BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hermann Samuel Reimarus

1694 - 1768

 

Von Duldung der Deisten:

Fragment eines Ungenannten

 

1774

 

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[Fragment]

 

 

Wenn kein vernünftiges Christenthum, kein Arianer und Socinianer, heutiges Tages mehr geduldet werden will: was haben diejenigen zu hoffen, welche sich blos an die gesunde Vernunft in der Erkenntniß und Verehrung Gottes halten? Denn dahin sind schon längst viele im Verborgnen gebracht worden, daß sie wohl eingesehn [199] haben, wenn man Christi eigene Lehre nicht von der Lehre der Apostel und Kirchenväter absondern, und allein beybehalten wollte, so liesse sich das apostolische und nachmals immer weiter ausgeartete Christenthum mit keinen Künsteleyen und Wendungen mehr retten. Die reine Lehre Christi, welche aus seinem eigenen Munde geflossen ist, so fern dieselbe nicht besonders in das Judenthum einschlägt, sondern allgemein werden kann, enthält nichts als eine vernünftige practische Religion. Folglich würde ein jeder vernünftiger Mensch, wenn es einer Benennung der Religion brauchte, sich von Herzen christlich nennen. Und vielleicht haben diejenigen bey den Corinthern, welche weder paulisch, noch apollisch, noch kefisch, sondern christlich heissen wollten, solche Reinigkeit der Lehre Christi, ohne alle Zusätze dieser und jener Apostel, dadurch bekannt. Eben diese Lehre würde auch noch christisch geblieben seyn, wenn man sie nach eben denselben Grundsätzen weiter ausgeführt und zu einer vollständigen Unterweisung der Gottesfurcht, Pflicht und Tugend, gemacht hätte. Sobald aber die Apostel anfingen, ihr jüdisches System von dem Messias und von der Göttlichkeit der Schriften Mosis und der Propheten, mit hinein zu mischen, und auf diesen Grund ein geheimnißvolles neues System zu bauen: so konnte diese Religion nicht mehr allgemein werden. Der Glaube, worauf sie sich stützte, erforderte zuviel Beweis, als daß ihn ein jeder, aller Orten, und zu allen Zeiten, mit genügsamer Einsicht und Ueberführung hätte annehmen, oder auch von Einwürfen und Anstössen befreyen können. Sollte es aber ein blinder [200] Glaube, ohne Einsicht und Ueberführung seyn: so mußte er nothwendig die Vernunft gänzlich schweigen heissen und unterdrücken. Und darauf legten es schon die Apostel an; die denn auch, weil sie ihr eignes Glaubenssystem nicht völlig überdacht, und nach allen Grundartikeln zureichend bestimmt hatten, ihren Nachkommen Gelegenheit gaben, immer mehrere Glaubensbücher, Geheimnisse, Ceremonien und Glaubensformeln zu stiften, und sich dabey aufs äusserste unter einander zu verketzern; auch wenn der Apostel ihre Schriften nicht genugsam den Streit entscheiden, ein Nebenprincipium der Tradition, und des päpstischen Ausspruches einzuführen. Da man bey dem allzu grob gewordenen Abfall des Christenthums zum Aberglauben, eine Reformation anfieng; konnte man doch nicht einig werden, wie viel von den unsaubern Schlacken wegzuwerfen wäre. Der eine näherte sich der Vernunft mehr als der andre; und beide doch nicht genug, daß es gegen die Einwürfe der sogenannten Deisten und Naturalisten bestehen konnte. Daher haben einige Theologi, wie gesagt, das Christenthum, was die Glaubenssätze und Principia betrift, noch weiter nach der Vernunft zu bequemen gesucht, um es auf solche Weise von seinem gänzlichen Falle zu retten, und dem denkenden Menschen unanstössig zu machen. Ich zweifle aber fast, ob nach dieser Methode von dem Christenthume viel mehr nachbleiben werde, als der blosse Name. Wenigstens haben die mehrsten Theologi aller Sekten solche Vereinigung des Glaubens mit der Vernunft, für eine wirkliche Aufhebung aller Glaubenslehren angesehen, und mit allen [201] Kräften dahin gestrebt, daß bey aller übrigen Toleranz irrgläubiger und phantastischer Christen, ja der Juden und Heiden, nur die Arianer und Socinianer nirgend in der Christenheit aufkommen und geduldet werden möchten, wovon keine andre Ursache seyn kann, als weil Arianer und Socinianer eine fast gänzlich vernünftige Religion haben, welche ihnen ein Dorn in den Augen ist; da jene Ketzer, Fanatici, Juden, Türken, Heiden, bey allen übrigen Irrthümern doch noch dies Verdienst an sich haben, daß sie etwas glauben. Was sie denn glauben, davon ist bey der Toleranz die Frage nicht; genug sie glauben doch, und folgen der Vernunft nicht. Siehe dann, weil der gesunden Vernunft alle Wege versperrt worden, Gott nach ihrer Einsicht, unter einem angenommenen Christennamen zu verehren, so hat sie es endlich wagen müssen, sich blos zu geben, und rein heraus zu sagen: nein es ist wahr, wir glauben das nicht, was das heutige Christenthum zu glauben verlangt, und können es aus wichtigen Ursachen nicht glauben; dennoch sind wir keine ruchlosen Leute, sondern bemühen uns, Gott nach einer vernünftigen Erkenntniß demüthigst zu verehren, unsern Nächsten aufrichtig und thätig zu lieben, die Pflichten eines rechtschaffnen Bürgers redlich zu erfüllen, und in allen Stücken tugendhaft zu wandeln. Was haben nun die Vorsteher der christlichen Glaubenslehren noch für Rath übrig, da die Menschen so frech geworden sind, öffentlich zu bekennen, daß sie von keiner andern Religion als von der vernünftigen überführt sind? Was für Rath? Sie verdoppeln ihren Eifer und wenden alle Beredsamkeit an, zuvorderst [202] den gemeinen Mann, hienächst die Obrigkeit, in gleichen Eifer zu setzen. Da klagen wir es den Gemeinen und christgläubigen Seelen, daß ietzt der Unglaube und die Freidenkerey von Tage zu Tage mehr einreisse, und als der Krebs um sich fresse, daß hie und da so viele Unchristen, Naturalisten, Deisten, Religionsspötter und Gotteslästerer entstehen, die Gottes Wort Lügen strafen, Christi Verdienst mit Füssen treten, Kirche und Abendmahl verachten, ja wohl gar ihren Gift in verwegnen Schriften ausstreuen, oder daß auch selbst unter denen, die alle äusserliche Gnadenmittel des Christenthums gebrauchen, manche Heuchler, und in ihrem Herzen blosse Unchristen, und höchstens nichts als vernünftige Heiden, sind. Das ist den Ohren des blindgläubigen Pöbels eine Posaune, welche die Religionsgefahr ankündigt, und ihm Haß und Verfolgung wider alle, die nicht glauben wollen, einbläset. Denn der Pöbel glaubt so kräftig, daß er sich wohl auf seinen Glauben todtschlagen liesse, und andre gern todtschlüge, die das nicht glauben was er glaubt. So bringen sie denn zur Unterdrückung der vernünftigen Religion, ein ganzes Heer fürchterlicher Streiter auf die Beine, und die Obrigkeit muß nunmehr, als Beschützerin des Glaubens, die freydenkerischen Schriften in den Buchläden bey grosser Strafe verbieten, und durch des Scharfrichters Hand verbrennen lassen; wo nicht die entdeckten Verfasser gar vom Amte gesetzt, oder ins Gefängniß gebracht, oder ins Elend verwiesen werden. Dann macht man sich über die gottlosen Schriften her, und widerlegt sie in aller Sicherheit, nach theologischer Weise. Die [203] Heucheley, womit sich viele in der Christenheit zu ihrem innern Verdrusse behelfen müssen, zeuget wider die Herren Theologen, daß sie ein freies Bekenntnis der vernünftigen Religion durch Furcht und Zwang unterdrücken. Denn wer würde wohl in einer so ernsthaften Sache, wider seine eigene Ueberführung, öffentliche Handlungen begehen, die ihm ein Eckel und Aergerniß sind? Wer würde seine wahre Meinung, dafür er sich sonst gar nicht zu schämen hätte, vor seinen Freunden und Verwandten beständig verhelen? Wer würde seine eigene Kinder in solche Schulen schicken, da sie, nach seiner Einsicht von der wahren Religion, die er selbst zu haben vermeint, zu einem blinden und verderblichen Aberglauben angeführt werden, wenn er solches alles nicht aus grosser Furcht für den Verlust seiner ganzen zeitlichen Wohlfahrt zu thun genöthigt wäre? Die Herren Prediger mögen gewiß glauben, daß ein ehrlicher Mann seinem Gemüthe keine geringe Quaal anthun muß, wenn er sich sein ganzes Leben hindurch stellen und verstellen muß. Was soll er aber anfangen, da die meisten Menschen, darunter er lebt, mit Haß und Bosheit, gegen den Unglauben, von der Priesterschaft erfüllt sind? Man würde ihm Freundschaft, Vertrauen, Umgang, Handel und Wandel, ja alle Liebesdienste versagen, und ihn als einen ruchlosen und abscheulichen Missethäter vermeiden. Welcher gute Bürger würde seine Tochter wissentlich einem Unchristen zur Ehe geben? Und wie würde die, so in seinen Armen schläft, wenn sie dereinst ihres Mannes wahre Meinung von dem Christenthum erführe, nach ihrer Schwachheit [204] ängstlich thun, und den Herrn Beichtvater anflehen, daß er doch ihren auf solche verdammliche Wege gerathenen Mann bekehren möchte? Was für eine herrliche Parentation würden ihm die Herren Prediger noch nach seinem Tode halten? Würden sie auch seinem Körper noch eine Ruhe in ehrlichen Begräbnissen zugestehn?

Was ist also an der Heucheley so vieler bedruckten Vernünftigen anders Schuld, als der mit so manchem zeitlichen Unglück verknüpfte Glaubenszwang, welchen die Herren Theologi und Prediger, vermöge ihrer Schmähungen und Verfolgungen, den Bekennern einer vernünftigen Religion bis in den Tod anlegen?

Wahrlich, solch Verfahren ist auf alle Weise zu mißbilligen. Ein Mensch, der ohne sein Wissen in der ersten Kindheit mit Gewalt zum Christen getauffet ist, und dem man den Glauben theils fälschlich angedichtet, theils in den unverständigen Jahren ohne Vernunft eingeprägt hat, kann nach keinem göttlichen oder menschlichen Rechte gehalten seyn, so bald er andre Einsichten von der Wahrheit bekommt, eben dasselbe zu glauben, was er als ein Kind in Einfalt zu glauben gelehret war; vielweniger kann er darum, daß er nun dem angedichteten und blindlings eingeflößten Glauben entsagt, strafbar werden, oder die Vorzüge eines Menschen und Mitgliedes der menschlichen Gesellschaft verlieren, und mit allerley zeitlichen Ungemach belegt werden. Warum hat man ihn auf solche unerlaubte Weise mit dem Glauben berückt? – Was haben die Herren Theologi für Recht, daß sie diejenigen, die doch eine vernünftige und [205] wahre Religion haben und ausüben, sonst aber nichts wider den Staat und ihre Nebenmenschen, oder in besondern Tugendpflichten verbrechen, öffentlich vor dem gemeinen Hauffen beschimpfen und verhaßt machen? Eigentlich gehören solche Dinge gar nicht auf die Kanzel. Denn die Zuhörer verstehen nichts von der Sache: und wenn sie aufrichtig die Gründe der Gegner zu wissen bekämen, würden sie nur irre werden.

Also hat auch da keine unpartheyische Widerlegung Statt. Wer zum Lehrer auf der Katheder berufen ist, der mag immerhin gegen alle Ungläubige und Irrgläubige streiten. Aber ein Lehrer auf der Kanzel ist ein Lehrer der Gläubigen und Christen, bey welchen er die Ueberführung von der Wahrheit des Christenthums billig voraussetzt. Was hat ein solcher niit denen zu schaffen, die draussen sind, und zur Kirche nicht gehören? – Daß er sie da mit rednerischen Ausdrücken, welche die Einbildungskraft und Affecten erregen, und mit verhaßten Namen, wovon die Zuhörer nicht einmal richtige Begriffe haben, öfters zur Schau stellet: das dienet zu nichts, als den unverständigen Eifer des blinden Pöbels wider unschuldige Leute in Feuer zu setzen. Zieht der Priester auf die Ungläubigen los, so denkt der gemeine Mann, dessen ganze Religion im Glauben besteht, daß es Leute sind, die gar keine Religion haben, die weder Gott noch Teufel, weder Himmel noch Hölle glauben. Denn er urtheilt nach sich selbst: wenn bey ihm der Glaube wegfiele, so bliebe gar keine Religion übrig. Unchristen klingen in des Pöbels Ohren als ruchlose lasterhafte [206] Bösewichter. Denn er ist einmal so unterrichtet, daß ein frommer Wandel allein aus dem Glauben, d. i. aus dem Christenthume, entstehen könne, und daß alle, die nicht Christen sind, nothwendig allen Sünden ergeben seyn müßten. Gleich als ob die gesunde Vernunft und das Naturgesetz nicht die eigentliche Quelle aller Pflichten und Tugenden wäre, woraus Christus selbst und die Apostel ihre Vorschriften geschöpft haben. Wenigstens setzt diese Benennung der Unchristen, solche Leute in eine Reihe mit Juden, Türken und Heiden, von welchen die Christen alles Arge in Lehre und Leben zu denken pflegen. Von Naturalisten, Deisten, Freydenkern stellt sich der unwissende Haufe im bösen Verstande nichts bessers vor, als daß sie die Natur zu Gott machen, und in ungezügelter Frechheit blos nach ihren Lüsten handeln, Spötter der Religion und Gotteslästerer, nebst andern solchen theologischen Ausdrücken, geben vollends christgläubigen Seelen, ein Bild von den abscheulichsten Creaturen, die man ausrotten und vertilgen müsse. Das heißt ja wohl recht, verläumden, die Unschuld mit der Bosheit vermengen, und eben die giftigen Waffen, womit die Heiden wider das Christenthum stritten, nun als christliche gebrauchen. Denn die ersten Christen mußten auch bey den Heiden, Atheisten und Gotteslästerer heissen, weil sie weder an den Jupiter, noch an den Saturn, noch an die Juno glaubten, sondern ihrer wohl gar in öffentlichen Schriften spotteten. – Eben dieses erinnert uns aber auch der jetzigen Unbilligkeit, mit Schriften gegen das Christenthum gewaltsam und schimpflich umzugehen. Wenn in solchen [207] Schriften etwas wider den Staat und die guten Sitten eingestreut wäre: so würde es recht und billig seyn, selbige zu verbieten und zu verbrennen, und die Verfasser für ihren Muthwillen derbe zu züchtigen. Allein wenn sie blos die Streitfrage über die Wahrheit der Offenbarung erörtern, und der vernünftigen Religion das Wort reden: so hindert das der Ruhe des gemeinen Wesens gar nicht, wofern die Theologi nur nicht Lerm blasen und den Pöbel aufhetzen. Haben sie denn vergessen, daß die ersten Kirchenväter, Justinus, Tatianus, Athenagoras, Theophilus, Hermias, Clemens Alexandrinus, daß Tertullianus, Minucius Felix, Arnobius, Lactantius und hundert andere mehr, gegen das damals herrschende Heidenthum, bald Apologien, bald Streitschriften, bald Spottschriften (διασυρμούς, irrisiones de vanitate idolorum, de superstitione saeculi etc.) herausgegeben, und daran von den Kaysern nicht behindert werden? Die Wahrheit muß durch Gründe ausgemacht werden, und sie stehet ihren Gegnern kein Verjährungsrecht zu. War es denn damals den Christen recht, die gemeinen Meinungen schriftlich anzufechten, weil sie dieselben für irrig und abergläubisch hielten: wie kann es in der ietzigen Christenheit für unerlaubt geachtet werden, daß einer sich ihrem herrschenden Glauben entgegen legt, und den Anstoß, welchen er daran hat, öffentlich an den Tag giebt? Sind die Theologi allein privilegirt, daß sie keine Rede und Antwort geben dürfen von den Sätzen, welche sie andern zu glauben aufbürden? Ihre Sache muß wohl schlecht stehen, da sie ihrer Gegner Schriften und Vertheidigungen mit [208] Gewalt unterdrücken und dann das große Wort haben wollen, als hätten sie dieselben rechtschaffen widerlegt.

Daß aber die Intoleranz und Verfolgung in der ganzen Christenheit, gleichsam durch eine gemeinschaftliche Verabredung, hauptsächlich, und fast allein, wider die vernünftige Religion gerichtet ist, das macht die Unbilligkeit noch grösser, und gereicht dem Christenthume, besonders den Protestanten, zum unauslöschlichen Schandflecken. Denn die katholischen Mächte und Geistlichen dulden in ihren Ländern, wo das Pabstthum herrscht, ohne Unterschied, keine einzige fremde Religion; ein jeder Einwohner und Bürger soll und muß sich zu dem katholischen Glauben bekennen, oder das Land räumen. Die Protestanten hingegen sind gemeiniglich für die Toleranz, und verstatten sonst allen Sekten in und ausser der Christenheit ein freyes Bekenntnis und einen öffentlichen Gottesdienst unter sich, ohne davon Unruhen im Staate zu befürchten, oder im geringsten zu erfahren. Man findet, zumal in Holland, Catholiken, Lutheraner, Arminianer, Presbyterianer, Bischöfliche Engländer, Mennoniten, Synkretisten, Quaker, Separatisten, Fanaticos, Zinzendorfianer, Griechen, Armenier, häufige portugiesische und deutsche Juden, ungestört unter den Gliedmaassen der herrschenden reformirten Kirche wohnen, und man läßt einen jeden nach seiner Einsicht und Gewissen Gott verehren. Und so giebt es in England und den Englischen Colonien, wie auch in gewissen Städten der Dänischen und Schleswig-Holsteinischen Botmässigkeit, allerley Sekten und [209] Religionen, die ohne Unterschied gehägt und geschützt werden. Ich will nicht sagen, daß unter dem russischen Gebiete noch ausser den Christen viele Türken und mancherley Heiden stehen. Aber diejenigen allein, deren Religion einigermaassen nach der gesunden Vernunft schmeckt, als Arianer und Socinianer, oder die gar keine Offenbarung erkennen und blos vernünftig denken und leben wollen, die sind es, welche in der ganzen Christenheit sich nirgend einer bürgerlichen Toleranz zu getrösten haben, sondern allenthalben ausgestossen, verbannet, gehasset und verfolgt werden. So leidet man denn im ganzen Christenthume lieber so manchen ungöttlichen Aberglauben, so manchen albernen Irrglauben und eitlen Ceremonientand, so manchen Wahn und phantastische Eingebung, ja lieber die abgesagten Feinde des Christlichen Namens, als eine vernünftige Religion. Die wird für die ärgste und allgemeine Widersacherinn der jetzigen christlichen angesehen, wider welche sich alle sonst noch so sehr streitende Partheyen verschworen haben, sie gänzlich auszurotten. Hast du den jüdischen Glauben von deinen Vorfahren bekommen: wohl! bleibe ein Jude, sage ungescheut, daß du es bist, und beschneide deine Kinder; du wirst in und ausser der Christenheit auf der ganzen Welt sichern Aufenthalt finden, und wohl gar freiwillig zum Bürgerrecht eingeladen werden. Hast du des Pabstes, Luthers, Calvins Glauben: so ist allenthalben im Römischen und vielen andern Reichen Platz für dich. Bist du ein Mennonit, Separatist, Enthusiast: es hindert nichts, man wird dich hie und da unter den Protestanten herbergen und [210] schützen. Aber glauben mußt du doch etwas, was es denn auch sey. Eine reine vernünftige Religion zu haben und zu üben, ist wenigstens in der Christenheit nirgend erlaubt. Gehe nur! – Wohin? Zu den Juden, Türken und Heiden? Aber ich habe auch deren Glauben nicht; sie werden mich eben so gläubig hassen, verdammen, verfolgen und noch dazu meynen, sie thun Gott einen Dienst daran. Wir haben ein klares Beyspiel davon an dem berüchtigten Uriel Acosta, den ich zwar übrigens nicht vertheidigen will, aber der jedoch eine vernünftige Religion, ohne Glauben an die jüdische oder christliche, bekannte. 1) Er war von Geburt und Erziehung ein Jude gewesen, und da er wegen der jüdischen Thorheiten von ihnen abgetreten, dennoch auch kein Christ geworden. Nun hatte er also nirgend Schutz: er ward von seinen vorigen Glaubensgenossen aufs äusserste verfolgt, als ein Mensch, der gar keine Religion hatte, weil er weder ein Jude, noch ein Christ, noch Mahomedaner wäre. Als er sich endlich aus langem Ueberdrusse der erlittenen Drangsale wieder zu der Synagoge wandte, ward er auf eine schändliche Weise in der jüdischen Versammlung nackend gegeisselt und mit Füssen getreten. Da hält er denn den pharisäischen Juden nicht unbillig vor: ob sie dann nicht wüßten, daß nach ihren eignen Lehrsätzen, ausserdem, eine wahre und seligmachende Religion sey, welche dem Menschen als Menschen angeboren worden, und welche die gesunde Vernunft und das Gesetz der Natur lehre; die sie selbst [211] dem Noah und allen Erzvätern vor dem Abraham zueigneten, welche ihn auch nach dem Gesetze Mosis berechtigte, unter den übrigen Juden als einer der Nachkommen des Noah zu leben? Er kann daher seine Verwunderung nicht bergen, daß die christliche Obrigkeit den Juden in solchem Falle richterliche Gewalt und Strafen zugestünde, und glaubt, wenn Christus selbst noch jetzt in Amsterdam, bey den Juden, wider ihre pharisäische Heucheley predigte, und es gefiele ihnen, denselben abermal zu geisseln, so würden sie es da frey thun können. Sehet! so wird die vernünftige Religion bey allen Arten des Glaubens als eine allgemeine Feindinn angelassen. Sobald sich der Glaube zum Herrn über die Erkenntniß Gottes gemacht hat, will er die Stimme der Vernunft nicht mehr hören. Also haben Aberglauben, Irrthümer, Thorheiten und Greuel den ganzen Erdboden überschwemmt. Wo ist denn aber der Mensch? Wo wohnt die Vernunft? Wo hat sie ihren freyen Gebrauch in der edelsten und wichtigsten Erkenntniß und Pflicht der Menschen behalten? Wenn sie sonst auch nirgend geduldet würde: so sollte es doch billig im Christenthume, und in demselben, unter den Protestanten geschehen; weil sie vorzüglich rühmen, daß ihr Christenthum mit der gesunden Vernunft sehr wohl bestehen könne, und sich für deren Prüfung gar nicht zu scheuen habe; ja daß die Vernunft selbst eine Wegweiserinn zum Christenthume sey. Warum verstatten sie denn der vernünftigen Religion nicht den geringsten Platz bey sich? Nein, das ist eine Protestatio facto contraria: ihr Glaube muß so wenig, als alle andre Arten eines falschen [212] Glaubens, die gesunde Vernunft neben sich vertragen können.

Dies Betragen der ganzen itzigen Christenheit läuft gerade wider das Gesetz und den Gebrauch der Kirche alten Testaments, wider Christi Lehre und Exempel, und wider der Apostel ihr Verfahren und Zeugniß. Ungeachtet das Gesetz Mosis eine gar strenge Ausrottung der Heiden im Lande Canaan geboth, so befahl es doch auch, die Fremdlinge, welche in ihren Thoren wohnten, nicht zu bedrängen, noch zu unterdrücken, sondern sie wohnen zu lassen, wie die Einheimischen, und sie zu lieben als sich selbst.  2) Was waren das für Fremdlinge in den Thoren der Israeliten? Es waren keine andre, als die Proselyti Portae seu Domicitii (Gere Schaar oder Gere Toschabh) d. i. vernünftige Verehrer Gottes aus allerley Volke, die der Vielgötterey und Abgötterey nicht zugetham waren, sondern einen wahren Gott, als Schöpfer des Himmels und der Erde, erkannten und verehrten, auch dabey das allgemeine Natur- und Sitten-Gesetz beobachteten; übrigens aber den Glauben Israels nicht annahmen, noch zur Beschneidung und andern Gebräuchen der herrschenden Religion genöthigt wurden. Sie heissen auch Kinder Noah, im Gegensatz von den Kindern Abraham und Israel; d. i. solche, die keine andre Religion, als die des unbeschnittenen Noah hatten und ausübten. Die Juden geben uns ihre Grundartikel, als Vorschriften [213] des Noah, in sieben Hauptstücken an: 1. keine Abgötterey zu treiben; 2. Gottes Namen zu ehren; 3. niemanden zu tödten; 4. keine Unzucht zu treiben; 5. nichts zu rauben; 6. die Obern zu ehren; 7. nicht rohes Fleisch zu essen. Wenn wir das letzte Stück ausnehmen, welches wohl nur hinzugethan war, um den Juden kein Aergernis zu geben, so war alles übrige nichts als ein kurzer Innbegriff der vernünftigen Religion und des Naturgesetzes; daher auch der gelehrte Seldenus sein ganzes Natur- und Völkerrecht nach den Satzungen der Hebräer, auf diese Praecepta Noachica gebauet, und die Religions- und bürgerliche Freyheit der Proselytorum Domicilii genugsam bewiesen hat. Maimonides, der verständigste unter allen Juden, beschreibt diese vernünftigen Judengenossen eben so, und sagt ausdrücklich, daß sie weder verbunden gewesen, sich beschneiden noch taufen zu lassen, und daß sie doch als Fromme aus andern Völkern aufgenommen worden, indem den Israeliten unverboten gewesen, solchen Leuten einen Wohnsitz in ihrem Gebiete anzuweisen 3) Er sagt sogar an einem [214] andern Orte, 4) daß diese frommen Judengenossen Theil hätten an der zukünftigen Seligkeit. Auf solche Weise wurden nicht allein die Gibeoniter und andre zu Knechten gemachte Leute, oder Nethinaer, sondern auch die Rechabiten und die unbezwungnen Cananiter, nebst vielen andern Fremdlingen, mitten in Canaan, neben dem jüdischen Gottesdienste, fried- und freundschaftlich geduldet, und als bürgerliche, ja geistliche Mitgenossen gehalten, ob sie gleich an Mosen und die Propheten nicht glaubten, und das Levitische Gesetz nicht beobachteten, sondern nur das vernünftige der Israelitischen Religion, als das Wesentlichste angenommen hatten. Für solche fromme Anbeter des wahren Gottes, hatte demnach der weise und damals ganz untadeliche König Salomo schon den ersten Tempel mit geweihet; und er läßt in sein Einweihungsgebet mit einfliessen, wenn auch fremde, die nicht von dem Volke Israel wären, zum Tempel kämen und daselbst anbeteten, daß Gott sie in allen ihrem Anliegen erhören wolle. 5) Diese konnten daher mit den Israeliten in den Vorhof des Tempels kommen, und Gott nach ihrer vernünftigen Erkenntniß anflehen, wenn sie gleich nicht mit opferten. Ja, die spätere Geschichte giebt, daß auch heidnischen Königen und Kaisern zugestanden sey, für sich im [215] zweyten Tempel opfern zu lassen. 6) Sehet nun dagegen das Betragen der Diener des neuen Testaments! Sollten diese wohl mit gutem Gewissen von sich sagen können, daß sie die vernünftigen Verehrer Gottes, als die Fremdlinge des Christenthums, nicht zu bedrängen oder zu unterdrücken suchten, sondern vielmehr liebten als sich selbst? sie, deren Mund von dem innern Hasse und Religionseifer gegen solche Leute öffentlich überfliesset. Sollten sie es wohl über ihr Herz bringen können, dieselbe Christgenossen, Religionsverwandte und Fromme zu nennen, oder sie an der Seligkeit Theil nehmen zu lassen? da sie dieselben mit allen Unchristen, Religionsspöttern, Atheisten und Gotteslästerern in eine Klasse setzen? Sollten sie ihnen wohl mit gutem Willen eine bürgerliche und Religionsfreyheit zugestehn? wider deren Aufkommen sie Himmel und Erde, Obrigkeiten und Pöbel, zu bewegen trachten? Niemand wird unsern protestantischen Theologis, geschweige den päbstischen, solche Sanftmuth und Duldung zutrauen; und ich zweifle nicht, wenn manche gläubige Seelen nur von solcher Nachsicht hörten, sie würden schon in Eifer wider diese Ungläubige gerathen. Ein Zeichen, daß sie schon von ihren Lehrern in eine unzeitige Hitze wider alle, die nicht ihres Glaubens sind, gebracht worden!

Nun möchte ich doch wissen, ob diese geistliche Herren von Christo, dem Lehrer der allgemeinen Menschenliebe, [216] einen gegenseitigen und strengern Befehl bekommen hätten, als Moses, in Betrachtung der vernünftigen Verehrer Gottes bekommen oder gegeben hat? Ob sie eine einzige Stelle im ganzen neuen Testament aufweisen können, daß solche Leute in der Christenheit durchaus nicht geduldet werden müßten? Ich weiß wohl, daß die Evangelisten Christo den harten Ausspruch in den Mund legen: wer nicht glaubt, der wird verdammet werden. Allein wenn wir auch diese Nachricht, so wie sie lautet und gedeutet wird, völlig annehmen: so bleibt doch ein gewaltiger Unterschied zwischen den Sätzen: diese und jene Menschen können nach der Heilsordnung Gottes nicht selig werden: und, eben die Menschen sind in der bürgerlichen Gesellschaft und unter Christen nicht zu dulden, noch zu einem öffentlichen Bekenntnisse ihrer Religion zu lassen. Wie wollten sie mit dem letztern Satze zusammen reimen, daß sie den Juden und mehrern andern Ungläubigen und Irrgläubigen, welche auch in ihren Augen ewig verdammt sind, dennoch auf dieser Welt unter sich eine öffentliche privilegirte Ausübung ihrer Religion verstatten? Christus sagt seinen Jüngern anderwärts: sie sollten das Unkraut wachsen lassen bis zur Erndte; d. i. sie sollten denen, die auch falsche Meinungen hägten und lehrten, ihre menschliche Einsicht und Religionsfreyheit nicht durch gewaltsame Mittel zu benehmen suchen, oder ihr Aufkommen hindern, sondern alles dem künftigen Gerichte Gottes überlassen. Wenn also auch die Menschen, welche Gott bloß nach vernünftigen Einsichten verehren, mit unter das Unkraut, d. i. unter die irrig und falsch lehrenden, zu rechnen wären: [217] so würde nach Christi Regel dennoch keine äussere Unterdrückung der vernünftigen Religion und des vernünftigen Gottesdienstes zu entschuldigen seyn. Allein Christus hat die vernünftigen Religionsverwandten nicht einmal unter dem Unkraute der Kirche begreifen können, von dessen Ausrottung die Frage wäre: weil sie nach dem Gesetze, als Menschen, als Fremdlinge, als wohnhafte Bürger, ja als gottesfürchtige Leute, der allgemeinen Liebe, und der von Gott zugestandnen Rechte theilhaftig waren. Die Apostel haben dieselbe gleichfalls nicht so böse und unleidlich angesehen, sondern sie vielmehr mit den besten Ehrennamen belegt. Unsere jetzigen Kirchenlehrer werden sichs gefallen lassen, von den Aposteln eine bessere Sprache und Amtsführung anzunehmen. So oft die Apostel mit den vernünftigen Judengenossen aus den Heiden zu schaffen haben: so heissen sie stets bey ihnen die Frommen, die Gottesfürchtigen, die Verehrer Gottes, die gottesfürchtigen Judengenossen (εὐσεβεῖς σεβόμενοι τὸν θεόν, σεβόμενοι Ἕλληνες, δίκαιοι, φοβούμενοι τὸν θεόν ) und sie werden den Israeliten an die Seite gesetzt. Ihr Männer von Israel, sagt Paulus, und die ihr Gott fürchtet, höret zu. Ihr Männer, lieben Brüder, ihr Kinder des Geschlechts Abraham, und die unter euch Gott fürchten. 7) In der Erzählung lautet es ebenso: Nach dieser Rede, sind Paulo und Barnabä viel Jüden und gottesfürchtige Judengenossen nachgefolgt. Es geselleten sich zu Paulo und Sila auch der gottesfürchtigen Griechen [218] eine Menge. Paulus unterredete sich mit den Juden und den Gottesfürchtigen in der Synagoge. 8) Daß nun in allen diesen Stellen keine Beschnittene und vollkommene Judengenossen oder Proselyti iustitiae, sondern blos vernünftige Verehrer Gottes oder Proselyti Portae gemeinet sind, hat unter andern Salomon Deyling, ein gelehrter lutherischer Theologus ausführlich gezeigt. 9) Der Hauptmann Cornelius war, nach des Evangelisten Lucä Zeugniß schon als ein vernünftiger Heyde, gottselig, gerecht und gottesfürchtig, εὐσεβῆς , δίκαιος, φοβούμενος τὸν θεόν 10) so wie die Purpurkrämerinn Lydia eine Verehrerinn Gottes hieß (σεβομένη τὸν θεόν) 11). Das ist ganz eine andere Sprache der ersten Jünger Jesu, als die man jetzt führt. Sie sagten nicht, ihr Ungläubige, ihr Freydenker, ihr Naturalisten, ihr Religionsspötter; sondern ihr Verehrer Gottes, ihr die ihr Gott fürchtet. Wie also die jüdische Kirche ungeachtet ihres großen Eifers für das Gesetz und für ihre Religion dennoch die vernünftigen Religionsverwandte nicht allein bürgerlich ungekränkt bey sich wohnen ließ, sondern auch in ihre geistliche Versammlungen und Synagogen willig aufnahm, und sie durch Liebe, Lob und freundschaftliche Begegnung an sich lockte: so billigten auch die Apostel, durch ihre Ehrennahmen, welche sie solchen Jüdengenossen öffentlich ertheilten, die Weise der jüdischen Kirche, [219] und gaben mithin ihren Nachfolgern in der christlichen Kirche ein rühmliches Beyspiel, wie nahe sie die vernünftige Religion auch mit der christlichen verwandt hielten, und wie entfernt sie von deren Verkleinerung, Beschimpfung und Unterdrückung wären. Woher haben denn die heutigen Lehrer des Christenthums das gelernt, daß sie vernünftige Verehrer Gottes bey der Gemeine mit verhaßten Benennungen anschwärzen, als ob sie gar keine Religion hätten? Woher gönnen sie diesen allein kein freyes Bekenntniß der erkannten Wahrheiten, da sie alle übrige Ungläubige und Irrgläubige dulden? Mit welchem Rechte mischen sie sich in die Verfassung des Staates, solche unschuldige und rechtschaffene Leute, auch durch obrigkeitliche Hülfe, aus der bürgerlichen Gesellschaft, und allen daher entstehenden Vortheilen zu verdrängen?

Es ist demnach solche Unterdrückung der vernünftigen Religion und ihrer Verehrer, welche die neuern christlichen Lehrer zur Maxim gemacht haben, sowol dem alten als neuen Testamente, sowol dem Gesetze Mosis und dem Betragen der jüdischen Kirche, als der Regel und dem Exempel Christi und seiner Apostel gerade entgegen. Aber wenn wir auch die Sache an sich selbst betrachten, so zeiget sich die offenbarste Unbilligkeit in der heutigen Methode, welche in der Christenheit herrscht. Ein jeder Mensch soll glauben, oder nicht in der menschlichen, es sey geistlichen oder bürgerlichen, Gesellschaft geduldet werden. Wie kann man aber das als eine Pflicht und Schuldigkeit fordern, und es mit einer Strafe verknüpfen, was nicht in der Menschen Macht [220] und freyem Willkühr stehet, ja manchem nach seiner Einsicht von sich selbst zu erhalten, unmöglich wird? Entweder müssen dadurch Heuchler im Christenthume entstehen, oder man muß ihnen auch erlauben, daß sie frey und ohne Kränkung ihres bürgerlichen Wohlstandes bekennen, sie glaubten es nicht, und könnten sich aus den und jenen Ursachen von dem Glaubenssystem und dessen Artikeln nicht überführen. Die Menschen sollen glauben, ehe sie noch zn den geringsten Begriffen, Urtheilen und Prüfungen des geglaubten fähig sind. Sie sollen glauben, was über die Vernunft ist, ehe sie von dem, was der Vernunft fasslich ist, eine Einsicht haben. Wie läßt sich eine Religion, oder Erkenntniß Gottes, ohne alle Begriffe, ohne alles Vermögen der Einsicht pflanzen? Wie kann ein geheimnißvoller Glaube Statt finden, der nicht auf die Anfangsgründe einer vernünftigen Religion gebauet ist? Daraus kann nichts als ein blinder Glaube entstehen, da die Menschen selbst nicht wissen, was sie glauben, noch warum sie es glauben. Denn weil man ihnen von der Kindheit an alle vernünftige Erkenntniß von Gott und göttlichen Dingen in den Lehrbüchern sorgfältig entzieht, und ihnen wider die Vernunft und deren Gebrauch in dem, was des Geistes Gottes ist, kräftige Vorurtheile beybringt: so kann nichts, als ein blinder Glaube übrig bleiben. Die Menschen sollen ohne Vernunft blos glauben, und dadurch fromme Christen werden; da doch der Mensch allein dadurch, daß er eine vernünftige Creatur ist, vor allen Thieren einer Religion fähig wird, und sich durch vernünftige Bewegungsgründe zum Guten ziehen läßt. Wie kann man denn [221] Christen erwarten, ehe sie in Menschen gebildet sind? Wie kann man eine thätige höhere Vollkommenheit des Willens und Wandels von ihnen hoffen, da sie keine innere Bewegungsgründe zu einer natürlichen Tugend und Frömmigkeit bekommen haben? Wenn man diese Methode in ihrer eigentlichen Folge betrachtet: so wird sie, nach Beschaffenheit der Menschen, zum Aberglauben und knechtischen Werkheiligkeit Gelegenheit geben, oder sie auch eben so bösartig und ruchlos, als sie aus Mangel einer vernünftigen Erziehung geworden sind, lassen. –

 

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1) S. sein Exemplar vitae humanae, bey dem Limborch in collatione cum erudito Iudaeo, p. 361. 

2) Exod. XXII. 21. Leuit. XI. 33. 34. Deut. X. 18. 19. collato Exod. XX. 10. Deut. V. 14. Num. XXXV. 15. Leuit. XXV. 6.  

3) Maimonides Issure Biah. cap. XIV. Qualisnam est ille, quem Proselytum Domicilii Ger Toschabh, vocamus? Is gentilis erat, qui in se susceperat a cultu extraneo abstinere, et cetera obseruare quae in Naachidarum iure continentur. Nec circumcidebatur ille, nec baptizabatur sed admittebant eum velut unum ex piis e gentilibus mundi. Ideo autem vocatur Inquilinus, quoniam licuit nobis ei sedes inter nos assignare in territorio Israelitico. 

4) Maimonides in tract. de Regibus cap. VIII. § 11. Quicunque in se suscepit septem praecepta Noachidarum et in iis obseruandis cautus est, ille est pius e gentibus mundi et portionem habet in saeculo futuro. 

5) 1 Reg. VIII. 38. 41. sq. 

6) So haben Alexander M. Heliodorus, Antiochus Eupator, Ptolemaeus Euergeta, Augustus, Vitellius für sich im zweyten Tempel opfern lassen. Vid. Selden, de I. N. et G. lib. III. cap. IV. et VII.  

7) Actor. XIII. 16. 26. 

8) Actor. XIII. 42. 43. XVII. 4. 17. 

9) Sal. Deyling Obss. Sacr. P. II. p. 352. de σεβομένοις τὸν θεόν. 

10) Actor. X. 1. 

11) Actor. XVI. 14.