BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Friedrich Schiller

1759 - 1805

 

Der versöhnte Menschenfeind

 

1790

 

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Sechste Scene.

 

Die Vorigen. Die Vasallen und Beamten Huttens, Bürger

und Landleute welche Geschenke tragen, junge Mädchen und Frauen,

die Kinder an der Hand führen oder auf den Armen tragen.

Alle einfach aber anständig gekleidet.

 

Vorsteher. Kommt alle herein, Väter, Mütter und Kinder. Fürchte sich keines. Er wird Graubärte keine Fehlbitte thun lassen. Er wird unsre Kleinen nicht von sich stoßen.

Einige Mädchen. (welche sich ihm nähern.) Gnädiger Herr, dieses wenige bringen Ihnen Ihre dankbaren Unterthanen, weil sie uns alles gaben. [121]

Zwei andere Mädchen. Diesen Kranz der Freude flechten wir Ihnen, weil sie das Joch der Leibeigenschaft zerbrachen.

Ein drittes und viertes Mädchen. Und diese Blumen streuen wir Ihnen, weil Sie unsre Wildniß zum Paradies gemacht haben.

Erstes und zweites Mädchen. Warum wenden Sie das Gesicht weg, lieber gnädiger Herr? Sehen Sie uns an. Reden Sie mit uns. Was thaten wir Ihnen, daß Sie unsern Dank so zurückstoßen? (eine lange Pause.)

Hutten. (ohne sie anzusehen, den Blick auf den Boden geschlagen.) Werf er Geld unter sie Verwalter – Geld so viel sie mögen – Schon er meine Kasse nicht – Er sieht ja, die Leute warten auf ihren Lohn.

Ein alter Mann. (der aus der Menge hervortritt.) Das haben wir nicht verdient gnädiger Herr. Wir sind keine Lohnknechte.

Einige Andre. Wir wollen ein sanftes Wort und einen gütigen Blick.

Ein Vierter. Wir haben Gutes von Ihrer Hand empfangen, wir wollen danken dafür, denn wir sind Menschen. [122]

Mehrere. Wir sind Menschen und das haben wir nicht verdient.

Hutten. Werft diesen Nahmen von euch, und seyd mir unter einem schlechtern willkommen – Es beleidigt euch, daß ich euch Geld anbiete? Ihr seid gekommen, sagt ihr, mir zu danken? – Wofür anders könnt ihr mir denn danken, als für Geld? Ich wüßte nicht, daß ich einem von euch etwas beßeres gegeben. Wahr ists, eh ich Besitz von dieser Grafschaft nahm, kämpftet ihr mit dem Mangel und ein Unmensch häufte alle Lasten der Leibeigenschaft auf euch. Euer Fleiß war nicht euer, mit ungerührtem Auge sah't ihr die Saaten grünen, und die Halme sich vergolden und der Vater verbot sich jede Regung der Freude, wenn ihm ein Sohn gebohren war. Ich zerbrach diese Fesseln, schenkte dem Vater seinen Sohn und dem Sämann seine Aernte. Der Seegen stieg herab auf eure Fluren, weil die Freiheit und die Hoffnung den Pflug regierten. Jetzt ist keiner unter euch so arm, der des Jahrs nicht seinen Ochsen schlachtet, ihr legt euch in geräumigen Häusern schlafen, mit der Nothdurft seid ihr abgefunden und habt noch übrig für die Freude. (indem er sich aufrichtet und gegen sie wendet) Ich sehe die Gesundheit in euren Augen und den Wohlstand auf euren Kleidern. Es ist nichts mehr zu wünschen übrig. Ich hab euch glücklich gemacht. [123]

Ein alter Mann. (aus dem Haufen) Nein gnädiger Herr. Geld und Gut ist Ihre geringste Wohlthat gewesen. Ihre Vorfahren haben uns dem Vieh auf unsern Feldern gleich gehalten. Sie haben uns zu Menschen gemacht.

Ein Zweiter. Sie haben uns eine Kirche gebaut und unsre Jugend erziehen lassen.

Ein Dritter. Und haben uns gute Gesetze und gewissenhafte Richter gegeben.

Ein Vierter. Ihnen danken wir, daß wir menschlich leben, daß wir uns unsers Lebens freuen.

Hutten. (in Nachdenken vertieft.) Ja, ja – das Erdreich war gut, und es fehlte nicht an der milden Sonne, wenn sich der kriechende Busch nicht zum Baume aufrichtete. – Es ist meine  Schuld nicht, wenn ihr da liegen bliebet, wo  ich  euch hinwarf. Euer eigen Geständniß spricht euch das Urtheil. Diese Genügsamkeit beweißt mir, daß meine Arbeit an euch verloren ist. Hättet ihr etwas an eurer Glückseligkeit vermißt – es hätte euch zum erstenmal meine Achtung erworben. (indem er sich abwendet.) Seid, was ihr seyn könnt – Ich werde darum nicht weniger meinen Weg verfolgen. [124]

Einer aus der Menge. Sie gaben uns alles, was uns glücklich machen kann. Schenken Sie uns noch ihre Liebe.

Hutten. (mit finsterm Ernst.) Wehe dir, der du mich erinnerst, wie oft meine Thorheit dieses Gut verschleuderte. Es ist kein Gesicht in dieser Versammlung, das mich zum Rückfall bringen könnte. – Meine  Liebe – Wärme dich an den Strahlen der Sonne, preise den Zufall, der sie über deinen  Weinstock dahin führte, aber den schwindlichten Wunsch untersage dir, dich in ihre glüende Quelle zu tauchen. Traurig für dich und sie, wenn sie von dir  gewußt  haben müßte, um dir zu leuchten, wenn sie, die Eilende, in ihrer himmlischen Bahn deinem Danke still halten müßte! Ihrer ewigen Regel gehorsam gießt sie ihren Strahlenstrom aus – gleich unbekümmert um die Fliege, die sich darin sonnt, und um dich, der ihr himmlisches Licht mit seinen Lastern besudelt – Was sollen mir diese Gaben? – Von meiner Liebe habt ihr euer Glück nicht empfangen. Mir gebührt nichts von der eurigen.

Der Alte. O das schmerzt uns mein theurer Herr, daß wir alles besitzen sollen und nur die Freude des Dankens entbehren.

Hutten. Weg damit. Ich verabscheue Dank aus so unheiligen Händen. Waschet erst die Verläumdung von [125] euren Lippen, den Wucher von euren Fingern, die scheelsehende Mißgunst aus euren Augen. Reinigt euer Herz von Tücke, werft eure gleißnerischen Larven ab, lasset die Waage des Richters aus euren schuldigen Händen fallen. Wie? Glaubet ihr, daß dieses Gauckelspiel von Eintracht mir die neidische Zwietracht verberge, die auch an den heiligsten Banden eures Lebens nagt? Kenne ich nicht jeden Einzelnen aus dieser Versammlung, die durch ihre Menge mir ehrwürdig seyn will? – Ungesehen folgt euch mein Auge – Die Gerechtigkeit meines Hasses lebt von euren Lastern. (zu dem Alten) Du maßest dich an, mir Ehrfurcht abzufodern, weil das Alter deine Schläfe bleichte, weil die Last eines langen Lebens deinen Nacken beugt? – Desto gewisser weiß ich nun, daß du auch meiner Hoffnung verloren bist! Mit leeren Händen steigst du von dem Zenith des Lebens herunter, was du bei voller Mannkraft verfehltest, wirst du an der Krücke nicht mehr einhohlen. – War es eure Meynung, daß der Anblick dieser schuldlosen Würmer (auf die Kinder zeigend) zu meinem Herzen sprechen sollte? – O sie alle werden ihren Vätern gleichen, alle diese Unschuldigen werdet ihr nach eurem Bilde verstümmeln, alle dem Zweck ihres Daseyns entführen – O warum seid ihr hieher gekommen? – Ich kann nicht – Warum mußtet ihr mir dieses Geständniß abnöthigen? – Ich kann nicht sanft mit euch reden. (er geht ab.)