<<< Übersicht  <<< vorige Seite  nächste Seite >>>



B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
  Johann Gottfried Schnabel
vor 1692 - nach 1750

 
 
   
   



W u n d e r l i c h e
F a t a   e i n i g e r
S e e f a h r e r


1 .   T e i l   ( 1 7 3 1 )
S e i t e   1 4 1 - 1 9 0


_________________________________________


     [141] Dieser wunderliche Capitain Lemelie saß dorten von ferne, mit unterstützten Haupte, und an statt, daß er dem Allmächtigen vor die Fristung seines Lebens dancken solte, fuhren lauter schändliche gottlose Flüche wider das ihm so feindseelige Verhängniß aus seinem ruchlosen Munde, wolte sich auch mit nichts trösten lassen, weiln er nunmehro, so wol seine Ehre, als gantzes Vermögen verlohren zu haben, vorgab. Mons. de Leuven und ich verliessen den närrischen Kopf, wünschten daß er sich eines Bessern besinnen möchte, und giengen zur Concordia, welche ihr Ehe=Mann in viele von der Sonne erwärmte Tücher und Kleider eingehüllt hatte. Allein wir fanden sie dem ohngeacht, in sehr schlechten Zustande, weil sie sich biß diese Stunde noch nicht erwärmen, auch weder Speise noch Geträncke bey sich behalten konte, sondern vom starcken Froste beständig mit den Zähnen klapperte. Ich zog meine Kleider aus, badete durch das Wasser biß an das zerbrochene Schiff, und langete von selbigem etliche stücken Holtz ab, welche ich mit einem darauff gefundenen breiten Degen zersplitterte, und auf dem Kopffe hinüber trug, um auf unserer Sand=Banck ein Feuer anzumachen, wobey sich Concordia erwärmen könte. Allein zum Unglück hatte weder der Capitain Lemelie, noch Mons. Leuvens ein Feuerzeug bey sich. Ich fragte den Capitain, auf was vor Art wir etwa Feuer bekommen könten? allein er gab zur Antwort: Was Feuer? ihr habt Ehre genug, wenn ihr alle Drey mit mir crepiret. Mein Herr, gab ich zur Antwort, ich bin vor meine Person so hochmüthig nicht. Besann mich aber [142] bald, daß ich in unserer Cajüte ehemals eine Rolle Schwefel hengen sehen, badete derowegen nochmals hinüber in das Schiff, und fand nicht allein diese, sondern auch ein paar wol eingewickelte Pistolen, welche mir nebst dem Schwefel zum schönsten Feuerzeuge dieneten, an statt des Strohes aber brauchte ich meinen schönen Baumwollenen, in lauter Streiffen zerrissenen Brust=Latz, machte Feuer an, und bließ so lange, biß das ziemlich klein gesplitterte Holtz in volle Flamme gerieth.

     Mons. van Leuven war hertzlich erfreuet über meinen glücklichen Einfall, und badete noch zwey mal mit mir hinüber, um so viel Holtz aus dem Schiffs=Stücke zu brechen, wobey wir uns die gantze Nacht hindurch gemächlich wärmen könten. Die Witterung war zwar die gantze Nacht hindurch, dermassen angenehm, als es in Sachsen die besten Sommer=Nächte hindurch zu seyn pfleget, allein es war uns nur um unsere frostige Patientin zu thun, welche wir der Länge lang gegen das Feuer legten, und aufs allerbeste besorgten. Der tolle Capitain kam endlich auch zu uns, eine Pfeiffe Toback anzustecken, da ich ihn aber mit seinen Tobackrauchen schraubte, indem er ja zu crepiren willens wäre, gieng er stillschweigend mit einer scheelen mine zurück an seinen vorigen Ort.

     Concordia war indessen in einen tieffen Schlaf gefallen, und forderte, nachdem sie gegen Morgen erwacht war, einen Trunck frisch Wasser, allein weil ihr solches zu verschaffen unmöglich, beredete Mons. van Leuven dieselbe, ein wenig Wein zu trincken, sie nahm denselben, weil er sehr Frisch war, [143] begierig zu sich, befand sich aber in kurtzen sehr übel drauff, massen sie wie eine Kohle glüete, und ihr, ihrem sagen nach, der Wein das Hertze abbrennen wolte. Ihr Ehe=Herr machte ihr die grösten Liebkosungen, allein sie schien sich wenig darum zu bekümmern, und fieng unverhofft also zu reden an: Carl Frantz gehet mir aus den Augen, damit ich ruhig sterben kan, die übermäßige Liebe zu euch hat mich angetrieben das 4te Gebot zu übertreten, und meine Eltern biß in den Tod zu betrüben, es ist eine gerechte Strafe des Himmels, daß ich, auf dieser elenden Stelle, mit meinen Leben davor büssen muß. GOTT sey meiner und eurer Seele gnädig.

     Kein Donnerschlag hätte Mons. van Leuven erschrecklicher in die Ohren schmettern können, als diese Centner schweren Worte. Er konte nichts darauff antworten, stund aber in vollkommener Verzweiffelung auf, lieff nach dem Meere zu, und hätte sich gantz gewiß ersäufft, wenn ich ihm nicht nachgelauffen, und durch die kräfftigsten Reden die mir GOTTES Geist eingab, damals sein Leib und Seele gerettet hätte.

     So bald er wieder zurück auf die trockene Sand=Banck gebracht war, legte ich ihm nur diese Frage vor: Ob er denn sein Leben, welches ihm GOTT unter so vielen wunderbarer Weise erhalten, nunmehro aus Ubereilung dem Teufel, samt seiner Seele hingeben wolte? Hierzu setzte ich noch, daß Concordia wegen übermäßiger Hitze nicht alle Worte so geschickt, wie sonsten, vorbringen könte, auch vielleicht in wenig Stunden gantz anders re=[144]den würde, u.s.w. Worauff er sich denn auch eines andern besonn, und mir hoch und theur zuschwur, sich mit christl. Gedult in alles zu geben, was der Himmel über ihn verhängen wolle. Er bat mich anbey, alleine zur Concordia zu gehen, und dieselbe mit Gelegenheit auf andere Gedancken zu bringen. Ich bat ihn noch einmal, seine Seele, Himmel und Hölle zu bedencken, und begab mich zur Concordia, welche mich bat: Ich möchte doch aus jenem Mantel etwas Regen=Wasser ausdrücken, und ihr solches zu trincken geben. Ich versicherte ihr solches zu thun, und begehrete nur etwas Gedult von ihr, weil diese Arbeit nicht so hurtig zugehen möchte. Sie versprach, wiewol in würcklicher Phantasie, eine halbe Stunde zu warten; Aber mein GOTT! da war weder Mantel noch nichts, woraus ein eintziger Tropffen Wassers zu drücken gewesen wäre. Derowegen lieff ich ohn ausgezogen durch die See nach dem Schiffe zu, und fand, zu meinen selbst eigenen grösten Freuden, ein zugepichtes Faß mit süssen Wasser, worvon ich ein erträgliches Lägel füllete, aus unserer Cajüte etwas Thee, Zucker und Zimmet zu mir nahm, und so hurtig als möglich wieder zurück eilete. Ohngeacht ich aber kaum eine halbe Stunde ausgeblieben war, sagte doch Concordia, indem ich ihr einen Becher mit frischen Wasser reichte: Ihr hättet binnen 5. Stunden keine Tonne Wasser außdrücken dürffen, wenn ihr mich nur mit einem Löffel voll hättet erquicken wollen; aber ihr wollet mir nur das Hertze mit Weine brechen, GOTT vergebe es euch. Doch da sie den Becher mit frischen Wasser aus=[145]getruncken hatte, sagte ihr lechzender Mund: Habet Danck mein lieber Albert Julius vor eure Mühe, nun bin ich vollkommen erquickt, deckt mich zu, und lasset mich schlafen. Ich Gehorsamete ihrem Begehren, machte hinter ihren Rücken ein gelindes Feuer an, welches nicht eher ausgehen durffte, biß die Sonne mit ihren kräfftigen Strahlen hoch genung zu stehen kam.

     Immittelst da sie wiederum in einen ordentlichen Schlaf verfallen war, ruffte ich ihren Ehe=Herrn, der sich wol 300. Schritt darvon gesetzt hatte, herzu, tröstete denselben, und versicherte, daß mich seiner Liebsten Zustand gäntzlich überredete, sie würde nachdem sie nochmals erwacht, sich ungemein besser befinden.

     Damals war ich ein unschuldiger, aber doch in der Wahrheit recht glücklicher Prophete. Denn 2. Stunden nach dem Mittage wachte Concordia von sich selbst auf, forderte ein klein wenig Wein, und fragte zugleich, wo ihr Carl Frantz wäre? Selbiger trat Augenblicklich hervor, und küssete dieselbe kniend mit thränenden Augen. Sie trocknete seine Thränen mit ihrem Halß=Tuche ab, und sprach mit frischer Stimme: Weinet nicht mein Schatz, denn ich befinde mich itzo weit besser, GOTT wird weiter helffen.

     Ich hatte, binnen der Zeit, in zweyen Töpffen Thee gekocht, weiln aber keine Schaalen vorhanden waren, reichte ich ihr selbigen Tranck, an statt des gefoderten Weins, in dem Wein=Becher hin. Ihr lechzendes Hertze fand ein besonderes Labsal daran, Mons. van Leuven aber, und ich, schmau=[146]seten aus dem einen irrdenen Topffe auch mit, und wusten fast vor Freuden nicht was wir thun solten, da wir die halb tod gewesene Concordia nunmehro wiederum ausser Gefahr halten, und bey vollkommenen Verstande sehen konten.

     Lemelie hatte sich binnen der Zeit durch das Wasser auf das zerbrochene Schiff gemacht, wir hofften zwar er würde vor Abends wiederum zurück kommen, sahen und höreten aber nichts von ihm, weßwegen Mons. van Leuven Willens war hin zu baden, nach demselben zu sehen, und etwas Holtz mit zu bringen, da aber ich versicherte, daß wir auf diese Nacht noch Holtz zur Gnüge hätten, ließ ers bleiben, und wartete seine Concordia mit den trefflichsten Liebkosungen ab, biß sie abermals einschlieff, worauff wir uns beredeten, wechsels=weise bey derselben zu wachen.

     Selbige Nacht wurde schon weit vergnügter als die vorige hingebracht, mit aufgehender Sonne aber wurde ich gewahr, daß die See allerhand Packen und Küsten auf die nah gelegenen Sand=Bäncke, und an das grosse Felsen=Ufer, auch an unsere Sand=Banck ebenfalls, nebst verschiedenen Waaren, einen mittelmäßigen Nachen gespielet hatte. Dieses kleine Fahr=Zeug hieß wol recht ein vom Himmel zugeschicktes Glücks Schiff, denn mit selbigen konten wir doch, wie ich so gleich bedachte, an den nah gelegenen Felsen fahren, aus welchen wir einen gantzen Strohm des schönsten klaren Wassers schiessen sahen.

     So bald demnach Mons. van Leuven aufgewacht, zeigte ich ihme die Merckmahle der wunder=[147]baren Vorsehung GOTTES, worüber er so wol als ich, die allergröste Freude bezeigte. Wir danckten GOTT bey unsern Morgen=Gebete auf den Knien davor, und so bald Concordia erwacht, auch nach befundenen guten Zustande, mit etwas Wein und Confect gestärckt war, machten wir uns an den Ort, wo das kleine Fahrzeug gantz auf den Sand geschoben lag. Mons. de Leuven erkannte an gewissen Zeichen, daß es eben dasselbe sey, mit welchem sein Schwager Anton Plürs untergangen sey, konte sich nebst mir hierüber des Weinens nicht enthalten; Allein wir musten uns über dessen gehabtes Unglück gezwungener Weise trösten, und die Hand an das Werck unserer eigenen Errettung ferner legen, weiln wir zur Zeit eines Sturms, auf dieser niedrigen Sand=Banck, bey weiten nicht so viel Sicherheit als am Felsen, hoffen durfften.

     Es kostete nicht wenig Mühe, den so tieff im Sande steckenden Nachen heraus ins Wasser zu bringen, da es aber doch endlich angegangen war, banden wir selbiges an eine tieff in den Sand gesteckte Stange, machten aus Bretern ein paar Ruder, fuhren, da alles wol eingerichtet war, nach dem Stücke des zerscheiterten Schiffs, und fanden den Lemelie, der sich dermassen voll Wein gesoffen, daß er alles was er im Magen gehabt, wieder von sich speyen müssen, im tieffsten Schlafe liegen.

     Mons. van Leuven wolte ihn nicht aufwecken, sondern suchte nebst mir alles, was wir von Victualien finden konten, zusammen, packten so viel, als der Nachen tragen mochte, auf, und thaten die erste Reise gantz hurtig und glücklich nach dem Ufer des [148] Felsens zu, fanden auch, daß allhier weit bequemlicher und sicherer zu verbleiben wäre, als auf der seichten Sand=Banck. So bald der Nachen ausgepackt war, fuhren wir eilig wieder zurück, um unsere kostbareste Waare, nemlich die Concordia dahin zu führen, wiewol vor rathsam befunden wurde, zugleich noch eine Last von den nothdürfftigsten Sachen aus dem Schiffe mit zu nehmen. Diese andere Farth gieng nicht weniger glücklich von statten, derowegen wurde am Felsen eine bequeme Klufft ausgesucht, darinnen auch zur Zeit des Regens wol 6. Personen oberwarts bedeckt, gantz geräumlich sitzen konten. Allhier muste Concordia bey einem kleinen Feuer sitzen bleiben, wir aber thaten noch 2. Fahrten, und holeten immer so viel, als auf dem Nachen fortzubringen war, herüber. Bey der 5ten Ladung aber, welche gantz gegen Abend gethan wurde, ermunterte sich Lemelie erstlich, und machte grosse Augen, da er viele Sachen und sonderlich die Victualien mangeln, uns aber annoch in völliger Arbeit, auszuräumen sahe. Er fragte was das bedeuten solte? warum wir uns solcher Sachen bemächtigten, die doch nicht allein unser wären, und ob wir etwa als See=Räuber agiren wolten? Befahl auch diese Verwegenheit einzustellen, oder er wolle uns etwas anders weisen. Monsieur Lemelie, versatzte van Leuven hierauf, ich kan nicht anders glauben, als daß ihr euren Verstand verlohren haben müsset, weil ihr euch weder unseres guten Raths noch würcklicher Hülffe bedienen wollet. Allein ich bitte euch sehr, höret auf zu brutalisiren, denn die Zeiten haben sich leyder! verändert, euer Comman=[149]do ist zum Ende, es gilt unter uns dreyen einer so viel als der andere, die meisten Stimmen gelten, die Victualien und andern Sachen sind gemeinschafftlich, will der 3te nicht was 2. haben wollen, so mag er elendiglich crepiren. Schweiget mir auch ja von See=Räubern stille, sonsten werde mich genöthiget sehen zu zeigen, daß ich ein Cavalier bin, der das Hertze hat euch das Maul zu wischen. Lemelie wolte über diese Reden rasend werden, und Augenblicklich vom Leder ziehen, doch van Leuven ließ ihn hierzu nicht kommen, sondern riß den Großprahler als ein Kind zu Boden, und ließ ihm mit der vollen Faust, auf Nase und Maule ziemlich starck zur Ader. Nunmehro hatte es das Ansehen, als ob es dem Lemelie bloß hieran gefehlet hätte, weil er in wenig Minuten wieder zu seinem völligen Verstande kam, sich mit uns, dem Scheine nach, recht Brüderlich vertrug, und seine Hände mit an die Arbeit legte; so daß wir noch vor Nachts wohlbeladen bey Concordien in der neuen Felsen=Wohnung anlangeten. Wir bereiteten vor uns ingesammt eine gute Abend=Mahlzeit, und rechneten aus, daß wenigstens auf 14. Tage Proviant vor 4. Personen vorhanden sey, binnen welcher Zeit uns die Hoffnung trösten muste, daß der Himmel doch ein Schiff in diese Gegend, uns in ein gut Land zu führen, senden würde.

     Concordia hatte sich diesen gantzen Tag, wie auch die darauff folgende Nacht, sehr wol befunden, folgenden Tag aber, wurde sie abermals vom starcken Frost, und darauff folgender Hitze überfallen, worbey sie starck phanthasirte, doch gegen Abend [150] ward es wieder gut, also schlossen wir daraus, daß ihre gantze Kranckheit in einem gewöhnlichen kalten Fieber bestünde, welche Muthmassungen auch in so weit zutraffen, da sie selbiges Fieber wol noch 3. mal, allezeit über den 3ten Tag hatte, und sich nachhero mit 48. Stündigen Fasten selbsten curirete. Immittelst schien Lemelie ein aufrichtiges Mitleyden mit dieser Patientin zu haben, suchte auch bey allen Gelegenheiten sich uns und ihr, aus dermassen gefällig und dienstfertig zu erzeigen. An denen Tagen, da Concordia wol auf war, fuhren wir 3. Manns=Personen wechsels=weise an die Sand=Bäncke, und langeten die daselbst angeländeten Packen und Fässer von dar ab, und schafften selbige vor unsere Felsen=Herberge. Wir wolten auch das zerstückte Schiff, nach und nach vollends außladen, jedoch ein nächtlicher mäßiger Sturm war so gütig, uns solcher Mühe zu überheben, massen er selbiges gantze Stück nebst noch vielen andern Waaren, gantz nahe zu unserer Wohnung auf die Sand=Banck geschoben hatte. Demnach brauchten wir voritzo unsern Nachen so nöthig nicht mehr, führeten also denselben in eine Bucht, allwo er vor den Winden und Wellen sicher liegen konte.

     Vierzehen Tage und Nächte verstrichen also, doch wolte sich zur Zeit bey uns noch kein Rettungs=Schiff einfinden, ohngeacht wir alle Tage fleißig Schildwache hielten, über dieses ein grosses weisses Tuch an einer hoch aufgerichteten Stange angemacht hatten. Concordia war völlig wieder gesund, doch fand sich nun nicht mehr, als noch etwa auf 3. oder 4. Tage Proviant, weßwegen wir alle [151] Fässer, Packen und Küsten ausräumeten und durchsuchten, allein, ob sich schon ungemein kostbare Sachen darinnen fanden, so war doch sehr wenig dabey, welches die bevorstehende Hungers=Noth zu vertreiben vermögend war.

     Wir armen Menschen sind so wunderlich geartet, daß wir zuweilen aus blossen Muthwillen solche Sachen vornehmen, von welchen wir doch im voraus wissen, daß dieselben mit tausendfachen Gefährlichkeiten verknüpfft sind; Im Gegentheil wenn unser Gemüthe zu anderer Zeit nur eine einfache Gefahr vermerckt, die doch eben so wol noch nicht einmal gegenwärtig ist, stellen wir uns an, als ob wir schon lange Zeit darinnen gesteckt hätten. Ich will zwar nicht sagen, daß alle Menschen von dergleichen Schlage wären, bey uns 4en aber braucht es keines Zweiffels, denn wir hatten, wiewol nicht alles aus der Erfahrung, jedoch vom hören und lesen, daß man auf der Schiffarth nach Ost=Indien, die Gefährlichkeiten von Donner, Blitz, Sturmwind, Regen, Hitze, Frost, Sclaverey, Schiffbruch, Hunger, Durst, Kranckheit und Tod zu befürchten habe; doch deren keine einzige konte den Vorsatz nach Ost=Indien zu reisen unterbrechen, nunmehro aber, da wir doch schon ein vieles überstanden, noch nicht den geringsten Hunger gelitten, und nur diesen eintzigen Feind, binnen etlichen Tagen, zu befürchten hatten, konten wir uns allerseits im voraus schon dermassen vor dem Hunger fürchten, daß auch nur das blosse dran dencken unsere Cörper auszuhungern vermögend war.

     Lemelie that nichts als essen und trincken, To=[152]back rauchen, und dann und wann am Felsen herum spatzieren, worbey er sich mehrentheils auf eine recht närrische Art mit Pfeiffen und Singen hören ließ, vor seine künfftige Lebens=Erhaltung aber, trug er nicht die geringste Sorge. Mons. van Leuven machte bey seiner Liebsten lauter tieffsinnige Calender, und wenn es nur auf sein speculiren ankommen wäre, hätten wir, glaube ich, in einem Tage mehr Brod, Fleisch, Wein und andere Victualien bekommen, als 100. Mann in einem Jahre kaum aufessen können, oder es solte uns ohnfehlbar, entweder ein Lufft= oder See=Schiff in einem Augenblicke nach Ceylon geführet haben. Ich merckte zwar wol, daß die guten Leute mit dergleichen Lebens=Art der bevorstehenden Hungers=Noth kein Quee vorlegen würden, doch weil ich der jüngste unter ihnen, und auch selbst nicht den geringsten guten Rath zu ersinnen wuste; unterstund ich mich zwar, nicht die Lebens=Art älterer Leute zu tadeln, wolte aber doch auch nicht so verdüstert bey ihnen sitzen bleiben, kletterte derowegen an den Felsen herum so hoch ich kommen konte, in beständiger Hoffnung etwas neues und guts anzutreffen. Und eben diese meine Hoffnung betrog mich nicht: Denn da ich eine ziemlich hohe Klippe, worauff ich mich ziemlich weit umsehen konte, erklettert hatte, erblickte ich jenseit des Flusses der sich Westwärts aus dem Felsen ins Meer ergoß, auf dem Sande viele Thiere, welche halb einem Hunde und halb einem Fische ähnlich sahen. Ich säumte mich nicht, die Klippe eiligst wieder herunter zu klettern, lief zu Mons. van Leuven, und sagte: Monsieur, wenn [153] wir nicht eckel seyn wollen, werden wir allhier auch nicht verhungern dürffen, denn ich habe eine grosse Menge Meer=Thiere entdeckt, welche mit Lust zu schiessen, so bald wir nur mit unsern Nachen über den Fluß gesetzt sind. Mons. Leuven sprang hurtig auf, nahm 2. wohlgeladene Flinten vor mich und sich, und eilete nebst mir zum Nachen, welchen wir loß machten, um die Klippe herum fuhren, und gerade zu, queer durch den Fluß hindurch setzen wolten; allein, hier hätte das gemeine Sprichwort: Eilen thut kein gut, besser beobachtet werden sollen; denn als wir mitten in den Strohm kamen, und ausser zweyen kleinen Rudern nichts hatten, womit wir uns helffen konten, führete die Schnelligkeit desselben den Nachen mit unserer grösten Lebens=Gefahr dermassen weit in die offenbare See hinein, daß alle Hoffnung verschwand, den geliebten Felsen jemahls wiederum zu erreichen.

     Jedoch die Barmhertzigkeit des Himmels hielt alle Kräffte des Windes und der Wellen gäntzlich zurücke, dahero wir endlich nach eingebrochener Nacht jenseit des Flusses an demjenigen Orte anländeten, wo ich die Meer=Thiere gesehen hatte. Wiewohl nun itzo nichts mehr daselbst zu sehen, so waren wir doch froh genung, daß wir unser Leben gerettet hatten, setzten uns bey hellen Mondscheine auf eine kleine Klippe, und berathschlagten, auf was vor Art wiederum zu den Unserigen zu gelangen wäre. Doch weil kein anderer Weg als durch den Fluß, oder durch den vorigen Umschweiff zu erfinden, wurde die Wahl biß auf den morgenden Tag verschoben.

     [154] Immittelst, da unsere Augen beständig nach der See zu gerichtet waren, merckten wir etwa um Mitternachts=Zeit, daß etwas lebendiges aus dem Wasser kam, und auf dem Sande herum wühlete, wie uns denn auch ein offt wiederholtes Blöcken versicherte, daß es eine Art von Meer=Thieren seyn müsse. Wir begaben uns demnach von der Klippe herab, und gingen ihnen biß auf etwa 30. Schritt entgegen, sahen aber, daß sie nicht verweigerten, Stand zu halten, weßwegen wir, um sie desto gewisser zu fassen, ihnen noch näher auf den Leib gingen, zu gleicher Zeit Feuer gaben, und 2. darvon glücklich erlegten, worauf die übrigen groß und kleine gantz langsam wieder in See gingen.

     Früh Morgens besahen wir mit anbrechenden Tage unser Wildpret, und fanden selbiges ungemein niedlich, trugen beyde Stück in den Nachen, getraueten aber doch nicht, ohne stärckere Bäume und bessere Ruder abzufahren, doch Mons. van Leuvens Liebe zu seiner Condordia überwand alle Schwürigkeiten, und da wir ohne dem alle Stunden, die allhier vorbey strichen, vor verlohren schätzten, befahlen wir uns der Barmhertzigkeit des Allmächtigen, setzten behertzt in den Strom, traffen aber doch dieses mahl das Gelencke etwas besser, und kamen nach Verlauff dreyer Stunden ohnbeschädiget vor der Felsen Herberge an, weil der heutige Umschweiff nicht so weit, als der gestrige, genommen war.

     Concordia hatte die gestrigen Stunden in der grösten Bekümmerniß zugebracht, nachdem sie [155] wahrgenommen, daß uns die strenge Fluth so weit in die See getrieben, doch war sie um Mitternachts=Zeit durch den Knall unserer 2. Flinten, der sehr vernehmlich gewesen, ziemlich wieder getröstet worden, und hatte die gantze Nacht mit eiffrigen Gebeth, um unsere glückliche Zurückkunfft, zugebracht, welches denn auch nebst dem unserigen von dem Himmel nach Wunsche erhöret worden.

     Lemelie erkandte das mitgebrachte Wildpret sogleich vor ein paar See=Kälber, und versicherte, daß deren Fleisch besonders wohlschmeckend wäre, wie wir denn solches, nachdem wir die besten Stücken ausgeschnitten, gebraten, gekocht und gekostet hatten, als eine Wahrheit bekräfftigen musten.

     Dieser bißhero sehr faul gewesene Mensch ließ sich nunmehro auch in die Gedancken kommen, vor Lebens=Mittel zu sorgen, indem er aus etlichen aus Bretern geschnitzten Stäbigen 2. Angel=Ruthen verfertigte, eine darvon der Concordia schenckte, und derselben zur Lust und Zeit=Vertreibe bey der Bucht das Fischen lernete. Mons. van Leuven und ich machten uns auch dergleichen, da ich aber sahe, daß Concordia allein geschickt war, nur in einem Tage so viel Fische zu fangen, als wir in etlichen Tagen nicht verzehren konten, ließ ich diese vergebliche Arbeit bleiben, kletterte hergegen mit der Flinte an den Klippen herum, und schoß etliche Vögel mit ungewöhnlich=grossen Kröpffen herunter, welche zwar Fleisch genug an sich hatten, jedoch, da wir sie zugerichtet, sehr übel zu essen waren. Hergegen fand ich Abends beym Mondschein auf dem Sande etliche Schild=Kröten, vor deren erstaunli=[156]cher Grösse ich mich anfänglich scheuete, derowegen Mons. van Leuven und Lemelie herbey rieff, welcher letztere sogleich ausrieff: Abermahls ein schönes Wildpret gefunden! Monsieur Albert, ihr seyd recht glücklich.

     Wir hatten fast alle drey genung zu thun, ehe wir, auf des Lemelie Anweisung, dergleichen wunderbare Creatur umwenden und auf den Rücken legen konten. Mit anbrechenden Morgen wurde eine mittelmäßige geschlachtet, Lemelie richtete dieselbe seiner Erfahrung nach appetitlich zu, und wir fanden hieran eine ausserordentlich angenehme Speise, an welcher sich sonderlich Concordia fast nicht satt essen konte. Doch da dieselbe nachhero besondere Lust verspüren ließ, ein Feder=Wildpret zu essen, welches besser als die Kropff=Vögel schmeckte, gaben wir uns alle drey die gröste Müh, auf andere Arten von Vögeln zu lauern, und selbige zu schiessen.

     Im Klettern war mir leichtlich Niemand überlegen, weil ich von Natur gar nicht zum Schwindel geneigt bin, als nun vermerckte, daß sich oben auf den höchsten Spitzen der Felsen, andere Gattunge Vögel hören und sehen liessen; war meine Verwegenheit so groß, daß ich durch allerhand Umwege immer höher von einer Spitze zur andern kletterte, und nicht eher nachließ, biß ich auf den allerhöchsten Gipffel gelangt war, allwo alle meine Sinnen auf einmahl mit dem allergrösten Vergnügen von der Welt erfüllet wurden. Denn es fiel mir durch einen eintzigen Blick das gantze Lust=Revier dieser Felsen=Insul in die Augen, welches rings herum von der Natur mit dergleichen star=[157]cken Pfeilern und Mauren umgeben, und so zu sagen, verborgen gehalten wird. Ich weiß gewiß, daß ich länger als eine Stunde in der grösten Entzückung gestanden habe, denn es kam mir nicht anders vor, als wenn ich die schönsten blühenden Bäume, das herum spatzirende Wild, und andere Annehmlichkeiten dieser Gegend, nur im blossen Traume sähe. Doch endlich, wie ich mich vergewissert hatte, daß meine Augen und Gedancken nicht betrogen würden, suchte und fand ich einen ziemlich bequemen Weg, herab in dieses angenehme Thal zu steigen, ausgenommen, daß ich an einem eintzigen Orte, von einem Felsen zum andern springen muste, zwischen welchen beyden ein entsetzlicher Riß und grausam tieffer Abgrund war. Ich erstaunete, so bald ich mich mitten in diesem Paradiese befand, noch mehr, da ich das Wildpret, als Hirsche, Rehe, Affen, Ziegen und andere mir unbekandte Thiere, weit zahmer befand, als bey uns in Europa fast das andere Vieh zu seyn pfleget. Ich sahe zwey= oder dreyerley Arten von Geflügel, welches unsern Rebhünern gleichte, nebst andern etwas grössern Feder=Vieh, welches ich damahls zwar nicht kannte, nachhero aber erfuhr, daß es Birck=Hüner wären, weiln aber der letztern wenig waren, schonte dieselben, und gab unter die Rebhüner Feuer, wovon 5. auf dem Platz liegen blieben. Nach gethanem Schusse stutzten alle lebendige Creaturen gewaltig, gingen und flohen, jedoch ziemlich bedachtsam fort, und verbargen sich in die Wälder, weßwegen es mich fast gereuen wolte, daß mich dieser angenehmen Gesell=[158]schafft beraubt hatte. Zwar fiel ich auf die Gedancken, es würden sich an deren Statt Menschen bey mir einfinden, allein, da ich binnen 6. Stunden die gantze Gegend ziemlich durchstreifft, und sehr wenige und zweiffelhaffte Merckmahle gefunden hatte, daß Menschen allhier anzutreffen, oder sonst da gewesen wären, verging mir diese Hoffnung, als woran mir, wenn ich die rechte Wahrheit bekennen soll, fast gar nicht viel gelegen war. Im Gegentheil hatte allerhand, theils blühende, theils schon Frucht=tragende Bäume, Weinstöcke, Garten=Gewächse von vielerley Sorten und andere zur Nahrung wohl dienliche Sachen angemerckt, ob mir schon die meisten gantz frembd und unbekandt vorkamen.

     Mittlerweile war mir der Tag unter den Händen verschwunden, indem ich wegen allzu vieler Gedancken und Verwunderung, den Stand der Sonnen gar nicht in acht genommen, biß mich der alles bedeckende Schatten versicherte, daß selbige untergegangen seyn müsse. Da aber nicht vor rathsam hielt, gegen die Nacht zu, die gefährlichen Wege hinunter zu klettern, entschloß ich mich, in diesem irrdischen Paradiese die Nacht über zu verbleiben, und suchte mir zu dem Ende auf einen mit dicken Sträuchern bewachsenen Hügel eine bequeme Lager=Statt aus, langete aus meinen Taschen etliche kleine Stücklein Zwieback, pflückte von einem Baume etliche ziemlich reiffe Früchte, welche röthlich aussahen, und im Geschmacke denen Morellen gleich kamen, hielt damit meine Abend=Mahlzeit, tranck aus dem vorbey rauschen=[159]den klaren Bächlein einen süssen Trunck Wasser darzu, befahl mich hierauf GOtt, und schlieff in dessen Nahmen gar hurtig ein, weil mich durch das hohe Klettern und viele Herumschweiffen selbigen Tag ungemein müde gemacht hatte.

     Hierbey mag vor dieses mahl (sagte der Alt=Vater nunmehro, da es ziemlich späte war] meine Erzehlung ihren Aufhalt haben. Morgen, geliebt es GOtt, wollen wir, wo es euch gefällig, die Einwohner in Stephans=Raum besuchen, und Abends wieder da anfangen, wo ich itzo aufgehöret habe. Hiermit legten wir uns allerseits nach gehaltener Beth=Stunde zur Ruhe, folgenden Morgen aber ging die Reise abgeredter massen auf Stephans=Raum zu.

     Hieselbst waren 15. Wohnhäuser nebst guten Scheuern und Ställen auferbauet, aber zur Zeit nur 11. bewohnt. Durch die Pflantz=Stadt, welche mit den schönsten Gärten umgeben war, lieff ein schöner klarer Bach, der aus der grossen See, wie auch aus dem Ertz=Gebürge seinen Ursprung hatte, und in welchem zu gewissen Zeiten eine grosse Menge Gold=Körner gesammlet werden konten, wie uns denn die Einwohner fast mit einem gantzen Hute voll dergleichen, deren die grösten in der Form eines Weitzen=Korns waren, beschenckten, weil sie es als eine artige und gefällige Materie zwar einzusammlen pflegten, doch lange nicht so viel Wercks draus machten, als wir Neuangekommenen. Mons. Plager, der einige Tage hernach die Probe auf allerhand Art damit machte, versicherte, daß es so fein, ja fast noch feiner wäre, als in Europa das [160] Ungarische Gold. Gegen Westen zu stiegen wir auf die Klippen, allwo uns der Altvater den Ort zeigete, wo vor diesen auf beyden Seiten des Flusses ein ordentlicher und bequemer Eingang zur Insul gewesen, doch hätte nunmehro vor langen Jahren ein unbändig grosses Felsen=Stück denselben verschüttet, nachdem es zerborsten, und plötzlich herab geschossen wäre, wie er uns denn in den Verfolg seiner Geschichts=Erzehlung deßfals nähere Nachricht zu ertheilen versprach. Immittelst war zu verwundern, und lustig anzusehen, wie, dem ohngeacht, der starcke Arm des Flusses seinen Ausfall allhier behalten, indem das Wasser mit gröster Gewalt, und an vielen Orten etliche Ellen hoch, zwischen dem Gesteine heraus stürtzte. Ohnfern vom Flusse betrachteten wir das vortreffliche und so höchst=nutzbare Saltz=Gebürge, in dessen gemachten Gruben das schönste Sal gemmæ oder Stein=Saltz war, und etwa 100. Schritt von demselben zeigte man uns 4. Lachen oder Pfützen, worinnen sich die schärffste Sole zum Saltz=Sieden befand, welche diejenigen Einwohner, so schön Saltz verlangten, in Gefässen an die Sonne setzten, das Wasser abrauchen liessen, und hernach das schönste, reinste Saltz aus dem Gefässe heraus schabten, gewöhnlicher Weise aber brauchten alle nur das feinste vom Stein=Saltze. Sonsten fand sich in dasigen Feldern ein Wein=Gebürge von sehr guter Art, wie sie uns denn, nebst allerhand guten Speisen, eine starcke Probe davon vortrugen, durch den Wald war eine breite Strasse gehauen, allwo man von der Alberts=Burg her, auf das unten [161] am Berge stehende Wacht=Hauß, gegen Westen sehen konte. Wie denn auch oben in die Felsen=Ecke ein Schilder=Hauß gehauen war, weil aber der Weg hinauf gar zu unbequem, stiegen wir dieses mahl nicht hinauf, zumahlen auch sonsten nichts gegen Westen zu sehen, als ein steiler biß in die offenbahre See hinunter steigender Felsen.

     Nachdem wir nun solchermassen zwey Drittel des Tages hingebracht, und bey guter Zeit zurück gekehret waren, besichtigten wir die Arbeit am Kirchen=Bau, und befanden daselbst die Zeichen solcher eifferiger Anstalten, dergleichen wir zwar von ihren Willen hoffen, von ihren Kräfften aber nimmermehr glauben können. Denn es war nicht allein schon eine ziemliche Quantität Steine, Kalck und Leimen herbey geschafft, sondern auch der Grund allbereits sehr weit ausgegraben. Unter unsern sonderbaren Freudens=Bezeugungen über solchen angenehmen Fortgang, rückte die Zeit zur Abend=Mahlzeit herbey, nach deren Genuß der Altvater in seinem Erzehlen folgender massen fortfuhr:

     Ich hatte mich, wie ich gestern Abend gesagt, auf dieser meiner Insul zur Ruhe gelegt, und zwar auf einem kleinen Hügel, der zwischen Alberts= und Davids=Raum befindlich ist, itzo aber ein gantz ander Ansehen hat. Indem die Einwohner nicht allein die Sträucher darauf abgehauen, sondern auch den mehresten Theil davon abgearbeitet haben. Meine Ruhe war dermassen vergnügt, daß ich mich nicht eher als des andern Morgens, etwa zwey Stunden nach Aufgang der Sonnen, er=[162]muntern konte. Ich schämete mich vor mir selbst, so lange geschlaffen zu haben, stund aber hurtig auf, nahm meine 5. gestern geschossene Rebhüner, schoß unter Wegs noch ein junges Reh, und eilete dem Wege zu, welcher mich zu meiner verlassenen Gesellschafft führen sollte.

     Mein Rückweg fand sich durch unverdrossenes Suchen weit leichter und sicherer als der gestrige, den ich mit Leib= und Lebens=Gefahr hinauf gestiegen war, derowegen machte ich mir bey jeder Umkehrung ein gewisses Zeichen, um denselben desto eher wieder zu finden, weil die vielen Absätze der Felsen von Natur einen würcklichen Irrgang vorstelleten. Mein junges Reh wurde ziemlich bestäubt, indem ich selbiges wegen seiner Schwere immer hinter mir drein schleppte, die Rebhüner aber hatte mit einem Bande an meinen Halß gehenckt, weil ich die Flinte statt eines Wander=Staabs gebrauchte. Endlich kam ich ohn allen Schaden herunter, und traff meine zurück gelassene Gesellschafft, eben bey der Mittags=Mahlzeit vor der Felsen=Herberge an. Mons. van Leuven und Concordia sprangen, so bald sie mich nur von ferne erblickten, gleich auf, und kamen mir entgegen gelauffen. Der erste umarmte und küssete mich, sagte auch: Monsieur Albert, der erste Bissen, den wir seit eurer Abwesenheit gegessen haben, steckt noch in unsern Munde, weil ich und meine Liebste die Zeit eurer Abwesenheit mit Fasten und gröster Betrübniß zugebracht haben. Fraget sie selbst, ob sie nicht seit Mitternachts=Zeit viele Thränen eurentwegen vergossen hat? Madame, gab ich lachend [163] zur Antwort, ich will eure kostbaren Thränen, in Abschlag mit 5. delicaten Rebhünern und einem jungen Reh bezahlen, aber, Monsieur van Leuven, wisset ihr auch, daß ich das schöne Paradieß entdeckt habe, woraus vermuthlich Adam und Eva durch den Cherub verjagt worden? Monsieur Albert, schrye van Leuven, habt ihr etwa das Fieber bekommen? oder phantasirt ihr auf andere Art? Nein, Monsieur, wiederredete ich, bey mir ist weder Fieber noch einige andere Phantasie, sondern lasset mich nur eine gute Mahlzeit nebst einem Glase Wein finden, so werdet ihr keine Phantasie, sondern eine wahrhafftige Erzehlung von allen dem, was mir GOtt und das Glücke gewiesen hat, aus meinem Munde hören können.

     Sie ergriffen beyde meine Arme, und führeten mich zu dem sich kranck zeigenden Lemelie, welcher aber doch ziemlich wohl von der zugerichteten Schild=Kröte und See=Kalbe essen konte, auch dem Wein=Becher keinen Zug schuldig blieb. Ich meines Theils ersättigte mich nach Nothdurfft, stattete hernachmahls den sämtlichen Anwesenden von meiner gethanen Reise den umständlichen Bericht ab, und dieser setzte meine Gefährten in so grosse Freude als Verwunderung. Mons. van Leuven wolte gleich mit, und das schöne Paradieß in meiner Gesellschafft besehen, allein, meine Müdigkeit, Concordiens gute Worte und des Lemelie Faulheit, fruchteten so viel, daß wir solches biß Morgenanbrechenden Tag aufschoben, immittelst aber desto sehnlicher auf ein vorbey seeglendes Schiff Achtung gaben, welches zwar immer in unsern [164] Gedancken, auf der See aber desto weniger zum Vorscheine kommen wolte.

     So bald demnach das angenehme Sonnen=Licht abermahls aus der See empor gestiegen kam, steckte ein jeder an Lebens=Mitteln, Pulver, Bley und andern Nothdürfftigkeiten so viel in seine Säcke, als er sich fortzubringen getrauete. Concordia durffte auch nicht ledig gehen, sondern muste vor allen andern in der Hand eine scharffe Radehaue mitschleppen. Ich führete nebst meiner Flinte und Rantzen eine Holtz=Axt, und suchte noch lange Zeit nach einem kleinen Hand=Beile, womit man dann und wann die verhinderlichen dünnen Sträucher abhauen könte, weil aber die Hand=Beile, ich weiß nicht wohin, verlegt waren, und meine 3. Gefährten über den langen Verzug ungedultig werden wolten, beschenckte mich Lemelie, um nur desto eher fortzukommen, mit einem artigen, 2. Finger breiten, zweyschneidigen und wohlgeschliffenen Stillet, welches man gantz wohl statt eines Hand=Beils gebrauchen, und hernachmahls zur Gegenwehr wider die wilden Thiere, mit dem Griffe in die Mündung des Flinten=Lauffs stecken konte. Ich hatte eine besondere Freude über das artige Instrument, danckte dem Lemelie fleißig davor, er aber wuste nicht, daß er hiermit ein solches kaltes Eisen von sich gab, welches ihm in wenig Wochen den Lebens=Faden abkürtzen würde, wie ihr in dem Verfolg dieser Geschichte gar bald vernehmen werdet. Doch da wir uns nunmehro völlig ausgerüstet, die Reise nach dem eingebildeten Paradiese anzutreten, ging ich als Weg=[165]weiser voraus, Lemelie folgte mir, Concordia ihm, und van Leuven schloß den gantzen Zug. Sie konten sich allerseits nicht gnugsam über meinen klugen Einfall verwundern, daß ich die Absätze der Felsen, welche uns auf die ungefährlichsten Stege führeten, so wohl gezeichnet hatte, denn sonsten hätte man wohl 8. Tage suchen, wo nicht gar Halß und Beine brechen sollen. Es ging zwar immer, je höher wir kamen, je beschwerlicher, sonderlich weil uns Concordiens Furchtsamkeit und Schwindel sehr viel zu schaffen machte, indem wir ihrentwegen hier und dar Stuffen einhauen musten. Doch erreichten wir endlich die alleroberste Höhe glücklich, allein, da es an den Sprung über die Felsen=Klufft gehen solte, war aufs neue Noth vorhanden, denn Concordia konte sich aus Furcht, zu kurtz zu springen und hinunter zu stürtzen, unmöglich darzu entschliessen, ohngeacht der Platz breit genug zum Ausholen war, derowegen musten wir dieselbe sitzen lassen, und unten im nächsten Holtze einige junge Bäume abhauen, welche wir mit gröster Mühe den Felsen wieder hinauf schleppten, Queer=Höltzer darauf nagelten und bunden, also eine ordentliche Brücke über diesen Abgrund schlugen, auf welcher nachhero Concordia, wiewohl dennoch mit Furcht und Zittern, sich herüber führen ließ.

     Ich will die ungemeinen Freudens=Bezeugungen meiner Gefährten, welche dieselben, da sie alles weit angenehmer auf dieser Gegend fanden, als ich ihnen die Beschreibung gemacht, mit Stillschweigen übergehen, und ohne unnöthige Weit=[166]läufftigkeit ferner erzehlen, daß wir nunmehro ingesamt anfingen das gantze Land zu durchstreichen, wobey Mons. van Leuven glücklicher als ich war, gewisse Merckmahle zu finden, woraus zu schliessen, daß sich ohnfehlbar vernünfftige Menschen allhier aufgehalten hätten, wo selbige ja nicht noch vorhanden wären. Denn es fand sich jenseit des etwa 12. bis 16. Schritt breiten Flusses an dem Orte, wo itzo Christians=Raum angebauet ist, ein mit zugespitzten Pfählen umsetzter Garten=Platz, in welchen sich annoch die schönsten Garten=Gewächse, wiewohl mit vielen Unkraut verwachsen, zeigten, wie nicht weniger schöne rare Blumen und etliche Stauden von Hülsen=Früchten, Weitzen, Reiß und andern Getrayde. Weiter hinwärts lagen einige Scherben von zerbrochenen Gefässen im Grase, und Sudwerts auf dem Wein=Gebürge, welches itzo zu Christophs= und Roberts=Raum gehöret, fanden sich einige an Pfähle fest gebundene Wein=Reben, doch war dabey zu muthmassen, daß das Anbinden schon vor etlichen Jahren müsse geschehen seyn. Hierauf besahen wir die See, aus welcher der sich in 2. Arme theilende Fluß entspringet, bemerckten, daß selbige nebst dem Flusse recht voll Fischen wimmelte, kehreten aber, weil die Sonne untergehen wolte, und Concordia sehr ermüdet war, zurück auf vorerwehntes erhabene Wein=Gebürge, und beschlossen, weil es eine angenehme Witterung war, daselbst über Nacht auszuruhen. Nachdem wir zu Abends gespeiset hatten, und das schönste Wild häuffig auf der Ebene herum spatziren sahen, beurtheilten wir alles, was uns heutiges [167] Tages zu Gesicht kommen war, und befunden uns darinnen einig, daß schwerlich ein schöner Revier in der Welt anzutreffen wäre. Nur wurde beklagt, daß nicht noch einige Familien zugegen seyn, und nebst uns diese fruchtbare Insul besetzen solten. Lemelie sagte hierbey: Ich schwere bey allen Heiligen, daß ich Zeit Lebens allhier in Ruhe zu bleiben die gröste Lust empfinde, es fehlen also nichts als zwey Weiber, vor mich und Mons. Albert, jedoch Monsieur, (sagte er zu Mons. van Leuven) was solte es wohl hindern, wenn wir uns bey dergleichen Umständen alle 3. mit einer Frau behülffen, fleißig Kinder zeugten, und dieselbe sodann auch mit einander verheyratheten. Mons. van Leuven schüttelte den Kopff, weßwegen Lemelie sagte: ha Monsieur, man muß in solchen Fällen die Eyfersucht, den Eigensinn und den Eckel bey Seite setzen, denn weil wir hiesiges Orts keiner weltlichen Obrigkeit unterworffen sind, auch leichtlich von Niemand beunruhiget zu werden fürchten dürffen, so können wir uns Gesetze nach eigenem Gefallen machen, dem Himmel aber wird kein Verdruß erwecket, weil wir ihm zur Danckbarkeit, darvor, daß er uns von allen Menschen abgesondert hat, eine gantz neue Colonie erzeugen.

     Monsieur van Leuven schüttelte den Kopff noch weit stärcker als vorhero, und gab zur Antwort: Mons. Lemelie, ihr erzürnet den Himmel mit dergleichen sündlichen Reden. Gesetzt aber auch, daß dieses, was ihr vorgebracht, vor Göttlichen und weltlichen Rechten wohl erlaubt wäre, so kan ich euch doch versichern, daß ich, so lange noch Adelich [168] Blut in meinen Adern rinnet, meine Concordia mit keinem Menschen auf der Welt theilen werde, weil sie mir und ich ihr allein auf Lebens=Zeit beständige Treue und Liebe zugeschworen.

     Concordia vergoß mittlerzeit die bittersten Thränen, schlug die Hände über den Kopffe zusammen, und schrye: Ach grausames Verhängniß, so hast du mich denn aus dem halb überstandenen Tode an solchen Ort geführet, wo mich die Leute an statt einer allgemeinen Hure gebrauchen wollen? O Himmel, erbarme dich! Ich vor meine Person hätte vor Jammer bald mit geweinet, legte mich aber vor sie auf die Knie, und sagte: Madame, ich bitte euch um GOttes willen, redet nicht von allen, da ihr euch nur über eine Person zu beschweren Ursach habt, denn ich ruffe GOtt und alle heiligen Engel zu Zeugen an, daß mir niemahls dergleichen frevelhaffte und höchst=sündliche Gedancken ins Hertz oder Haupt kommen sind, ja ich schwere noch auf itzo und folgende Zeit, daß ich eher dieses Stillet selbst in meinen Leib stossen, als euch den allergeringsten Verdruß erwecken wolte. Verzeihet mir, guter Albert, war ihre Antwort, daß ich unbesonnener Weise mehr als einen Menschen angeklagt habe. GOtt weiß, daß ich euch vor redlich, keusch und tugendhafft halte, aber der Himmel wird alle geilen Frevler straffen, das weiß ich gewiß. Worauf sich aus ihren schönen Augen ein neuer Thränen=Strohm ergoß, der den Lemelie dahin bewegte, daß er sich voller Trug und List, doch mit verstellter Aufrichtigkeit, auch zu ihren Füssen warff, und folgende Worte vorbrachte: Madame, [169] lasset euch um aller Heiligen willen erbitten, euer Betrübniß und Thränen zu hemmen, und glaubet mir sicherlich, alle meine Reden sind ein blosser Schertz gewesen, vor mir sollet ihr eure Ehre unbefleckt erhalten, und wenn wir auch 100. Jahr auf dieser Insul allein beysammen bleiben müsten. Monsieur van Leuven, euer Gemahl, wird die Güte haben, mich wiederum bey euch auszusöhnen, denn ich bin von Natur etwas frey im Reden, und hätte nimmermehr vermeinet, euch so gar sehr empfindlich zu sehen. Er entschuldigte seinen übel gerathenen Schertz also auch bey Mons. van Leuven, und nach einigen Wort=Wechselungen wurde unter uns allen ein vollkommener Friede gestifftet, wiewohl Concordia ihre besondere Schwermuth in vielen nachfolgenden Tagen noch nicht ablegen konte.

     Wir brachten die auf selbigen streitigen Abend eingebrochne Nacht in süsser Ruhe hin, und spatzirten nach eingenommenen Frühstück gegen Süden um die See herum, traffen abermahls die schönsten Weinberge und Metall in sich haltende Steine an, wie nicht weniger die Saltz=Lachen und Berge, welche ihr heute nebst mir in dem Stephans=Raumer Felde besichtigt habt. Allhier konte man nicht durch den Arm des Flusses kommen, indem derselbe zwar eben nicht breiter, doch viel tieffer war als der andere, durch welchen wir vorigen Tages gantz gemächlich hindurch waden können. Demnach musten wir unsern Weg wieder zurück, um die See herum, nach demjenigen Ruhe=Platze nehmen, wo es sich verwichene Nacht so sanfft geschlaffen hatte. Weil es aber annoch hoch Tag war, beliebten wir [170] etwas weiter zu gehen, setzten also an einem seichten Orte durch den Fluß, und gelangeten auf gegenwärtigem Hügel, der itzo meine so genannte Alberts=Burg und unsere Personen trägt.

     Dieser mitten in der Insul liegende Hügel war damals mit dem allerdicksten, wiewol nicht gar hohem, Gepüsche bewachsen, indem wir nun bemühet waren, eine bequeme Ruhe=Städte daselbst auszusuchen, geriethen Mons. van Leuven, und Concordia von ohngefähr auf einen schmalen durch das Gesträuche gehauenen Weg, welcher dieselben in eine der angenehmsten Sommer=Läuben führete. Sie rieffen uns beyde zurückgebliebenen dahin, um dieses angenehme Wunderwerck nebst dessen Bequemlichkeit mit uns zu theilen, da wir denn sogleich einstimmig bekennen musten, daß dieses kein von der Natur, sondern von Menschen Händen gemachtes Werck seyn müsse, denn die Zacken waren oben allzukünstlich, als ein Gewölbe zusammen geflochten, so daß, wegen des sehr dick auf einander liegenden Laubwercks, kein Tropffen Wasser durchdringen konte, über dieses gab der Augenschein, daß der Baumeister vor diesen an 3en Seiten rechte Fenster=Löcher gelassen, welche aber nunmehro gantz wild verwachsen waren, zu beyden Seiten des Eingangs hingegen, stunden 2. oben abgesägte Bäume, deren im Bogen geschlungene Zweige ein ordentliches Thür=Gewölbe formirten.

     Es war in diesem grünen Lust=Gewölbe mehr Platz, als 4. Personen zur Noth bedurfften, weßwegen Mons. van Leuven vorschlug, daß wir sämtlich darinnen schlaffen wolten, allein Lemelie [171] war von solcher unerwarteten Höfflichkeit, daß er so gleich heraus brach: Mons. van Leuven, der Himmel hat euch beyden Verliebten aus besondern vorbedacht zuerst in dieses angenehme Quartier geführet, derowegen brauchet eure Bequemlichkeit alleine darinnen, Mons. Albert wird euch so wenig als ich darinnen zu stöhren willens seyn, hergegen sich, nebst mir, eine andere gute Schlaf=Stelle suchen. Wie sehr sich nun auch Mons. van Leuven und seine Gemahlin darwider zu setzen schienen, so musten sie doch endlich uns nachgeben und bewilligen, daß dieses artige Quartier des Nachts vor sie allein, am Tage aber, zu unser aller Bequemlichkeit dienen solte.

     Also liessen wir die beyden alleine, und baueten, etwa 30. Schritte von dieser, in der Geschwindigkeit eine andere ziemlich bequeme Schlaf=Hütte vor Lemelie und mich, brachten aber selbige in folgenden Tagen erstlich recht zum Stande. Von nun an waren wir eifrigst bemühet, unsere nöthigsten Sachen von der Sand=Banck über das Felsen=Gebürge herüber auf die Insul zu schaffen, doch diese Arbeit kostete manchen Schweiß=Tropffen, indem wir erstlich viele Stuffen einarbeiten musten, um, mit der tragenden Last recht fussen und fortkommen zu können. Da aber dergleichen Vornehmen wenig förderte, und die Felsen in einem Tage, nicht wol mehr als 2. mal zu besteigen waren, fiel uns eine etwas leichtere Art ein, worbey zugleich auch ein weit mehreres hinauff gebracht werden konte. Denn wir machten die annoch beybehaltenen Tauen und Stricke von dem Schiffs=Stücke [172] vollends loß, bunden die Sachen in mäßige Packe legten von einem Absatze zum andern Stangen an, und zohen also die Ballen mit leichter Mühe hinauf, wobey Lemelie seinen Fleiß gantz besonders zeigte. Mittlerweile war Concordia gantz allein auf der Insul, übte sich fleißig im Schiessen, denn wir hatten eine gute quantität unverdorbenes Pulver im Vorrath, fieng anbey so viel Fische als wir essen konten, und ließ uns also an gekochten und gebratenen Speisen niemals Mangel leyden, obschon unser Zwieback gäntzlich verzehret war, welchen Mangel wir aber mit der Zeit schon zu ersetzen verhofften, weil wir die wenigen Waitzen und andern Geträyde=Aehren, wol umzäunt, und vor dem Wilde verwahrt hatten, deren Körner im Fall der Noth zu Saamen aufzuheben, und selbige zu vervielfältigen, unser hauptsächliches Absehen war.

     Der erste Sonntag, den wir, laut Anzeigung der bey uns führenden Calender, auf dieser Insul erlebten, war uns ein höchst angenehmer erfreulicher Ruhe=Tag, an welchen wir alle gewöhnliche Wochen=Arbeit liegen liessen, und den gantzen Tag mit beten, singen und Bibel=lesen zubrachten, denn Concordia hatte eine Englische, und ich eine Hochteutsche Bibel, nebst einem Gesang und Gebet=Buche, mit gerettet, welches beydes ich auch noch biß auf diesen Tag, GOTT lob, als ein besonderes Heiligthum aufbehalten habe. Die Englischen Bücher aber sollen euch ehester Tages in Roberts=Raum gezeiget werden.

     Immittelst ist es etwas nachdenckliches, daß dazumal auf dieser Insul unter uns 4. Personen, die [173] 3. Haupt=Secten des christlichen Glaubens anzutreffen waren, weil Mons. van Leuven, und seine Frau der Reformirten, ich Albert Julius, als ein gebohrner Sachse, der damals so genannten Lutherischen, und Lemelie, als ein Frantzose, der Römischen Religion des Pabsts beypflichteten. Die beyden Ehe=Leute und ich konten uns im beten und singen gantz schön vereinigen, indem sie beyde ziemlich gut teutsch verstunden und redeten; Lemelie aber, der doch fast alle Sprachen, ausser den Gelehrten Haupt=Sprachen, verstehen und ziemlich wol reden konte, hielt seinen Gottesdienst von uns abgesondert, in selbst erwehlter Einsamkeit, worinnen derselbe bestanden, weiß ich nicht, denn so lange wir mit ihm umgegangen, hat er wenig Gottgefälliges an sich mercken lassen.

     Am gedachten Sonntage gegen Abend gieng ich unten an der Seite des Hügels nach dem grossen See zu, etwas lustwandeln herum, schurrte von ohngefähr auf dem glatten Grase, und fiel in einen mit dünnen Sträuchern verdeckten Graben über 4. Ellen tieff hinunter, worüber ich anfänglich hefftig erschrack, und in einem Abgrund zu seyn glaubte, doch da ich mich wieder besonnen, und nicht den geringsten Schaden an meinem Leibe vermerckt, rafften sich meine zittrenden Glieder eilig auf. Im Umkehren aber wurden meine Augen einer finstern Höle gewahr, welche mit allem Fleisse in den Hügel hinein gearbeitet zu seyn schiene.

     Ich gieng biß zum Eintritt derselben getrost hin, da aber nichts als eine dicke Finsterniß zu sehen war, über dieses eine übelriechende Dunst mir einen be=[174]sondern Eckel verursachte, fieng meine Haut an zu schauern, und die Haare begonten Berg auf zu stehen, weßwegen ich eiligst umwandte, und mit fliegenden Schritten den Rückweg suchte, auch gar bald wiederum bey Mons. van Leuven und Concordien ankam. Beyde hatten sogleich meine blasse Farbe und hefftige Veränderung angemerckt, weßwegen ich auf ihr Befragen alles erzehlte, was mir begegnet war. Doch Mons. von Leuven sagte: Mein Freund, ihr seyd zuweilen ein wenig allzu neugierig, wir haben nunmehro, GOtt sey Lob, genung gefunden, unser Leben so lange zu erhalten, biß uns der Himmel Gelegenheit zuschickt an unsern erwehlten Ort zu kommen, derowegen lasset das unnütze Forschen unterwegen, denn wer weiß ob sich nicht in dieser Höle die gifftigen Thiere aufhalten, welche euch augenblicklich ums Leben bringen könten. Ihr habt recht, mein Herr, gab ich zur Antwort, doch dieses mal ist mein Vorwitz nicht so viel schuld, als das unverhoffte Hinunterfallen, damit auch dergleichen hinführo niemanden mehr begegnen möge, will ich die Sträucher rund herum abhauen, und alltäglich eine gute Menge Erde abarbeiten, biß diese eckle Grufft vollkommen zugefüllet ist. Mons. van Leuven versprach zu helfen, Concordia reichte mir ein Gläßlein von dem noch sehr wenigen Vorrathe des Weins, nebst 2. Stücklein Hertzstärckenden Confects, welches beydes mich gar bald wiederum erquickte, so daß ich selbigen Abend noch eine starcke Mahlzeit halten, und nach verrichteten Abend=Gebet, mich gantz [175] aufgeräumt neben den Lemelie schlafen legen konte.

     Allein, ich habe Zeit meines Lebens keine ängstlichere Nacht als diese gehabt. Denn etwa nach Mitternacht, da ich selbst nicht wuste ob ich schlieff oder wachte, erschien mir ein langer Mann, dessen weisser Bart fast biß auf die Knie reichte, mit einem langen Kleide von rauchen Thier=Häuten angethan, der auch dergleichen Mütze auf dem Haupte, in der Hand aber eine grosse Lampe mit 4. Dachten hatte, dergleichen zuweilen in den Schiffs=Laternen zu brennen pflegen. Dieses Schreckens=Bild trat gleich unten zu meinen Füssen, und hielt mir folgenden Sermon, von welchen ich noch biß diese Stunde, wie ich glaube, kein Wort vergessen habe: Verwegner Jüngling! was wilstu dich unterstehen diejenige Wohnung zu verschütten, woran ich viele Jahre gearbeitet, ehe sie zu meiner Bequemlichkeit gut genung war. Meinestu etwa das Verhängniß habe dich von ohngefähr in den Graben gestossen, und vor die Thür meiner Höle geführet? Nein keines wegs! Denn weil ich mit meinen Händen 8. Personen auf dieser Insul aus christlicher Liebe begraben habe, so bistu auserkohren meinem vermoderten Cörper eben dergleichen Liebes=Dienst zu erweisen. Schreite derowegen ohne alle Bekümmerniß gleich morgenden Tages zur Sache, und durchsuche diejenige Höle ohne Scheu, welche du gestern mit Grausen verlassen hast, woferne dir anders deine zeitliche Glückseligkeit lieb ist. Wisse auch, daß der Himmel etwas besonderes mit dir vor hat. Deine Glückseeligkeit aber wird sich nicht [176] eher anheben, biß du zwey besondere Unglücks=Fälle erlitten, und diesem deinen Schlaf=Gesellen, zur bestimmten Zeit den Lohn seiner Sünden gegeben hast. Mercke wohl was ich dir gesagt habe, erfülle mein Begehren, und empfange dieses Zeichen, um zu wissen, daß du nicht geträumet hast.

     Mit Endigung dieser letzten Worte, drückte er mich, der ich im grösten Schweisse lag, dermassen mit einem seiner Finger oben auf meine rechte Hand, daß ich laut an zu schreyen fieng, worbey auch zugleich Licht und alles verschwand, so, daß ich nun weiter nichts mehr, als den ziemlich hellen Himmel durch die Laub=Hütte blicken sahe.

     Lemelie, der über mein Geschrey auffuhr, war übel zufrieden, daß ich ihm Unruh verursachte, da ich aber aus seinen Reden vermerckt, daß er weder etwas gesehen noch gehöret hätte, ließ ich ihn bey den Gedancken, daß ich einen schweren Traum gehabt, und stellete mich an, als ob ich wieder schlaffen wolte, wiewol ich nachfolgende Zeit biß an hellen Morgen ohne Ruh, mit Uberlegung dessen, was mir begegnet war, zubrachte, an meiner Hand aber einen starck mit Blut unterlauffenen Fleck sahe.

     So bald zu muthmassen, daß Mons. van Leuven aufgestanden, verließ ich gantz sachte meine Lagerstatt, verfügte mich zu ihm, und erzehlete, nachdem ich ihn etwas ferne von der Hütte geführet, alles aufrichtig, wie mir es in vergangener Nacht ergangen. Er umarmete mich freundlich, und sagte: Mons. Albert, ich lerne immer mehr und mehr erkennen, daß ihr zwar das Glück, selbiges aber euch noch weit mehr suchet, derowegen biete ich mich zu euren Bru=[177]der an, und hoffe ihr werdet mich nicht verschmähen, wir wollen gleich itzo ein gut præservativ vor die bösen Dünste einnehmen, und die Höle in GOttes Nahmen durchsuchen, denn das Zeichen auf eurer Hand hat mich erstaunend und glaubend gemacht, daß der Verzug nunmehro schädlich sey. Aber Lemelie! Lemelie, sagte er weiter, macht mir das Hertze schwer, so offt ich an seine übeln Gemüths=Regungen gedencke, wir haben gewiß nicht Ursach uns seiner Gesellschafft zu erfreuen, GOTT steure seiner Boßheit, wir wollen ihn zwar mit zu diesem Wercke ziehen; Allein mein Bruder! verschweiget ihm ja euer nächtliches Gesichte, und saget: ihr hättet einen schweren Traum gehabt, welcher euch schon wieder entfallen sey.

     Dieser genommenen Abrede kamen wir in allem genau nach, beredeten Concordien, an den Fluß fischen zu gehen, eröffneten dem Lemelie von unserm Vorhaben, so viel als er wissen solte, und giengen alle 3. gerades Wegs nach der unterirrdischen Höle zu, nachdem ich in eine, mit ausgelassenen Seekalbs=Fett, angefüllte eiserne Pfanne, etliche angebrannte Tochte gelegt, und dieselbe an statt einer Fackel mitgenommen hatte.

     Ich gieng voran, Lemelie folgte mir, und Mons. van Leuven ihm nach, so bald wir demnach in die fürchterliche Höle, welche von meiner starck brennenden Lampe überall erleuchtet wurde, eingetreten waren, erschien ein starcker Vorrath allerhand Haußgeräths von Kupffer, Zinn und Eisenwerck, nebst vielen Pack=Fässern, und zusammen gebundenen Ballen, welches alles aber ich nur oben hin be=[178]trachtete, und mich rechter Hand nach einer halb offenstehenden Seiten=Thür wandte. Nachdem aber selbige völlig eröffnet hatte, und gerade vor mich hingieng, that der mir folgende Lemelie einen lauten Schrey und sanck ohnversehens in Ohnmacht nieder zur Erde. Wolte GOTT, seine lasterhaffte Seele hätte damals den schändlichen Cörper gäntzlich verlassen! so aber riß ihn van Leuven gleich zurück an die frische Lufft, rieb ihm die Nase und das Gesicht so lange, biß er sich etwas wieder ermunterte, worauff wir ihn allda liegen liessen, und das Gewölbe rechter Hand, aufs neue betraten. Hier kam uns nun dasjenige, wovor sich Lemelie so grausam entsetzt hatte, gar bald zu Gesichte. Denn in dem Winckel lincker Hand saß ein solcher Mann, dergleichen mir vergangene Nacht erschienen, auf einem in Stein gehauenen Sessel, als ob er schlieffe, indem er sein Haupt mit dem einen Arme auf den darbey befindlichen Tisch gestützt, die andere Hand aber auf dem Tische ausgestreckt liegen hatte. Uber dem Tische an der Wand hieng eine 4.eckigte Lampe, und auf demselben waren, nebst etlichen Speise= und Trinck=Geschirren, 2. grosse, und eine etwas kleinere Tafel mit Schrifften befindlich, welche 3. letztern Stücke wir heraus ans Licht trugen, und in der ersten Tafel, die dem Ansehen nach aus einem Zinnern Teller geschlagen, und sauber abgeschabt war, folgende Lateinische Zeilen eingegraben sehen, und sehr deutlich lesen konten.

     Mit diesen Worten stund unser Altvater Albertus Julius auf, und langete aus einem Kasten ver=[179]schiedene Brieffschafften, ingleichen die erwehnten 3. Zinnern Tafeln, welche er biß dahero fleißig aufgehoben hatte, überreichte eine grosse, nebst der kleinen, an Herr M. Schmeltzern, und sagte: Mein Herr! ihr werdet allhier das Original selbst ansehen, und uns selbiges vorlesen. Dieser machte sich aus solcher Antiquität eine besondere Freude, und laß uns folgendes ab:

ADvena!
quisquis es
si mira fata te in meum mirum domicilium
forsitan mirum in modum ducent,
sceleto meo præter opinionem conspecto,
nimium ne obstupesce,
sed cogita,
te, noxa primorum parentum admissa, iisdem
fatis
eidemque mortalitati esse obnoxium.
Quod reliqvum est,
reliqvias mei corporis ne sine insepultas
relinqui; Mortuus enim me mortuum ipse sepelire
non potui.
Christianum, si Christianus vel ad minimum
homo es, decet
honesta exsequiarum justa solvere Christiano,
qui totam per vitam laboravi,
ut in Christum crederem, Christo viverem,
Christo denique morerer.
Pro tuo labore parvo, magnum feres præmium.
[180] Nimirum
Si tibi fortuna, mihi multos per annos
negata, contingit,
ut ad dissociatam hominum societatem
iterum consocieris,
pretiosissimum operæ pretium ex hac spelunca
sperare & in spem longæ felicitatis tecum
auferre poteris;
Sin vero mecum cogeris
In solitudine solus morti obviam ire
nonnulla memoratu dignissima scripta
quæ in mea sella, saxo incisa, jacent
recondita,
Tibi fortasse erunt & gaudio & usui.
En!
grato illa accipe animo,
Aura secunda tuæ navis vaga vela secundet!
sis me felicior,
quamvis me nunquam adeo infelicem dixerim!
Vale, Advena, vale,
manda rogatus me terræ
Et crede, Deum, qvem colui, daturum,
ut bene valeas.

     Auf dem kleinen Täfflein aber, welches, unsers Altvaters Aussage nach, halb unter des Verstorbenen rechter Hand verdeckt gelegen, waren diese Zeilen zu lesen.

Natus sum d. IX. Aug. MCCCCLXXV.
Hanc Insulam attigi d. XIV. Nov. MDXIIII.
Sentio, me, ætate confectum, brevi moriturum esse, licet nullo morbo, nullisque doloribus opprimar. Scriptum id est d. XXVII. Jun. MDCVI.
Vico quidem, sed morti proximus, d. XXVIII. XXIX. & XXX. Junii.
Adhuc d. I. Jul. II. III. IV.

     Nachdem wir über diese sonderbare Antiquität und die sinnreiche Schrifft, welche gewiß aus keinem ungelehrten Kopffe geflossen war, noch ein und anderes Gespräch gehalten hatten, gab mir der Altvater Albertus die drey Zinnern Tafeln, (wovon die eine eben dasselbe in Spanischer Sprache zu vernehmen gab, was wir auf der grossen Lateinisch gelesen,) nebst den übrigen schrifftlichen Uhrkunden in Verwahrung, mit dem Befehle: Daß ich alles, was Lateinisch wäre, bey künfftigen müßigen Stunden ins Hoch=Teutsche übersetzen solte, welches ich auch mit ehesten zu liefern versprach. Worauff er uns nach verrichteten Abend=Gebeth beurlaubte, und sich zur Ruhe legte.

     Ich Eberhard Julius hingegen war nebst Hn. M. Schmeltzern viel zu neugierig, um zu wissen was die alten Brieffschafften in sich hielten, da wir denn in Lateinischer Sprache eine Lebens=Beschreibung des Spanischen Edelmanns Don Cyrillo de Valaro darunter fanden, (welches eben der 131. jährige Greiß war, dessen Cörper damals in der Höle unter dem Alberts=Hügel gefunden worden,) und biß zu Mitternacht ein Theil derselben, mit gröstem Vergnügen, durchlasen.  Ich habe dieselbe nachhero so zierlich, als es mir damals möglich, ins Hoch=Teutsche übersetzt, allein um den geneigten Le=[182]ser in den Geschichten keine allzugrosse Verwirrung zu verursachen, vor besser gehalten, dieselbe zu Ende des Wercks, als einen Anhang, beyzufügen, weil sie doch hauptsächlich zu der Historie von dieser Felsen=Insul mit gehöret. Inzwischen habe einiger, im Lateinischen vielleicht nicht allzu wohl erfahrner Leser wegen, die auf den Zinnern Tafeln eingegrabene Schrifft, teutsch anhero zu setzen, vor billig und nöthig erachtet. Es ist mir aber solche Verdollmetschung, dem Wort=Verstande nach, folglich gerathen:

ANkommender Freund!
wer du auch bist
Wenn dich vielleicht das wunderliche Schicksal in
diese wunderbare Behausung wunderbarer
Weise führen wird,
so erstaune nicht allzusehr über die unvermuthete
Erblickung meines Gerippes,
sondern gedencke,
daß du nach dem Fall der ersten Eltern eben dem
Schicksal, und eben der Sterblichkeit
unterworffen bist.
Im übrigen
laß das Uberbleibsel meines Leibes nicht
unbegraben liegen,
Denn weil ich gestorben bin, habe ich mich
Verstorbenen nicht selbst begraben können.
Einen Christen
wo du anders ein Christ, oder zum wenigsten ein
Mensch bist,
stehet zu
einen Christen ehrlich zur Erde zu bestatten,
[183] Da ich mich in meinem gantzen Leben bestrebt,
daß ich an Christum gläubte, Christo lebte,
und endlich Christo stürbe.
Du wirst vor deine geringe Arbeit eine grosse
Belohnung erhalten.
Denn wenn dir das Glücke, dasjenige, was es mir
seit vielen Jahren her verweigert hat,
wiederfahren lässet,
nemlich, daß du dich wieder zu der abgesonderten
Gesellschafft der Menschen gesellen könnest;
So wirstu dir eine kostbare Belohnung zu
versprechen, und dieselbe aus dieser Höle mit
hinweg zu nehmen haben;
Wenn du aber so, wie ich, gezwungen bist,
In dieser Einsamkeit als ein Einsiedler dem Tode
entgegen zu gehen;
So werden doch einige merckwürdige
Schrifften, die in meinem in Stein gehauenen Sessel
verborgen liegen,
dir vielleicht erfreulich und nützlich seyn.
Wohlan!
Nimm dieselben mit danckbaren Hertzen an,
der gütige Himmel mache dich beglückt,
und zwar glücklicher als mich,
wiewohl ich mich niemals vor recht unglücklich
geschätzt habe.
Lebe wohl ankommender Freund! Lebe wohl,
höre meine Bitte, begrabe mich;
Und glaube, daß GOTT, welchem ich gedienet,
geben wird:
Daß du wohl lebest.

     [184] Die Zeilen auf der kleinen Tafel, bedeuten in teutscher Sprache so viel:

Ich bin gebohren den 9. Aug. 1475.
Auf diese Insul gekommen, den 14. Nov. 1514.
Ich empfinde, daß ich Alters halber in kurtzer Zeit sterben werde, ohngeacht ich weder Kranckheit, noch einige Schmertzen empfinde. Dieses habe ich geschrieben am 27. Jun. 1606.
Ich lebe zwar noch, bin aber dem Tode sehr nahe, d. 28.29. und 30. Jun. und noch d. 1. Jul. 2.3.4.

     Jedoch ich fahre nunmehro in unsern eigenen Geschichten fort, und berichte dem geliebten Leser, daß wir mit Anbruch folgendes Donnerstags. d. 22. Novembr. uns nebst dem Altvater Albert Julio aufmachten, und die Pflantz=Städte Jacobs=Raum besuchten, welche aus 9. Wohn=Häusern, die mit allem Zubehör wol versehen waren, bestund.

     Wiewol nun dieses die kleineste Pflantz=Stadt und schwächste Gemeine war, so befand sich doch bey ihnen alles in der schönsten Haußhaltungs=Ordnung, und hatten wir an der Einrichtung und besondern Fleisse, ihrem Verstande nach, nicht das geringste auszusetzen. Sie waren beschäfftiget, die Gärten, Saat, Felder, und sonderlich die vortrefflichen Weinstöcke, welche auf dem dasigen Gebürge in grosser Menge gepflantzt stunden, wol zu warten, indem es selbiger Zeit etwa 9. oder 10. Wochen vor der gewöhnlichen Wein=Erndte, bey den Feld=Früchten aber fast Erndte=Zeit war. Mons. Litzberg und Plager, untersuchten das Eingeweyde des [185] dasigen Gebürges, und fanden verschiedene Arten Steine, welche sehr reichhaltig von Kupffer und Silber=Ertz zu seyn schienen, die sie auch nachhero in der Probe unvergleichlich kostbar befanden. Nachdem wir aber auf der Rückkehr von den Einwohnern mit dem herrlichsten Weine, verschiedenen guten Speisen und Früchten, aufs beste tractirt waren, ihnen, gleichwie allen vorhero besuchten Gemeinen, 10. Bibeln, 20. Gesang= und Gebet=Bücher, auch allerhand andere feine nützliche Sachen, so wol vor Alte als Junge verehret hatten, kamen wir bey guter Zeit wiederum in der Alberts=Burg an, besuchten die Arbeiter am Kirchen=Bau auf eine Stunde, nahmen die Abend=Mahlzeit ein, worauff unser Altvater, nachdem er das Tisch=Gebeth gethan, unsere Begierde alsofort gemerckt, sich lächelnd in seinen Stuhl setzte, und die gestern abgebrochene Erzählung also fortsetzte:

     Ich bin, wo mir recht ist, gestern Abend dabey geblieben: Da wir die Zinnernen Tafeln an das Tages=Licht trugen, und die eingegrabenen Schrifften ausstudirten. Mons. van Leuven und ich, konten das Latein, Lemelie aber, der sich von seinem gehabten Schrecken kaum in etwas wieder erholet, das Spanische, welches beydes doch einerley Bedeutung hatte, gantz wol verstehen. Ich aber kan mit Warheit sagen, daß so bald ich nur des letzten Willens, des Verstorbenen Don Cyrillo de Valaro, hieraus völlig versichert war, bey mir im Augenblicke alle annoch übrige Frucht verschwand. Meine Herren! sagte ich zu meinen Gefährten, wir sind schuldig dasjenige zu erfüllen, was dieser ohn=[186]fehlbar seelig verstorbene Christ so sehnlich begehret hat, da wir ausser dem uns eine stattliche Belohnung zu versprechen haben. Mons. van Leuven war so gleich bereit, Lemelie aber sagte: Ich glaube nicht, daß die Belohnung so sonderlich seyn wird, denn die Spanier sind gewohnt, wo es möglich ist, auch noch nach ihrem Tode rodomontaden vorzumachen. Derowegen versichere, daß mich eher und lieber mit zwey See=Räubern herum schlagen, als mit dergleichen Leiche zu thun haben wolte; Jedoch euch als meinen Gefährten zu Gefallen, will ich mich auch bey dieser häßlichen Arbeit nicht ausschlüssen.

     Hierauf lieff ich fort, langete ein grosses Stück alt Seegel=Tuch, nebst einer Hacke und Schauffel, welche 2. letztern Stück ich vor der Höle liegen ließ, mit dem Tuche aber begaben wir uns abermahls in die unterirrdische Höle. Mons. van Leuven wolten den Cörper bey den Schultern, ich aber dessen Schenckel anfassen; allein, kaum hatten wir denselben etwas angeregt, da er auf einmahl mit ziemlichen Geprassele in einen Klumpen zerfiel, worüber Lemelie aufs neue dermassen erschrack, daß er seinen Kopff zwischen die Ohren nahm, und so weit darvon lieff, als er lauffen konte. Mons. van Leuven und ich erschracken zwar anfänglich auch in etwas, da wir aber überlegten, daß dieses natürlicher Weise nicht anders zugehen, und weder von unserm Versehen noch andern übernatürlichen Ursachen herrühren könte; Lasen und strichen wir die Gebeine und Asche des seeligen Mit=Bruders zusammen auf das ausgebreitete Seegel=[187]Tuch, trugen selbiges auf einen schönen grünen Platz in die Ecke, wo sich der aus dem grossen See entspringende Fluß in zwey Arme theilet, machten daselbst ein feines Grab, legten alles ordentlich zusammen gebunden hinein, und beschlossen, ihm, nach erlangten fernern Uhrkunden, mit ehesten eine Gedächtniß=Säule zu setzen. Ob nun schon der gute van Leuven durch seinen frühzeitigen und bejammerens=würdigen Tod dieses Vorhaben mit auszuführen verhindert wurde, so ist es doch nachhero von mir ins Werck gerichtet worden, indem ich nicht allein dem Don Cyrillo de Valaro, sondern auch dem ehrlichen van Leuven und meiner seel. Ehe=Frau der Concordia, jedem eine besondere Ehren= dem gottlosen Lemelie aber eine Schand=Säule zum Gedächtniß über die Gräber aufgerichtet habe.

     Diese Säulen nebst den Grabschrifften, sagte hier Albertus, sollen euch, meine Freunde, ehester Tages zu Gesichte kommen, so bald wir auf dem Wege nach Christophs=Raum begriffen seyn werden. Jedoch ich wende mich wieder zur damahligen Geschicht.

     Nachdem wir, wie bereits gedacht, dem Don Cyrillo nach seinem Begehren den letzten Liebes=Dienst erwiesen, seine Gebeine wohl verscharret, und einen kleinen Hügel darüber gemacht hatten, kehreten wir gantz ermüdet zur Concordia, welche uns eine gute Mittags=Mahlzeit bereitet hatte. Lemelie kam auch gar bald herzu, und entschuldigte seine Flucht damit, daß er unmöglich mit verfauleten Cörpern umgehen könne. Wir lächelten [188] hierzu, da aber Concordia gleichfals wissen wolte, was wir heute vor eine besondere Arbeit verrichtet hätten, erzehlten wir derselben alles umständlich. Sie bezeugte gleich nach der Mahlzeit besondere Lust mit in die Höle zu gehen, da aber Mons. van Leuven, wegen des annoch darinnen befindlichen übeln Geruchs, ihr davon abrieth, und ihre Begierde biß auf ein paar Tage zu hemmen bat; gab sie sich gar bald zu frieden, ging wieder aus aufs Jagen und Fischen, wir 3. Manns=Personen aber in die Höle, weil unsere grosse Lampe annoch darinnen brandte.

     Nunmehro war, nachdem wir, den moderigen Geruch zu vertreiben, etliche mahl ein wenig Pulver angezündet hatten, unsere erste Bemühung, die alten Uhrkunden, welche in den steinernen Sessel verwahrt liegen solten, zu suchen. Demnach entdeckten wir im Sitze ein viereckigtes Loch, in welches ein wohlgearbeiteter Deckel eingepasset war, so bald nun derselbe ausgehoben, fanden sich oben auf die in Wachs eingefütterten geschriebenen Sachen, die ich euch, mein Vetter und Sohn, gestern Abend eingehändiget habe, unter denselbigen ein güldener Becher mit unschätzbaren Kleinodien angefüllet, welcher in den schönsten güldenen Müntzen vielerley Gepräges und Forme vergraben stund. Wir gaben uns die Mühe, dieses geraumliche Loch, oder den verborgenen Schatz=Kasten, gantz auszuräumen, weil wir aber weiter weder Briefschafften noch etwas anders fanden, schütteten wir 18. Hüte voll Gold=Müntze wieder hinein, nahmen den Gold=Becher nebst den Briefschafften [189] zu uns, und gingen, um die letztern recht durch zu studiren, hinauf in Mons. van Leuvens grüne Hütte, allwo wir den übrigen Theil des Tages biß in die späte Nacht mit Lesen und Verteutschen zubrachten, und allerhand höchst=angenehme Nachrichten fanden, die uns und den künfftigen Bewohnern der Insul gantz vortreffliche Vortheile versprechen konten.

     Es war allbereit an dem, daß der Tag anbrechen wolte, da van Leuven und ich, wiewohl noch nicht vom Lesen ermüdet, sondern morgender Arbeit wegen die Ruhe zu suchen vor dienlich hielten; indem Concordia schon schlieff, der faule Lemelie aber seit etlichen Stunden von uns zu seiner Schlaf=Stätte gegangen war. Ich nahm derowegen meinen Weg auch dahin, fand aber den Lemelie unter Weges, wohl 10. Schritt vor unserer Hütte, krum zusammen gezogen liegen, und als ein Wurm winseln. Auf Befragen, was er da mache? fing er entsetzlich zu fluchen, und endlich zu sagen an: Vermaledeyet ist der verdammte Cörper, den ihr diesen Tag begraben habt, denn das verfluchte Scheusal, über welches man ohnfehlbar keine Seelmessen gehalten hat, ist mir vor etlichen Stunden erschienen, und hat meinen Leib erbärmlich zugerichtet. Ich gedachte gleich in meinen Hertzen, daß dieses seiner Sünden Schuld sey, indem ich von Jugend auf gehöret, daß man mit verstorbenen Leuten kein Gespötte treiben solle; wolte ihn auch aufrichten, und in unsere Hütte führen, doch weil er dahin durchaus nicht wolte, brachte ich den elenden Menschen endlich mit grosser Mü=[190]he in Mons. van Leuvens Hütte. Wiewohl ich nicht vergessen hatte, ihn zu bitten, um der Concordia willen, nichts von dem, was ihm begegnet wäre, zu sagen, sondern eine andere Unpäßlichkeit vorzuwenden. Er gehorchte mir in diesem Stücke, und wir schlieffen also, ohne die Concordia zu erwecken, diese Nacht in ihrer Hütte.

     Lemelie befand sich folgenden Tages todtkranck, und ich selber habe noch selbigen Tag fast überall seinen Leib braun und blau, mit Blute unterlauffen, gesehen, doch weil es ihm leyd zu seyn schien, daß er mir sein ausgestandenes entdeckt, versicherte ich ihm, selbiges so wohl vor Mons. van Leuven als dessen Gemahlin geheim zu halten, allein, ich sagte es doch gleich bey erster Gelegenheit meinem besten Freunde.

     Wir musten ihn also diesen und viele folgende Tage unter der Concordia Verpflegung liegen lassen, gingen aber beyde zusammen wiederum in die unterirrdische Höle, und fanden, beschehener Anweisung nach, in einem verborgenen Gewölbe über 3. Scheffel der auserlesensten und kostbarsten Perlen, nächst diesen einen solchen Schatz an gediegenen Gold= und Silber=Klumpen, edlen Steinen und andern Kostbarkeiten, worüber wir gantz erstaunend, ja fast versteinert stehen blieben. Uber dieses eine grosse Menge von allerhand vor unsere Personen höchstnöthigen Stücken, wenn wir ja allenfalls dem Verhängnisse auf dieser Insul Stand halten, und nicht wieder zu anderer menschlicher Gesellschafft gelangen solten.

 
 
 
 
<<< Übersicht  <<< vorige Seite  nächste Seite >>>