BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Hermann Samuel Reimarus

1694 - 1768

 

Ein Mehreres

aus den Papieren des Ungenannten,

die Offenbarung betreffend

 

1777

 

____________________________________________________________________

 

 

[437]

Fünftes Fragment.

Ueber die Auferstehungsgeschichte.

 

 

§§. Die vornehmste und erste Frage, worauf das ganze neue Systema der Apostel ankömmt, ist demnach diese: ob Jesus, nachdem er getödtet worden, wahrhaftig auferstanden sey? Da beruft sich nun Matthäus anfangs auf das fremde Zeugniß der Wächter Pilati, welche er auf Begehren des jüdischen Rahts bey dem Grabe gestellet, und welche mit ihrem grossen Schrecken Jesum aus dem Grabe hervorbrechen gesehen, auch diese Geschichte den Hohenpriestern und Aeltesten verkündiget hätten. Die Erzählung lautet umständlicher also: „Des andern Tages nach der Kreuzigung Jesu, das ist, am ersten Ostertage, als den funfzehnten des Monats Nisan, kamen die Obersten der Priester und die Pharisäer, welche den hohen Raht ausmachten, sämtlich zu dem Römischen Landpfleger Pilato, und sprachen: Herr, wir sind eingedenk worden, daß dieser Verführer Jesus, den du gestern hast kreuzigen lassen, gesagt hat, wie er noch lebte: er wolle drey Tage hernach, wenn er getödtet wäre, wiederum lebendig auferstehen. Demnach bitten wir inständig, befiel doch, daß man das Grab, wohin er gelegt ist, verwahre bis an den dritten Tag, auf daß nicht irgend seine Jünger inzwischen des Nachts kommen, ihn aus dem Grabe heimlich wegstehlen, und hernach zum Volke sagen: Er ist auferstanden von den Todten. Denn auf solche [438] Art würde der letzte Betrug ärger seyn, als der erste. Pilatus sprach darauf zu ihnen: Siehe, da habt ihr die verlangten Hüter, gehet damit hin, und verwahret das Grab, wie ihrs am besten zu bewerkstelligen wisset. Sie, die obersten Priester und Pharisäer, giengen demnach alsobald hin, und verwahrten das Grab mit denen zugeordneten Hütern, und versiegelten noch zu mehrerer Gewißheit den Stein, der vor die Thüre des Grabes gewälzet war. Am Sonntage aber frühe, den 16ten Nisan, kamen Maria Magdalena und die andere Maria zum Thore heraus, das Grab zu besehen; und siehe, da geschah ein groß Erdbeben: der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, und wälzte den Stein von der Thüre des Grabes und setzte sich darauf: seine Gestalt des Angesichts war wie der Blitz, und sein Kleid weiß wie der Schnee. Darüber erschraken die Hüter vor Furcht dergestalt, daß sie bebten und als todt waren. Den Weibern aber sagte der Engel, ihr habt euch nicht zu fürchten: ich weiß, ihr suchet Jesum den gekreuzigten: der ist aber nicht mehr hier, sondern er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Wie nun die Weiber die ledige Stätte im Grabe und im Zurückeilen Jesum selbst auf dem Wege gesehen und gesprochen hatten, und dieses den übrigen Jüngern in der Stadt verkündigen wollten, so kamen auch etliche von den Hütern nach der Stadt, und berichteten den Obersten der Priester alles, was geschehen war. Die kamen also mit den Aeltesten, den übrigen Mitgliedern des hohen Raths, darüber zusammen, erzählten ihnen der Wächter Aussage von dem Geschehenen. [439] Darauf ward nach Ueberlegung der Sache diese Entschließung gefasset: Sie gaben den Kriegs-Knechten Pilati, die das Grab gehütet hatten, Geld genug, daß sie sagen sollten, Jesus Jünger wären des Nachts gekommen, und hätten den Leichnam gestohlen, als sie geschlafen. Wenn dieses ja, sagten die Priester, bey dem Landpfleger Pilato auskommen sollte, daß ihr geschlafen, so wollen wir Juden ihn schon befriedigen, daß euch des wegen keine Strafe widerfahren soll. Also nahmen die Hüter das Geld, und thaten, wie sie gelehret waren. Daher ist die Rede, daß Jesus Jünger seinen Leichnam des Nachts gestohlen, bey den Juden ausgekommen, und währet bis auf den heutigen Tag.“

§§. So weit gehet die Erzählung Matthaei, die gewiß eine Sache von der größten Wichtigkeit enthält. Denn, wenn das in der That geschehen wäre, so würde es eine innere Ueberführung von der Wahrheit der Auferstehung Jesu, sowohl bey den Juden als Heiden damaliger Zeit, haben wirken können: und die Apostel hätten, zum Beweise ihres Zeugnisses fast nichts anders gebraucht, als sich auf diese Stadtkündige Begebenheit allenthalben zu berufen, oder sich wol gar von Pilato Brief und Siegel über die durch Hüter bis in den dritten Tag geschehene Bewahrung des Grabes auszubitten, hienächst aber bey demselben auf eine schärfere und peinliche Befragung der Hüter über das, was ihnen begegnet sey, äußerst zu dringen: damit sie sich sowol selbst von dem aufgebürdeten Betruge retten, als auch die Wahrheit bey allen und jeden überzeuglich darlegen, [440] und das Hinderniß, so die Verleumdung ihnen in den Weg geworfen, wegräumen mögten. Wie ist denn nun mit der Wahrheit dieser Geschichte zusammen zu reimen, daß außer dem Matthäus kein einziger Evangelist in seinen Berichten, kein einziger Apostel in seinen Briefen, derselben irgend die geringste Erwähnung thut; sondern Matthäus mit seiner so wichtigen Erzählung, von aller andern Zeugnisse verlassen, ganz allein bleibet? Wie kann es mit der Wahrheit dieser Geschichte bestehen, daß sie kein einziger Apostel oder Jünger, vor Jüdischen oder Römischen Gerichten, oder vor dem Volke in Synagogen und Häusern, zur Ueberführung der Menschen, und zu ihrer eigenen Verantwortung jemals gebrauchet? Nach Matthäi Erzählung hatten ja die obersten Priester den Bericht der Hüter, und folglich die wunderbare Eröffnung des nunmehro ledigen Grabes Jesu, allen Aeltesten des ganzen hohen Raths mitgetheilt, und mit ihnen sich besprochen, wie das geschehene zu unterdrücken und zu vermänteln seyn mögte. Demnach wußten und glaubten alle siebenzig Mitglieder des hohen Raths, daß es sich in der That so verhielte, wie die Apostel predigten: und es war kein anderweitiger Beweisgrund zu erdenken, der in den Beysitzern des Synedrii mehr innere Ueberführung und Beschämung hätte wirken können, als dieser, wenn sich die Apostel auf des Synedrii eigene sorgfältige Bewachung des Grabes, und das was ihnen die Wächter selbst von dem Geschehenen ausgesagt, und was also einem jeden sein Gewissen zeugen würde, bezogen hätten. Wenn also Petrus, wenn Paulus, wenn andere, über das Bekenntniß [441] von der Auferstehung Jesu zu Rede gestellet wurden, was hätte es weiter Zeugniß bedurft als dieses: „Es ist vor der ganzen Stadt Jerusalem, und vor aller Welt kund und offenbahr, daß der ganze hohe Rath, mit Römischer Soldaten-Wache versehen, die Vorsicht gebraucht hat, das Grab zu besichtigen, zu versiegeln und bis auf den dritten Tag bewachen zu lassen. Nun hat die Wache am dritten Tage in aller Frühe das Grab mit Schrecken verlassen. Sie hätte es aber so lange bewachen müssen, bis der dritte Tag vorbey gewesen, und bis die Ober-Priester und der ganze Rath wieder hinausgekommen wäre, um das Grab abermals zu besehen, ob der Körper noch drinnen, und in seine Verwesung gegangen sey, um alsdenn die Wache zu entlassen. Der ganze Rath weiß hergegen in seinem Gewissen, was diese Hüter ausgesagt, was ihnen begegnet sey, wie und warum sie vor der Zeit mit Schrecken davon gelaufen. Demnach ist ein jeder innerlich überführt, daß Jesus müsse auferstanden seyn, und daß wir nichts, als die Wahrheit, verkündigen.“ Aber in der ganzen Apostel-Geschichte, bey den öfteren Vertheidigungen vor dem Rathe, da sie die Auferstehung Jesu bezeugen, thun sie nicht die geringste Erwähnung von dieser so merkwürdigen Begebenheit. Sie sprechen etwa bloß: wir können es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehöret haben. Wir sind seine Zeugen über diesem Worte, und der heilige Geist. Konnte denn ihr dürres Bejahen wol den geringsten Eindruck machen? Wenn man die Herren des Raths nur als vernünftige Menschen ansiehet, so konnten [442] sie solch Vorgeben der Apostel auf ihr Wort nicht glauben: denn es war eine ganz außerordentliche übernatürliche Sache, daß einer vom Tode sollte aufgestanden seyn, welche sich so schlechthin nicht annehmen ließe, vornemlich da es die Anhänger Jesu allein sagten, und sonst niemand, der es gesehn hätte, genannt wurde: zu geschweigen, daß viele der Raths-Herren Sadducäer waren, welche die Auferstehung der Todten an sich für unmöglich und in der Schrift nicht gegründet hielten. Betrachtet man aber die Raths-Herren als Richter, so mußten sie auch nach ihrem Amte dem bloßen Vorgeben der Apostel nicht trauen, weil diese in ihrer eigenen Sache zeugeten, und zwar zur Einführung einer neuen Religion, und zur Umstürzung der bisher eingeführten, über welche diese Richter nach Amts-Pflicht wachen sollten. Sie konnten und mußten den Aposteln auf ihr eigenes Zeugniß nicht Recht geben, weil die Pharisäer, so das etwa am ersten für glaublich erkläret hätten, sogleich von ihren Beysitzern, den Sadducäern, für partheyische Richter wären gehalten, und dadurch eine Spaltung im Gerichte selbst wäre erregt worden. Der heilige Geist, auf dessen Zeugniß sich die Apostel weiter beriefen, war bloß in ihrem Munde, und zeugete ja nicht außer den Aposteln: konnte daher auch von den Richtern für nichts, als ein leeres Vorgeben der Apostel selbst, und für ihr eigenes Wort angesehen werden. Warum lassen denn die Apostel solche schlechte und eitele petitiones principii nicht lieber ganz weg, und bedienen sich dagegen dieser so vortheilhaften Begebenheit, welche der Richter eigenes Gewissen ihnen glaublich machte, [443] und welche nur allein dieselben rühren, überzeugen und beschämen konnte? Was lässet sich hieraus anders urtheilen, als: entweder die Geschichte muß nicht wahr seyn, oder die Apostel würden sie da, wo sie als der einzige kräftige Beweis-Grund überblieb, alle andere aber nichts verfangen konnten, nothwendig gebrauchet haben.

§§. Dieses Urtheil wird noch mehr bestärket, wenn man betrachtet, wie oft die Apostel und übrigen Jünger Jesu vor Römischen Gerichten gestanden, und zu stehen entschlossen waren, und sich doch diese Begebenheit weder wirklich zu Nutze gemacht, noch solches zu thun jemals gedacht haben. Man hat ja wol in spätern Zeiten Briefe des Pilati an den Kaiser Tiberium gerichtet, worinn diese Erzählung nebst andern enthalten ist; aber in der That haben sich die Apostel bey den Römern nimmer auf des Pilati oder seiner Kriegs-Knechte Zeugniß berufen, noch sich jemals darum bekümmert, ein solches mündlich oder schriftlich von Pilato zu erhalten. Wäre wol was besseres zu der Apostel Zweck, in so fern sie auch Heiden bekehren wollten, zu erdenken gewesen, als daß sie fürs erste nach den Namen der Wächter geforschet hätten, um dieselben bey allen Römern namhaft zu machen, welche man um die Wahrheit dieser Geschichte befragen könnte. Denn wenn gleich diese Wächter von den Juden Geld bekommen, um die Sache zu verschweigen, oder anders zu erzählen; so würden sie doch bey ihren Landesleuten kein Hehl daraus gemacht haben, die Wahrheit auf ernstliches Befragen zu gestehen; wo sie nicht gar von selbst die wunderbare Geschichte bei ihren [444] Freunden und Cameraden ausgebreitet hätten, wie es bey solchen Gelegenheiten zu gehen pflegt, daß die Menschen diese Begebenheit, je wunderbarer sie ist, desto weniger verschweigen können. Würden also die Apostel nicht ein vorläufiges Gerücht bey den Römern zum Vortheil gehabt haben, das sie allemal durch Nennung dieser Soldaten glaubwürdig machen, und auf schärfere Nachfrage bewähren könnten? Warum gedenken sie denn der Sache bey den Heiden, denen sonst die Auferstehung der Todten gar nicht in den Sinn wollte, nimmer? Warum sprechen sie nicht: fragt nur eure Landsleute, den Cajus und Proculus und Lateranus und Lätus, welche dieses Jesu Grab bewachet, und dasselbe mit seiner Auferstehung zu ihrem Erstaunen aufspringen gesehen? Ja, die Apostel würden noch ein mehreres gethan haben. Sie wären zu Pilato selbst gleich auf frischer That hingegangen, und hätten sich von demselben eine förmliche schriftliche Acte über die Bewachung des Grabes, und eine peinliche Untersuchung der Wahrheit, ausgebeten. Hätte denn gleich Pilatus von selbst nicht daran gewollt: so hätte er dennoch, oder wenigstens die Soldaten, welche das Grab bewachet, wider ihren Dank und Willen daran müssen, wenn sich die Apostel vor den Römischen Gerichten darauf berufen hätten. Aber sie gedenken der Sache so wenig vor Felix und vor Festus, als vor dem Agrippas und Berenice, noch sonst irgend bey den Römern und Griechen: sie lassen sich lieber mit ihrer Auferstehung auslachen und für rasend erklären. Daher wir nicht anders schliessen können, als daß die Sache nicht geschehen sey: denn sonst müßte sie nothwendig, [445] als der einzige Beweisgrund, der bey Heiden etwas ausrichten mögte, angeführet seyn; da gewiß alle andere Gründe bey ihnen vergeblich und lächerlich waren. Denn aus der Vernunft lässet sich die Auferstehung nicht beweisen, und die Schriften der Propheten galten bey den Heiden nichts: die Sache aber an sich schiene ihnen ungereimt und fabelhaft zu seyn.

§§. Bey denen Juden, in ihren Synagogen, oder Privat-Versammlungen, wäre gleichfalls die triftigste Ursache gewesen, diese Stadt- und Landkündige Bewachung des Grabes Jesu nebst dem, was darauf erfolget war, allenthalben namhaft zu machen. Denn die müßte nothwendig zu aller Wissenschaft gekommen seyn, wenn der ganze hohe Rath in Proceßion am ersten Oster-Tage zu Pilato; und so von ihm, mit einer Soldaten-Wache durch die Stadt begleitet zum Thore hinaus gegangen wäre, das Grab zu versiegeln und zu hüten. Es hätten selbst Joseph von Arimathia und Nicodemus, und ein ehrlicher . . . . . . . . als Mitglieder des Raths, nicht verschwiegen, was bey ihnen in dem hohen Rathe erzählet, und zur Verdrehung der Sache von der boshaften Parthey beschlossen wäre; daß demnach die ganze Judenschaft zur Annehmung dieser Erzählung und dieses Beweises schon würde vorbereitet gewesen seyn, wenn es die Apostel hätten wollen auf die Bahn bringen, und in ihren Predigten oder Verantwortungen rege machen. Sie hatten ja dazu bey den Juden noch eine besondere dringende Ursache. Denn es ist würklich an dem, was Matthäus schreibt, daß es eine [446] gemeine Rede bey den Juden geworden: die Jünger Jesu wären heimlich des Nachts gekommen und hätten den Leichnam Jesu gestohlen, und nun giengen sie herum und sagten, er sey auferstanden. Die allgemeine Nachrede mußten die Apostel leiden, weil selbst der hohe Rath zu Jerusalem angesehene Männer bey allen Jüdischen Gemeinen in Judäa und andern Ländern herumschickte, und diesen nächtlichen Diebstahl des Körpers Jesu bekannt machten, um alle und jede vor der Betrügerey zu warnen. Das wissen wir aus des Justini Martyris Unterredung mit dem Juden Trypho, wie es imgleichen Eusebius in seiner Kirchen-Geschichte und über den Esaias erwähnet. Wenn es demnach in der That eine allgemeine Rede geworden, was die Juden zum Nachtheil der Apostel ausgebreitet: woher kömmt es denn doch, daß des Matthäi Geschichte mit den Wächtern nicht auch eine allgemeine Rede bey den Jüngern Jesu geworden ist? Wo die Apostel nur hinkamen, da war der böse Ruf von ihrer Betrügerey vorangegangen, und die Gemüther davon eingenommen: wäre es aber mit der Auferstehung Jesu Betrug, so war ja ihre ganze Predigt eitel. Warum retten sie ihre Ehrlichkeit denn nimmer und nirgend, wider eine solche allgemeine und glaubliche Beschuldigung, mit der Geschichte, welche uns Matthäus erzählet? warum nehmen sie daraus nicht vor allen andern die beste Bewährung ihres vorgegebenen Facti? Nein, sie schweigen davon durchgängig, und es ist daher handgreiflich, daß dergleichen nimmer wirklich vorgegangen sey, und daß es Matthäus nur zur Ablehnung der erwähnten [447] Beschuldigung ertichtet, die übrigen aber selbst geurtheilet haben müssen, daß sie mit solcher Vertheidigung nicht fortkommen würden, und es daher besser sey, diesen schlimmen Punct unberührt zu lassen, als wider eine sehr wahrscheinliche und beglaubte Nachrede eine schlechte und sich selbst widersprechende Verantwortung vorzubringen.

§§. Ich sage nicht unbillig, die Beschuldigung sey wahrscheinlich und glaublich, die Ablehnung Matthäi hergegen schlecht und voller Widerspruch. Denn, wenn wir die Umstände ansehen, so reimet sich alles mit der Beschuldigung. Es war ganz möglich, daß der Körper Jesu des Nachts heimlich aus dem Grabe gestohlen, und anderwärts verscharret werden konnte. Das Grab war in einem Fels, gehörte dem Joseph von Arimathia, einem heimlichen Jünger Jesu, und der Zugang zum Grabe war in dem Gehege seines Gartens. Eben dieser Joseph hatte sich den Leichnam Jesu ausgebeten, und denselben aus eigener Bewegung in sein Grab gelegt, die Maria Magdalena und andere Weiber waren dabey gewesen, und alle Apostel wußten den Ort. Sie hatten ungehinderte Freyheit zum Grabe zu kommen: keine Besorgniß von einer Soldaten-Wache, keine Furcht, daß sie der Gärtner nicht zum Grabe lassen möge: die Schwierigkeit, welche sich die Weiber bey den Evangelisten machen, ist nicht: wie sie den Gärtner und die Wächter überreden oder nöthigen wollten, ihnen die Oeffnung des Grabes zu verstatten, sondern nur der Stein vor dem Grabe: wer wälzet uns den Stein von des Grabes Thür? Es mußten also keine Wächter [448] da seyn, und der Gärtner mußte Befehl von seinem Herrn haben, den Jüngern Jesu die Thür offen zu halten. Ja dieser konnte auch selbst bey Tage und bey Nachte ins Grab gehen und mit dem Körper machen, was er wollte; oder einem andern zu thun erlauben. Die Maria Magdalena sagt es uns ganz deutlich: Sie haben meinen Herrn weggenommen, spricht sie, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und da sie den Gärtner vor sich zu haben meynt, spricht sie zu ihm: Herr, hast du ihn weggenommen, so sage mir, wo hast du ihn hingelegt, so will ich ihn holen. Sie setzet also zum voraus, daß der Körper in der verwichenen Nacht könnte von dem Gärtner oder einigen andern weggeschleppet seyn. Demnach ist es nach dem eigenen Berichte des Evangelisten ganz wohl möglich gewesen, daß die Jünger Jesu dessen Leichnam in der Nacht heimlich aus dem Grabe anderswo hinbrächten. Und es konnte den Juden nicht anders, als höchst wahrscheinlich vorkommen, daß eben diese Jünger solches wirklich gethan. Denn, würden sie sagen, wollte Gott Jesum zum Wunder aller Welt erwecken, warum sollte er es nicht bey Tage, vor aller Welt Augen, thun? warum sollte er die Sache so veranstalten, daß, wenn einer auch noch so frühe zum Grabe käme, derselbe schon das Grab offen und ledig fände, und nicht den geringsten Unterscheid merkte, als wenn der Körper heimlich aus dem Grabe weggestohlen sey? Die Zeit war auch noch lange nicht vorbey, welche Jesus im Grabe zubringen sollte. Es war gesagt, drey Tage und drey Nächte sollte er [449] in der Erden liegen: nun war nur erst ein Tag und zwo Nächte verstrichen: warum würde denn mit der Erweckung so geeilet, und dieselbe wider die Verheissung zu einer Zeit verrichtet, da sie niemand vermuthen war, noch Zeuge davon seyn konnte? Wenn die Jünger Jesu hätten Glauben finden wollen, und als aufrichtige ehrliche Leute mit Wahrheit umgegangen wären: so müßten sie uns die Erweckung Jesu, und deren genaue Zeit öffentlich vorher gesagt haben: so wären wir hinausgegangen, und hätten sie mit angesehen. Ja die Apostel hätten Ursache gehabt, an einem bestimmten Tage und Stunde, nicht nur Pilatum und seine Wache, sondern alle Hohe-Priester und Schriftgelehrten als Zuschauer zum Grabe einzuladen: so hätten sie sich nachher den Verdacht eines Betruges und die Verfolgung ersparet, und hätten ohne Predigen und Mühe eine allgemeine Ueberführung geschaffet. Nun aber schweigen sie vorher von seiner Auferstehung ganz stille, und thun, als wenn sie selbst nicht einmal davon gewußt oder daran gedacht hätten. Was aber noch mehr ist: in aller der Zeit von vierzig Tagen, da Jesus soll auferstanden seyn, und unter ihnen gewandelt haben, sagen sie keinem unter uns ein Wort, daß er wieder lebe, damit wir auch zu ihnen kommen und Jesum sehen und sprechen könnten; sondern nach vierzig Tagen, da er schon soll gen Himmel gefahren seyn, gehen sie erst aus und sprechen, er sey da und dort gewesen. Frägt man sie, wo war er denn? wer hat ihn denn gesehen? so ist er bey ihnen im verschlossenen Zimmer gewesen, ohne daß eine Thür aufgegangen, ohne daß ihn jemand hat können kommen [450] oder weggehen sehen: so war es auf dem Felde, in Galilea am Meere, auf dem Berge. Mein! warum nicht im Tempel? vor dem Volke? vor den Hohen-Priestern? oder doch nur vor irgend eines jüdischen Menschen Augen? Die Wahrheit darf sich ja nicht verstecken oder verkriechen: und zwar eine solche Wahrheit, welche unter uns bekannt und geglaubet werden sollte. Es heisset ja, er sey nicht gesandt, denn nur zu den verlornen Schaafen vom Hause Israel: wie könnte er denn so neidisch gegen uns seyn, sich keinem unter uns zu zeigen? Oder sollten wir ihn nur in seiner armseligen Gestalt, und zuletzt am Kreuze hängen und sterben sehen, um uns an ihm zu ärgern? auferweckt aber, lebendig, und in seiner Herrlichkeit nimmer zu sehen bekommen, damit wir ja von unserm Messias keine eigene zuverläßige Ueberführuug erlangten; und uns nichts überbliebe, als seinen wenigen Anhängern darinn zu trauen, die doch den todten Körper nächtlicher Weile haben stehlen können, und sich so dabey aufgeführet haben, daß eine solche Vermuthung billig auf sie fallen muß, und daß alle vernünftige Menschen, selbst der ganze Rath und alle Hohe-Priester und Schriftgelehrten so von ihnen urtheilen, und uns vor ihrem Betruge warnen?

§§. Je unglaublicher nun die Auferstehung Jesu denen Juden seyn: und je mehr ihnen die nächtliche Entwendung des Körpers möglich, wahrscheinlich und glaublich scheinen mußte, wenn keine Bewachung des Grabes geschehen war: desto größere Ursache hätten die Evangelisten und Apostel gehabt, den Verdacht eines [451] Betruges, welcher ihnen von der höchsten Obrigkeit selbst bey allen Juden angehänget war, durch fleißige Vorhaltung dieser bekannten Bewachung des Grabes von sich zu entfernen. Dieses war das einzige, womit sie ihre Wahrheit und Ehrlichkeit noch einiger maßen hätten retten mögen: alles andere waren petitiones principii. Da aber, ausser dem einzigen Matthäus, keiner dieser Geschichte, an keinem Orte, bey so öfterer Gelegenheit, weder in Schriften noch Reden, weder vor Gericht, noch bey Privat-Personen, weder zum Beweise, noch zur Vertheidigung, mit einem Worte gedenket: so kann sie unmöglich wahr, und würklich geschehen seyn. Es ist ein offenbarer Widerspruch: nur einen vesten Beweisgrund haben, der sich von selbst anbietet, denselben wissen, und so oft zu brauchen genöthiget seyn, und dennoch nimmer gebrauchen, sondern sich mit nichtigen behelfen. Daher denn schon klar genug ist, daß Matthäus diese Geschichte allein aus seinem Gehirne ersonnen hat, weil er auf die Beschuldigung etwas hat antworten wollen, und nichts bessers erfinden können. Allein wie übel die Erfindung gerathen sey, zeiget der öftere Widerspruch, darinn sich Matthäus in der Geschichte selbst mit sich und andern Evangelisten verwickelt.

§§. Es ist erstlich widersprechend, daß die Hohenpriester von der Auferstehung Jesu vorher etwas wissen sollten, davon die Apostel selbst, denen doch die Geheimnisse des Reichs Gottes offenbaret hiessen, nichts wußten. Von diesen heisset es ausdrücklich: sie wußten die Schrift noch nicht, daß er von den Todten [452] auferstehen müßte. Und daß dieses wahr sey, zeiget ihr ganzes Betragen. Sie klagen, daß ihre Hoffnung von der Erlösung Israels mit seinem Tode ganz aus sey. Sie kommen mit Specereyen zum Grabe, in Meynung, daß er, gleich andern Verstorbenen, auch todt bleiben und in die Verwesung treten werde. Ja, als sie den Körper nicht im Grabe finden, fällt ihnen noch nichts von seiner Auferstehung ein, sondern sie schliessen bloß daraus, er müsse weggenommen, und anderswo hingetragen seyn. Ein Theil will sogar seine Auferstehung durchaus nicht glauben, nachdem sie ihnen schon berichtet worden. Mit einem Worte, bis an Jesus Tod, und kurz nachher, haben seine Jünger von keiner Auferstehung etwas gewußt, gehöret, oder daran gedacht. Wie ist es denn möglich, daß den Hohenpriestern und Schriftgelehrten etwas davon bekannt gewesen seyn sollte? Und daß sie daher auf die Vorsicht gefallen wären, das Grab mit einer Wache zu besetzen. 2) Ist es sehr unglaublich, daß Hohepriester und der ganze Rath am ersten Oster-Tage öffentlich zu Pilato gehen, und hernach mit der Römischen Wache in Procession zum Thore hinausgehen und das Grab versiegeln sollten. Denn, anderer Umstände nicht zu erwähnen, so lief es wider der Juden Gesetz und Gebräuche, sich am Feste, da sie insonderheit still und rein seyn mußten, mit solchem Gewerbe abzugeben, sich unter die Heiden zu mengen, oder ein Grab anzurühren. Waren doch die Jünger Jesu, wie es heisset, den Fest-Tag über stille nach dem Gesetze: wie sollten denn die Hohen-Priester sich öffentlich vor dem Volke so vergehen, und insonderheit [453] ein Grab berühren, da sie sonst die Gräber gegen die Fest-Tage mit weissem Kalk zu übertünchen pflegten, damit sie auch von ferne schon mögten gesehen werden, und ein jeder sich davor hüten könnte, daß er nicht unrein würde. 3) Wenn wir auch die Betrachtung dessen, was den Juden nach dem Gesetze erlaubt war, aussetzen: so konnte doch ein gesammtes obrigkeitliches Collegium von so vielen Personen nimmer so gröblich wider den Wohlstand handeln, daß es am hohen Fest-Tage, in Corpore, öffentlich zu den Heiden gienge, und mit einer Soldaten-Wache in Procession durch die Stadt zöge: da alles dieses bey dem Pilato durch ein Paar Abgeordnete in der Stille hätte können ausgerichtet werden. 4) Aber warum sollten sie überhaupt desfalls zu Pilato gehen, und den Heiden noch mehr Macht über sich einräumen? Joseph, dem das Grab gehörte, und der es in dem Umfange seines Gartens hatte, konnte sich ja als ein Jude und Mitglied des hohen Raths nicht entlegen, daß Wächter vor das Grab gestellet würden; ja er mußte es vielmehr gerne sehen, und sich ausbitten, damit er offenbar aus dem Verdachte eines Betruges gezogen würde, worinn er sonst nothwendig mit verwickelt werden mußte. 5) Und was kommt denn endlich heraus? Der ganze hohe Rath, ein Collegium von siebenzig obrigkeitlichen Männern wird in dieser Geschichte zu lauter Schelmen gemacht, welche mit Ueberlegung einmüthig willigen, ein Falsum zu begehen, und zu solchem Falso auch die Römische Wache zu bereden. Das ist an sich eine unmögliche Sache. Und wo bleibt Joseph, wo bleibt Nikodemus hiebey? sind denn die [454] nun auch zu Schelmen worden? Sind nun Pharisäer und Sadducäer in diesem Collegio eins, die Auferstehung auch durch eine ersonnene Lüge zu verleugnen, da sonst die Apostel das Collegium über diesen Satz so meisterlich zu theilen wissen, daß sich die Pharisäer dessen wider die Sadducäer annehmen? Kann auch eine so dumme Lüge von so viel verständigen Leuten erdacht werden: daß alle Römische Soldaten auf ihrem Posten schlafen sollten, und eine Anzahl Juden bey ihnen vorbeygehen, den großen Stein vor dem Grabe wegwälzen, und den Körper heraustragen? Dieses alles sollte incognito, ohne Gepolter, und heimlich verrichtet werden, und kein Soldat davon aufwachen, kein Fuß-Stapfen derer, die den Körper weggetragen, nachbleiben? 6) Wenn denn endlich Matthäus auf solche Art den Betrug von sich auf die Obrigkeit schiebt, und sie eines offenbaren und stadtkündigen Falsi bezüchtiget: woher kömmt es denn, daß der Apostel Betrug eine gemeine Rede unter den Juden geworden bis auf den heutigen Tag, von des jüdischen Synedrii Betruge aber alle Evangelisten und Apostel jederzeit und allenthalben schweigen? Mich dünkt, dies heisse ja wohl, widersprechende Dinge, und etwas, das sich bald verräth, vorgeben, welches der Unwahrheit eigen ist.

§§. Lasset uns aber auch noch zuletzt sehen, wie Matthäus vor seinen eigenen Glaubens-Genossen mit seiner Erzählung bestehet. Die übrigen Evangelisten wissen nicht allein von keiner Wache, sondern berichten auch solche Umstände, welche die Wache aufheben. Da gehen die Weiber sämtlich am dritten Tage hinaus in der Absicht, [455] daß sie ins Grab hineingehen und den todten Körper nach jüdischer Art mit vielen Myrrhen, Aloe und dergleichen einwickeln wollen. Nun würden sie ja wol als furchtsame Weiber nicht wider den Willen der Römischen Soldaten hineinzudringen suchen: oder wenigstens sich im Hingehen den Zweifel machen: wie kommen wir ins Grab? wie werden uns die Wächter durchlassen? Der Stein ist versiegelt: wenn auch die Wächter wollten, so dürfen sie uns nicht hineinlassen: es ist eine unmögliche und vergebliche Sache. Allein darum sind sie gar nicht bekümmert, sondern nur, wer ihnen den Stein von des Grabes Thüre wälzen wolle: welches zum Grunde setzet, daß ihnen sonst nichts hinderlich sey, daß sie sonst frey hinzukommen können, daß keine Wache davor liege. Wollte man sagen, die guten Weiber hätten vielleicht nicht gewußt, was am vorigen Tage geschehen wäre: so mußten es doch gewiß nunmehro die Evangelisten Marcus, Lucas und Johannes so gut wissen, als Matthäus. Hätten nun diese Geschicht-Schreiber ein Grab in Gedanken gehabt, das mit einer Wache besetzt war, so würden sie wenigstens, wenn sie die Weiber in dasselbe hineinbringen wollten, die Anmerkung dabey gemacht haben: sie wußten aber nicht, daß das Grab mit Hütern verwahret und der Stein versiegelt wäre. Allein auch den Weibern selbst hätte die Sache nicht können verborgen seyn. Wir können der Weiber, nach der Evangelisten Berichte, wenigstens sechs rechnen. Von so vielen Weibsleuten aber wäre es ein Wunder, daß sie das neue, was öffentlich geschehen war, noch nicht sollten erfahren haben. Die Hohen-Priester und [456] Pharisäer waren ja, nach Matthäi Berichte, am ersten Oster-Tage sämtlich zu Pilato gegangen, hatten die Wache von ihm gebeten, und er hatte sie ihnen mitgegeben. Sollte das nicht Aufsehens in der Stadt machen, wenn der hohe Rath von siebenzig Personen in Procession zum Landpfleger gehet, wenn derselbe wieder herauskommt, eine Römische Wache hinter sich habend: ja wenn er endlich zum Thore hinauswandert, das Grab besichtiget, ob der Körper noch darinn sey, und alsdenn das Grab versiegelt, und die Hüter davor stellet? Gewiß, dergleichen öffentliches Schauspiel am ersten Feyertage würde alle Leute, alle Jungens rege gemacht haben, hinter an zu laufen und zu sehen, was das bedeutete: und dergleichen Begebenheit könnte auch dem geringsten Kinde, geschweige so vielen Weibern, nicht verborgen geblieben seyn. Noch mehr! Joseph von Arimathia, ein heimlicher Jünger Jesu, aber zugleich ein Raths-Herr, mußte ja wol entweder mit dabey seyn, oder wenigstens davon wissen, daß man ihm Wache in seinen Garten und vor sein Grab legte: und eben das ist von Nicodemo, weil er gleichfalls ein Mitglied des Raths und ein Pharisäer war, zu sagen. Je weniger er für einen Jünger Jesu bekannt seyn wollte, je weniger würde man ihn von solchem Anschlage ausgeschlossen haben, oder denselben heimlich vor ihm treiben können. Mit diesen beiden Raths-Herren waren ja eben diese Weiber beschäftiget gewesen, Jesu Leichnam ins Grab zu legen: und ohne Josephs Wissen und Erlaubniß, oder Befehl an den Gärtner, konnten sie sich nicht erdreisten, in dessen Grab zu gehen, und mit dem Körper, der [457] jenem anvertrauet war, zu machen was sie wollten. Mit Nicodemus aber hatten sie noch den Abend vorher die Specereyen eingekauft, womit sie den andern Morgen den Leichnam einwickeln wollten. Wenn also die Weiber auch sonst nichts von der Wache gewußt hätten, so müßten sie es von diesen beiden Raths-Herren erfahren haben. Die würden ihnen auch gesagt haben, daß sie nur nicht hinausgehen mögten, es sey umsonst, sie würden zu dem Körper nicht zugelassen werden. Weil nun kein Mensch wissentlich etwas unmögliches unternimmt: so muß dieses, was die Weiber unternommen, möglich, und folglich keine Wache vor dem Grabe gewesen seyn. Es ist offenbar, daß Matthäus diesen Widerspruch selber eingesehen hat: darum setzet er auch nicht, wie die andern Evangelisten, daß die Weiber hinausgegangen mit Specerey, und um Jesu Leichnam zu balsamiren, oder den Stein abzuwälzen, und ins Grab hineinzugehen: nein, sondern nur, daß sie hingegangen das Grab zu besehen; welches sie etwa von ferne thun, und die Hüter ihnen nicht verwehren konnten.

§§. In allen übrigen Umständen ist zwischen Matthäo und den andern Evangelisten ein gleicher Widerspruch. Denn nach Matthäi Bericht, als die Weiber hinkamen, das Grab zu besehen, siehe da entstand ein groß Erdbeben: Der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, wälzte den Stein von der Thür, und satzte sich darauf. Die Hüter aber erschracken für Furcht, und wurden als wären sie todt. Aber zu den Weibern sagte der Engel: Fürchtet euch nicht etc. Diese Erzählung [458] hängt so zusammen, daß die Eröffnung des Grabes durch den Engel in Gegenwart und im Gesichte der Weiber geschehen, und daß die Soldaten-Wache noch da gewesen, als sie gekommen; welche denn auch erst nach ihnen, als sie sich von ihrem Schrecken erholet, zum Thor der Stadt wieder hinein gehet. In der That könnte es auch nicht anders gewesen seyn. Denn die Weiber giengen hinaus, da es noch finster war, und das Grab war nahe vor dem Thor. Da nun Jesus doch den dritten Tag und den Aufgang der Sonnen im Grabe hätte erwarten müssen, wenn es nur einigermassen heissen sollte, daß er drey Tage im Grabe gewesen: so konnte die Auferstehung noch nicht vorbey, und die Hüter noch nicht weg seyn; zumal da sie vor Furcht halb todt blieben und sich von dem Schrecken noch so bald nicht wieder besinnen, noch entschliessen konnten, was dabey anzufangen sey. Allein, wie lautet nun dagegen die Erzählung bey den andern Evangelisten? Wie die Weiber unter einander sprechen, wer wälzet uns den Stein von des Grabes Thüre, und noch unterwegs von ferne dahin sehen, so werden sie gewahr, daß der Stein abgewälzet sey; sie funden den Stein abgewälzet von dem Grabe, und giengen hinein. Maria Magdalena siehet, daß der Stein von dem Grabe hinweg war. Da ist kein Erdbeben, kein Engel, der vom Himmel fährt, keine Abwälzung des Steins im Gesichte der Weiber, keine halb todte Wache, sondern wie sie in einer gewissen Weite dahin sehen, so ist der Stein schon abgewälzet, die Wächter verschwinden, und haben in dieser Evangelisten Gedanken [459] unmöglich Platz. Weiter sagt Maria Magdalena beym Johanne: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Sie sagt zu Jesu, den sie für den Gärtner hielt: Herr, hast du ihn weggenommen, so sage mir, wo hast du ihn hingelegt, so will ich ihn holen. Demnach setzt sie ohne Bedenken zum Grunde, daß viele Menschen, und insonderheit der Gärtner des Josephs von Arimathia, in dessen Garten das Grab war, ungehindert hätten ins Grab kommen und den Körper wegtragen können. Dieses bestehet durchaus nicht mit einer Wache, die das Grab und den Körper hüten sollte, und die, nach Matthäi Berichte, noch voller Schrecken und halb todt da lag. Es bestehet auch nicht mit einem Engel, welcher vor dem Grabe soll gesessen, und zu den ankommenden Weibern gesagt haben: fürchtet euch nicht, ihr suchet Jesum von Nazareth, er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden.

§§. Wir erkennen nunmehr aus dem vielfältigen Widerspruche, daß die Wächter, welche Matthäus vor das Grab gestellet, keinen Stand halten wollen, und sich von einem gesunden Verstande nicht einmal gedenken lassen. Daher diese Hirngespenster, welche den Verdacht des Betruges von den Jüngern Jesu abkehren sollten, denselben vielmehr bestärken. Die Wächter verschwinden bey jedem Umstande, und es bleibt allewege möglich, und bey aller Betrachtung der Sache höchst wahrscheinlich, daß die Jünger des Nachts zum Grabe gekommen, den Körper gestohlen, und darnach gesagt, [460] Jesus sey auferstanden. Lasset uns nun sehen, ob der übrigen Evangelisten Aussage von der Auferstehung Jesu an sich mehr einstimmig sey. Wenn die Evangelisten nebst allen Aposteln noch im Leben wären, so könnten sie es uns nicht verdenken, daß wir diese Untersuchung anstellen, und nach Befinden an ihrer Aussage zweifeln. Die Sache ist ganz ausserordentlich und übernatürlich: sie können niemand außer ihrem Mittel aufweisen, der Jesum auferstanden gesehen hätte: sie allein sind Zeugen davon, und wenn wir es genau erwegen, so haben wir von denen, die Jesum selbst wollen gesehen haben, heutiges Tages nur zween aufzuweisen: die übrigen zween sind nicht bey ihm gewesen, sondern haben es nur aus Hör-Sagen. Und die andern werden bloß in dieser Zeugen Schriften als Zeugen aufgeführt. Dennoch sollen wir auf dieser wenigen Jünger Jesu Zeugniß ein ganzes Lehrgebäude gründen. Ja, was das meiste ist, so haben nach ihrem Berichte die Jünger Jesu anfangs selber nichts davon glauben wollen, sondern einige haben noch bis auf die letzte Zeit seiner Gegenwart auf Erden, an der Wirklichkeit seiner Auferstehung gezweifelt. Wie Maria Magdalena mit den übrigen Weibern, den Aposteln bekräftigen, sie hätten ein Gesicht der Engel gesehen, ja sie hätten Jesum selber gesehen, gesprochen und angefasset, glaubten sie es nicht. Es dünkten ihnen ihre Worte, als wären es Mährlein. Petrus lief hin zum Grabe, und sahe da nichts als die leinen Tücher, aber es nahm ihn doch Wunder, wie das zugienge. Da die beyden wandernden Jünger den übrigen Aposteln sagten, wie Jesus mit ihnen auf dem Wege gewandelt und gesprochen [461] hätte, und hernach verschwunden wäre, glaubten sie ihnen auch nicht. Als Jesus schon allen Jüngern erschienen war, wollte es doch Thomas auf ihr Wort nicht glauben, bis er seine Hände in Jesu Nägelmal und Seite gelegt hätte. Ja, wie ihnen Jesus erschien in Galiläa, welches, nach Johannis Aussage, schon das drittemal war, daß Jesus sich den sämtlichen Aposteln offenbaret, so waren noch etliche unter ihnen, die da zweifelten. Sind nun die sämtlichen Apostel, die doch Jesus vorgängige Wunder und Verkündigung gesehen und gehöret hatten, und ihn nun zum öftern klar und deutlich vor Augen sahen, mit ihm redeten und aßen, ihn befühlten und betasteten, dennoch in einer so wichtigen Begebenheit voller Unglauben und Zweifel gewesen: wie viel weniger ist es uns heutiges Tages zu verdenken, daß wir eine Weile ungläubig sind und zweifeln: da wir von allen diesem mit unsern Sinnen gar keine Erfahrung bekommen, sondern alles nach 1700 Jahren aus den Urkunden einiger wenigen Zeugen holen müssen. Und da ist das einzige, was uns jetzt vernünftiger Weise zu thun übrig bleibt, daß wir, in Ermangelung eigener Erfahrung, erwägen, ob die uns überbliebene Zeugnisse übereinstimmen. Oder wollen etwa die Evangelisten und Apostel mit ihrer Behutsamkeit so viel sagen (wie es fast scheinet): Wir haben die Auferstehung Jesu so genau untersuchet, als immer ein Ungläubiger und Zweifler thun kann: so könnet ihr uns nunmehr ohne neue Untersuchung und Bedenken sicher trauen? Gewiß, dieses wäre eine unbillige Forderung. Sie selbst wollten ihres Meisters Verkündigung, Wunder, [462] ja sichtliche und offenbare Erscheinung so lange in Zweifel ziehen: und wir sollten nicht befugt seyn, die Wahrheit ihrer schriftlichen Nachrichten, worauf wir alles müssen ankommen lassen, so ferne zu prüfen, daß wir sehen, ob ihr Zeugniß übereinstimme? Nein, wir haben schon gar zu viele vorhergehende Beweise in Händen, damit sich ihr neues nach Jesu Tode erfundenes Systema verrathen, als daß wir ihnen in der Haupt-Sache, worauf ihr ganzes Systema gebauet ist, nicht genau aufmerken sollten.

§§. Das erste, was wir bey der Zusammenhaltung der vier Evangelisten bemerken, ist, daß ihre Erzählung fast in allen und jeden Puncten der Begebenheit, so sehr von ein ander abgehet, und immer bey dem einen anders lautet, wie bey dem andern. Ob nun gleich dieses unmittelbar keinen Widerspruch anzeiget, so ist es doch auch gewiß keine einstimmige Erzählung, zumahl da sich die Verschiedenheit in den wichtigsten Stücken der Begebenheit äussert. Und bin ich gewiß versichert, wenn heutiges Tages vor Gerichte über eine Sache vier Zeugen besonders abgehöret würden, und ihre Aussage wäre in allen Umständen so weit von einander unterschieden, als unsrer vier Evangelisten ihre: es würde wenigstens der Schluß herauskommen, daß auf dergleichen variirenden Zeugen Aussage nichts zu bauen sey. Hier kommt es auf die Wahrheit der Auferstehung Jesu an, und so fern diese aus der bloßen Aussage von Zeugen sollte beurtheilet werden, so ward in ihrem Zeugnisse eine Uebereinstimmung erfordert, wer ihn gesehen, wo [463] und wie oft man ihn gesehen, was er inzwischen geredet und gethan, und was endlich aus ihm geworden sey. Wie lautet nun die Aussage davon bey den vier Evangelisten? 1) Beym Johanne gehet Maria Magdalena allein zum Grabe, beym Matthäo Maria Magdalena und die andere Maria: beym Marco Maria Magdalena, Maria Jacobi und Salome: beym Luca, Maria Magdalena, Johanna und Maria Jacobi, und andere mit ihnen. 2) Matthäus sagt bloß, die Maria sey dahin gegangen, das Grab zu besehen: Marcus, daß sie kämen und salbeten ihn: Lucas, daß sie die Specerey getragen, welche sie bereitet hatten: Johannes sagt gar nichts, warum Maria dahingegangen. 3) Nach Matthäi, Marci und Lucae Erzählung wäre diese Maria nur einmal zum Grabe gekommen, und hätte sogleich einen Engel da gesehen: aber in Johannis Geschichte kommt sie zweymal dahin: das erste mal, ohne einen Engel gesehen zu haben, da sie wieder weglauft und Petro sagt: sie haben den Herrn weggenommen: und das andere mal, wie sie wiederkömmt und dann den Engel siehet. 4) Petrus und Johannes sollen auch früh zum Grabe gelaufen seyn, wie Johannes meldet: aber die übrigen Evangelisten melden nichts davon. 5) Die Rede des Engels beym Matthäo und Marco hält in sich: sie sollten sich nicht fürchten, Jesus sey auferstanden, sie sollten das seinen Jüngern sagen, und daß er vor ihnen hingehen würde in Galiläam. Im Luca aber stehet nichts davon, sondern statt dessen: Gedenket daran, wie er [464] euch saget, da er noch in Galiläa war, und sprach, des Menschen Sohn muß überantwortet werden in die Hände der Sünder, und gekreuzigt werden, und am dritten Tage auferstehen. Beym Johanne sprechen die Engel gar nichts, als dieses zur Maria: Weib, was weinest du? 6) Die Reden Jesu zur Maria Magdalena auf dem Wege lauten beym Matthäo so: Seyd gegrüßet: fürchtet euch nicht, gehet hin, und verkündiget es meinen Brüdern, daß sie gehen in Galiläam, daselbst werden sie mich sehen. Johannes hingegen erzählt, er habe zur Maria Magdalena gesagt: Weib, was weinest du? Maria! rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater: gehe aber hin zu meinen Brüdern, und sage ihnen, ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. 7) Matthäus und Johannes erwähnen nichts von der Erscheinung Jesu den zween Jüngern auf dem Wege nach Emaus, deren Marcus und Lucas gedenken. 8) Matthäus saget nichts davon, daß Jesus seinen Jüngern in Jerusalem erschienen sey, sondern daß solches einmal geschehen in Galiläa, und daß noch etliche Jünger daran gezweifelt, ob er es wäre. Marcus und Lucas hingegen wissen nichts von der Galiläischen Erscheinung, sondern bloß von der einen zu Jerusalem. Johannes aber gedenket zweyer Erscheinungen in Jerusalem, acht Tage nach einander; die Galiläische aber erzählt er als die dritte, mit ganz andern Umständen. 9) Die Reden, welche Jesus an die [465] Jünger soll gehalten haben, sind sehr unterschieden bey den Evangelisten, welches umständlich zu zeigen, viel zu weitläuftig wäre. Jedoch ist insonderheit zu merken, daß Jesus beym Luca nicht saget, daß sie die bekehrten taufen sollten, wie Matthäus und Marcus berichten, sondern nur, daß sie Buße und Vergebung der Sünden predigen sollten. Beym Johanne aber sagt Jesus den Jüngern gar nichts weder vom Predigen, noch vom Taufen; sondern er spricht allein zu Petro: hast du mich lieb, so weide meine Schafe. 10) Marcus und Lucas, die doch Jesum nicht selber gesehen haben, berichten seine Himmelfahrt. Aber Matthäus und Johannes, als Jünger, die Jesum selber wollen gesehen haben, schweigen von diesem wichtigen Puncte ganz und gar. Jesus spricht bey ihnen mit seinen Jüngern; dann weiß man weiter von ihm nicht, wo er geblieben: ihre Erzählung ist zu Ende. Johannes hat zwar noch so vieles auf seinem Herzen, was Jesus gethan habe, daß, wenn alles sollte in Büchern beschrieben werden, dieselben Bücher in der Welt nicht Raum haben mögten: allein mich dünkt, die paar Zeilen von seiner Himmelfahrt hätten doch noch wohl ein Räumchen darinn gefunden und statt der ungeheuren Hyperbole verdienet.

§§. Zeugen, die bey ihrer Aussage in den wichtigsten Umständen so sehr variiren, würden in keinen weltlichen Händeln, wenn es auch nur bloß auf ein wenig Geld einer Person ankäme, als gültig und rechtsbeständig erkannt werden, so daß der Richter sich auf ihre Erzählung sicher gründen, und den Spruch darauf bauen [466] könnte: Wie kann man denn begehren, daß, auf die Aussage von solchen vier variirenden Zeugen, die ganze Welt, das ganze menschliche Geschlecht zu allen Zeiten, und aller Orten, ihre Religion, Glauben und Hoffnung zur Seligkeit gründen soll? Allein es bleibet auch nicht einmahl bey der Verschiedenheit ihrer Erzählung: sie widersprechen sich unleugbar in vielen Stellen, und machen den guten Auslegern, die dieses Tetrachordon zu einer bessern Einstimmung bringen wollen, viel vergebliche Marter. Ich will nur zehen dergleichen ganz offenbare Widersprüche anführen, ungeachtet derselben weit mehrere sind.

§§. Der erste Widerspruch ist zwischen Marco und Luca. Nach Marci Bericht haben Maria Magdalena, Maria Jacobi und Salome die Specerey gekauft, als der Festtag vergangen war: das ist, den funfzehnten des Monats Nisan, oder den ersten Oster-Tag, welcher damals auf einen Schabbas, oder Sonnabend, eingefallen war, nach Untergang der Sonnen. Aber beym Luca kauffen sie die Specerey und Myrrhen den Abend vor dem Festtage, und sind den Festtag über stille, nach dem Gesetze: das ist, sie kauften die Specerey am Rüsttage, oder Freytage, den vierzehnten Nisan, nach Untergang der Sonnen. Dieses ist ein augenscheinlicher Widerspruch, welchen, nebst vielen andern, die Alten schon eingesehen, und daher die Geschichte der Auferstehung beym Marcus lieber weggelassen. Grotius will dieses so zusammen reimen, daß er den Aoristum ἠγόρησαν beym Marco giebt: jam emta habebant. Denn, spricht er, es war nicht sonderlich daran gelegen, [467] zu wissen, zu welcher Zeit die Weiber Specerey gekauft, wohl aber, daß sie welche gehabt. Allein, wenn man in den Text siehet, so ist nichts unwahrscheinlicher, als dieses. Es gehen duo genitiui consequentiam designantes vorher, διαγενομένου τοῦ σαββάτου, als der Sabbath vorbey war. Auf solche Construction, und auf solches Antecedens muß nothwendig eine erfolgte Handlung gesetzt seyn: da kauften sie Specerey. Dann kommt der Endzweck dieser Handlung, auf daß sie kämen und salbeten ihn. Man wird mir kein einzig Exempel irgend eines Schreibers aufweisen können, darinn bey solchem Antecedente duorum genitivorum consequentiam denotantium, und solchem consequente finem actionis indicante der Aoristus nicht Actum, sondern Statum bedeuten sollte: und es ist auch nicht möglich so zu reden, wenn einer richtig und ordentlich denkt, weil auf das Antecedens der Status ja nicht erst folget, sondern schon vorher gewesen ist. Nun bedeuten die beyden Genitivi διαγενομένου σαββάτου einen Umstand der Zeit, so vorhergegangen: demnach bedeutet das folgende ἠγόρησαν einen Actum, der nach solcher Zeit geschehen und zur Wirklichkeit gekommen ist. Ein Aoristus stehet auch beym Luca: ὑποστρέψασαι δὲ ἡτοίμασαν ἀρώματα. Da wird es aber Grotius selber nicht übersetzen wollen, praeparata iam habebant, sondern praeparabant. Es ist einerley Folge des Antecedentis und Consequentis. Und als sie (vom Grabe) umgekehret waren, bereiteten sie die Specerey. Ist es denn nicht eine schlechte Ausflucht, daß der Aoristus bey dem einen Evangelisten [468] soll Actum, bey dem andern aber Statum bedeuten? und ist dieselbe nicht bloß ersonnen, um aus schwarz und weiß, aus vergangen und gegenwärtig eins zu machen? Die beyden Evangelisten haben einerley Construction, und in derselben, wenn man sie natürlich und auf einerley Weise verstehet, wie es die Worte leiden, streiten die Evangelisten mit einander, und setzen eine Handlung auf verschiedne Zeit. Aber weil man dieses nicht gerne wissen will, so muß lieber diese Construction bey dem einen ganz unnatürlich und ganz anders als bey dem andern angenommen werden. War denn nichts daran gelegen, daß Marcus auch, wie Lucas, sagte, zu welcher Zeit sie die Specerey gekauft hatten? Allerdings: wie Lucas sagt, daß sie die Specerey am Freytag Abend gekauft, damit sie den Sabbath über stille seyn könnten nach dem Gesetze: so will Marcus sagen, daß sie aus eben der Ursache den Sabbath erst übergehen lassen, und nach geendigtem Sabbathe die Specerey eingekauft, damit sie das Gesetz des Sabbaths nicht überträten. Da nun dieses beyder Evangelisten Absicht gewesen, warum sie den Umstand des Einkaufens der Specerey auf eine gewisse Zeit bestimmen: so hat auch Marcus sowol als Lucas die Handlung des Einkaufens verstanden, und sagen wollen, daß sie nicht am Sabbath geschehen sey: und es ist nicht möglich, daß er den Statum verstanden habe. Denn dadurch, daß einer Specerey hat, wenn der Sabbath vorbey ist, wird er nicht befreyet, daß er den Einkauf nicht sollte am Sabbath selbst gethan haben. Es ist also ganz unleugbar, daß Marcus die Handlung des Einkaufens der [469] Specerey 24 Stunden später setzet als Lucas, und daß folglich hierinn ein klarer Widerspruch sey.

§§. Der zweyte Widerspruch in eben der Materie ist noch stärker. Denn nach Johannis Berichte bringen Joseph von Arimathia und Nicodemus, als sie Pilatum um den Leichnam gebeten, schon Myrrhen und Aloen bey hundert Pfunden mit. Da nehmen sie denselben Freytag oder Rüst-Tag Abend den Leichnam, und binden ihn in leinene Tücher mit der Specerey, nach der Weise, wie die Juden pflegten zu begraben. Sie begehen also nach Johannis Zeugnisse alles, was die Jüdische Weise bey Begrabung der Todten mit sich brachte. Und daher ist merklich, daß eben dieser Evangelist Johannes nichts gedenket, daß Maria Magdalena oder Salome nachher besondere Specerey eingekauft; oder damit zum Grabe hinausgegangen; oder irgend bey dem Hinausgehen eine Absicht gehabt, mit dem todten Körper noch weiter eine Salbung vorzunehmen: er sagt nur schlechterdings, daß Maria Magdalena frühe zum Grabe gekommen. Gleichwie wir nun oben bemerkt haben, daß Matthäus diese Absicht der Weiber nicht ohne Ursache weglässet, weil sie mit seinen Hütern, die er vor das Grab gepflanzet, nicht bestehen konnte; sondern statt dessen bloß sagt, sie seyn hinausgegangen, das Grab zu besehen: so ist es auch nicht ohne Ursache geschehen, daß Johannes von der Salbung, welche Maria Magdalena vorgehabt hätte, schweigt; denn sie konnte mit dem, was Joseph und Nicodemus schon am Freytag Abend in Beyseyn und mit Hülfe der Weiber [470] verrichtet hatten, nicht bestehen: dem todten Körper war schon alles widerfahren, was die jüdische Weise mit sich führte. Hergegen sagen Marcus und Lucas, daß die Weiber, nachdem sie nebst Joseph und Nicodemo vom Grabe zurückgekehret waren, und Jesu Leichnam schon mit Leinwand eingewickelt ins Grab geleget hatten, entweder denselben Freytag Abend, wie Lucas berichtet, oder den folgenden Sabbath Abend, wie Marcus sagt, die Specerey gekaufet und bereitet, und am dritten Tage mit sich hinausgenommen, um den Körper damit nun erst zu salben. Daher gedenken diese beyden Evangelisten auch nichts davon, daß Joseph und Nikodemus diese Pollincturam mit der Specerey schon am Rüsttag Abend verrichtet hatten: denn so hätten es die Weiber nicht erst nachher zu thun vornehmen können, weil sie wohl wußten, was geschehen war. Sie waren mit dabey gewesen, wie Joseph den Leichnam in Leinwand gewickelt und in sein Grab gelegt: sie waren demselben nachgefolget, und hatten das Grab beschauet, wie sein Leib geleget worden. Da nun diese Evangelisten, ein jeder sich selbst, in acht genommen, daß sie sich in ihrer eigenen Erzählung in diesem Stücke nicht widersprächen: so ist es hergegen desto klärer, daß einer dem andern widerspricht. Ist es wahr, daß Joseph und Nicodemus in Gegenwart der Weiber alles das verrichtet gehabt, was die Jüdische Weise zu begraben mit sich brachte: so ist es falsch, daß die Weiber sich noch hernach haben können in den Sinn kommen lassen, eben dasselbe, als ob es nicht geschehen wäre, zu verrichten, und zu dem Ende zum Grabe zu gehen. Und so ist umgekehrt [471] zu schliessen: ist das letztere wahr, so ist das erste falsch. Jedoch, es ist wahrscheinlicher zu glauben, daß das erstere wahr, und das letzte falsch sey. Denn da Joseph sich vorher vorgenommen hatte, den Körper in sein Grab zu nehmen, da wird er auch mit Beyhülfe des Nicodemus besorgt und beschicket haben, was zum Begraben nöthig war. Die Juden waren ohne das eilfertig mit der Bestattung ihrer Todten, als welches an demselben Tage zu geschehen pflegte, da einer gestorben. Es gehörte auch nicht viel Zurüstung zu diesem Werke. Der Körper ward gewaschen, und zu solchem Waschen etwa wohlriechend Wasser gebraucht, welches denn die Pollinctura oder Salbung der Juden ist: von andern künstlichen Balsamiren wußten sie nichts. Dann wurde der Körper mit langen Binden von Leinwand, und der Kopf besonders mit dem sogenannten Schweiß-Tuche oder Schnupf-Tuche umwickelt: die Reicheren streuten bey diesem Einwickeln wol Specereyen, als gestoßene und mit einander vermischte Myrrhen und Aloe, mit in die Tücher, um dem Gestanke und der Fäulniß einiger maßen zu wehren: dann war die Sache fertig. Dieses war nun alles bey Jesu geschehen: was war denn nachher noch für eine Salbung nöthig? was für neue Specereyen? und wer hat je gehöret, daß ein todter Körper, wenn er einmal so zu seiner Ruhe gebracht war, so verunehret worden, daß man ihn wieder ausgewickelt und aufs neue gesalbet? Die Salbung oder das Waschen, die Pollinctura, gieng vor dem Einwickeln vorher, und war hier folglich auch geschehen, wie es die Weise erforderte. Johannes sagt ausdrücklich: sie nahmen [472] den Leichnam Jesu, und wickelten ihn in Leinwand mit wohlriechenden Specereyen, wie es Weise ist bey den Juden, einen Körper zur Erden zu bestatten. Das Wort ἐνταφιάζειν, so im Grundtexte die Bestattung andeutet, begreifet die Pollincturam, oder das Waschen oder Salben des verstorbenen Körpers mit, und ist eine nothwendige Vorbereitung zu dem Einwickeln. Niemand wickelt einen unflätigen Körper in reine Leinwand, und wickelt ihn hernach wieder aus mit den Specereyen, um ihn alsdenn erst zu waschen. Es ist also ein offenbarer Widerspruch in dieser Erzählung zwischen Johanne, welcher sagt, daß die Salbung und Einwickelung des Körpers Jesu mit der Specerey, nebst allem, was zum Begräbnisse, nach jüdischer Weise gehöret, schon am Freytag Abend vollbracht worden sey, und zwischen Marco und Luca, welche darinn übereinkommen, daß die Weiber erst am dritten Tage, oder am Montag Morgen mit der Specerey hinausgegangen, dem Körper sein Recht zu thun; aber auch darinn einander wieder entgegen sind, daß Lucas will, sie hätten die Specerey und Salben am Freytag Abend, als sie vom Grabe umgekehret, bereitet, und wären darauf den Sabbath über stille gewesen; Marcus aber, daß sie die Specerey, damit sie ihn salben wollten, erstlich, als der Sabbath vergangen war, gekaufet.

§§. Der dritte Widerspruch ist zwischen Matthäo und den übrigen Evangelisten. Denn nach dieser ihrer Erzählung gehet Maria Magdalena mit den andern Weibern zum Grabe, und als sie noch in der Ferne [473] waren, sehen sie dahin, und werden gewahr, daß der Stein abgewälzet sey; finden also den Stein vom Grabe abgewälzet; sehen, daß der Stein vom Grabe weg war. Beym Matthäo aber kam Maria Magdalena und die andere Maria das Grab zu besehen: und siehe, da fuhr ein Engel vom Himmel, trat hinzu, und wälzte den Stein von dem Grabe, und satzte sich darauf: und seine Gestalt war wie der Blitz. Die Hüter nun erschracken vor Furcht, und wurden, als wären sie todt; aber zu den Weibern sprach der Engel, (als sie sich auch darüber erschrocken bezeigten) fürchtet euch nicht, u. s. w. Dieses geschahe demnach alles in Gegenwart der Weiber; das lässet sich durch keine falsche Ausflucht leugnen. Maria kam hin (ἦλθε) und siehe (ἰδοῦ) da geschah ein groß Erdbeben (ἐγένετο) der Engel kam vom Himmel, trat hinzu, wälzete den Stein ab, satzte sich darauf, sagte zu den Weibern. Eine Beschreibung einer Begebenheit, die vor jemandes Augen geschiehet, der alle Veränderungen mit ansiehet. Wäre nun dieses wahr, daß der Stein im Gesichte der Weiber durch einen Engel abgewälzet worden, so müßte jenes falsch seyn, daß, wie die Weiber von ferne dahin gesehen, sie schon gewahr worden, daß der Stein abgewälzet und hinweg sey. Es erhellet aber aus dem, was oben gesagt worden, daß Matthäi Erzählung bloß nach der Ertichtung von den Wächtern eingerichtet sey. Daher ich den andern Widerspruch, welcher ferner hierinn lieget, nicht aufs neue erörtern will: da nemlich, laut Matthäi Bericht, Maria, als sie hinkömmt, die Wächter noch findet, welche [474] erst nach der Maria zur Stadt kehren; dagegen bey den übrigen Evangelisten keine Wächter zu hören oder zu sehen sind.

§§. Der vierte Widerspruch ist fast zwischen allen und jeden Evangelisten, was die Erscheinung der Engel betrifft, so daß ich leicht hieraus einen vierfachen Widerspruch machen könnte. Ich will es aber alles der Kürze halber in Eins ziehen. Bey den Evangelisten Matthäo und Marco sehen die Weiber nur einen Engel, und einer spricht nur mit ihnen. Wenn in dieser Evangelisten Gedanken mehrere Engel geschwebt hätten, so war keine Ursache, daß sie den einen aus ihrer Erzählung weg liessen: da es ihnen nicht mehr Mühe kostete, zween Engel statt eines Engels zu schreiben, und da zween Engel die Erscheinung noch gewisser machten, oder wenigstens das Wunder vergrößerten. Es ist also wol ausgemacht, daß Matthäus und Marcus nur an einen Engel, der erschienen wäre, gedacht. Demnach widersprechen ihnen die beiden andern Evangelisten, Lucas und Johannes, weil sie sagen, daß den Weibern zween Engel erschienen, und zween mit ihnen gesprochen. Ferner sehen die Weiber beym Matthäo den einen Engel vom Himmel fahren, den Stein abwälzen, und sich darauf setzen, und so spricht er mit ihnen vor dem Grabe, ehe sie noch hineingehen. Bey dem Marco aber finden die Weiber keinen Engel vor dem Grabe, sondern sie gehen hinein, und finden den Engel im Grabe zur rechten Hand sitzen. Bey dem Luca finden die Weiber vor dem Grabe auch keinen Engel, und wollen schon hineingehen; und da sie bekümmert sind, wo der Leichnam [475] Jesu mögte geblieben seyn, stehen oder stellen sich zween Engel bey ihnen (ἐπέστησαν). Bey dem Johanne aber gucket die Maria Magdalena von aussen ins Grab, und siehet zween Engel in weissen Kleidern sitzen, einen zum Haupte und den andern zu den Füßen. Weiter bey dem Matthäo, Marco und Luca saget der Engel, oder die Engel, zu Maria Magdalena und den übrigen, Jesus sey auferstanden, und befehlen ihnen, solches den Jüngern und Petro zu sagen. Bey dem Johanne aber fragen die Engel Mariam nur: Weib, was weinest du? und indem sie ihnen antwortet, sie wisse nicht, wo man den Leichnam Jesu hingeleget habe, siehet sie sich um, und siehet Jesum und spricht zu ihm, in Meynung es sei, der Gärtner: Herr, hast du ihn weggenommen, so sage mir, wo hast du ihn hingeleget? Da offenbaret sich ihr Jesus, und sie erfähret seine Auferstehung nicht von den Engeln, sondern von Jesu selbst. Dergleichen vielfältig widersprechende Erzählung von einer Sache kann von niemand anders kommen, als von Leuten, die sich zwar in der Haupt-Sache beredet, was sie sagen wollen, aber die kleineren Neben-Umstände unter sich zu bestimmen vergessen haben; daher ein jeder nach seiner Einbildungs-Kraft und Gutdünken dieselbe für sich dazu tichtet.

§§. Der fünfte Widerspruch ist zwischen Johanne und Luca. Lucas berichtet, daß der Maria Magdalena und übrigen, eben da sie ins Grab gegangen, und sich wunderten, wo Jesu Leichnam wäre, zween Engel erschienen, welche ihnen die Auferstehung Jesu verkündiget: [476] darauf wären diese Weiber eilend hingegangen, und hätten solches den eilfen verkündiget (nemlich, wie die andern Evangelisten hinzusetzen, nach dem Befehle der Engel, daß sie es den Jüngern, und insonderheit Petro, sagen sollte): folglich wäre Petrus geschwinde zum Grabe gelaufen, hätte hineingesehen, und nichts als die Tücher, da gefunden; wäre also voller Verwunderung über das geschehene weggegangen. Hieraus ist klar, daß die Engel der Mariae schon, ehe Petrus zum Grabe gekommen, erschienen seyn, und daß eben die Engel der Marien die Auferstehung Jesu, und diese wiederum sie Petro verkündiget. Aber Johannes spricht, daß er selbst nebst Petro von der Maria bloß die Botschaft bekommen, daß man den Körper weggetragen; aber von der Auferstehung Jesu hätte sie ihnen nichts gesagt, noch selbst etwas gewußt. Er erzählt es umständlich so: Maria habe den Stein vom Grabe gewälzet gefunden, darauf sey sie zu ihnen beyden gelaufen, sagend, man hätte den Leichnam Jesu aus dem Grabe weggenommen, und sie wüßte nicht, wo man denselben mögte hingelegt haben: darauf wäre er nebst Petro um die Wette zum Grabe gelaufen, sie hätten die Leinwand und das Schweißtuch allein liegen sehen, und also geglaubt, was Maria gesagt, nemlich, daß Menschen-Hände den Leichnam weggenommen (denn das hätten sie noch nicht gewußt, daß Jesus auferstehen müßte von den Todten): darauf wären sie wieder weggegangen; Maria aber wäre mit Weinen vor dem Grabe geblieben, und siehe, da sie hineingekuckt, habe sie zween Jünglinge gesehen, einen zum Haupte, den andern zum [477] Füßen, die hätten gefragt: Weib, was weinest du? da sie nun geantwortet: sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt, sey Jesus selbst hinter ihr gestanden, und habe sich ihr offenbaret. Hieraus ist klar, daß Maria Magdalena, als sie zu Petro gelaufen, selbst noch nicht gewußt, daß Jesus auferstanden sey, und daß ihr damals noch kein Engel müsse erschienen gewesen seyn; imgleichen, daß Petrus und Johannes ebenfalls nichts von der Auferstehung gewußt, als sie zum Grabe eilten, und daß sie auch solches bey und in dem Grabe nicht erfahren; ja daß Maria es überall nicht von den Engeln, sondern von Jesu selbst zu wissen bekommen: welches auf eine dreyfache Art dem Berichte Lucae widerspricht. Damit man aber hier nicht auch die gemeine Ausflucht nehme, wodurch man so viele Disharmonieen zu stimmen sucht, nemlich, daß etwa Petrus zweymal zum Grabe gewesen: so will ich aus den Umständen zeigen, daß es bey beyden Evangelisten ein und derselbe Hingang Petri zum Grabe seyn soll.

1) Luc. XXIV. 12. Petrus lief zum Grabe. ἔδραμεν.

Joh. XX. 4. Petrus und Johannes liefen. ἔτρεχον.

2) Luc. v. 12. Petrus kuckte hinein. παρακύψας.

Joh. v. 5. Johannes kuckte hinein. παρακύψας.

3) Luc. v. 12. Petrus sahe die Tücher allein liegen. βλέπει τὰ ὀθόνια κείμενα μόνα.

Joh. v. 6. 7. Petrus sahe die Tücher liegen, und das Schweißtuch nicht mit den Tüchern liegen. θεωρεῖ τὰ ὀθόνια κείμενα, καὶ τὸ σουδάριον, οὐ μετὰ τῶν ὀθονίων κείμενον. [478]

4) Luc. v. 12. Petrus gieng heim. ἀπῆλθε πρὸς ἑαυτὸν.

Joh. v. 10. Petrus und Johannes giengen wieder heim. ἀπῆλθον πάλιν πρὸς ἑαυτοὺς.

Die Sache giebt es auch, daß Petrus nicht zum andern male kann hinaus gewesen seyn, nachdem Maria etwa zum andern male gekommen und ihm die Auferstehung verkündiget. Denn solches öftere, und nach einander erfolgte Ein- und Auslauffen der Marien und Petri, würde nebst dem Beschauen des Grabes, und der Unterredung mit den Engeln und mit Jesu, so viel Zeit erfordert haben, daß Petrus zum andern male nicht vor hellem Mittage hätte zum Thore hinaus und herein gehen können: welches den Umständen und dem Betragen der Jünger Jesu gänzlich entgegen ist. Denn damals hielten sie sich noch ganz versteckt, und kamen nicht öffentlich vors Gesichte der Leute, sondern hielten sich in verschlossenen Thüren beysammen in einem Zimmer, aus Furcht vor den Juden. Ist nun Petrus nur einmal, ganz frühe, auf der Marien Botschaft, zum Grabe hinaus kommen, wie kann es bey einander stehen, daß Maria, nach Lucä Bericht, vorher von den Engeln die Auferstehung gehöret, ja, nach Matthäo, Jesum selbst im Rückgehen gesehen und gesprochen, auch Befehl bekommen, solches den Jüngern und insonderheit Petro zu sagen; und daß sie doch, (nach der Erzählung Johannis) nichts zu den Jüngern und zu Petro sagt, als, sie haben den Herrn aus dem Grabe weggenommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben; ja, daß sie nachher erst die Engel zu [479] sehen bekömmt, und alsdenn nicht von ihnen, sondern von Jesu selbst erfähret, daß er lebe?

§§. Der sechste Widerspruch ist zwischen Matthäo und Johanne, und bestehet darinn, daß Jesus, nach Aussage des Matthäi, der Maria Magdalena auf dem Wege nach der Stadt, nach Johannis Aussage aber, vor der Thüre des Grabes erschienen seyn soll. Wenn wir die Ausdrückungen des Matthäi ansehen, so erhellet, daß Maria nit ihren Gefehrten schon weit von dem Grabe muß weg gewesen seyn. Sie gingen geschwinde aus dem Grabe, mit Furcht und großer Freude, und liefen, es den Jüngern zu verkündigen. Indem sie aber so fort wanderten, siehe, da kam ihnen Jesus entgegen. Allein beym Johanne heisset es: Maria stund vor dem Grabe; und weinete draussen. In diesem Weinen bückt sie sich und siehet ins Grab hinein, und wird zween Engel gewahr, die darinn sitzen, und zu ihr sagen: Weib, was weinest du? Ach! sagt sie, daß sie meinen Herrn weggenommen haben, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Indem sie dieses sagt, siehet sie sich um, und siehet Jesum stehen, welcher gleichfalls zu ihr spricht: Weib, was weinest du? Nun sage man mir doch, wie es möglich sey, daß Maria zugleich gehen und eilig laufen; zugleich vor dem Grabe stehen und da im Umsehen Jesum, hinter sich stehend, erblicken, und doch weit vom Grabe, auf dem Rückwege, Jesum, ihr entgegen kommend, sehen kann? Es ist mir schon, bey mehr als einer Stelle dieser Untersuchung, die Historie von der Susanna eingefallen; hier aber schicket sie sich besonders [480] her. Zween Aeltesten in Israel, da sie ihre Geilheit bey der Susanna nicht hatten büßen können, zeugeten falsch wider sie, daß sich ein junger Geselle zu ihr im Garten gelegt hätte, und sie sollte schon auf solcher ehrwürdigen zween Zeugen Aussage, nach dem Gesetze Mosis, zum Tode verurtheilet werden; als Daniel die Richter belehrete, eine bessere Untersuchung der Zeugen anzustellen. Er frug einen jeden besonders, unter welchem Baume hast du sie funden? Der eine sprach auf solche Frage: unter einer Linden; der andere: unter einer Eichen. Also ward die Falschheit ihres Zeugnisses durch den Widerspruch entdecket, die Jungfer frey gesprochen, und die Zeugen getödtet. Die Regul des Widerspruchs, welche bey dieser Zeugen-Probe zum Grunde geleget ward, ist an sich ganz richtig, und wird billig bis ans den heutigen Tag, bey allem Zeugen-Verhöre, ja bey aller menschlichen Untersuchung der Wahrheit zur Richtschnur gemacht: Wenn sich Zeugen, wenn sich Geschichtschreiber widersprechen, so kann ihr Bericht unmöglich wahr seyn. Aber bey der Susanna war der Widerspruch lange nicht so klar, wie es zur Ueberführung der Falschheit ihres Zeugnisses erfordert ward. Denn Menschen haben allemal bey solchen kleinen Neben-Umständen die billige Entschuldigung, daß sie aus Begierde die Haupt-Sache zu bemerken, auf solche geringe Dinge so genau nicht geachtet: ihr Fehler bestehet demnach nur darinn, daß sie aussagen, was sie nicht genau wissen, und worin sie sich leicht triegen und einander widersprechen können: deßwegen kann doch die Haupt-Sache wahr seyn. Wie, wenn diese Zeugen [481] gesagt, wir haben, aus Bestürzung über die Schandthat, welche wir sahen, nicht geachtet, was es für ein Baum gewesen, worunter wir die Susanna mit ihrem Buhler angetroffen: was hätte doch der gute Daniel machen, oder wie hätte er die Falschheit ihres Zeugnisses entdecken wollen? Aber wir haben hier es mit Zeugen zu thun, die sich mit den Schranken menschlicher Achtsamkeit, oder mit dem gemeinen menschlichen Fehler, die kleinen Umstände ohne genaue Wissenschaft hinzuzufügen, nicht entschuldigen: sie wollen und sollen ja in allen Stücken, in allen Worten, von dem Heiligen Geist, der sie in alle Wahrheit leitet, getrieben seyn. Wie kann denn ein solcher Widerspruch unter ihnen entstehen, der auch menschlicher Weise bey der sorglosesten Beobachtung der Umstände nicht leicht würde begangen werden? Denn wie dort bey der Susannen leicht möglich war, daß einer, der auf die Buhler unter einem Baume siehet, auf die Art der Blätter und des Baums gar nicht achte: so war hier nicht möglich, daß die Maria nicht wissen sollte, ob sie Jesum nahe vor dem Grabe hinter sich stehend gesehen hätte, oder ob er ihr weit davon, auf dem Wege zur Stadt, entgegen gekommen sey.

§§. Der siebende Widerspruch findet sich zwischen eben diesen Evangelisten Matthäo und Johanne, Denn als, nach Matthäi Bericht, Jesus denen Weibern begegnet, treten sie zu ihm und fassen seine Füsse an, oder halten ihn bey seinen Füssen. (ἐκράτησαν αὐτοῦ τοὺς πόδας [Matth. 28,9]). Jesus wehret ihnen auch nicht, sondern spricht vielmehr: Fürchtet euch nicht. Und wie sollte er [482] es nicht gelitten haben? da er selber zu den Jüngern an eben dem ersten Tage sagt: Betastet mich und sehet, denn ein Geist hat nicht Fleisch und Bein, wie ihr sehet, daß ich habe. Und hernach über acht Tage heisset er den Thomas seine Finger und Hände in seine Seite legen, welches ja durch ein Anrühren geschehen mußte, und aus der Ursache nöthig zu seyn schien, damit sie ihn nicht für einen Geist oder Gespenst hielten. Und doch spricht Johannes, Jesus habe bey seiner ersten Erscheinung der Marien verboten, ihn nicht anzurühren. Rühre mich nicht an, spricht er, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater, gehe aber hin zu meinen Brüdern, und sprich zu ihnen, ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater. Hier braucht es keiner weiteren Erläuterung. Wollen angerühret seyn, und nicht wollen angerühret seyn, ist ein offenbarer Widerspruch.

§§. Der achte Widerspruch ist in dem Orte, wo Jesus seinen Jüngern erschienen. Der Engel sagt zu den Weibern beym Matthäo: saget seinen Jüngern, daß er auferstanden ist von den Todten: und siehe, er wird vor euch hingehen in Galiläam, daselbst werdet ihr ihn sehen. Eben das wiederholet Jesus selbst kurz darauf zu ihnen: Gehet hin und verkündiget meinen Brüdern, daß sie hingehen in Galiläam, daselbst werden sie mich sehen. Darauf gehen auch die eilf Jünger hin nach Galiläa auf den Berg, wo Jesus sie beschieden hatte, und sehen ihn da: etliche aber zweifelten. Hergegen sagt Lucas gerade [483] das Gegentheil. Er erzählet, daß zween Jünger an eben demselben Tage, da Maria Magdalena die Auferstehung Jesu erfahren, das ist, an dem ersten Tage seiner Auferstehung nach dem Flecken Emmaus gewandert, welcher Weg, wie Grotius sagt, nur zwo Stunden, und etwas darüber kostete. Wie sich nun Jesus auf dem Wege zu ihnen fügt, und sich ihnen hernach in dem Flecken offenbaret, kehren sie in derselben Stunde zurück nach Jerusalem, und finden die eilfe und andere versammlet: erzählen ihnen, daß sie Jesum auf dem Wege gesehen, und am Brodt brechen erkannt hätten. Indem sie dieses sagten, stellet sich Jesus mitten unter ihnen, und spricht: Friede sey mit euch; zeiget ihnen seine Hände und Füße, will von ihnen betastet seyn, und isset vor ihren Augen gebratene Fische, zeiget ihnen aus der Schrift, daß Christus mußte nach seinem Leiden auferstehen; heisset sie Zeugen seiner Auferstehung werden, und in Jerusalem bleiben, bis sie angethan würden mit Kraft aus der Höhe, das ist, mit den Gaben des heiligen Geistes, der am Pfingst-Feste, oder funfzig Tage nach Ostern über sie sollte ausgegossen werden. Und in der Apostel-Geschichte sagt Lucas noch ausdrücklicher, Jesus habe ihnen befohlen, nicht von Jerusalem weg zu gehen, sondern daselbst die Verheissung seines Vaters zu erwarten, nemlich die Kraft des heiligen Geistes, welcher über sie kommen würde. Wenn Jesus nun gleich am ersten Tage seiner Auferstehung allen eilf Jüngern befiehlet, bis Pfingsten zu Jerusalem zu bleiben, und nicht von dannen zu gehen: wie kann er ihnen denn befohlen haben, in derselben Zeit nach Galiläa zu gehen? [484] wie kann er versprochen haben, daß sie ihn dort sehen sollten? und wie kann er sich ihnen da wirklich auf einem Berge gezeiget haben? Lucas würde selbst gestehen müssen, daß beides zugleich unmöglich angehe. Darum erwähnt er von der ganzen Galiläischen Erscheinung und dem Befehle dazu nicht ein Wort. Weder Jesus noch die Engel sagen bey Luca zu der Marien, wie bey den andern Evangelisten: saget meinen Brüdern, daß sie hingehen in Galiläam, daselbst werden sie mich sehen: sondern er kehret die Rede der Engel so: gedenket daran, wie er euch saget, da er noch in Galiläa war. Vielweniger erzählet Lucas, daß die Jünger wirklich aus Jerusalem nach Galiläa gegangen, und ihnen da auf einem Berge oder am Ufer des Meeres erschienen sey. Sondern es folget bey ihm sogleich auf den Befehl, daß sie zu Jerusalem bleiben sollten, daß er seine Jünger von Jerusalem nach Bethanien geführet, sie da gesegnet, und von ihnen gen Himmel gefahren sey. So wie nun Lucas keinen so offenbaren Widerspruch mit sich selbst begehen konnte, daß er bey seinem Verbote, nicht aus Jerusalem zu weichen, eine in Galiläa bestimmte Erscheinung fügen sollte: so haben hingegen auch die andern Evangelisten, welche die Galiläische Erscheinung als befohlen und geschehen erzählen, keines Befehls Jesu, zu Jerusalem zu bleiben, gedenken können. Matthäus erwähnet gar keiner Erscheinung zu Jerusalem, sondern bloß der einen in Galiläa auf dem Berge, da Jesus seine Jünger beschieden hatte; und da spricht Jesus zu ihnen alsobald: gehet hin und lehret alle Völker. Marcus führet zwar an, daß Jesus [485] sich den Jüngern zu Jerusalem, da sie zu Tische gesessen, gezeiget; aber nicht, daß er sie da bleiben geheissen, sondern vielmehr, daß er ihnen gesagt: gehet hin in alle Welt. Und so ist beym Johanne, der nebst zween Erscheinungen zu Jerusalem, auch die Galiläische umständlich berichtet, nicht ein Wort zu finden, daß Jesus seinen Jüngern gleich Anfangs sollte gesagt haben, nicht von Jerusalem zu gehen. Denn wie konnten sich diese Leute so gröblich vergessen, und gleich hinter einander so was hin schreiben, dadurch das kurz vorhergesagte gänzlich aufgehoben wurde? So gut sich nun in diesem Stücke ein jeder in Acht genommen, daß er sich nicht selbst widerlegte: so unwidertreiblich ist hingegen, daß einer den andern widerleget und Lügen strafet. Ist es wahr, was Lucas sagt, daß Jesus gleich am ersten Tage seiner Auferstehung seinen Jüngern in Jerusalem erschienen ist, und befohlen hat, da zu bleiben und nicht von da weg zu gehen bis Pfingsten: so ist es falsch, daß er ihnen befohlen habe in derselben Zeit von Jerusalem nach dem äußersten Galiläa zu wandern, um ihnen da zu erscheinen. Und umgekehrt kann man nicht anders denken, ist dieses wahr, so muß jene Rede falsch seyn. Es ist der offenbarste Widerspruch, der auf der Welt seyn kann, und zwar in der Haupt-Sache, darauf die Wahrheit ihres Zeugnisses ankömmt. Denn die Zeugen der Auferstehung Jesu sollten ja vor allen Dingen zeugen, daß er ihnen erschienen sey nach seinem Tode. Wenn nun der eine Zeuge sagt, daß die Erscheinung zu Jerusalem geschehen sey, und ausser Jerusalem nicht habe geschehen sollen, der andere, daß sie [486] in Galiläa geschehen und geschehen sollen: wenn der eine berichtet, ihr Meister habe ihnen geboten, von Ostern bis Pfingsten nicht aus Jerusalem zu gehen, der andere, er habe geboten, binnen der Zeit weit von dannen zu seyn: wenn der eine ihm die gebratenen Fische zu Jerusalem in verschlossenen Thüren, der andere am Galiläischen Meere aufsetzet: so richten sie selbst von beiden Seiten die Glaubwürdigkeit ihres Zeugnisses zu Grunde. Allein, wenn wir auch den Befehl Jesu beym Lucas, zu Jerusalem zu bleiben, wollten ausgesetzt seyn lassen: so sind doch beyde Erscheinungen an sich selbst, nemlich die zwiefache zu Jerusalem, und die dritte in Galiläa, mit ein ander nicht zu reimen; wie es doch scheinet, daß Johannes einigermaßen habe thun wollen. Denn haben ihn die sämtlichen Jünger zu zweyen malen in Jerusalem gesehen, gesprochen, getastet, und mit ihm gespeiset: wie kann es seyn, daß sie, um ihn zu sehen, die weite Reise nach Galiläa haben thun müssen? und wozu sollte das Hin- und Her-Wandern? Er konnte ihnen zu Jerusalem eben das sagen, was er ihnen in Galiläa sagte: und ob sie ihn in Galiläa sahen, hörten, tasteten und gebratene Fische vorlegten, das konnte sie nicht mehr überzeugen, als wenn sie ihn zu Jerusalem sahen, hörten, tasteten und gebratene Fische vorlegten. Er soll ja auch zuletzt vor Jerusalem gen Bethanien oder auf dem Oelberge seine Jünger versammlet haben, und vor ihren Augen gen Himmel gefahren seyn. Wie wenn er ihnen denn vorher zweymal zu Jerusalem erscheinen, und nun auch bey Jerusalem Abschied von ihnen nehmen wollte; und sie bey diesen Erscheinungen zu Jerusalem, [487] mit Sehen und Fühlen, mit Sprechen und Essen, mit Beweis aus der Schrift, und mit vielen Wundern vor ihren Augen, ja endlich mit seiner Himmelfahrt kräftigst von seiner Auferstehung überführet hatte: was brauchte es denn, daß diese kräftigst überführte Jünger zwischen her die weite Reise nach Galiläa thaten, um ihn da zu sehen? Hatte etwa Jesus da was nothwendiges zu verrichten, daß er zur selben Zeit nicht in Jerusalem bey ihnen seyn konnte? oder konnte er sich ihnen da besser zeigen, als zu Jerusalem, und ihnen was mehreres zu ihrer Ueberzeugung sagen? Man setze, was man will, so wird keine vernünftige Ursache von dieser Reise anzugeben seyn, wenn sie nicht die vorige Erzählung, und die Eigenschaften, so man Jesu nach seiner Auferstehung beylegt, aufheben soll.

§§. Aber in der Galiläischen Erscheinung an sich begehen die Evangelisten, welche sie erzählen, abermals einen mannigfaltigen Widerspruch. Ich will, um meine einmal gesetzte Zahl nicht zu überschreiten, alles in zweyen Absätzen fassen. Der neunte Widerspruch zwischen Matthäo und Johanne mag denn seyn, daß Ort und Personen in der Galiläischen Erscheinung durchaus nicht übereinkommen. Nach dem Matthäo gehen die eilf Jünger in Galiläam auf einen Berg, dahin Jesus sie beschieden hatte; und da sehen sie ihn auch. Nach dem Johanne aber fähret Petrus mit sechs andern aufs Meer Tiberias, zu fischen; und wie sie wieder ans Ufer kommen, stehet Jesus da und frägt, ob sie was zu essen hätten. Wie sie es verneinen, heisset er sie das Netz zur Rechten des Schiffes auswerfen: darauf fangen sie [488] eine Menge Fische; sie steigen aus, sie finden da (ich denke wohl in der Fischer-Hütte am Strande) glüende Kohlen; darauf werden die frischen Fische gebraten, und er setzt sich mit ihnen zu Tische und isset. Nun erkennet ein jeder von selbst, daß sieben Personen nicht alle eilfe seyn können. Aber auch unter den sieben Personen waren noch drey Fremde, welche zu den eilfen nicht gehörten. Nemlich die sieben beym Johanne waren 1) Simon Petrus 2) Thomas 3) Nathanael von Cana aus Galiläa 4 und 5) die Söhne Zebedäi, Jacobus und Johannes, und 6 und 7) noch andere zween seiner Jünger; von welchen die beiden letztern, als nicht so bekannte, und daher ungenannte, nicht aus der Zahl der Apostel waren, wie auch Nathanael zu den eilfen nicht gehörte. Denn diese waren 1) Simon Petrus 2) Andreas, sein Bruder 3) Jacobus und 4) Johannes, die Söhne Zebedäi 5) Philippus 6) Barnabas 7) Thomas 8) Matthäus, der Zöllner 9) Jacobus, Alphei Sohn 10) Lebbäus, mit dem Zunahmen Thaddäus, und 11) Simon Canaites. Dannenhero stimmen beyde Evangelisten nur in vier Personen, Petro, Thoma und den Söhnen Zebedäi überein. Sie widersprechen sich aber, theils, daß nach dem Matthäo alle eilf Apostel bey der Erscheinung sind, beym Johanne ihrer acht fehlen; theils, daß Matthäus keine Fremde dazu nimmt, Johannes aber drey andere in die Gesellschaft ziehet. Man erkennet aber auch leicht, daß der Ort nicht einerley ist bey beiden Evangelisten. Matthäus bringt die Jünger auf einen Berg in Galiläa, da Jesus zu ihnen kömmt und seine Unterredung hält. [489] Weil aber auf dem Berge nichts zu beissen und zu brechen war, so bewirthet er auch die Gesellschaft mit keinem Essen. Hergegen bey dem Johanne stehet Jesus nahe am Ufer des Meeres Tiberias, da sehen sie ihn, da sprechen sie, da speisen sie mit ihm die gefangenen und frisch gebratenen Fische. Heisset dieß nun eine Uebereinstimmung einer Geschichte, wo Personen und Ort so sehr verschieden sind?

§§. Endlich sind auch die Umstände der Erscheinung in dieser zween Zeugen Munde widersprechend. 1) Beym Matthäo ist die Galiläische Erscheinung die allererste. Die Jünger bekommen durch die Maria, ehe sie noch den Herrn selbst gesehen haben, Befehl, nach Galiläa zu gehen, da würden sie ihn sehen: sie gehen also sämtlich hin, und sehen ihn auf dem Berge, wohin er sie beschieden hatte. Bey dem Evangelisten Johanne gehen zwo Erscheinungen zu Jerusalem bey den sämtlichen eilf Aposteln vorher, und diese Galiläische zählet er als die dritte, nachdem Jesus von den Todten auferstanden. Hätte Matthäus diese Galiläische Erscheinung für die dritte gehalten: so würde es übel für die Apostel aussehen, welche von der Auferstehung Jesu gezeuget haben. Denn er spricht: da sie ihn sahen, beteten sie ihn an; etliche aber zweifelten. Wie konnten denn diese etliche Zweifler Zeugen abgeben, wenn sie ihn hernach nicht wieder sahen; wie denn Matthäus keiner weitern Erscheinung, noch der Himmelfahrt selbst gedenket, sondern Jesum da auf dem Berge Abschied von seinen Eilfen nehmen lässet, mit den Worten: siehe, ich bin bey euch alle Tage, bis an der Welt Ende. 2) Die Erscheinung bey dem Matthäo ist vorher bestimmet, [490] und von den Jüngern an dem Orte erwartet; sie kennen ihn auch mehrentheils, wie er erscheinet, daß er es sey, und fallen vor ihm nieder. Aber beym Johanne erscheinet Jesus von ohngefähr, da ihn keiner vermuthete: die Jünger waren aus ganz andern Ursachen, nemlich um des Fischens willen, am Ufer, und hernach, als sie ihn sahen, wußten sie es erst nicht, daß es Jesus war: endlich sagen sie sichs einander ins Ohr: es ist der Herr: niemand aber von den Jüngern hatte das Herz, ihn zu fragen: wer bist du? ob sie gleich wußten, daß es der Herr war. 3) Die Reden endlich, welche Jesus bey dieser Galiläischen Erscheinung zu seinen Jüngern soll geführet haben, stimmen in keiner einzigen Sylbe, bey beyden Evangelisten, mit einander überein.

§§. Saget mir vor Gott, Leser, die ihr Gewissen und Ehrlichkeit habt, könnet ihr dieß Zeugniß in einer so wichtigen Sache für einstimmig und aufrichtig halten, das sich in Personen, Zeit, Ort, Weise, Absicht, Reden, Geschichten, so mannigfaltig und offenbar widerspricht? Zween dieser Evangelisten, nemlich Marcus und Lucas, haben es nur aus Hörsagen, was sie schreiben: sie sind keine Apostel gewesen, und verlangen nicht einmal zu sagen, daß sie Jesum nach seinem Tode selber mit ihren Augen gesehen hätten. Matthäus und Johannes, die Jesum als Apostel selber wollen gesehen haben, widerlegen sich einander am allermeisten: so, daß ich frey sagen mag, es sey fast kein einziger Umstand, von dem Tode Jesu an bis zu Ende der Geschichte, darin ihre Erzählung zusammen zu reimen wäre. Und [491] doch ist sehr merklich, daß sie alle beyde die Himmelfahrt Jesu gar weglassen: er verschwindet bey ihnen, und man weiß nicht, wo er geblieben: gleich als ob sie nichts davon wüßten, oder als ob dieses eine Kleinigkeit wäre. Auch in den Erscheinungen Jesu vor seiner Himmelfahrt, deren etwa sechs aus allen Evangelisten zusammen zu rechnen sind, ist dieses merklich, daß sie insgesamt allen übrigen ehrlichen Leuten unsichtbar, allein aber den Jüngern Jesu sichtbar gewesen seyn sollen: erst ganz frühe Morgens im Garten Josephs von Arimathia; dann auf dem Wege nach Emmaus; zweymal in verschlossenen Thüren; wiederum auf dem Berge in Galiläa; und vor Jerusalem. Wenn die Jünger an solchen abgesonderten Orten sind, da sie keine andere Menschen um sich haben, so sagen sie, sey Jesus zu ihnen gekommen. Sie machen es nicht wie andere aufrichtige Leute, die mit Wahrheit umgehen, und sich frey auf mehrere Menschen berufen dürfen, die ihn hätten kommen, weggehen, wandern sehen: nein, er stehet bey ihnen, ohne zu kommen, er kömmt auf eine menschlichen Augen unsichtbare Art, durch verschlossene Thüren, durchs Schlüsselloch, und so verschwindet er wieder vor den Augen; niemand auf der Gasse oder im Hause siehet ihn kommen und weggehen. Ja in aller der Zeit von 50 Tagen, so lange er nach seiner Auferstehung soll auf der Erde gewandelt haben, und von den Jüngern hin und wieder gesehen seyn, lässet sich auch kein einziger Jünger zu einem Fremden was von seiner Auferstehung vermerken; sie halten die Sache heimlich, man mögte sonst zu ihnen gesagt haben: weiset ihn uns auch, so wollen wir glauben, [492] daß er lebe. Nein, sie lassen ihn erst für sich aufleben, sich ohne jemandes Wissen unsichtbarer Weise erscheinen und vor ihren einzigen Augen bey Jerusalem von dem Oelberge, ohne daß es jemand in der Stadt erblicket, durch die Luft gen Himmel fahren, dann gehen sie erst aus und sprechen: er ist da und dort gewesen. Er soll ja selber in seinem Leben zu seinen Jüngern gesagt haben, wenn jemand zu ihnen nach seinem Tode sprechen würde: siehe, hie ist Christus oder da, so sollt ihrs nicht glauben. Siehe, er ist in der Wüsten, so gehet nicht hinaus: siehe, er ist in der Kammer, so glaubets nicht. Matth. XXIV. 23. 26. Wie sollen wir denn glauben, da seine Jünger nicht bey Zeiten sprechen; sehet, er ist da: nein, sondern er ist hie, er ist da gewesen. Nicht, sehet, er ist in der Wüsten: sondern er ist in der Wüsten, am Meere, auf dem Berge gewesen; nicht, er ist bey uns in der Kammer: sondern er ist bey uns in der Kammer gewesen? Mein! ist er darum vom Himmel gekommen, um incognito zu seyn? um sich nicht als einen solchen, der vom Himmel gekommen sey, zu zeigen? Leiden und Sterben können auch andere Menschen, aber vom Tode können sie nicht wieder aufstehen. Warum lässet er denn jenes aller Welt sehen, dieses aber nicht? Warum sollen die Menschen mehrere Gewißheit davon haben, daß er sey, wie einer der übrigen Sterblichen, als davon, worauf ihr Glauben soll gegründet werden, daß er die Menschen vom Tode erlöset habe? Konnte wohl die Welt von einer an sich unglaublichen Sache zu viel überführet seyn? Ist es denn genug, daß einige wenige seiner Anhänger, die noch dazu großen Verdacht [493] auf sich laden, daß sie den Körper des Nachts heimlich gestohlen haben, seine Auferstehung wider alle Wahrscheinlichkeit und mit vielem Widerspruche in die Welt hinein schreiben? Ist er darum nur zu den Schafen des Hauses Israel gekommen, daß sie zum Aergernisse sehen sollen, wie er sich selbst vom Tode nicht erretten kann, und hören, wie er als ein von Gott verlassener Mensch seinen Geist aufgebe; nicht aber, daß sie ihn als einen Besieger des Todes und wahrhaften Erlöser in seiner Herrlichkeit erkennen? Die unsichtbaren Teufel und verdammten Seelen in dem Pfule, der mit Feuer und Schwefel brennet, haben die Ehre, daß sie den auferstandenen Jesum sehen: aber die Menschen, welche Augen haben zu sehen, denen zu gute er auferstanden seyn sollte, und denen die Ueberzeugung davon nöthig war zur Seligkeit: die haben das Unglück, daß sie ihn nicht zu sehen bekommen. Hätte er sich doch nur ein einziges mal nach seiner Auferstehung, im Tempel vor dem Volke und vor dem hohen Rathe zu Jerusalem, sichtbar, hörbar, tastbar gemacht: so konnte es nicht fehlen, die ganze jüdische Nation hätte an ihn geglaubt, und wären so viel tausend Seelen mit so vielen Millionen Seelen der Nachkommenden, jetzt so verhärteten und verstockten Juden aus ihrem Verderben gerettet worden; da hätte der Teufel, dessen Reich zerstöret werden sollte, nicht so viele Millionen Unterthanen gegen einige wenige Nachfolger Jesu aus dem auserwählten Volke Gottes aufstellen können. Gewiß, wenn wir auch keinen weitern Anstoß bey der Auferstehung Jesu hätten, so wäre dieser einzige, daß er sich nicht öffentlich sehen lassen, allein [494] genug, alle Glaubwürdigkeit davon über den Haufen zu werfen: weil es sich in Ewigkeit nicht mit dem Zwecke, warum Jesus soll in die Welt gekommen seyn, zusammen reimen lässet. Es ist Thorheit, über den Unglauben der Menschen klagen und seufzen, wenn man ihnen die Ueberführung nicht geben kann, welche die Sache selbst, nach gesunder Vernunft, nothwendig erheischet.