - 1832
     
   


F a u s t .
E i n e   T r a g ö d i e .


D e r   T r a g ö d i e   E r s t e r   T h e i l .

________________________________________________


[97]       S t u d i r z i m m e r .

      __________

      F a u s t .   M e p h i s t o p h e l e s .

F a u s t .
1530 Es klopft? Herein! Wer will mich wieder plagen?

M e p h i s t o p h e l e s .
Ich bin's.

F a u s t .
                  Herein!

M e p h i s t o p h e l e s .
                                    Du mußt es dreymal sagen.

F a u s t .
Herein denn!

M e p h i s t o p h e l e s .
                  So gefällst du mir.
[98] Wir werden, hoff' ich, uns vertragen;
Denn dir die Grillen zu verjagen,
1535 Bin ich, als edler Junker, hier,
In rothem goldverbrämtem Kleide,
Das Mäntelchen von starrer Seide,
Die Hahnenfeder auf dem Hut,
Mit einem langen, spitzen Degen,
1540 Und rathe nun dir, kurz und gut,
Dergleichen gleichfalls anzulegen;
Damit du, losgebunden, frey,
Erfahrest, was das Leben sey.

F a u s t .
In jedem Kleide werd ich wohl die Pein
1545 Des engen Erdelebens fühlen.
Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
Zu jung, um ohne Wunsch zu seyn.
Was kann die Welt mir wohl gewähren?
Entbehren sollst du! sollst entbehren!
1550 Das ist der ewige Gesang,
Der jedem an die Ohren klingt,
Den, unser ganzes Leben lang,
Uns heiser jede Stunde singt.
[99] Nur mit Entsetzen wach' ich Morgens auf,
1555 Ich möchte bittre Thränen weinen,
Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,
Der selbst die Ahndung jeder Lust
Mit eigensinnigem Krittel mindert,
1560 Die Schöpfung meiner regen Brust
Mit tausend Lebensfratzen hindert.
Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,
Mich ängstlich auf das Lager strecken,
Auch da wird keine Rast geschenkt,
1565 Mich werden wilde Träume schrecken.
Der Gott, der mir im Busen wohnt,
Kann tief mein Innerstes erregen,
Der über allen meinen Kräften thront,
Er kann nach außen nichts bewegen;
1570 Und so ist mir das Daseyn eine Last,
Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.

M e p h i s t o p h e l e s .
Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast.

F a u s t .
O seelig der! dem er im Siegesglanze
[100] Die blut'gen Lorbeern um die Schläfe windet,
1575 Den er, nach rasch durchras'tem Tanze,
In eines Mädchens Armen findet.
O wär' ich vor des hohen Geistes Kraft
Entzückt, entseelt dahin gesunken!

M e p h i s t o p h e l e s .
Und doch hat Jemand einen braunen Saft,
1580 In jener Nacht, nicht ausgetrunken.

F a u s t .
Das Spioniren, scheint's, ist deine Lust.

M e p h i s t o p h e l e s .
Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewußt.

F a u s t .
Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
Ein süß bekannter Ton mich zog,
1585 Den Rest von kindlichem Gefühle
Mit Anklang froher Zeit betrog;
So fluch' ich allem was die Seele
Mit Lock= und Gaukelwerk umspannt,
Und sie in diese Trauerhöle
1590 Mit Blend= und Schmeichelkräften bannt!
Verflucht voraus die hohe Meinung,
[101] Womit der Geist sich selbst umfängt!
Verflucht das Blenden der Erscheinung,
Die sich an unsre Sinne drängt!
1595 Verflucht, was uns in Träumen heuchelt,
Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
Verflucht, was als Besitz uns schmeichelt,
Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!
Verflucht sey Mammon, wenn mit Schätzen
1600 Er uns zu kühnen Thaten regt,
Wenn er zu müßigem Ergetzen
Die Polster uns zurechte legt!
Fluch sey dem Balsamsaft der Trauben!
Fluch jener höchsten Liebeshuld!
1605 Fluch sey der Hoffnung! Fluch dem Glauben,
Und Fluch vor allen der Geduld!

G e i s t e r c h o r unsichtbar.
       Weh! weh!
       Du hast sie zerstört,
       Die schöne Welt,
1610        Mit mächtiger Faust,
       Sie stürzt, sie zerfällt!
       Ein Halbgott hat sie zerschlagen!
[102]        Wir tragen
       Die Trümmern ins Nichts hinüber,
1615        Und klagen
       Ueber die verlorne Schöne.
       Mächtiger
       Der Erdensöhne,
       Prächtiger
1620        Baue sie wieder,
       In deinem Busen baue sie auf!
       Neuen Lebenslauf
       Beginne,
       Mit hellem Sinne,
1625        Und neue Lieder
       Tönen darauf!

M e p h i s t o p h e l e s .
       Dies sind die kleinen
       Von den Meinen.
       Höre, wie zu Lust und Thaten
1630        Altklug sie rathen!
       In die Welt weit,
       Aus der Einsamkeit,
[103]        Wo Sinnen und Säfte stocken,
       Wollen sie dich locken.

1635 Hör' auf, mit deinem Gram zu spielen,
Der, wie ein Geyer, dir am Leben frißt;
Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen,
Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
Doch so ist's nicht gemeynt
1640 Dich unter das Pack zu stoßen.
Ich bin keiner von den Großen;
Doch willst du, mit mir vereint,
Deine Schritte durchs Leben nehmen;
So will ich mich gern bequemen,
1645 Dein zu seyn, auf der Stelle.
Ich bin dein Geselle
Und, mach ich dir's recht,
Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!

F a u s t .
Und was soll ich dagegen dir erfüllen?

M e p h i s t o p h e l e s .
1650 Dazu hast du noch eine lange Frist.

[104] F a u s t .
Nein nein! der Teufel ist ein Egoist
Und thut nicht leicht um Gottes Willen
Was einem andern nützlich ist.
Sprich die Bedingung deutlich aus;
1655 Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus.

M e p h i s t o p h e l e s .
Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden,
Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
Wenn wir uns drüben wieder finden,
So sollst du mir das Gleiche thun.

F a u s t .
1660 Das Drüben kann mich wenig kümmern,
Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
Die andre mag darnach entstehn.
Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;
1665 Kann ich mich erst von ihnen scheiden,
Dann mag was will und kann geschehn.
Davon will ich nichts weiter hören,
Ob man auch künftig haßt und liebt,
[105] Und ob es auch in jenen Sphären
1670 Ein Oben oder Unten giebt.

M e p h i s t o p h e l e s .
In diesem Sinne kannst du's wagen.
Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
Mit Freuden meine Künste sehn,
Ich gebe dir was noch kein Mensch gesehn.

F a u s t .
1675 Was willst du armer Teufel geben?
Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
Von deines Gleichen je gefaßt?
Doch hast du Speise die nicht sättigt, hast
Du rothes Gold, das ohne Rast,
1680 Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,
Ein Spiel, bey dem man nie gewinnt,
Ein Mädchen, das an meiner Brust
Mit Aeugeln schon dem Nachbar sich verbindet,
Der Ehre schöne Götterlust,
1685 Die, wie ein Meteor, verschwindet.
Zeig mir die Frucht die fault, eh' man sie bricht,
Und Bäume die sich täglich neu begrünen!

[106] M e p h i s t o p h e l e s .
Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
Mit solchen Schätzen kann ich dienen.
1690 Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran
Wo wir was Gut's in Ruhe schmausen mögen.

F a u s t .
Werd' ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sey es gleich um mich gethan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,
1695 Daß ich mir selbst gefallen mag,
Kannst du mich mit Genuß betrügen;
Das sey für mich der letzte Tag!
Die Wette biet' ich!

M e p h i s t o p h e l e s .
                  Top!

F a u s t .
                                    Und Schlag auf Schlag!
Werd' ich zum Augenblicke sagen:
1700 Verweile doch! du bist so schön!
Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zu Grunde gehn!
Dann mag die Todtenglocke schallen,
[107] Dann bist du deines Dienstes frey,
1705 Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,
Es sey die Zeit für mich vorbey!

M e p h i s t o p h e l e s .
Bedenk' es wohl, wir werden's nicht vergessen.

F a u s t .
Dazu hast du ein volles Recht;
Ich habe mich nicht freventlich vermessen.
1710 Wie ich beharre bin ich Knecht,
Ob dein, was frag' ich, oder wessen.

M e p h i s t o p h e l e s .
Ich werde heute gleich, beym Doctorschmaus,
Als Diener, meine Pflicht erfüllen.
Nur eins! - um Lebens oder Sterbens willen
1715 Bitt' ich mir ein paar Zeilen aus.

F a u s t .
Auch was geschriebnes forderst du Pedant?
Hast du noch keinen Mann, nicht Mannes=Wort gekannt?
Ist's nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?
1720 Ras't nicht die Welt in allen Strömen fort,
Und mich soll ein Versprechen halten?
[108] Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,
Wer mag sich gern davon befreyen?
Beglückt, wer Treue rein im Busen trägt,
1725 Kein Opfer wird ihn je gereuen!
Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
Ist ein Gespenst vor dem sich alle scheuen.
Das Wort erstirbt schon in der Feder,
Die Herrschaft führen Wachs und Leder.
1730 Was willst du böser Geist von mir?
Erz, Marmor, Pergament, Papier?
Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
Ich gebe jede Wahl dir frey.

M e p h i s t o p h e l e s .
Wie magst du deine Rednerey
1735 Nur gleich so hitzig übertreiben?
Ist doch ein jedes Blättchen gut.
Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.

F a u s t .
Wenn dieß dir völlig G'nüge thut,
So mag es bey der Fratze bleiben.

M e p h i s t o p h e l e s .
1740 Blut ist ein ganz besondrer Saft.

[109] F a u s t .
Nur keine Furcht, daß ich dieß Bündniß breche!
Das Streben meiner ganzen Kraft
Ist g'rade das was ich verspreche.
Ich habe mich zu hoch gebläht,
1745 In deinen Rang gehör' ich nur.
Der große Geist hat mich verschmäht,
Vor mir verschließt sich die Natur.
Des Denkens Faden ist zerrissen,
Mir ekelt lange vor allem Wissen.
1750 Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit
Uns glühende Leidenschaften stillen!
In undurchdrungnen Zauberhüllen
Sey jedes Wunder gleich bereit!
Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit
1755 In's Rollen der Begebenheit!
Da mag denn Schmerz und Genuß,
Gelingen und Verdruß,
Mit einander wechseln, wie es kann;
Nur rastlos bethätigt sich der Mann.

M e p h i s t o p h e l e s .
1760 Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
[110] Beliebt's euch, überall zu naschen,
Im Fliehen etwas zu erhaschen;
Bekomm' euch wohl was euch ergetzt.
Nur greift mir zu und seyd nicht blöde!

F a u s t .
1765 Du hörest ja, von Freud' ist nicht die Rede.
Dem Taumel weih' ich mich, dem schmerzlichsten Genuß,
Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,
1770 Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,
Will ich in meinem innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst' und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,
1775 Und, wie sie selbst, am End' auch ich zerscheitern.

M e p h i s t o p h e l e s .
O glaube mir, der manche tausend Jahre
An dieser harten Speise kaut,
Daß von der Wiege bis zur Bahre
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!
1780 Glaub' unser einem, dieses Ganze
[111] Ist nur für einen Gott gemacht!
Er findet sich in einem ew'gen Glanze,
Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.

F a u s t .
1785 Allein ich will!

M e p h i s t o p h e l e s .
                  Das läßt sich hören!
Doch nur vor Einem ist mir bang';
Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
Ich dächt', ihr ließet euch belehren.
Associirt euch mit einem Poeten,
1790 Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,
Und alle edlen Qualitäten
Auf euren Ehren=Scheitel häufen,
Des Löwen Muth,
Des Hirsches Schnelligkeit,
1795 Des Italiäners feurig Blut,
Des Nordens Dau'rbarkeit.
Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
Großmuth und Arglist zu verbinden,
Und euch, mit warmen Jugendtrieben,
[112] Nach einem Plane, zu verlieben.
Möchte selbst solch einen Herren kennen,
Würd' ihn Herrn Mikrokosmus nennen.

F a u s t .
Was bin ich denn? wenn es nicht möglich ist
Der Menschheit Krone zu erringen,
1805 Nach der sich alle Sinne dringen.

M e p h i s t o p h e l e s .
Du bist am Ende - was du bist.
Setz' dir Perrücken auf von Millionen Locken,
Setz' deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
Du bleibst doch immer was du bist.

F a u s t .
1810 Ich fühl's, vergebens hab' ich alle Schätze
Des Menschengeist's auf mich herbeygerafft,
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,
1815 Bin dem Unendlichen nicht näher.

M e p h i s t o p h e l e s .
Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
Wie man die Sachen eben sieht;
[113] Wir müssen das gescheidter machen,
Eh' uns des Lebens Freude flieht.
1820 Was Henker! freylich Händ' und Füße
Und Kopf und H{intern} die sind dein;
Doch alles was ich frisch genieße,
Ist das drum weniger mein?
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,
1825 Sind ihre Kräfte nicht die meine?
Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
Als hätt' ich vier und zwanzig Beine.
Drum frisch! laß alles Sinnen seyn,
Und g'rad' mit in die Welt hinein!
1830 Ich sag' es dir: ein Kerl, der spekulirt,
Ist wie ein Thier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.

F a u s t .
Wie fangen wir das an?

M e p h i s t o p h e l e s .
                  Wir gehen eben fort.
1835 Was ist das für ein Marterort?
Was heißt das für ein Leben führen,
[114] Sich und die Jungens ennuyiren?
Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?
1840 Das beste, was du wissen kannst,
Darfst du den Buben doch nicht sagen.
Gleich hör' ich einen auf dem Gange!

F a u s t .
Mir ist's nicht möglich ihn zu sehn.

M e p h i s t o p h e l e s .
Der arme Knabe wartet lange,
1845 Der darf nicht ungetröstet gehn.
Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
Die Maske muß mir köstlich stehn.
      Er kleidet sich um.
Nun überlaß es meinem Witze!
Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;
1850 Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!

      F a u s t ab.

M e p h i s t o p h e l e s
      in Faust's langem Kleide.
Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,
[115] Laß nur in Blend= und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,
1855 So hab' ich dich schon unbedingt -
Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
Und dessen übereiltes Streben
Der Erde Freuden überspringt.
1860 Den schlepp' ich durch das wilde Leben,
Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und seiner Unersättlichkeit
Soll Speis' und Trank vor gier'gen Lippen schweben;
1865 Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,
Und hätt' er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
Er müßte doch zu Grunde gehn!

      E i n   S c h ü l e r tritt auf.

S c h ü l e r .
Ich bin alhier erst kurze Zeit,
Und komme voll Ergebenheit,
1870 Einen Mann zu sprechen und zu kennen,
Den alle mir mit Ehrfucht nennen.

M e p h i s t o p h e l e s .
[116] Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
Habt ihr euch sonst schon umgethan?

S c h ü l e r .
1875 Ich bitt' euch, nehmt euch meiner an!
Ich komme mit allem guten Muth,
Leidlichem Geld und frischem Blut;
Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
Möchte gern' was rechts hieraußen lernen.

M e p h i s t o p h e l e s .
1880 Da seyd ihr eben recht am Ort.

S c h ü l e r .
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
In diesen Mauern, diesen Hallen
Will es mir keineswegs gefallen.
Es ist ein gar beschränkter Raum,
1885 Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,
Und in den Sälen, auf den Bänken,
Vergeht mir Hören, Seh'n und Denken.

M e p h i s t o p h e l e s .
Das kommt nur auf Gewohnheit an.
[117] So nimmt ein Kind der Mutter Brust
1890 Nicht gleich im Anfang willig an,
Doch bald ernährt es sich mit Lust.
So wird's euch an der Weisheit Brüsten
Mit jedem Tage mehr gelüsten.

S c h ü l e r .
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
1895 Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?

M e p h i s t o p h e l e s .
Erklärt euch, eh' ihr weiter geht,
Was wählt ihr für eine Facultät?

S c h ü l e r .
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern, was auf der Erden
1900 Und in dem Himmel ist, erfassen,
Die Wissenschaft und die Natur.

M e p h i s t o p h e l e s .
Da seyd ihr auf der rechten Spur;
Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.

S c h ü l e r .
Ich bin dabey mit Seel' und Leib;
1905 Doch freylich würde mir behagen
[118] Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib
An schönen Sommerfeiertagen.

M e p h i s t o p h e l e s .
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.
1910 Mein theurer Freund, ich rath' euch drum
Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist euch wohl dressirt,
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fort an
1915 Hinschleiche die Gedankenbahn,
Und nicht etwa, die Kreuz' und Quer,
Irlichtelire hin und her.
Dann lehret man euch manchen Tag,
Daß, was ihr sonst auf einen Schlag
1920 Getrieben, wie Essen und Trinken frey,
Eins! Zwey! Drey! dazu nöthig sey.
Zwar ist's mit der Gedanken=Fabrik
Wie mit einem Weber=Meisterstück,
Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,
1925 Die Schifflein herüber hinüber schießen,
Die Fäden ungesehen fließen,
[119] Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
Der Philosoph der tritt herein
Und beweis't euch, es müßt' so seyn:
1930 Das Erst' wär' so, das Zweyte so,
Und drum das Dritt' und Vierte so;
Und wenn das Erst' und Zweyt' nicht wär',
Das Dritt' und Viert' wär' nimmermehr.
Das preisen die Schüler allerorten,
1935 Sind aber keine Weber geworden.
Wer will was lebendig's erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Theile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.
1940 Encheiresin naturae nennt's die Chimie,
Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.

S c h ü l e r .
Kann euch nicht eben ganz verstehen.

M e p h i s t o p h e l e s .
Das wird nächstens schon besser gehen,
Wenn ihr lernt alles reduciren
1945 Und gehörig klassificiren.

[120] S c h ü l e r .
Mir wird von alle dem so dumm,
Als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.

M e p h i s t o p h e l e s .
Nachher vor allen andern Sachen
Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!
1950 Da seht, daß ihr tiefsinnig faßt,
Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
Für, was drein geht und nicht drein geht,
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
Doch vorerst dieses halbe Jahr
1955 Nehmt ja der besten Ordnung wahr.
Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
Seyd drinnen mit dem Glockenschlag!
Habt euch vorher wohl präparirt,
Paragraphos wohl einstudirt,
1960 Damit ihr nachher besser seht,
Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch euch des Schreibens ja befleißt,
Als dictirt' euch der Heilig' Geist!

S c h ü l e r .
Das sollt ihr mir nicht zweymal sagen!
[121] Ich denke mir wie viel es nützt;
Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.

M e p h i s t o p h e l e s .
Doch wählt mir eine Facultät!

S c h ü l e r .
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.

M e p h i s t o p h e l e s .
1970 Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,
Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
Es erben sich Gesetz' und Rechte
Wie eine ew'ge Krankheit fort,
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,
1975 Und rücken sacht von Ort zu Ort.
Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.

S c h ü l e r .
1980 Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.
O glücklich der! den ihr belehrt!
Fast möcht' ich nun Theologie studiren.

[122] M e p h i s t o p h e l e s .
Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
Was diese Wissenschaft betrifft,
1985 Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,
Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arzeney ists kaum zu unterscheiden.
Am besten ist's auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.
1990 Im Ganzen - haltet euch an Worte!
Dann geht ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.

S c h ü l e r .
Doch ein Begriff muß bey dem Worte seyn.

M e p h i s t o p h e l e s .
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen;
1995 Denn eben wo Begriffe fehlen,
Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,
2000 Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.

[123] S c h ü l e r .
Verzeiht, ich halt' euch auf mit vielen Fragen,
Allein ich muß euch noch bemüh'n.
Wollt ihr mir von der Medicin
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?
2005 Drey Jahr' ist eine kurze Zeit,
Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
Läßt sich's schon eher weiter fühlen.

M e p h i s t o p h e l e s für sich.
Ich bin des trocknen Tons nun satt,
2010 Muß wieder recht den Teufel spielen.
      Laut.
Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen;
Ihr durchstudirt die groß' und kleine Welt,
Um es am Ende gehn zu lassen,
Wie's Gott gefällt.
2015 Vergebens daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,
Ein jeder lernt nur was er lernen kann;
Doch der den Augenblick ergreift,
Das ist der rechte Mann.
Ihr seyd noch ziemlich wohlgebaut,
[124] An Kühnheit wird's euch auch nicht fehlen,
Und wenn ihr euch nur selbst vertraut,
Vertrauen euch die andern Seelen.
Besonders lernt die Weiber führen;
Es ist ihr ewig Weh und Ach
2025 So tausendfach
Aus Einem Puncte zu curiren,
Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
Dann habt ihr sie all' unter'm Hut.
Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,
2030 Daß Eure Kunst viel Künste übersteigt;
Zum Willkomm' tappt ihr dann nach allen Siebensachen,
Um die ein andrer viele Jahre streicht,
Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,
2035 Wohl um die schlanke Hüfte frey,
Zu seh'n, wie fest geschnürt sie sey.

S c h ü l e r .
Das sieht schon besser aus! Man sieht doch wo und wie.

M e p h i s t o p h e l e s .
Grau, theurer Freund, ist alle Theorie,
Und grün des Lebens goldner Baum.

[125] S c h ü l e r .
2040 Ich schwör euch zu, mir ist's als wie ein Traum.
Dürft' ich euch wohl ein andermal beschweren,
Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?

M e p h i s t o p h e l e s .
Was ich vermag, soll gern geschehn.

S c h ü l e r .
Ich kann unmöglich wieder gehn,
2045 Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen,
Gönn' Eure Gunst mir dieses Zeichen!

M e p h i s t o p h e l e s .
Sehr wohl.

      Er schreibt und giebt's.

S c h ü l e r lies't.
Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum.

      Macht's ehrerbietig zu und empfiehlt sich.

M e p h i s t o p h e l e s .
Folg' nur dem alten Spruch und meiner Muhme, der Schlange,
2050 Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähnlichkeit bange!

      F a u s t tritt auf.

F a u s t .
Wohin soll es nun gehn?

[126] M e p h i s t o p h e l e s .
                  Wohin es dir gefällt.
Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
Wirst du den Cursum durchschmarutzen!

F a u s t .
2055 Allein bey meinem langen Bart
Fehlt mir die leichte Lebensart.
Es wird mir der Versuch nicht glücken;
Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken,
Vor andern fühl' ich mich so klein;
2060 Ich werde stets verlegen seyn.

M e p h i s t o p h e l e s .
Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.

F a u s t .
Wie kommen wir denn aus dem Haus?
Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?

M e p h i s t o p h e l e s .
2065 Wir breiten nur den Mantel aus,
Der soll uns durch die Lüfte tragen.
Du nimmst bey diesem kühnen Schritt
[127] Nur keinen großen Bündel mit.
Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,
2070 Hebt uns behend von dieser Erde.
Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf!