BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Daniel Stoppe

1697 - 1747

 

Neue Fabeln oder Moralische Gedichte,

der deutschen Jugend zu einem

erbaulichen Zeitvertreibe aufgesetzt.

 

Theil I

2. Buch

 

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Die XVI. Fabel.

Der Pinsel und der Spiegel.

 

Ein Maler, der vortrefflich malte,

Verthat zwar viel, und ward doch reich dabey,

Indem man ihm für jedes Konterfey

Zum wenigsten zwölf harte Thaler zahlte.

Man gab ihm Schuld, daß er ein Schmeichler sey.

War jemand häßlich anzusehen:

So wußt er doch das Ding so artig umzudrehen,

Daß er der Aehnlichkeit deswegen nichts benahm,

Indem er der Natur manchmal zu Hülfe kam.

Bey diesem Künstler hieng ein Spiegel an der Wand,

Der von der Malerey auch seinen Theil verstand;

Dem wollte niemand was für seine Mühe zahlen,

Weil er kein Schmeichler war, und sich, bey seinem Malen,

An das Original zu eigensinnig band.

Der Maler war einst nicht zu Hause;

Er war, so viel ich weis, auf einem Kindelschmause;

Die Pinsel lagen da und hatten müßge Zeit.

Der Spiegel konnte sich, bey der Gelegenheit,

Sogern er sonsten schwieg, nun länger nicht entbrechen,

Sich mit den Pinseln zu besprechen.

So feyrig? hub er an. Ihr Herrn! ihr habt gut ruhn;

Nur ich muß immerfort bey meiner Arbeit bleiben.

Ihr könnt euch eure Zeit mit Müßigseyn vertreiben;

Ich mache mir beständig was zu thun,

Und dennoch pflegt man euch weit mehr, als mich zu schätzen,

Da mir der Rang doch über euch gebührt.

Seht her! hier hab ich euch copirt;

Wißt ihr mir was dran auszusetzen?

Nein! sprach ein Pinsel drauf. Was fehlt den meinen Bildern?

Fuhr unser Spiegel fort; etwa die Aehnlichkeit?

Sagt, ob ihr selbst im Stande seyd,

Ein Ding natürlicher und besser abzuschildern?

Ich mal die Leute, wie sie sind.

Da eben liegt der Hund begraben,

Rief hier ein Pinsel aus, du bist der Sach ein Kind,

Und scheinst die Welt noch nicht recht ausstudirt zu haben.

Die blosse Wahrheit bringt nichts ein;

Je häßlicher man ist: je schöner will man seyn.

Was die Natur versehn, das muß die Kunst ersetzen;

Die Menschen mögen sichs noch für ein Glücke schätzen.

Daß deine Malerey so lange nur besteht,

Bis das Original aus deinen Augen geht.

So? hub der Spiegel an, ihr seyd mir schöne Herrn;

Man weis es schon, ihr schmeichelt gern;

Das kann ich nun nicht thun, wie ihr es selber wißt;

Mit einem Wort, es ist mir nicht gegeben.

Wer schöner seyn will, als er ist,

Der kommt bey mir gewiß daneben.

Die Pinsel fiengen hier gewaltig an zu lachen,

Herr Nachbar! sagten sie, hofft ihr etwan, die Welt,

Durch euern Eigensinn, vernünftiger zu machen?

Wer auf der Leute Gunst itzt seine Rechnung stellt,

Muß thun, als wenn er nichts von ihren Fehlern wüßte,

Als wenn er, was er sieht, an ihnen loben müßte.

 

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Was einem schimpflich klingt, das hört wohl niemand gern,

Insonderheit die großen Herrn.

Gesetzt, daß hier und da was närrisches geschehn:

Wer klug ist, stelle sich, als könn er nicht recht sehn!