B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



O d e n   u n d   E l e g i e n .

A n   G O t t .
1 7 5 1 .


Fassung aus dem Exemplar der Landgräfin
Fassung aus dem Exemplar Herders

__________________________________________

 
Fassung aus dem Exemplar der Landgräfin:


Ein stiller Schauer deiner Allgegenwart
Erschüttert, GOtt! mich; sanft gerührt, bebt mein Herz
      Und mein Gebein. Ich fühl, ich fühl es,
      Daß du auch hier, wo ich weine, GOtt, bist.

5
Von deinem Antlitz wandelt, Unsichtbarer,
Dein Blick, der schauet durch mein eröfnet Herz.
      Sey vor ihm heilig, Herz, sey heilig,
      Seele, vom ewigen Hauch entsprungen!

Täuschet mein Herz mich? Oder ists würklich wahr,
10
Was ein Gedanke lispelnd dem andern sagt?
      Empfindung, bist du wahr, als dürft ich
      Frey mit dem Schöpfer der Seele reden?

Gedanken Gottes, die jetzt der Ewige,
Der Weise denkt, wenn ihr den menschlichen
15
      Gedanken zürnet, ach! wo sollen
      Sie vor euch, Gottes Gedanken! hinfliehn.

Flöhn sie gen Himmel, siehe, so seyd ihr da;
Eilten sie bebend tief ins Unendliche,
      Auch da, auch da im Unbegränsten,
20
      Könnet ihr, Allwissende, sie zu schauen.

Nähmen sie Flügel, Flügel der Seraphim,
Und flögen aufwärts in die Versammlungen,
      Hoch ins Getön, ins Halleluja,
      In die Gesänge der Harfenspieler;

25
Auch da ereilt ihr, göttliche Hörer sie.
So flieht dann nicht mehr, ob ihr gleich menschlich seyd!
      Flieht nicht! der ewig ist, der weiß es,
      Daß er in enge Bezirk euch einschloß.

Welch ein Gedanke, welche Beruhigung,
30
Daß meine Seele, GOtt! mit dir reden darf;
      Daß vor dir darf mein Mund sich öfnen,
      Töne des Menschen daher zu stammlen.

Ich wags, und rede, GOtt! doch du weißt es ja,
Schon lange weißt du, was mein Gebein verzehrt,
35
      Was, in mein Herz tief hingegossen,
      Meinen Gedanken ein ewig Bild ist!

Noch heut erst sahst du meine mir lange Zeit,
Dir schnelle Augenblicke, vorübergehn.
      Du wirst seyn, der du seyn wirst, HErr! HErr!
40
      Heissest du; ich aber Staub und Asche.

Staub, und auch ewig, denn die Unsterbliche,
Die du mir, GOtt! gabst, gabst du zur Ewigkeit;
      Ihr hauchtest du, dein Bild zu schaffen,
      Hohe Begierden nach Ruh und Glück ein,

45
Ein wimmelnd Heer, doch eine ward herrlicher
Vor allen andern, eine ward Königin
      Ueber die andern, deines Bildes
      Letzter und göttlichster Zug, die Liebe.

Die fühlst du selber, doch als der Ewige;
50
Es fühlen jauchzend, die du so himmlisch schufst,
      Die hohen Engel, deines Bildes
      Letzten und göttlichen Zug, die Liebe.

Die grubst du Adam tief in sein Herz hinein,
Nach seinem Denken, von der Vollkommenheit
55
      Ganz ausgeschaffen, ihm geschaffen,
      Brachtest du, GOtt! ihm der Menschen Mutter.

Die Liebe grubst du auch in mein Herz hinein;
Nach meinem Denken, von der Vollkommenheit
      Ganz ausgeschaffen, mir geschaffen,
60
      Führst du sie weg, die mein ganzes Herz liebt,

Der meine Seele ganz sich entgegen gießt,
Mit allen Thränen, welche sie weinen kann,
      Dir Tochter Gottes, ganz zuströmend
      Führst du sie mir, die ich liebe, GOtt! weg:

65
Weg durch dein Schicksal, welches sich unsichtbar
Dem Auge hinwebt, immer ins Dunkle webt;
      Fern weg den ausgestreckten Armen,
      Aber nicht weg aus dem bangen Herzen.

Ach! GOtt, du weißt ja, welch ein Gedank es war,
70
Als du ihn dachtest, und ihn zur Würklichkeit
      Erschaffend riefst; der, daß du Seelen
      Zärtlicher und für einander schufest.

Das weißt du, Schöpfer! aber dein Schicksal trennt
Die Seelen, die du so für einander schufst,
75
      Dein hohes unerforschlichs Schicksal,
      Dunkel für uns, doch Anbetungswürdig.

Zwar ist das Leben gegen die Ewigkeit,
Dem schnellen Hauche gleich, welcher dem Sterbenden
      Entflieht; mit ihm entflieht die Seele,
80
      Welche der Zukunft an Dauer gleichet.

Einst lößt des Schicksals Vater in Klarheit auf,
Was Labyrinth war; dann ist kein Schicksal mehr;
      Ach! dann beym trunknen Wiedersehen
      Giebst du, die Seelen einander wieder;

85
Gedanke, werth der Seel und der Ewigkeit,
Werth auch den bängsten Schmerz zu besänftigen,
      Dich denkt mein Geist in seiner Grösse:
      Aber mein Herz fühlt zu sehr das Leben,

Das hier ich lebe. Gleich der Unsterblichkeit
90
Dehnt, was ein Hauch war, fürchterlich mir sich aus;
      Ich seh, ich sehe meine Schmerzen,
      Gränzenlos dunkel vor mir verbreitet.

Mach, GOtt! dis Leben, mach es zum schnellen Hauch!
Oder gieb die mir, die du mir gleich erschufst;
95
      Ach! gieb sie mir, dir leicht zu geben,
      Gieb sie dem bebenden bangen Herzen,

Dem heiligen Schauer, der ihr entgegen wallt,
Dem stillen Stammeln der, die unsterblich ist,
      Und sprachlos, ihr Gefühl zu sagen,
100
      Kaum noch in Thränen hier bang zerfliesset!

Gieb sie den Armen, die ich voll Unschuld oft
In meiner Kindheit zu dir hab ausgestreckt,
      Wenn ich mit heiser Stirn voll Andacht,
      Dich um die ewige Ruh anflehte

105
Mit einem Winke giebest und nimmst du ja
Dem Wurm, dem Stunden sind, wie Jahrhunderte,
      Sein kurzes Glück; so wie dem Wurm, der
      Jahre lebt, blühet, verblüht und Staub wird.

Von ihr geliebet, will ich die Tugend schön,
110
Und selig nennen; will ich ihr himmlisch Bild
      Mit unverwandten Augen anschaun,
      Und nur das, Glück, nur das, Ruhe, nennen,

Was sie mir zuwinkt; dich auch, o Frömmigkeit!
Dich auch, o! die du ferner und höher wohnst,
115
      Als unsre Tugend, will ich reiner
      Unbekannt, GOtt nur bemerket, ehren;

Von ihr geliebet, will ich dir feuriger
Entgegen jauchzen; will ich mein voller Herz
      In hohen Hallelujah-Liedern,
120
      Ewiger Vater! vor dir vergiessen;

Dann, wann sie mit mir deinen erhabnen Ruhm
Gen Himmel weinet, betend, mit schwimmenden
      Entzückten Augen, will ich mit ihr
      Hier schon das ewige Leben fühlen.

125
Das Lied des Sohnes, trunken in ihrem Arm,
Von reiner Wollust, will ich erhabener
      Enkeln, die gleich uns lieben, gleich uns
      Christen sind, seligen Enkeln singen.


________
 
Fassung aus dem Exemplar Herders

      Nach der zweyten und richtigen Ausgabe.
      Hamburg, bey J. E. Bohn. 1752.

      Vorbericht.

      Man hat diese Ode nach einer sehr unrichtigen Abschrift gedruckt, ohne den Verfasser auch nur im geringsten zu veranlassen, es zu erlauben. Sie war weder ehmals für das Publicum geschrieben, noch hernach demselben bestimmt. Man schreibt oft nur für sein eigenes Herz, und für sehr wenige Freunde, und Arbeiten von der Art haben so wenig die Mine, öffentlich zu erscheinen, als jenes berühmte kleine Haus des Sokrates für ganz Athen gebaut war. Da aber diese nun einmal bekannt gemacht ist; so hat sie der Verfasser zum wenigsten nach seiner Handschrift herausgegeben, und einige vielleicht zu vergeßliche Leser an Sokrates kleines Haus erinnern wollen.
      Koppenhagen, im März, 1752.
            Klopstock.


      M I L T O N .
      A nice and subtile happiness, I see.
      Thou to thyself proposest in the Choice
      Of thy Associates -



Ein stiller Schauer deiner Allgegenwart
Erschüttert, GOtt! mich; sanft gerührt, bebt mein Herz
      Und mein Gebein. Ich fühl', ich fühl' es,
            Daß du auch hier, wo ich weine, GOtt! bist.

5
Von deinem Antliz wandelt, Unendlicher,
Dein Blik, der Seher, durch mein eröffnet Herz.
      Sey vor ihm heilig, Herz! sey heilig,
            Seele, vom ewigen Hauch entsprungen!

Täuschet mein Herz mich? Oder ist's wirklich wahr,
10
Was ein Gedanke lispelnd dem andern sagt?
      Empfindung! bist du wahr? als dürft' ich
            Frey mit dem Schöpfer der Seele reden?

Gedanken GOttes, welche der Ewige,
Der Weis', izt denket, wenn ihr den menschlichen
15
      Gedanken zürnet: o, wo sollen
            Sie vor euch, Gottes Gedanken! hinfliehn?

Flöhn sie zum Abgrund; siehe, so seyd ihr da!
Eilten sie bebend, tief ins Unendliche
      Auch da, auch da, im Unbegränzten,
20
            Wärt ihr, Allwissende! sie zu schauen!

Nähmen sie Flügel, Flügel der Seraphim,
Und flögen aufwärts, in die Versammlungen,
      Hoch ins Getön, ins Halleluja,
            In die Gesänge der Harfenspieler:

25
Auch da ereilt ihr, göttliche Hörer, sie!
So flieht denn nicht mehr, seyd ihr gleich menschlicher,
      Flieht nicht! der ewig ist, der weiß es,
            Daß er in enge Bezirk' euch einschloß!

Welch ein Gedanke! Welche Beruhigung,
30
Daß meine Seele, GOtt! mit dir reden darf!
      Daß vor dir darf mein Mund sich öffnen,
            Töne des Menschen herab zu stammeln!

Ich wag's, und rede! GOtt! doch du weißt es ja,
Schon lange weißt du, was mein Gebein verzehrt!
35
      Was, in mein Herz tief hingegossen,
            Meinen Gedanken ein ewig Bild ist!

Nicht heut erst sahst du meine mir lange Zeit,
Dir Augenblikke, weinend vorübergehn!
      Du bist es, der du warst, Jehova
40
            Heissest du, aber ich Staub von Staube!

Staub, und auch ewig! denn die Unsterbliche,
Die du mir, GOtt! gabst, gabst du zur Ewigkeit!
      Ihr hauchtest du, dein Bild zu schaffen,
            Hohe Begierden nach Ruh und Glük ein!

45
Ein drängend Heer! Doch Eine ward herrlicher
Vor allen andern! Eine ward Königin
      Ueber die andern, deines Bildes
            Lezter und göttlichster Zug, die Liebe!

Die grubst du Adam tief in sein Herz hinein!
50
Nach seinem Denken von der Vollkommenheit,
      Ganz ausgeschaffen, ihm geschaffen,
            Brachtest du, GOtt, ihm der Menschen Mutter!

Die Liebe grubst du auch in mein Herz hinein!
Nach meinem Denken von der Vollkommenheit,
55
      Ganz ausgeschaffen, mir geschaffen,
            Führst du sie weg, die mein ganzes Herz liebt!

Der meine Seele ganz sich entgegen gießt!
Mit allen Thränen, welche sie weinen kann,
      Die volle Seele ganz zuströmet,
60
            Führst du sie mir, die ich liebe, GOtt, weg!

Weg, durch dein Schiksal, welches sich, unsichtbar
Dem Auge, fort webt, immer ins Dunkl're webt!
      Fern weg den ausgestrekten Armen,
            Aber nicht weg aus dem bangen Herzen!

65
Und dennoch weißt du, welch ein Gedank' es war,
Als du ihn dachtest, und zu der Wirklichkeit
      Erschaffend riefst, - der, daß du Seelen
            Fühlender, und für einander schuffest!

Das weißt du, Schöpfer! Aber dein Schiksal trennt
70
Die Seelen, die du so für einander schufst,
      Dein hohes, unerforschtes Schiksal,
            Dunkel für uns, doch anbetungswürdig!

Zwar gleicht das Leben gegen die Ewigkeit,
Dem schnellen Hauche, welcher dem Sterbenden
75
      Entfließt; mit ihm entfloß die Seele,
            Die der Unendlichkeit ewig nachströmt.

Einst löst des Schiksals Vater in Klarheit auf,
Was Labyrinth war; Schiksal ist dann nicht mehr.
      Ach dann, beym trunknen Wiedersehen,
80
            Giebst du die Seelen einander wieder!

Gedanke! werth der Seel', und der Ewigkeit!
Werth, auch den bängsten Schmerz zu besänftigen!
      Dich denkt mein Geist in deiner Gröse;
            Aber mein Herz fühlt zu sehr das Leben,

85
Das hier ich lebe! Gleich der Unsterblichkeit,
Dehnt, was ein Hauch war, fürchterlich mir sich aus!
      Ich seh', ich sehe meine Schmerzen,
            Gränzenlos dunkel, vor mir verbreitet!

Mach GOtt dies Leben, mach es zum leichten Hauch!
90
Oder gieb die mir, die du mir gleich erschufst!
      Ach, gieb sie mir, dir leicht zu geben!
            Gieb sie dem bebenden bangen Herzen!

Dem süsen Schauer, der ihr entgegen wallt!
Dem stillen Stammeln der, die unsterblich ist,
95
      Und sprachlos, ihr Gefühl zu sagen,
            Kaum noch in Thränen hin bang zerfliesset!

Gieb sie den Armen, die ich voll Unschuld oft,
In meiner Kindheit zu dir gen Himmel hub,
      Wenn ich mit heiser Stirn voll Andacht,
100
            Dir um die ewige Ruhe flehte!

Mit einem Winke giebst du, und nimmst du ja
Dem Wurm, dem Stunden sind wie Jahrhunderte,
      Sein kurzes Glük! dem Wurm, der Mensch heißt,
            Jahre lebt, blühet, verblüht, und Staub wird.

105
Von ihr geliebet, will ich die Tugend schön
Und selig nennen, will ich ihr himmlisch Bild
      Mit unverwandten Augen anschaun,
            Und nur das, Glük, das, Ruhe nennen,

Was sie mir zuwinkt! Auch dich, o frömmere,
110
Dich auch, o die du ferner und höher wohnst,
      Als unsere Tugend, will ich reiner,
            Unbekannt, GOtt nur bemerket, ehren!

Von ihr geliebet, will ich dir feuriger
Entgegen jauchzen! will ich mein voller Herz,
115
      In heissen Halleluja-Liedern,
            Ewiger Vater, vor dir ergiessen!

Dann, wenn sie mit mir deinen erhabnen Ruhm
Gen Himmel weinet, betend, mit schwimmendem,
      Entzüktem Auge; will ich mit ihr
120
            Hier schon das höhere Leben fühlen!

Das Lied des Sohnes, trunken in ihrem Arm
Von reiner Wollust, will ich erhabner
      Enkeln, die gleich uns lieben, gleich uns
            Christen sind, seligen Enkeln singen!