BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Bettine von Arnim

1785 - 1859

 

Die Geschichte von Hans ohne Bart

 

1808

 

Text:

Heinz und Ursula Härtl: Die junge Bettina (Berlin 2022) und

Reinhold Steig: Achim von Arnim und die ihm nahe standen,

Bd. 2: Arnim und Bettina (Stuttgart: J. G. Cotta, 1894)

 

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An Ludwig Achim von Arnim in Heidelberg

Frankfurt, 27./28. April 1808, Mittwoch/Donnerstag

 

Die Geschichte von Hans ohne Bart geht so an:

 

Es war eine arme Frau, die hat einen Sohn, den konnte sie wegen ihrer Armuth nicht mit Speiß ernähren, must ihm also die Brust reichen, bis er sieben Jahr alt war. Da sagt sie ihm: «Geh hinaus in den Wald und rüttel einen Baum, wenn Du ihn kanst ausreißen, so must du fort in die Welt, den ich bin arm und kann dir nichts zu essen geben.» Der Sohn ging in Wald, und wollt einen Baum rütteln, konnt aber nicht, ging daher wieder heim und sagt seiner Mutter: «Ich kann den Baum nicht rütteln.» Da reicht ihm die Mutter wieder ihr Brust, biß sieben Jahr um waren und schickt ihn wieder in Wald, und sagt: «Nehm den Baum bei seinen Aesten, und schüttel recht mit Gewalt, wenn du den Baum kanst ausreißen, so mach dich fort und bring dein Leben durch, denn ich bin arm und kann dich nicht ernähren.» Da geht der Sohn in Wald, wie ihm die Mutter gesagt hat, kommt auch wieder heim und schlept einen großen Ast mit sich, und sagt: «Mutter, ich kann den Baum nicht umreißen, aber wohl einen Ast, den hab ich abgerissen.» Da gibt ihm die Frau wieder zu trincken bis sieben Jahr um waren, und schickt ihn in Wald, er soll sehen, ob er einen Baum kann ausreißen, und soll weiter gehen in die Welt, sein Brodt verdienen. «Pack ihn bei der Wurzel und zieh recht kräftig,» sagt sie ihm. Der Sohn thut, wie ihm die Mutter gesagt hat, und reißt einen Starken Baum mit seiner Wurzel aus der Erden. Da geht er nun weiter und kommt nimmer heim. In demselben Wald war eine Mühl, da wars nicht sicher, also daß kein Mühlknecht da bleiben wollt, und die blieben, die sind umkommen. Der Hans find dieselbige Mühl, darin war eine Witfrau, denn ihr Mann war auch umkommen. Zu dieser Frau spricht er, daß er will Mühlknecht bei ihr werden, ohne Lohn, nur für das Essen. Darüber war die Frau recht froh und sagt ja. Aber der Hans will nicht anders, als daß ihm die Frau verspricht, daß keiner von beiden darf dem andern den Dienst aufsagen, und welcher ihn zuerst aufsagt, den darf der andre schlagen so viel er Lust hat. Das war die Frau zufrieden, denn sie meint, er würd leichtlich fort wollen, wenn er die Gespenster merckt. Sie kocht ihm auch gleich eine Suppe zu essen, der Hans schütt aber die Suppe ins Feuer, und sagt er wollt sich selber eine kochen, stellte sich ein groß Butt mit Wasser auf den Herd, holte sich alles Brod, was da ist, und brockts hinein, und da es gar war, holt er sich den Fleisch[hark]en stadt einem Löffel, und frißts all hinein. Der Frau stehn die Haar zu Berg, wie sie das sieht, und hat gar Angst, er würd sie arm fressen, wenn er beim Leben blieb. Sie schickt ihn daher Abends in die Mühl, er solte mahlen, und hoffte, die Gespenster würden ihn umbringen. Als es gegen Mitternacht war, so kommen drei Irwisch in die Mühl und wollen ihn erwürgen, da erwischt er eins und wirft es unter den Mühlstein und mahlt ihm die Nas ab und ein Stück vom Bauch, und schickt es wieder heim. Als es nun Morgen war, da verwundert sich die Müllerin, daß er noch lebt. Sie schickt ihn am Abend wieder in die Mühl und meint, er soll umkommen. Da es aber Mitternacht war und die Irwisch kammen, da erwischt er zwei und wirft sie unter den Mühlstein mahlt dem einen den Schenkel ab und dem andern den Backen. Am Morgen sagt er zur Müllerin: «Habt Ihr nichts mehr zu thun? Ich hab das Korn all gemalen.» Die Frau schickt ihn in den Wald, weil es Holztag ist, er solle Holz hohlen. Da spannt er die 4 schöne Hengst von der Frau an den Wagen und fährt in Wald. Er war aber der erst im Weg, so daß die andern Bauern musten warten, er gab sich auch kein Müh, die Bäum abzuhauen, sondern reißt sie mit samt der Wurzel aus. Der Wagen war aber zu schwehr, die Pferd konnten ihn nicht ziehen. Er schlug eins nach dem andern tod und warf es auf den Wagen zum Holz. Wie er sie all todgeschlagen hatte, ging er hinter den Wagen, und macht einen großen Berg, da konnten die Bauern nicht durch und konnten kein Holz holen. Er zog aber seinen Wagen allein nach Hauß. Da ihn die Frau kommen sah mit den 4 todten Hengsten, fürchte sie sich und machte ihr Thor zu. Er warf aber den Wagen über die Mauer, mit den Bäumen und den Pferden, und schmiß ihr das Haus ein. Da hat die Müllerin Angst, und schickt ihn in eine Höle, wo sie wuste, daß der Teufel war, er soll ihr da ein Kraut holen. – Nun weiß es die Frau Lehnhart nicht weiter, sie meint, es endigt sich mit einer Schazgräber-Geschichte, daß der Teufel ihm viel Geld giebt, und er geht damit zur Frau Müllerin, und entschädigt sie für seine Unarten. Mir gefällt am besten, daß er die Irwische immer erwischt.

 

Leb wohl mein lieber Arnim

Bettine.