B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Schiller
1759 - 1805
     
   


A n t h o l o g i e
a u f   d a s   J a h r   1 7 8 2


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[148]
      Die Freundschaft.
      (aus den Briefen Julius an Raphael; einem
      noch ungedruckten Roman.)
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Freund! genügsam ist der Wesenlenker –
Schämen sich kleinmeisterische Denker,
      Die so ängstlich nach Gesezen spähn –
Geisterreich und Körperweltgewühle
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Wälzet Eines Rades Schwung zum Ziele,
      Hier sah es mein Newton gehn.

Sfären lehrt es Sklaven eines Zaumes
Um das Herz des grosen Weltenraumes
      Labyrinthenbahnen ziehn –
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 Geister in umarmenden Systemen
Nach der grosen Geistersonne strömen,
      Wie zum Meere Bäche fliehn.

[149]
War's nicht diß allmächtige Getriebe,
Das zum ew'gen Jubelbund der Liebe
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      Unsre Herzen aneinander zwang?
Raphael, an deinem Arm – o Wonne!
Wag auch ich zur großen Geistersonne
      Freudigmutig den Vollendungsgang.

Glüklich! glüklich! Dich hab ich gefunden,
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Hab aus Millionen Dich umwunden,
      Und aus Millionen mein bist Du
Laß das Chaos diese Welt umrütteln,
Durcheinander die Atomen schütteln;
      Ewig fliehn sich unsre Herzen zu.

25
Muß ich nicht aus Deinen Flammenaugen
Meiner Wollust Wiederstralen saugen?
      Nur in Dir bestaun ich mich –
Schöner malt sich mir die schöne Erde,
Heller spiegelt in des Freunds Gebärde
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      Reizender der Himmel sich.

[150]
Schwermut wirft die bange Thränenlasten,
Süßer von des Leidens Sturm zu rasten,
      In der Liebe Busen ab; –
Sucht nicht selbst das folternde Entzüken
35
In des Freunds beredten Stralenbliken
      Ungeduldig ein wollüstges Grab? –

Stünd im All der Schöpfung ich alleine,
Seelen träumt' ich in die Felsensteine,
      Und umarmend küßt' ich sie –
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Meine Klagen stöhnt' ich in die Lüfte,
Freute mich, antworteten die Klüfte,
      Thor genug! der süßen Sympathie.

Tode Gruppen sind wir – wenn wir hassen,
Götter – wenn wir liebend uns umfassen!
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      Lechzen nach dem süsen Fesselzwang –
Aufwärts durch die tausendfache Stufen
Zalenloser Geister die nicht schufen,
      Waltet göttlich dieser Drang.

[151]
Arm in Arme, höher stets und höher,
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Vom Mogolen bis zum griechschen Seher,
      Der sich an den lezten Seraf reyht,
Wallen wir, einmüth'gen Ringeltanzes,
Bis sich dort im Meer des ew'gen Glanzes
      Sterbend untertauchen Maaß und Zeit. –

55
Freundlos war der grose Weltenmeister,
Fühlte Mangel – darum schuf er Geister,
      Sel'ge Spiegel seiner Seligkeit! –
Fand das höchste Wesen schon kein Gleiches,
Aus dem Kelch des ganzen Seelenreiches
60
      Schäumt ihm – die Unendlichkeit.

Y.