BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Charlotte von Stein

1742 - 1827

 

Dido, ein Trauerspiel

in fünf Aufzügen.

 

Erster Aufzug.

 

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Sechste Scene.

Dido. Der Rath.

 

Rath.

Königin, dein Volk wird dies Opfer, wie es schon einmal äußerte, von dir verlangen. Zwar versteht es nicht, daß es dir ein Opfer ist. Der große Haufe begreift nicht die zarten innern Gefühle; nur die, die sich dir nähern, die selbst durch dein Wesen dazu umgebildet worden 1), diese ahnden deinen Widerwillen.

 

Dido.

Ich verstehe dich. So habe ich also nicht genug gethan! so habe ich mir nicht so viel Liebe von ihnen erworben, daß sie mich gegen die Gewalt eines Nachbars schützen, der meine Hand aus Raubsucht begehrt! – – Aber auch Undank rührt mich nicht mehr.

 

Rath.

Du hast ja Gelehrte an deinem Hof, Redner, Dichter, Lieblinge der Götter, laß sie auftreten! Ihre Sprache bezaubert das Volk; sie können es von seinem Unrecht belehren. Das nackte Recht dringt nicht ein, wie man in einer Versammlung den schönsten nackten Körper nicht sehen möchte, wohl aber, wenn ihm schöne Kleider angepaßt sind. So, Königin, laß sie einmal, wie unsereins, etwas zur Wohlfahrt des Landes thun!

 

Dido (vor sich).

Der gute Mann begreift nicht, daß es Begeisterte sind, die nur sprechen, was sie müssen, nicht was sie wollen. (Laut.) Lieber Mann, diese Lieblinge der Götter wollen auch wie Götter behandelt sein, und lassen sich nicht befehlen.

 

Rath.

Königin! du bist eine weise Frau, und wir lassen uns gern von dir leiten und verehren deine Befehle; aber allzuviel Güte . . . Glaube mir, ahme auch darinne den Göttern nach, die uns einen Haufen von Uebeln lassen. Lauter Güte von ihnen, und gewiß, wir stürzten selbst die Götter vom Thron.

 

Dido.

Wehe allen schönen Träumen zu einem vollkommenen Ziel, wenn selbst die Götter zu ihrem Thron des Uebels bedürfen.

 

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1) früher stand «werden».