BIBLIOTHECA AUGUSTANA

 

Bettine von Arnim

1785 - 1859

 

Ein Märchen

 

1808

 

Text:

Heinz und Ursula Härtl: Die junge Bettina (Berlin 2022) und

Reinhold Steig: Achim von Arnim und die ihm nahe standen,

Bd. 2: Arnim und Bettina (Stuttgart: J. G. Cotta, 1894)

 

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Das Märchen ist in zwei Briefen von Bettine an Armin aus dem Jahre 1808 enthalten. Die Orthographie ist behutsam korrigiert.

 

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An Achim von Arnim in Heidelberg

Frankfurt, 25. April 1808, Montag.

 

... Ich erzehl Dir besser ein Märgen:

 

Es war einmal ein König, der hatte ein herrliches Land, und seine Burg stand auf einem hohen Berg, von wo aus er weit sehen konnte. Hinter der Burg waren schöne Gärten zu seiner Lust erbaut, die waren mit herrlichen Flüssen umgeben und mit dichten Wäldern, die ganz mit wilden Thieren erfüllt waren. Löwen, Tiger hatten ihre Wohnung da, wilde Kazen saßen auf den Bäumen, Füchse und Wölfe sprangen im Dickicht umher. Weise Bären, und auch mit goldnem Fell, schwamen oft paar weiß über die Flüße und kamen in des Königs Garten; auf dem Gipfel der Bäume nisteten die Stoßadler, Geier und Falken. Es waren diese Wälder ein wahres Reich der Thiere, welches des Königs seins begränzte, und war als ihr Eigenthum angesehen.

Der König aber nahm ein Weib um ihrer Schönheit willen, und daß er Kinder bekomme. Da sie mit dem Seegen ging, da freute sich das Volk, daß sie sollten einen Thronerben haben, und sie ehrten das Weib darum sehr hoch. Die Zeit des Gebährens verstrich aber, ohne daß sie eines Kindes genesen wäre, da ward der König traurig, weil er glaubte sein Gemahl sey kranck und müßte bald sterben. Aber sie nahm Speiß und Tranck zu sich wie ein gesundes Weib, aber sie ging sieben Jahr eines hohen Leibs, der König ärgerte sich an ihrer Misgestaldt, und glaubte daß sie sich an Gott versündigt habe, weil er sie so hart strafe. Er ließ ihre Kammer von der seinigen trennen, und sie mußte in der hintern Seite der Burg wohnen. Hier trug sie langsam und traurig ihre schwehre Bürde durch die einsamen Gärten, und sah die wilden Thiere aus dem Wald an das jenseitige Ufer des Flusses kommen, um sich zu tränken. Wenn es dann um die Frühlings Zeit war, und es kamen die alten Leuen oder Tiger mit ihren Jungen und tränkten [sie], da wünschte sie oft, in schwehrer Verzweiflung, auch ein reißendes Thier zu seyn, im Walde ihre Nahrung mit wütigem Kampf dem Leben zu entreißen, wenn sie nur ihre Kindlein mögt ernähren. Aber so, sprach sie, muß ich mit schwehrem Tritt und schwehrem Jammer hier durch die Gärten wandlen, ich seh euch jährlich eurer Frucht genesen, und wie ihr eure Jungen in eurer wilden, unwürschen Natur erzieht, aber ich, die Fürstentochter, die Königin, soll keinen meines edlen Stammes erziehen, soll unglücklich seyn und vor dem Könige, meinem Gemahl, verhaßt.

Als sie einsmals, auf einem einsamen Ort, unter einer Palme saß, fühlte sie Schmerzen, und sie gebahr einen Sohn, der gleichsam die Kräfte eines siebenjährigen Knaben zu haben schien, denn während er zur Welt kam, hatte sich eine wilde Bärin über den Fluß gewagt, und als er kaum frei war, jagte er dießer nach, er kriegte sie beim Fell, das Thier schwamm zurück und trug ihn mit sich in Wald. Da schrie die Konigin mit gewaltiger Mutterstimme: mein Sohn! mein einzig gebohrner, ist in dem Wald, und wird von den wilden Thieren gefressen. Die Wachen des Königs kamen herbei, und stürzten durch die Flüsse nach den Wäldern, mit Streitkolben, mit Pfeil und Bogen und wollten ihres Herrn Sohn wieder haben. Aber da die Thiere merkten, daß man mit Gewallt in ihr Gebiet einfalle, kamen sie aus den Wäldern an das Ufer, um sich zu wehren, die Bären sezten sich aufrecht und streckten ihre Tazen aus, die Leuen fletschten ihre Zähne und wedelten mit den Schweifen, die Tiger liefen auf und ab am Ufer mit feurigen Blicken, die Wölfe heulten, die Elefanten wühlten die Erde auf und stürzten Felsen ins Wasser, die Vögel flogen aus ihren Nestern, machten die Luft schwehr und hielten ein gräuliches Geschrei, also daß keiner der kühnen Ritter es wagte, ans Ufer zu steigen. Sie schwammen also zurück zur verlassnen Königin, weil sie doch glaubten, der Königssohn sey verlohren. Da sie aber zu ihr kamen, fanden sie, daß sie im Gebähren war und noch 6 Kindlein zur Welt brachte, um welches eins immer fröhlicher und stärker schien als das andre. Man trauerte daher nicht viel um den verlohrnen Sohn, sie wurde mit den 6 Säuglingen, als eine Glohrreiche Mutter, vor den König gebracht, der sie mit Ehrenbezeugung und Freuden aufnahm.

 

Adieu, die Post geht ab; morgen das Ende.

 

 

An Ludwig Achim von Arnim in Heidelberg.

Frankfurt, 26. April 1808, Dienstag

 

Da wuchsen die Kindlein, die Königin pflegte ihrer mit großer Gedult, und gab ihnen Nahrung. Aber wenn es Abend wurd, daß sie sich zur Ruhe gelegt hatte, da ging sie hinter die Burg, auf dem Fleck, wo sie gesessen, und die Bärin ihr das Kind geholt. Sie lief am Wasser hin, ob sie ihren Sohn wohl mögt aus den Gebüschen locken, sie bekümmert sich auch im Herzen ganz wenig um die andern Kinder, denn allein um diesen, und konnte nicht glauben, daß er sey umgekommen. Also wie ein Schäfer sich mehr bekümmert um das eine Lamm, welches verlohren, denn um die ganze Herde, und glaubt, das dieses Lamm das beste und einzige war. – Sie fürchtet sich auch nicht mehr vor den wilden Thieren, wenn sie die in der Nacht heulen hört, wenn sich eins in dem Garten verlauft, da lauft sie ihm nach und fragt nach ihrem Kind. Die wollen sie aber nicht verstehen, da wird sie ungedultig und verzweifelt, sie droht und bittet, und kriegt die Bären beim Fell; sagt: «Ihr habt mir meinen Sohn gestohlen». Die wollen sich aber nichts drumm kümmern, und thun nach ihrer Art. Sie kennen die I'rau an ihrem Ansehen, und thun ihr nichts zu leid. Wenn sie dann wieder in die Burg kömmt, so wischt sie ihre Thränen ab, und beugt ihr Gesicht auf die Kinder, die unruhig seyn, und verbirgt so ihre Thränen, und spricht: meine arme Kinder seyn unruhig, und frieren, ich muß sie wärmen, und muß sie nähren, das sie wieder ruhig werden. Also, daß sie ihre Traurigkeit den ganzen Tag vor den Leuten verbirgt, und ihr Gesicht nicht gegen das Tagslicht wendet, denn sie schämt sich, daß sie allein mehr Lieb zu dem verlohrnen Sohn spührt, denn zu den andern. Doch erzieht sie dieselben mit großer Gedult und Weisheit am Tag; aber am Abend, wenn die Kinder schlafen, forscht sie ihrem Sohn nach, da redet sie die großen Raubvögel an, die in den hohen Lüften schweben, herüber und hinüber fliegen, ihren Jungen Speiß zu bringen, da spricht sie oft: O ihr beflügelten Thier, wenn ich so wie ihr könnt in der Luft schweben, und in die Gebüsch herunter blicken, meinen Sohn suchen, o sagt mir doch, ob er noch lebet, oder ob ihr ihn tod gesehen habt. Wenn die Vögel nun unverständlich schreien in der Luft, so meinet sie etwas zu verstehn und streicht das Haupthaar zurück, um besser zu hören, da glaubte sie oft, die Vögel rufen ihr zu, daß er noch lebe, und bald zu ihr komme sie giebt sich Müh, das Geschrei auszulegen, sie redet auch selbst die Bienlein und summende Käfer an, die über dem Wasser schweben. Die schwärmen um sie her, brummen und summen ein jedes nach seiner Art, fliegen dann wieder fort. – O Arme Königin, es wird dir kein wildes unverständiges Thier Rath gehen, die wissen nicht, was Menschenklag ist, denn die Menschen verfolgen sie, und haben ganz keine Gemeinschaft mit ihnen, sie trachten ihnen nach dem Leben um ihr Fell, oder um ihr Fleisch zu essen, aber nie hat sich ein Mensch an sie gewendt, um Trost bei ihnen zu hohlen. Es hat aber manch edel Wild geklagt, um die Freiheit, die ihm der Mensch listig geraubt hat, daß es hat müßen Sclavendienste thun, daß es doch nicht schuldig war zu thun, und auch keine Natur dazu hat und muß trocken Heu für seine Dienste fressen, da es doch hat können im Wald frisch Laub fressen, und muß um sein Maul lassen einen Zaum binden, und sich mit einer Peitsche regieren lassen. Darum trauen sie auch dem Menschen nicht, und gehen ihm aus dem Weg, wenn sie sich aber nicht zu helfen wissen, dann packen sie oft den Menschen an und zerreißen ihn auf eine gräuliche Art, blos um ihre Freiheit oder ihre Jungen zu erhalten. –

Nun wurden aber die Kinder recht groß, und auch zu aller Weisheit gut erzogen, sie hatten sehr einträchtige Gesinnungen und ließen sich in allem auf eine edle Weise an. Der König wuste nicht, welchem er die Krohn sollt lassen, denn man könnt nicht sagen, welcher früher gebohren war, oder daß einer weniger tauglich sey zum Herrschen. Ließ er sie in Spielen um den Preiß werben, so kam es oft, daß alle den gleichen Preiß gewannen, oder daß ein jeder in einer besondern Art vorzüglich war. Der König könnt auch keinen mehr lieben, denn es war ein jeder schön, und ihr Wesen war zu vergleichen mit dem Hals eines edlen Federspiels. Wenn es in der Sonne steht, dreht es sich so, da spiegelt sich die rothe oder grüne Farbe am herrlichsten dreht es sich wieder anders, so strahlt wieder eine andre, oder geht es auf und ab, und bewegt die Flügel, so wechseln die Farben schnell wie der Bliz. Ein so schön wie die andre, man weiß nicht, welche am schönsten, oder auch waren sie, wie der Regenbogen, wo alle Farben schön vereint stehen und sich über den weiten Himmel spannen, daß eine immer aus der andern hervorgeht. Der König aber hatte nicht das Recht, sein Land zu theilen, oder ihm mehr denn einen Herrn zu geben. Er ließ daher eine Krohne machen, aus lauterem Gold, die die Häupter seiner 6 Kinder umfaste, und er sagte ihnen, so lang euer Sinn so rein bleibt wie dieß Gold, und daß Ihr so einig seid, daß Ihr eure Häupter all mögt in diesen Ring fassen und Euch liebend küssen, so mag ich wohl sagen, mein Leben hat nur einen Herrn, und obwohl viele Leiber, hat es doch nur einen Geist. –

Da ließ er ein großes Fest bereiten, an welchem das Volk solt die neuen Könige sehen. Es versammelten sich alle Edle am Hof, da war unter freiem Himmel ein großer Thron von Gold, daran saßen die Königssöhne, und sezte ihnen der König die Krohn auf die Häupter, die stille einsame Mutter war in vollem Schmuck und Pracht, mit goldnen Schleiern und Mäntel angethan und es war ein Jauchzen zu ihr. Man nent sie die Glohrreich Mutter, und spielt ihr vor auf allen Instrumenten, eine herrliche Musick zu ihrem Lob. Sie aber verbirgt ihr Angesicht hinter den Schleier und weint bittere Thränen, um ihr verlohrnes Kind. Da steigen die Söhne herab von ihren Sizen, fallen auf ihre Knie, und begehren der Mutter Seegen. Da steht sie auf und ertheilt mit ihrer rechten Hand den Seegen ihren Kindern; die linke Hand hält sie aber aufs Herz und gedenkt ihres Sohnes. –

Die wilden Thier hatten das Frohlocken gehört durch das ganze Land, und waren unruhig geworden. Sie schwammen über die Fluß zu großen Schaaren. Da brachten die Wachen, die gräuliche Bothschaft, alles floh in seine Wohnung. Die Mutter nur wollt nicht weg, denn sie hatte keine Furcht. Die Söhne wolten ihr Mutter nicht verlassen, da sie auf ihr Flehen nicht weichen wollte, um sie zu beschüzen. Die Schaar der Thiere kam heran und mitten unter ihnen ein schönes Antliz, das aufrecht zum Himmel blickt, und schien ein Mensch zu seyn, nur daß er schöner und edler war. Er reitet auf der Leuen und Tiger Rücken, er springt anmuthig von einem zum andern. Da das die Mutter sieht, so spricht sie: Es ist mein Sohn, und geht mit muthigem Wesen ihm entgegen, sie legt sich an seine Brust, und sie spührt, wie einen Felsstein sich von ihrem Herzen wälzen. Die Thiere kennen die Frau an ihrem Ansehn und thun ihr nichts zu leid. Der Jüngling hat aber keine menschliche Sprach, er konnte nur seinen Willen durch Zeichen kundthun, daher nimt er die Krohn und dreht sie siebenfach um sein Haupt. Auch riß er mit seiner starken Hand einen Oelbaum aus dem Erdboden, und gab den 6 Brüdern einem jeden einen Zweig, sich selbst behielt er den Stamm, welches heisen soll: Ich bin der Herr! Aber Ihr sollt in Frieden mit mir leben. Und er ward ein König über Thiere und Menschen, im Geist; sonder Sprache.

 

Adieu, mein lieber Arnim, nicht einmal hab ich mehr Zeit, Dir noch eine freundliche Zeile zu schreiben. Ich hab Dir das Märgen so hingekrizelt, und wird Dir vielleicht mehr Mühe kosten es zu lesen, als es werth ist.

 

Bettine.