B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



O d e n   u n d   E l e g i e n .

E l e g i e .
D a p h n i s   u n d   D a p h n e .
1 7 4 9 .


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Zärtliche Daphne, wenn aber der Tod uns Liebende trennte?
      Wenn dein Geschik dich zuerst zu den Unsterblichen ruft?
Ach so werd' ich um dich ein ganzes Leben durchweinen,
      Jeden nächtlichen Tag, jede noch trübere Nacht!
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Jede Stunde, die sonst in deiner Umarmung vorbeyfloß,
      Jede Minute, die uns zärtlich genossen, entfloh!
Ach, so vergehen mir dann die übrigen Jahre voll Schwermuth,
      Wie der vergangenen uns ungeliebt keines entfloh!

«Zärtlicher Daphnis, wenn künftig der Tod uns Liebende trennet,
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      Wenn dein Geschik dich zuerst zu den Unsterblichen ruft;
Ach, dann wein' ich um dich mein ganzes übriges Leben,
      Jeden unbrauchbaren Tag, jede mir schrekliche Nacht!
Jede Stunde, die sonst, mit deinem Lächeln erheitert,
      Unter dem süssen Gespräch zärtlicher Thränen entfloh!
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Ach so vergehen mir dann die übrigen Tage voll Schwermuth,
      Wie der vergangenen uns ungeliebt keiner entfloh!»

Zärtliche Daphne, du woltest nach mir nur Tage noch leben?
      Und ich brächte nach dir Jahre voll Traurigkeit zu?
Daphne, Daphne, nur wenig' unbrauchbare trübe Minuten,
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      Bring' ich, bist du erblast, neben dir seelenlos zu!
Nehme noch einmal die tode Hand, küsse noch einmal dein Auge,
      Sink' an die ruhende Brust, wein' und erblasse bey dir!

«Daphnis, ich sterbe nach dir! Den Schmerz soll Daphnis nicht fühlen,
      Daß er sterbend mich sieht. Daphnis ich sterbe nach dir!
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Dann bring ich auch nur wenig' unbrauchbare trübe Minuten,
      Bist du, Daphnis, erblast, neben dir seelenlos zu!
Blike noch einmal dich an, und seufze noch einmal, mein Daphnis!
      Sink' an die ruhende Brust, zittr' und erblasse daselbst!»

Daphne, du stürbest nach mit? Den Schmerz soll Daphne nicht fühlen,
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      Daß sie sterbend mich sieht. Daphne, du stirbst nicht nach mir!

«Daphnis, ich sterbe nach dir! Das ist es, was ich vom Schiksal
      Längst schon mit Thränen erbat. Daphnis ich sterbe nach dir!»

Ach wie liebst du mich! Sieh diese thränenden Augen!
      Fühle dies bebende Herz! Daphne wie liebest du mich!
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Göttlichste Daphne, du stürbest nach mir? Du fühltest die Schmerzen,
      Daß du sterbend mich säh'st? Daphne, wie liebest du mich!
Ach wenn eine Sprache doch wäre, dir alles zu sagen,
      Was mein liebendes Herz, zärtlichste Daphne dir fühlt!
Würde dies Aug' und sein Blik, und seine Zähren voll Liebe,
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      Und dies Ach des Gefühls, das mir gebrochen entfloh,
Doch zu einer Sprache der Götter, dir alles zu sagen,
      Was mein liebendes Herz, zärtlichste Daphne, dir fühlt!
Ach wenn doch kein Grabmal nicht wäre, das Liebende dekte,
      Die einander so treu, die so voll Zärtlichkeit sind!
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Aber weil ihr den seyd, zu ewig offene Gräber,
      Nehmet zum wenigsten doch, nehmet auf einmal uns ein!
Hörest du mich, der zur Liebe mich schuf? Ach wenn du mich hörest,
      Laß mit eben dem Hauch Daphnens und meinen Geist fliehn!

«Daphnis, ich sterbe mit dir! Ich bete mit dir von dem Himmel
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      Diese Wolthat herab! Daphnis, ich sterbe mit dir!»