B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Schiller
1759 - 1805
     
   


A n t h o l o g i e
a u f   d a s   J a h r   1 7 8 2


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[58]
      Der Triumf der Liebe,
      eine Hymne.
      _________

Seelig durch die Liebe
Götter – durch die Liebe
      Menschen Göttern gleich!
Liebe macht den Himmel
5
Himmlischer – die Erde
      Zu dem Himmelreich.

Einstens hinter Pyrrhas Rüken,
      Stimmen Dichter ein,
Sprang die Welt aus Felsenstüken,
10
      Menschen aus dem Stein.

Stein und Felsen ihre Herzen,
      Ihre Seelen Nacht,
Von des Himmels Flammenkerzen
      Nie in Glut gefacht.

[59]
Noch mit sanften Rosenketten
Banden junge Amoretten
      Ihre Seelen nie –
Noch mit Liedern ihren Busen
Huben nicht die weichen Musen
20
      Nie mit Saitenharmonie.

Ach! noch wanden keine Kränze
      Liebende sich um!
Traurig flüchteten die Lenze
      Nach Elisium.

25
Ungegrüßet stieg Aurora
      Aus dem Schoos Ozeanus,
Ungeküsset sank die Sonne
      In die Arme Hesperus.

Wild umirrten sie die Hayne,
30
Unter Lunas Nebelscheine,
      Trugen eisern Joch.
Sehnend an der Sternenbühne
Suchte die geheime Thräne
      Keine Götter noch.
      ________

[60]
Und sieh! der blauen Flut entquillt
Die Himmelstochter sanft und mild,
      Getragen von Najaden
      Zu trunkenen Gestaden.

Ein jugendlicher Mayenschwung
40
Durchwebt wie Morgendämmerung
      Auf das allmächtge Werde
      Luft, Himmel, Meer und Erde.

Schon schmilzt der wütende Orkan
(Einst züchtigt' er den Ozean
45
      Mit rasselndem Gegeissel)
      In lispelndes Gesäusel.

Des holden Tages Auge lacht
In düstrer Wälder Winternacht,
      Balsamische Narzissen
50
      Blühn unter ihren Füßen.

[61]
Schon flötete die Nachtigall
      Den ersten Sang der Liebe.
Schon murmelte der Quellen Fall
      In weiche Busen Liebe.

55
      Glükseeliger Pygmalion!
      Es schmilzt! es glüht dein Marmor schon!
Gott Amor Ueberwinder!
      Glükseeliger Deukalion,
      Wie hüpfen deine Felsen schon!
60
      Und äugeln schon gelinder!
      Glükseeliger Deukalion,
Umarme deine Kinder!
      ________

      Seelig durch die Liebe
      Götter – durch die Liebe
65
            Menschen Göttern gleich.
      Liebe macht den Himmel
      Himmlischer – die Erde
            Zu dem Himmelreich.
      ________

[62]
Unter goldnem Nektarschaum
70
Ein wollüstger Morgentraum
      Ewig Lustgelage
      Fliehn der Götter Tage.

      Prächtig spricht Chronions Donnerhorn,
Der Olympus schwankt erschroken
75
Wallen zürnend seine Loken
      Sfärenwirbeln gibt sein Athem Sporn,
Göttern läßt er seine Throne,
Niedert sich zum Erdensohne,
      Seufzt arkadisch durch den Hayn,
80
Zahme Donner untern Füssen,
Schläft, gewiegt von Ledas Küssen,
      Schläft der Riesentöder ein.

Majestätsche Sonnenrosse
      Durch des Lichtes weiten Raum
85
      Leitet Föbus goldner Zaum,
Völker stürzt sein rasselndes Geschosse;
[63]
      Seine weissen Sonnenrosse,
      Seine rasselnden Geschosse
Unter Lieb und Harmonie
90
Ha! wie gern vergaß er sie!

Zitternd vor der Götterfürstin
Krümmen sich die Götter, dürsten
      Nach der Gnade goldnem Thau.
Sonnenglanz ist ihre Schminke
95
Myriaden jagen ihrem Winke
      Stolz vor ihrem Wagen prahlt der Pfau.

Schöne Fürstin! ach die Liebe
Zittert mit dem süßen Triebe
      Deiner Majestät zu nahn.
100
Seht ihr Chronos Tochter weinen?
Geister kann ihr Wink verneinen,
      Herzen weißt sie nicht zu fahn.
      ________

Seelig durch die Liebe
Götter – durch die Liebe
[64]
      Menschen Göttern gleich.
Liebe macht den Himmel
Himmlischer – die Erde
      Zu dem Himmelreich.
      ________

Liebe sonnt das Reich der Nacht,
110
Amors süßer Zaubermacht
Ist der Orkus unterthänig,
Freundlich schmollt der schwarze König
Wenn ihm Zeres Tochter lacht;
Liebe sonnt das Reich der Nacht.

115
Himmlisch in die Hölle klangen
Und den wilden Beller zwangen
      Deine Lieder, Thrazier –
Minos, Thränen im Gesichte,
Mildete die Qualgerichte,
120
Zärtlich um Megärens Wangen
Küßten sich die wilden Schlangen,
      Keine Geißel klatschte mehr,
Aufgejagt von Orfeus Leyer
Flog von Tityon der Geyer
[65]
Leiser hin am Ufer rauschten
Lethe und Kozytus, lauschten
      Deinen Liedern Thrazier,
      Liebe sangst du Thrazier.
      ________

Seelig durch die Liebe
130
Götter – durch die Liebe
      Menschen Göttern gleich.
Liebe macht den Himmel
Himmlischer – die Erde
      Zu dem Himmelreich.
      ________

135
      Durch die ewige Natur
      Düftet ihre Blumenspur,
Weht ihr goldner Flügel.
      Winkte mir vom Mondenlicht
      Afroditens Auge nicht
140
Nicht vom Sonnenhügel?
[66]
      Lächelte vom Sternenmeer
      Nicht die Göttin zu mir her,
Wehte nicht ihr Flügel
      In des Frühlings Balsamhauch
145
      Liebe nicht im Rosenstrauch,
Nicht im Kuß der Weste,
      Stern, und Sonn und Mondenlicht,
      Frühling, Rosen, Weste nicht
Lüden mich zum Feste.
150
      Liebe Liebe lächelt nur
      Aus dem Auge der Natur
Wie aus ihrem Spiegel!

      Liebe rauscht der Silberbach,
Liebe lehrt ihn sanfter wallen;
155
      Seele haucht sie in das Ach
Klagenreicher Nachtigallen,
      Unnachahmliches Gefühl
      In der Saiten Wonnespiel
Wenn sie Laura! hallen.
160
      Liebe Liebe lispelt nur
      Auf der Laute der Natur.
[67]
Weisheit mit dem Sonnenblik,
Große Göttin tritt zurük,
      Weiche vor der Liebe.
165
Nie Erobrern, Fürsten nie
Beugtest du ein Sklavenknie,
      Beug es izt der Liebe.
Wer die steile Sternenbahn
Gieng dir Heldenkühn voran
170
      Zu der Gottheit Size?
Wer zerriß das Heiligthum
Zeigte dir Elisium
      Durch des Grabes Rize?
Lokte sie uns nicht hinein,
175
Möchten wir unsterblich seyn?
Suchten auch die Geister
Ohne sie den Meister?
      Liebe Liebe leitet nur
      Zu dem Vater der Natur,
180
                    Liebe nur die Geister.

[68]
      Selig durch die Liebe
      Götter – durch die Liebe
                    Menschen Göttern gleich.
      Liebe macht den Himmel
185
      Himmlischer – die Erde
                    Zu dem Himmelreich.

Y.