B  I  B  L  I  O  T  H  E  C  A    A  U  G  U  S  T  A  N  A
           
  Johann Friedrich Unger
1753 - 1804
     
   



P r o b e   e i n e r   n e u e n   A r t
D e u t s c h e r   L e t t e r n .


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Es werden jetzt gegen acht Jahr seyn, als ich zuerst anfing, mich mit der Idee zu beschäftigen, wie unsere gewöhnlichen Deutschen Lettern zu vereinfachen, das viele Eckige von den gemeinen, und das Krause, Gothischschnörklichte von den großen Buchstaben oder Versalien wegzuschaffen wäre, ohne jedoch der Schrift durch die damit vorzunehmende Veränderung ein fremdartiges Ansehen zu geben.
     Ich versuchte es vielfältig, Zeichnungen davon zu machen, um gelegentlich mit einem Stahlschneider oder Schriftgießer darüber zu sprechen; doch fielen sie noch immer nicht zu meiner Zufriedenheit aus, bis ich endlich glaubte, die Formen der Zeichnungen so getroffen zu haben, daß sie sich in der Zusammenstellung gut ausnehmen, ein übereinstimmendes Ganze ausmachen und dem Auge einen gefälligeren Anblick darbieten würden. Gerade um diese Zeit ward ich mit Hrn. Firmin Didot bekannt. Ich theilte ihm meine Idee mit, und er war sehr gefällig bereit, sie auszuführen, und meine ihm nach und nach übersandten gezeichneten Lettern in Stahl zu schneiden. Er versuchte seine Kunst an allen Buchstaben. Einzeln schien jeder für sich gut ausgefallen zu seyn; aber zusammen machten sie, nach meinem Gefühl, kein angenehmes Ganzes aus. Nun strengte er noch einmal mit unsäglicher Geduld und aus Freundschaft für mich, die ich nicht genug rühmen kann, sein ganzes Genie an, meine Idee zu erfüllen; allein, sey es, daß wir uns nicht ganz verstanden, oder daß er mit dem Schnitte der Deutschen Lettern zu unbekannt war, und sich nicht in die, Deutschen Augen gewöhnlichen Schriftzüge versetzen konnte: - genug der Versuch mißlang abermals.
     Nun wollte ich, wiewohl ungern, die für mich so reitzende Aussicht, etwas zur Verbesserung der Deutschen Lettern beizutragen, vorläufig aufgeben, als Herr Didot mir meldete: er habe in der Königlichen Bibliothek zu Paris ein sehr schönes Manuscript gesehen, und sey geneigt, nach diesem, und mit Zuziehung meiner ihm gesandten Zeichnungen noch eine Deutsche Schrift zu versuchen. Er that es, und darauf erfolgten denn die Lettern, die auf der letzten Seite dieser Blätter abgedruckt sind. *)
     Ich enthielt mich alles Urtheils darüber, ließ einige Abdrücke davon machen, und legte sie Männern von entschiedenem Kunstgeschmacke vor. Ihr Urtheil fiel einstimmig ungünstig aus, und es mußte mir natürlich leid thun, meinem edlen Freunde Didot, der durchaus wissen wollte, wie sein Versuch aufgenommen wäre, so wenig Aufmunterndes sagen zu können. Es war mir um so empfindlicher, je gewisser ich wußte, daß er sich bloß auf Antrieb der uneigennützigsten Freundschaft in seinen überhäuften Geschäften unterbrochen, und diese undankbare Arbeit übernommen hatte.
     Beinahe zu derselben Zeit gab Herr Rath Campe eine Probe neuer Deutscher Lettern **) heraus, welche er nach seiner Idee von dem sonst sehr geschickten Schriftschneider und Gießer Herrn Gollner in Halle hatte verfertigen lassen. Diese ist im Ganzen, wenigstens entfernt, einigermaßen der von Didot geschnittenen ähnlich; doch hat letztere vollkommnere Zeichnung und Grundstrich, und verräth überhaupt einen größern Meister. Auch diese von Campe und Gollner versuchte Schrift fand keinen Beifall. Man zog immer noch die alte gewöhnliche vor, und diese beiden Männer erhielten für ihre gute Absicht nicht einmal den öffentlichen Dank, den sie doch gewiß verdienten, wenn auch gleich ihre Erfindung nicht so ausfiel, daß sie gebraucht werden konnte.
     Dergleichen unglücklich ausgefallene Versuche hätten mich nun allerdings abschrecken, und zur gänzlichen Aufgebung meiner Idee bewegen müssen, wenn sie nicht zu fest bei mir gehaftet, und mich unablässig angespornt hätte. Hierbei nicht stehen zu bleiben, und sie, aller Schwierigkeiten ungeachtet, auszuführen, war mein lebhaftes Bestreben. Ich wandte mich zu diesem Endzweck an verschiedene Deutsche Stahlschneider, stieß aber jedesmal auf Schwierigkeiten und Einwendungen. Auch machten sie entweder zu hohe Forderungen, oder ihre Zeit war zu eingeschränkt, als daß sie sich auf so manche, wahrscheinlich vergebliche Versuche einlassen konnten. Nun entschloß ich mich, selbst einigen Unterricht im Stahlschneiden zu nehmen, wobei mir mein Holzschneiden so gut zu Statten kam, daß ich jene Kunst im Allgemeinen sehr bald faßte. ***)
     Durch anhaltende Übung und wahrlich mit Anstrengung meines ganzen Vorrathes von Geduld, gelang es mir endlich, diese Schrift, welche ich dem sachverständigen Publikum itzt vorlege, zu Stande zu bringen. ****) Mit was für ganz unerwarteten Schwierigkeiten, sowohl in der Behandlung des Stahls, als auch bei der Ausführung der Schriftzeichen selbst, ich kämpfen mußte, kann nur derjenige sich vorstellen, der sich mit ähnlichen Arbeiten befaßt, und, ohne eine dazu erhaltene Vorschrift oder ein nachzuahmendes Modell, lediglich seine Phantasie zur Richtschnur hat. Bei aller Abweichung von den alten Lettern, die ich zu machen vorhatte, mußte ich doch alle fremdartigen Züge vermeiden. Um mich zu überzeugen, daß ich dies wirklich gethan hätte, setzte ich Wörter von meinen Lettern zusammen, und legte sie Kindern vor, die im Lesen noch nicht sehr geübt waren. Lasen sie bei dem ersten Anblick ohne Anstoß, so hielt ich meine Buchstaben für annehmlich, so wie ich sie im entgegengesetzten Falle verwarf.
     Mein Endzweck bei Verfertigung dieser Lettern war also, wie ich vorläufig schon gesagt habe: Erstlich die vielen Ecken davon wegzuschaffen, daß sie eine gefälligere Form bekämen; die Lettern dem schwachen Auge unentstellter, heller und deutlicher darzustellen, und dadurch den nicht ungegründeten Klagen über das Unangenehme der jetzigen Deutschen Schriftzüge abzuhelfen.
     Zweitens gehörte es zu meiner Absicht, jeden Buchstaben so zu formen, daß er sich deutlich von den andern auszeichnete, und daß die bis jetzt so häufigen Verwechselungen in den Büchern vermieden würden. Man findet nehmlich oft b statt d, V statt B, u.s.w. Besonders häufig aber ist die Verwechselung zwischen u und n, welche bei der gegenwärtigen Schrift, wenn der Korrektor nicht äußerst unachtsam ist, wohl nicht so leicht möglich seyn wird. Gerade aus der Ähnlichkeit mehrerer Buchstaben unter einander entstehen hauptsächlich die vielen Druckfehler, worüber man so häufig bei Deutschen Werken klagt. So viel es ohne allzu große Abweichung von der gewöhnlichen Form geschehen konnte, habe ich die übereinstimmenden Schriftzüge sorgfältig zu vermeiden gesucht, wodurch ich den Schriftstellern und Korrektoren die Korrektur zu erleichtern wünsche, und fehlerfreiere Bücher zu erzielen hoffe.
     Damit die Verschiedenheit meiner neuen Lettern von den älteren, und meine Abweichungen von der alten Form genau verglichen werden können, habe ich diese Seite noch einmal mit neugegossenen gewöhnlichen Buchstaben hier nebenbei setzen und abdrucken lassen. Der Leser wird nun fühlen und beurtheilen können, welche von beiden Schriften dem Auge zuträglicher ist, und welche von beiden ihm einen gefälligeren Anblick gewährt. Eine von den kleinsten Buchstabenarten, die man in Buchdruckereien hat, und womit jetzt die meisten Werke des Geschmacks gedruckt werden, habe ich deshalb gewählt und verfertigt, damit der Erfolg meiner Absicht, den schwachen Augen eine deutlichere und leserliche Schrift zu geben, sich desto sicherer beurtheilen ließe. Bei größeren Lettern werden die Deutlichkeit und die von mir gemachten Abänderungen noch mehr auffallen.
     Sollte ich so glücklich seyn, den Beifall eines sachverständigen, competenten Publikums zu verdienen, so würde ich bald mehrere Arten von diesen Lettern nachfolgen lassen, welche ich bereits unter den Händen habe. Die Zeit, die ich auf das Schriftschneiden verwenden kann, ist zwar sehr beschränkt, und ich würde daher vielleicht nicht im Stande seyn, alles so bald zu bestreiten; aber ich habe das Glück gehabt, an Herrn Gubitz, der bisher Setzer in meiner Druckerei war, einen sehr thätigen Gehülfen zu finden. Dieser Mann hatte sich schon seit verschiedenen Jahren auf die Kunst in Holz zu schneiden gelegt; nun gab ich ihm Anweisung zum Stahlschneiden, und sein natürliches Kunsttalent machte, daß er diejenigen Nebendinge und Handgriffe, die eigentlich bei keiner Kunst gelehrt werden können, sehr bald faßte.
     Man hat sich zwar der schönen Didotschen Lateinischen Lettern zu vielen geschmackvollen Werken bedient, und durch sie die Deutschen Buchstaben ganz zu verdrängen gesucht; doch möchte diese Absicht wohl nie erreicht werden können. Der größere Theil der Nation ist zu sehr an die Deutschen Schriftzüge gewöhnt, und ich weiß, daß selbst viele achtungswerthe Gelehrte sich nur ungern und aus Noth entschließen, Deutsche mit Lateinischen Lettern gedruckte Werke zu lesen, weil keine andere Ausgabe davon vorhanden ist. Warum auch sollten wir Deutschen hierin auf Originalität Verzicht thun? Den Ausländern, die unsere Sprache lernen wollen, zu Gefallen? That dies irgend eine Nation uns zur Erleichterung? - Schriftzeichen kennen zu lernen, ist für einen Erwachsenen die Arbeit weniger Stunden, oder kommt doch wenigstens in gar keinen Betracht. Wem es Ernst um die Erlernung der Deutschen Sprache ist, wird sich durch eine um so sehr wenig vergrößerte Mühe gewiß nicht davon abschrecken lassen. Dieser jetzt so getheilte Geschmack in der Druckart der Bücher ist dem Buchdruckereieigenthümer sehr lästig und kostspielig. Sonst durfte er nur für hinreichenden Vorrath Deutscher Lettern sorgen ; jetzt ist er genöthigt, sich Lateinische in eben der Menge und Verschiedenheit anzuschaffen, um, wenn der Druck Deutscher Bücher mit Lateinischen Buchstaben aus dieser oder jener Schriftart verlangt wird, die Bestellung übernehmen zu können.
     Sollte mir es aber gelungen seyn, die Gestalt der deutschen Schriftzüge verbessert zu haben, so würde das Publikum sehr bald von seiner Vorliebe zu den Lateinischen Lettern zurück kommen, und alle Deutschen Werke dann auch mit Deutschen Lettern gedruckt erscheinen. Daß die Gestalt, in der sie zuerst erschienen, nicht symbolisch ist, haben die nachmaligen Verbesserer, besonders Zink, schon bewiesen. Ich habe bei diesen Lettern gesucht, das Helle und Zarte der Lateinischen Schrift hineinzubringen, ohne nur einen Zug davon zu entlehnen.
     Daß ich die so genannte Schwabacher Schrift gänzlich aus der meinigen verbanne, wird hoffentlich jedermann billigen. Etwas Geschmackloseres, als diese Art Lettern, giebt es wohl schwerlich, und keinem Schriftgießer oder Buchdrucker, der nur irgend Anspruch auf Gefühl für Schönheit macht, wird es itzt noch einfallen, diese dem Auge sehr widrige Schrift nur einiger Aufmerksamkeit zu würdigen, oder sie gar verbessern zu wollen. Anstatt dieser Schrift, die von der gewöhnlichen hervorstechen soll, braucht man nur die Worte zu  d e h n e n  (wie dieses Wort, welches sich meiner Meinung nach, hinreichend unterscheidet); oder man kann auch alle Arten Schriften auf höhere Kegel gießen, und alsdann setzt man die im Manuscripte unterstrichenen Worte, z. B. aus Korpus, wenn das Werk aus Petit-Schrift auf Korpuskegel gedruckt wird. - Diese doppelten Kosten für Schrift sind dem Buchdruckereieigenthümer bei weitem nicht so lästig, als wenn er sich die so häßliche Schwabacher durch alle Arten Schriften anschaffen muß. Jene Lettern verinteressiren sich dadurch hinlänglich, daß jede für sich zu Werken gebraucht werden kann; diese aber bleibt ganz todt liegen, bis hier und da ein Werk vorkommt, wo die unterstrichenen Worte daraus gesetzt werden sollen. Und doch muß man sie sich in Menge anschaffen, da man nicht sicher ist, ob nicht oft ganze Seiten voll damit zu drucken sind.
     Ich habe sehr Ursache zu wünschen, daß die Beurtheilung dieser Schriftprobe sachverständigen Gelehrten zufallen möge, deren Geschmack zugleich geübt genug ist, den rechten Gesichtspunkt, aus welchem ein Versuch dieser Art angesehen werden muß, zu fassen. Das Urtheil solcher Männer wird für mich sehr bedeutend und unterrichtend seyn. Schlimm wäre es, wenn sie einem Recensenten in die Hände fiele, der so darüber abspräche und so ohne Kunstkenntniß davon urtheilte, wie vor einiger Zeit der in der Hallischen gelehrten Zeitung über meine kleine in Holz geschnittene Landcharte. Fast eben so ging es meinem Versuch in einer andern gelehrten Zeitung, die ich aus Achtung für die gelehrten und mit Recht geschätzten Herausgeber nicht nennen will. -
     Daß bei diesen Lettern noch hier und da verbessernde Abänderungen möglich sind, gebe ich gern zu, und ich werde meinen ganzen Fleiß darauf verwenden, sie noch vollkommener zu machen.

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     Schriftproben: 



Firmin Didots erster Entwurf (1790)
Didot (1764-1836) war ein berühmter französischer Schriftkünstler,
der entscheidendes zur Entwicklung der modernen
Antiqua-Schriften beigetragen hat. Nach ihm wurde die
typographische Maßeinheit, der Didot-Punkt, benannt.




Firmin Didots zweiter Entwurf (1791)
 


Joachim Heinrich Campes Fraktur (1790)
 


Erster Versuch von Unger (1793)
 


Endgültiger Schnitt der Unger-Fraktur (1794)