B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



O d e n   u n d   E l e g i e n .

D a s   A n s c h a u n   G o t t e s .
1 7 5 9 .


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Mit Zittern freu ich mich,
Und würd es nicht glauben;
Wäre der nicht der Ewige
Der mirs verheissen hat!
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Denn ich weiß es ich fühl es:
Ich bin ein Sünder!
Würd es wissen und fühlen;
Wenn auch sein göttliches Licht
Heller mir meine Flecken nicht zeigte,
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Nicht enthüllte
Meiner Seele Todesgestalt!
Mit tief anbetendem Erstaunen,
Im Stande zitternd, freu ich mich!
Ich werde Gott schauen!

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      Forsch ihm nach, dem göttlichsten Gedanken,
Den du zu denken vermagst,
O die du, nah am Grabe deines Leibes,
Doch ewig bist!

      Nicht, daß du wagtest
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Ins Allerheiligste zu gehen!
Viel unüberdachte,
Viel nicht geprießne, nicht gefeyerte,
Himmlische Gnaden
Sind im Heiligthume,
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Ausser dem Allerheiligsten.

      Von ferne, nur von ferne,
Nur einen gemilderten Schimmer,
Damit ich nicht sterbe!
Einen für mich durch Nacht
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Gemilderten Schimmer
Deiner Herrlichkeit seh ich.

      Wie groß war der, der beten durfte:
Hab ich Gnade vor dir gefunden; so laß mich
Deine Herrlichkeit sehen!
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Der so zum Unendlichen
Beten durft', und erhört ward!

      Ins Land des Golgatha kam er nicht!
An ihm rächt' es ein früherer Tod,
Daß er Einmal, nur Einmal
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Nicht glaubte!
Wie groß zeigt ihn
Selbst die Strafe!

      Und doch verbarg der Vater ihn
In eine Nacht des Bergs,
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Als vor dem Endlichen
Des Sohnes Herrlichkeit
Vorübergieng!

      Als die Posaun auf Sinai schwieg,
Und die Stimme der Donner!
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Als GOtt von GOtt sprach!

      Uneingehüllt durch Nacht,
In eines Tages Lichte,
Das keine Schatten sichtbarer machen,
Schaut er nun Jahrhunderte schon,
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(Wir haltens für Jahrhunderte!)
Ausser den Schranken der Zeit,
Ohn Empfindung des Augenblicks,
Dem der Augenblick folgt,
Schaut er nun
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Deine Herrlichkeit,
Heiliger!
Heiliger!
Heiliger!

      Namloseste Wonne meiner Seele!
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Gedanke des künftigen Schauns;
Du, du bist meine grosse Zuversicht,
Du bist der Fels,
Auf den ich trete,
Und gen Himmel schaue,
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Wenn die Schrecken der Sünde,
Des Todes Schrecken,
Wenn sie fürchterlich drohn,
Mich niederzustürzen!

      Auf diesen Felsen, o du,
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Den nun die Todten Gottes schaun,
Laß mich stehn,
Wenn mich die Allmacht
Des unbezwingbaren Todes
Einst ringsum einschließt!

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      Erheb, o meine Seele, dich
Ueber die Sterblichkeit!
Blick auf, und schau!
Schau oft, so wirst du stralenvoll
Des Vaters Klarheit
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In JEsu Christi Antlitz schaun!

      Hosianna! Hosianna!
Die Fülle der Gottheit
Wohnt in dem Menschen
JEsu Christo!

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      Kaum schallt der Seraphim Harfe noch,
Sie bebt!
Kaum tönt ihre Stimme noch,
Sie zittert! sie zittert!

      Hosianna! Hosianna!
95
In dem Menschen JEsu Christo
Wohnt die Fülle der Gottheit!

      Selbst damals, da einer der Strahlen Gottes
Auf unsere Welt,
Jene Weissagung heller leuchtet,
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Da sie völlig erfüllt ward;
Da er verachtet und elend war,
Als kein anderer Mensch
Verachtet und elend war!
Selbst damals erblikten
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Nicht die Sünder
Aber die Engel erblikten
Des Vaters Klarheit
Im Angesichte des Sohnes!

      Ich seh, ich sehe den Zeugen!
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Neun entsezliche Mitternächte
Hatt' er gezweifelt!
Hatt' er mit der Schmerzen Bängsten
Anbetend gerungen!

      Ich seh ihn, und ahnende Freuden,
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Wie keine der Freuden ist,
Welche die Erde nur giebt,
Durchbeben, erschrecken mich!
Glühn an meiner Stirn!
Schlagen in meinem Herzen!
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Ich seh ihn!

      Ihm erscheint der Auferstandene! - - -
Seine Hände legt er
In des Göttlichen Wunden!
Himmel und Erde vergehen um ihn!
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Auch er sieht die Wahrheit des Vaters
Im Angesichte des Sohns.
Ich hör, ich hör, ich hör ihn!
Er ruft!
(Himmel und Erde vergehen um ihn!)
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Er ruft!
Mein HErr! und mein GOTT!