B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Wolfgang Goethe
Urfaust
     
   


U r f a u s t

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K E R C K E R .

F a u s t mit einem Bund Schlüssel und einer Lampe an einem eisernen Tührgen.
Es fasst mich längst verwohnter Schauer. Inneres Grauen der Menschheit. Hier! Hier! - Auf! - Dein Zagen zögert den Todt heran!

er fasst das Schloss, es singt innwendig:

Meine Mutter die Hur,
Die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm,
Der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein
An einen kühlen Ort,
Da ward ich ein schönes Waldvögelein,
Fliege fort! Fliege fort!

Faust zittert, wanckt, ermannt sich und schliesst auf,
er hört die Ketten klirren und das Stroh rauschen.


M a r g a r e t h e sich verbergend auf ihrem Lager
Weh! Weh! sie kommen. Bittrer Todt!

F a u s t leise.
Still! Ich komme dich zu befreyn.
erfasst ihre Ketten, sie aufzuschliessen

M a r g r e t e wehrend.
Weg! Um Mitternacht! Hencker ist dirs morgen frühe nicht zeitig gnug?

F a u s t.
Lass!

M a r g r e t e wälzt sich vor ihn hin.
Erbarme dich mein und lass mich leben! Ich binn so iung, so iung, und war schön und binn ein armes iunges Mädgen. Sieh nur einmal die Blumen an, sieh nur einmal die Kron! Erbarme dich mein! Was hab ich dir getahn? Hab dich mein Tage nicht gesehn.

F a u s t.
Sie verirrt und ich vermags nicht.

M a r g r e t e.
Sieh das Kind! Muss ichs doch träncken. Da hatt ichs eben! Da! Ich habs getränckt! Sie nahmen mirs, und sagen, ich hab es umgebracht, und singen Liedger auf mich! - Es ist nicht wahr - es ist ein Mährgen, das sich so endigt, es ist nicht auf mich, dass sies singen.

F a u s t, der sich zu ihr hinwirft.
Gretgen!

M a r g r e t e, die sich aufreist.
Wo ist er? Ich hab ihn rufen hören! er rief: Gretgen! Er rief mir! Wo ist er? Ach, durch all das Heulen und Zähnklappen erkenn ich ihn, er ruft mir: Gretgen! sich vor ihm niederwerfend. Mann! Mann! Gieb mir ihn, schaff mir ihn! Wo ist er?

F a u s t, er fasst sie wütend um den Hals.
Meine Liebe! Meine Liebe!

Margrete sinckt, ihr Haupt in seinen Schoos verbergend.

F a u s t.
Auf meine Liebe! Dein Mörder wird dein Befreyer. Auf! -- Er schliesst über ihrer Betäubung die Arm Kette auf. Komm, wir entgehen dem schröcklichen Schicksaal.

M a r g r e t e angelehnt
Küsse mich! Küsse mich!

F a u s t.
Tausendmal! Nur eile, Gretgen, eile!

M a r g r e t e.
Küsse mich! Kannst du nicht mehr küssen? Wie! Was! Bist mein Heinrich und hasts Küssen verlernt! Wie sonst ein ganzer Himmel mit deiner Umarmung gewaltig über mich eindrang! Wie du küsstest, als wolltest du mich in wollüstigem Todt ersticken! Heinrich, küsse mich, sonst küss ich dich sie fällt ihn an Weh! deine Lippen sind kalt! Todt! Antworten nicht!

F a u s t.
Folge mir, ich herze dich mit tausendfacher Glut. Nur folge mir!

M a r g r e t e, sie setzt sich und bleibt eine Zeitlang stille
Heinrich, bist dus?

F a u s t.
Ich binns, komm mit!

M a r g r e t e.
Ich begreiffs nicht! Du? Die Fesseln los! Befreyst mich. Wen befreyst du? Weist du's?

F a u s t.
Komm! Komm!

M a r g r e t e.
Meine Mutter hab ich umgebracht! Mein Kind hab ich ertränckt. Dein Kind! Heinrich! - Groser Gott im Himmel, soll das kein Traum seyn! Deine Hand, Heinrich! - Sie ist feucht - Wische sie ab, ich bitte dich! Es ist Blut dran! - Stecke den Degen ein! Mein Kopf ist verrückt.

F a u s t.
Du bringst mich um.

M a r g r e t e.
Nein du sollst überbleiben, überbleiben von allen. Wer sorgte für die Gräber? So in eine Reihe, ich bitte dich, neben die Mutter den Bruder da! Mich dahin und mein Kleines an die rechte Brust. Gieb mir die Hand drauf, du bist mein Heinrich.

F a u s t will sie weg ziehen.
Fühlst du mich! Hörst du mich! komm ich binns! ich befreye dich!

M a r g r e t e.
Da hinaus?

F a u s t.
Freyheit!

M a r g r e t e.
Da hinaus? Nicht um die Welt. Ist das Grab draus, komm! Lauert der Todt! komm! Von hier ins ewige Ruhe Bett, weiter nicht einen Schritt. Ach Heinrich, könnt ich mit dir in alle Welt!

F a u s t.
Der Kercker ist offen, säume nicht!

M a r g r e t e.
Sie lauren auf mich an der Strase am Wald.

F a u s t.
Hinaus! Hinaus!

M a r g r e t e.
Ums Leben nicht! - Siehst dus zappeln? Rette den armen Wurm, er zappelt noch! - Fort! geschwind! Nur übern Steeg, gerad in Wald hinein, lincks am Teich, wo die Plancke steht! Fort! rette! rette!

F a u s t.
Rette! Rette dich!

M a r g r e t e.
Wären wir nur den Berg vorbey, da sizt meine Mutter auf einem Stein und wackelt mit dem Kopf! Sie winckt nicht, sie nickt nicht, ihr Kopf ist ihr schweer. Sie sollt schlafen, dass wir könnten wachen und uns freuen beysammen.

Faust ergreifft sie und will sie wegtragen

M a r g a r e t e.
Ich schreye laut, laut, dass alles erwacht!

F a u s t.
Der Tag graut. O Liebgen! Liebgen!

M a r g a r e t e.
Tag! Es wird Tag! Der lezte Tag! der Hochzeit Tag! - Sags niemand, dass du die Nacht vorher bey Gretgen warst. - Mein Kränzgen! - Wir sehn uns wieder! - Hörst du, die Bürger schlürpfen nur über die Gassen! Hörst du? Kein lautes Wort. Die Glocke ruft! - Krack, das Stäbgen bricht! Es zuckt in iedem Nacken die Schärfe, die nach meinem zuckt! - Die Glocke hör!

M e p h i s t o p h e l e s erscheint.
Auf! oder ihr seyd verlohren! meine Pferde schaudern, der Morgen dämmert auf.

M a r g r e t e.
Der! der! Lass ihn, schick ihn fort! der will mich! Nein! Nein! Gericht Gottes, komm über mich, dein binn ich! rette mich! Nimmer, nimmermehr! Auf ewig lebe wohl! Leb wohl, Heinrich!

F a u s t sie umfassend.
Ich lasse dich nicht!

M a r g a r e t e.
Ihr heiligen Engel, bewahret meine Seele! - mir grauts vor dir, Heinrich!

M e p h i s t o p h e l e s.
Sie ist gerichtet!

er verschwindet mit Faust, die Thüre rasselt zu, man hört verhallend:

Heinrich! Heinrich!