B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Gottlieb Klopstock
1724 - 1803
     
   



V o n   d e r   S c h r e i b u n g
d e s   U n g e h ö r t e n .


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[ Ein Beispiel für Klopstocks
Reformvorschläge zur Orthographie.
Die von Klopstock verwendeten Häkchen
unter langen Vokalen sind hier durch
Unterstreichungen wiedergegeben]


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In Blumenstükken wärden Blumen, und weiter nichz gemalt. Dem Künstler fils selber nicht im Traum ein di Gerüche mitmalen zu wollen.
      Und gleichwol sinds gemalte Gerüche, was där fon der Ortografi fordert, där auch das Ungehörte geschriben sen wil.
      (Ich glaubte schon genung hirfon gesagt zu haben; aber di Erfarung überzeügt mich, daß ich irte.)
      Der Schreibende sol also deütlicher, als der Redende sein. Denn nur hirauf kan sich di sonderbare Foderung gründen.
      Aber warum denn deütlicher? Etwa deswägen, weil, wär list, so oft är wil, zurükläsen kan; der Hörende hingegen nur ser selten fragen darf? Man stelle sich eine nur mässig gute Geselschaft for, und Jemanden darin, där gesagt hette: «Da si du zu, wi du si dafon überzeügst», und dann einen, där hir fragte: «Welches fon den beiden si ist das Zeitwort, und welches das Fürwort?» wi da di Andern den Frager mit Spot oder Mitleiden ansen würden. Und gleichwol ist es nur so etwas, das man fon däm, där schreibt, beantwortet haben wil.
      Allein auch in dem Falle, daß es dadurch, daß Zurechtweisung dabei nötig zu sein schine, wichtiger were, könte doch fon dem Schreibenden nicht mer Deütlichkeit, als fon dem Redenden ferlangt wärden. Denn der Läsende müste ja so gar zufriden sein, wen man sich im noch weniger deütlich, als dem Hörenden machte, weil är sich dadurch helfen kan, daß är noch Einmal list, was är nicht gleich ferstanden hat.
      Ich habe einen Fal gesezt, där bei unserm eingefürten Geschreibe des Ungehörten gar nicht forkomt. Denn wozu braucht es in folgenden Punkten, di ich mir also di Mühe nämen mus anzufüren, Zurechtweisung?
      Jeder Deütsche weis, seitdäm er lallen konte, daß är kommen, und nicht komen; Tritte, nicht Trite aussprechen müsse: warum sol är also dafon durch di Schreibung komm und Tritt belert wärden? Und wen är ja so harthörig were, (man flägt dis, so fil ich weis, nur bei grossen und grosen zu sein) so harthörig, daß är kommen und komen, Tritte und Trite nicht unterscheiden könte: so wert es im ja Nimand di Ferdoplung der Mitlaute in den geschribnen kommen, und Tritte mit sichtlichen Augen zu sen; und är müste, mich deücht, mit Ferdrus bemerken, daß man es im überdis auch noch durch komm und Tritt ein bleüen wolte. Kurz, wen är recht bedenkt, wi man in hir gengelt; so kan es nicht fälen, daß in dise gemalten Gerüche anstinken.
      Es ist ferner gar tifligende und fillerende Etimologi, wen man den in ziehen durch das überflüssige e gemachten Fäler in ziehet widerholt; oder in zieht durch das nicht ausgesprochene h einen andern macht.
      Denn man kan ja, wen ziet, oder gar mit einem neüen Zeichen der Denung zit geschriben wird, auf keine Weise zu der grossen Einsicht kommen, daß das h in ziehet zurükkert, ob man es gleich tagtäglich so mit Oren hört, oder, hat man keine, mit Augen sit.
      Mit dem durch ein Häkchen [hier durch Unterstreichung] ausgedrükten weggelasnen e ferhelt es sich nicht fil anders. Wen durch: Si libt es, für: Si libt' es, etwas fersen wird; so fersit es di Sprache, aber nicht di Rechtschreibung. Und wofern jener Frager auch hir zum Forscheine keme, und das Gespräch unterbreche: «In welcher Zeit reden Si, in der jezigen, oder forigen?» so würde man in, wen man sich anders aufs Antworten einlisse, mit der Bitte heimweisen, auf di Ferbindung Acht zu gäben.
      Auch das ä, welches bei der Ableitung unrichtig für das richtige e gesezt wird, ist zur Schreiberei des Ungehörten zu rechnen. Denn wir sprechen nun einmal fon Land nicht Länder, sondern Lender aus. So auch fende fon fand, scherfer fon scharf. In besser machen wir es schon, wi es sein mus; fermutlich, weil wir das Stammwort bas nicht kanten, und dahär auch keinen Anlas hatten, di Regel der Gemechlichkeit, nach welcher a nur zu ä wird, durch bässer anzubringen. Unsre Alten, ob si gleich in der Ortografi noch mer als wir schwankten, waren gleichwol darin weniger als wir zurük, daß si gewönlich Hende, were, gefellig u.s.w. schriben. Da di Einwürfe wider den Grundsaz:«Das Gehörte der guten Aussprache nach der Regel der Sparsamkeit zu schreiben» gröstenteils fon der zu bezeichnenden Etimologi härgenommen sind; so ist es sonderbar genung, daß man dabei so weit get, auch di Bezeichnung der falschen Etimologi zu ferlangen.
      Welche winzige, unnarhafte, etimologische Brokken sind es überhaupt, di uns di jezige Ortografi zum Besten gibt. Bei der Rechtschreibung kan nur in so fern fon Andeütung der Etimologi di Rede sein, als dise mit der Aussprache übereinstimt. Wen sich dis nicht so ferhilte; so würden wir ser unrecht haben mit jenem unnarhaften Brokken für lib zu nämen. Di Rechtschreibung müste uns dan ganz andre Etimologien (auch mit neüen Zeichen, wen es nötig were) andeüten. Z. E. di Abstammung unsers Wortes Sele fon dem alten saiwan (sehen) und andre fon gleicher Erhäblichkeit. (Fon saiwan, Saiwala. Beide Wörter hat Ulfila. Wir haben das lezte in Sele zusammengezogen. Es ist also das Ferkleinerungswort bis auf uns gekommen; obgleich in den späteren Zeiten Ludewigs des Frommen bei den nördlichen Deütschen Sebo wenigstens mer in Gebrauch war.)
      Di grossen Buchstaben, mit dänen wir di Benennungen, Namen, Ferse, und Perioden anfangen, haben zwar nichz mit der Etimologi zu tun, aber si lauten wi di kleinen, und gehören dahär, als grosse, zu dem Ungehörten. Di Alten fangen ni di Benennungen damit an. Die Neüern tuns nur hir und da, wis kömt. Wir schwankten emals auch so. Fileicht het ich di grossen Buchstaben nicht beibehalten sollen. Es ist dis einer fon dänen Punkten, bei welchen ich one Weiteres der Merheit der timmen folgen wärde.
      Ich habe di Gründe, welche mir ferbiten auch das Ungehörte zu schreiben, angefürt. Man untersuche si; nur lasse man den kurzdaurenden Eindruk, där durch den Anblik des Ungewönlichen entstet, keinen Gegengrund sein.
      Ueberhaupt ist mir wider di Ortografi, di ich forschlage, noch kein Einwurf gemacht worden, dän ich nicht in der Ferne kommen gesen, und in dahär nicht, wenigstens mit einem Winke der Zurechtweisung, zurük zu halten gesucht hette.
      Wär mir ferner Einwürfe machen wil, där wird nicht übel tun, wen är sich di forgeschlagne Ortografi, als eingefürt, und zugleich di Aufname desjenigen forstellt, welcher dan di jezige einfüren wolte. Dis könte, mich deücht, machen, daß ir Ungegründetes desto sichtlicher in di Augen file.

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Der Text folgt der Ausgabe «Klopstocks Sämmtliche Werke. Neunter Band. Leipzig. G. J. Göschen'sche Verlagsbuchhandlung. 1855.» S.401-404.