B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Friedrich Schiller
1759 - 1805
     
   


A n t h o l o g i e
a u f   d a s   J a h r   1 7 8 2


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[156]
      Gefühl am ersten Oktober *)
      1781.
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Woher das Jauchzen dort auf jenen Traubenhügeln?
      Woher das Evan Evoe?
Wem glüht die Wang'? wer ists, den ich in bunten Flügeln
      Den hohen Thyrsus schwingen seh?

Ist es der Genius des freudigen Getümmels,
      Und zahlreich sein Gefolg umher? –
Im offnen Füllhorn trägt er das Geschenk des Himmels,
      Und vor Entzükken taumelt er! –

Wie prächtig glänzt sie dort hervor die goldne Traube:
      Vom ersten Morgenstral begrüßt!
Wie freundlich winkt er nicht den Schatten jener Laube,
      Die voll von Seegen überfließt!

Ha! sey willkommen mir, du festlicher Oktober!
      Sey, Erstling! ganz willkommen mir!
Weit reinern Dank bring ich, als alle deine Lober,
      Bring ihn mit mehr Empfindung dir.

Denn du bist es, der mir Ihn, den ich theuer schäze,
      Und zärtlich liebe bis zum Grab,
Ihn, der verdient, daß Ihm mein Herz ein Denkmal seze,
      Den besten Freund in Rieger gab.

Zwar wigt dein Hauch,- kömmst du,- den letzten Schmuck der Bäume,
      Die Blätter in Melancholie:
Still sinken sie herab: und schnell, – wie Morgenträume
      Bei dem Erwachen – fliehen sie.

Zwar folgt dir auf dem Fus der flokkigte Zerstörer,
      Den jede Saite der Natur
Im dumpfen Mißklang stimmt, daß öder dann und leerer
      Rings um sie trauren Hain und Flur.

Doch sieh, wie schwindet es bei jedem frohen Mahle,
      Des Alters, ach! so düstres Bild:
Wann in gehobner Hand aus schäumendem Pokale
      Der Freude edler Purpur quillt!

Wie schwindet es, wann bei vertraulichen Gesprächen,
      Der Freund von seinem Freund umarmt,
Um an dem kalten Nord des Winters sich zu rächen,
      An seines Busens Glut erwarmt!

Und lächeln sie uns einst des Frühlings Kinder wieder,
      Wann all die jugendliche Pracht,
Wann jede Melodie der wonnevollen Lieder,
      Mit ihnen jede Lust erwacht:

Wie heiter strömts alsdann durch unsre ganze Seele:
      Welch Leben stralt in unserm Blik!
Ruft uns nicht der Akzent der sanften Philomele
      Und jugendliche Kraft zurück!

So lisple, – denkt sich heut' auch Rieger den Gedanken,
      Des Sturms, der uns im Alter beugt: –
Leis' Ihm Sein Schuzgeist zu, wann von den blauen Schranken
      Herab der Abendstern sich neigt.

Still führ' er Ihn hinaus auf jene Donnerhöhe,
      Lenk' Ihm Sein Aug, daß Er im Thal, –
Auf dem Gefild umher, – all Seine Freunde sehe,
      Und daß Ihm hoch bey Ihrer Zahl,

Und höher Ihm alsdann auf jener heil'gen Stelle,
      Dekt er Ihm die Gesinnungen
Der wahren Freundschaft auf, – gedrängt, – die Brust Ihm schwelle,
      Fühlt Er: sie alle lieben Ihn!

Laut wird sie dann – hinauf, die ferne Stimme, schallen:
      „Auch G * * * ist ein Freund von Dir!
Wann Silberlokken ihm nicht mehr die Schläf' umwallen,
      Ist G * * * noch ein Freund von Dir!

Auch jenseits“, – und nun glänz Ihm die krystallne Zäre
      Im Aug': – „Auch dorten liebt er dann,
Dich einst noch, wann sein Herz in jener Frühlingssphäre
      Sich an das Deine schliesen kann.“

B.
 
*)
Der würdige Mann, den diese Ode feiert, möge mir die Kühnheit vergeben, daß ich meine Sammlung mit Seinem Namen und Löbe kröne. Ob ich mich schon nicht für den Verfasser davon bekennen darf, so glaubte ich doch durch Aufnahme derselben in meine Anthologie ihr den Stempel des Gleichgefühls aufgedrükt zu haben, und ich freute mich dieses Anlasses meine wärmste Hochachtung gegen Denselben vor der ganzen Welt entblösen zu können.

      Der Herausgeber.